Woher kommen unsere Kenntnisse über die Germanen?

Bei dieser Frage muß man voranstellen, daß uns die Germanen, also unsere Vorfahren, sehr lange Zeit keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben. So müssen wir auf schriftliche Quellen zurückgreifen, die Autoren anderer Völker verfaßt haben. Das waren hauptsächlich Griechen und Römer. Diese Quellen setzten aber auch erst ein, als sie mit germanischen Stämmen zusammenstießen – haupsächlich also ab dem 1. Jh. v. Chr.

Und davor?

Hier gibt es vor allem die Archäologie und die Sprachwissenschaft, die uns einige Antworten geben kann. Auf Grund von Gegenständen, die in ehemaligen Siedlungen, heiligen Orten und Grabstätten gefunden werden und auf Grund der Art und Weise, wie die Verstorbenen bestattet wurden, kann man eine bestimmte Kultur, die die gleichen Eigenheiten besaß, in etwa eingrenzen. Nicht zu leisten vermag die Archäologie das nennen von Namen, etwa des jeweiligen Stammes, oder von verstorbenen Personen, die gefunden werden. Die Archäologie ist eine stumme Wissenschaft. Sie gibt der jeweils untersuchten Kultur Namen, z. B. von Gegenständen oder von besonders häufig verwendeten Materialien, die für sie besonders charakteristisch sind. So gab es in Mitteleuropa seit etwa 5500 v. Chr. die sogenannte Bandkeramikkultur und im 4. Jahrtausend v. Chr. hatte die Trichterbecherkultur ihren Schwerpunkt.

Ebenso, wie in fast ganz Europa, war auch in Mitteleuropa im 5. und 4. Jt. v. Chr. die Megalithkultur verbreitet.

Einigermaßen sicher scheint zu sein, daß die Verbreitung der sogenannten Jastorfkultur mit den Siedlungsgebieten der Germanen identisch ist und deren Beginn ab 600 v. Chr. in etwa auch mit der Entstehung der germanischen Sprache um 500 v. Chr. zusammenfällt.

Damit sind wir bei der Entstehung der Germanen und der germanischen Sprache.

Bevor es die germanische Sprache gab gehörte sie aller Wahrscheinlichkeit nach der weiter verbreiteten indoeuropäischen Sprache (auch die Bezeichnung indogermanisch wird häufig verwendet) an. Jedoch gilt hier, wie auch bei der späteren germanischen Sprache: Jeder Stamm hatte seinen eigenen Dialekt, so daß aus diesem Grunde, wie auch auf Grund von Veränderungen, die eine Sprache über eine längere Zeit natürlicherweise unterliegt, ein allgemeingültiges „indoeuropäisches Wörterbuch“ nur unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten rekonstruiert werden kann.

Es gibt viele verschiedene Theorien darüber, woher die Ur-Indoeuropäer oder wissenschaftlich ausgedrückt – Proto-Indoeuropäer kamen oder wie sie sich ausbreiteten. Es scheint jedoch festzustehen, daß sie erst recht spät (hier ist eine Zeitangabe von ca. 3000 v. Chr. im Gespräch) nach Europa einwanderten und sich nachgewiesenermaßen östlich bis Ost-Turkestan (ausgestorbenes Tocharisch), westlich bis zum Atlantik, nördlich bis fast zum Polarkreis (Island), südwestlich bis zum Mittelmeer und südöstlich bis zum Indischen Ozean (einschließlich Indiens – daher der Name Indo-Europäer) ausbreiteten. Überall stießen sie dabei auf andere Völker, mit nicht indoeuropäischen Sprachen, z. B. auf das bis heute noch im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien an der Atlantikküste gesprochene Baskische oder auf die bis ins frühe Mittelalter noch nachweisbaren Sprachen der Pikten in Schottland, Iberer in Spanien, Etrusker in Italien, Räter in den Alpen, Minoer, Pelasger und Lemnier in Griechenland sowie Hattier in Kleinasien und vermischten sich mit ihnen. Dabei übernahmen sie zumeist die Sprache der Proto-Indoeuropäer, meist unter Beibehaltung von einzelnen vor-indoeuropäischen sprachlichen Eigenheiten, wie Satzbau, Betonungen im Satz oder Änderungen im Klang der Konsonanten (z. B. aus „T“ wurde „D“, aus „s“ wurde „r“ oder aus „ka“ wurde „ch“), was auf eine gesellschaftliche Dominanz der mit Sicherheit zahlenmäßig unterlegenen Indoeuropäer schließen lässt. Sprachlich am unterschiedlichsten sind dabei die indoeuropäischen Sprachgruppen in Südosteuropa am Schnittpunkt von keltischen (in der Antike), germanischen, italischen, griechischen, albanischen (illyrischen), slawischen und anatolischen Sprachen. Somit scheint insgesamt festzustehen, daß die Proto-Indoeuropäer nicht die Ureinwohner Europas waren.
Im Laufe des 1. Jt. v. Chr. entstanden dann auf Grund der gerade erläuterten Umwälzungen die meisten indoeuropäischen Sprachen: so z. B. Griechisch, Lateinisch, Keltisch, Germanisch, Baltisch und Slawisch, um nur die wichtigsten Sprachen in Europa zu nennen, aber auch z. B. Persisch.

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Wer waren die Germanen?

Zunächst zum Namen selbst:
Das antike Volk, das wir heute als Germanen bezeichnen, nannte sich ursprünglich nicht selbst so. Der Begriff Germanen war also nach heutiger Lehrmeinung ursprünglich keine Eigenbezeichnung und sie verstanden sich nicht einmal als ein einheitliches Volk, sondern sahen sich als das, was sie in Wahrheit waren:
Als eine Vielzahl von unabhängigen Einzelstämmen, die jedoch, von Unterschieden im Dialekt abgesehen, eine gemeinsame Sprache hatten.

Wer prägte den Begriff?
Laut den uns bekannten schriftlichen Überlieferungen, kann man davon ausgehen, daß der Begriff Germanen vor allem von Römern geprägt wurde. Es gibt hier eine ganze Reihe von Überlieferungen, die sich aber z. T. widersprechen:
Jedoch, als erster verwendete der Grieche Poseidonios in seinem 30. Buch (ca. 80 v. Chr. geschrieben) den Begriff germanoi. Was er dabei genau darunter verstand, bleibt aber im Dunkeln, da uns seine Werke nur als Zitate anderer Autoren erhalten sind. Es dürfte jedoch feststehen, daß Poseidonios mit seinem Begriff germanoi eine bestimmte Ethnie benennen wollte, jedoch noch kein fest abgegrenztes Gebiet. So unterschied er die Völker des Nordens (wobei ebenso unklar bleibt, welche er damit genau meinte) von den Völkern, die weiter südlich siedelten und berichtet, sie hätten einen mächtigeren Körper, eine hellere Haut, gerades, rötliches Haar, blaue Augen und viel Blut. Sie besäßen zwar einen stumpfen Geist, zeichneten sich jedoch durch einen wegen ihrer Unbedachtheit großen Kampfesmut aus.
Demgegenüber wurden die im Süden lebenden Menschen als von kleinem Wuchs, mit brauner Haut, krausem Haar, dunklen Augen, mageren Beinen und wenig Blut charakterisiert. Sie zeichneten sich durch einen scharfen Geist, große Findigkeit, aber auch größere Feigheit aus.
Es war der römische Feldherr Julius Caesar, der das Gebiet der Germanen in den Jahren 58-51 v. Chr. genauer eingrenzte, wobei er die Stämme, die östlich des Rheins siedelten, in seinem Werk Bellum Gallicum als Germanen bezeichnete. Zwar gab es bereits zu seiner Zeit auch germanische Stämme westlich des Rheins, von denen Cäsar berichtete und selbst als Germani cisrhenani (Die Germanen diesseits des Rheins) bezeichnete und nachweislich gab es auch keltische Stämme östlich des Rheins, jedoch zog er trotzdem am Rhein eine geographische Grenze zwischen Gallien und Germanien. Diese Grenze ist im Falle Cäsars als staatspolitische bzw. militärpolitische Grenze zu sehen, da er zu diesem Zeitpunkt dabei war, Gallien als römische Provinz zu erobern.
Der Römer Strabon [etwa 63 v. Chr. – nach 23 n. Chr] berichtet in seinem Werk `Geographica´ ( 7, 1, 2, p. 290 ) genauer, was der Name der Germanen aus seiner Sicht bedeutet:

„Gleich jenseits des Rheins nun, im Osten, wenn wir von den Kelten kommen, wohnen Germanen, die sich von der keltischen Rasse ein weniges durch gesteigerte Wildheit, Körpergröße und blonde Haarfarbe unterscheiden, im übrigen aber an Gestalt, Sitten und Ernährungsweise ähnlich sind, wie wir die Kelten geschildert haben. Deshalb haben ihnen auch die Römer, wie mir scheint, den Namen gegeben, indem sie sie nämlich wohl als `echte Gallier´ haben bezeichnen wollen; denn `germani´ heißt in der römischen Sprache `die Echten´.“

Danach könnten die Germanen zunächst als Kelten, als `echte Gallier´ (Galli germani), angesehen und von den Römern benannt worden sein. Diese Deutung würde gut mit der Nachricht des Plinius (Nat. hist. 3, 25) korrespondieren, der von einem vermutlich keltiberischen Stamm am Nordabhang der Sierra Morena in Spanien berichtet: Oretani qui et Germani cognominantur, und zwar werden die eigentlichen, echten Oretani (Oretani germani) dem zweiten Teil der Oretani, den sogenannten Menetesani, gegenübergestellt. Hier besteht also zumindest eine zufällige Namensgleichheit auf Grund der Interprtation als `die Echten´.

Tacitus, ein weiterer Römer, der uns im Jahre 98 n. Chr. wichtige schriftliche Quellen hinterlassen hat, beschrieb in seinem Werk „Germania“ die Entstehung des Germanenbegriffs so, daß der erste Stamm, der den Rhein in Richtung Gallien überschritt und die dort siedelnden Gallier vertrieb, Germanen genannt wurde und dieser Name bald auf alle Stämme östlich des Rheins übertragen wurde. Später soll der Name des besagten Stammes Tungrer gewesen sein. Die Existenz des Stammes der Tungrer wiederum gilt als sicher.

Bei allen genannten Autoren (mit Ausnahme Strabons) ist in der Wissenschaft bis heute strittig, welche wörtliche Bedeutung der Begriff Germanen aus deren jeweiliger Sicht hatte.
Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich das Problem des Germanenbegriffs und der Germanen westlich des Rheins folgendermaßen dar:

Kuhn (ein Sprachwissenschaftler) versuchte, das Gebiet herauszustellen, das von germanisch sprechenden Stämmen besiedelt worden war, ehe die germanische Lautverschiebung eintrat. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Verbreitungsgebiet des Germanischen vor der Lautverschiebung ein Gebiet von Norden, Osten und Süden her umklammert, das im Nordosten und Osten bis an die Unterweser, die Aller und den Harz reicht, im Süden bis nach Thüringen und Hessen und im Südwesten bis zur Oise, zur Mosel und zum Main. Das Gebiet der von Cäsar Germani cisrhenani und Belger genannten Stämme, von Kuhn Nordwestblock genannt, gehörte nach ihm weder zum Wohngebiet der Germanen (aus sprachwissenschaftlicher Sicht) noch zum Siedlungsgebiet keltischer Stämme, worin ihm inzwischen auch andere Forscher zumindest grundsätzlich zustimmen. Somit ist auf eine gewisse Eigenständigkeit dieses Bereiches zu schließen, was auch durch die Archäologie bestätigt wird.

Des weiteren läßt sich der Begriff „Germani“ nicht aus dem Germanischen ableiten, und die Stammesnamen der Germani cisrhenani sind entweder sicher keltischen (Caerosi, Condrusi, Eburones) oder unklaren (Segni, Caemani) Ursprungs. Gerade diese werden aber von Caesar „Germani“ genannt. So erscheint es möglich, daß die Germani cisrhenani, sprachlich aus dem Nordwestblock kommend, enge Verbindungen mit den keltischen Nachbarn pflegten und von diesen den ebenfalls benachbarten Germanen (im sprachwissenschaftlichem Sinne) als sprachlich und kulturell so ähnlich angesehen wurden, daß die Kelten die Bezeichnung Germani für beide Gruppen verwendeten, ohne sich der sprachlichen Unterschiede bewußt zu sein oder diese als entscheidend zu betrachten.

Nach K. Kraft, Zur Entstehung des Namens ,Germania (Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main. 1970), ist überhaupt unklar, aus welchem Sprachbereich sich „Germani“ ableiten läßt. Sogar Ableitungen aus nicht-indoeuropäischen Sprachen werden diskutiert.

Eine dieser Thesen besagt, der Germanen-Begriff ließe sich aus dem Keltischen ableiten. Dafür spricht natürlich die lange geographische Nachbarschaft der Kelten und Germanen. Legt man also eine keltische Herkunft dieses Begriffs zugrunde, hätte er dann folgende Bedeutung:

Kelt. germ(en) bedeutete soviel wie Geschrei oder Ruf, Germani die Leute des Geschreis / Rufs
Germani = Schreier wären also Krieger, die vor der Schlacht Heldenlieder singen.
Diese Theorie würde sich auch mit den Überlieferungen von Tacitus decken, wonach die Germanen vor einer Schlacht „Lieder, die sie Barditus nennen“ sangen, „wobei sie Herkules (= Donar/Thor), den ersten der tapferen Männer besangen, wenn sie in die Schlacht zogen und wodurch sie Glück in der kommenden Schlacht prophezeien … Es wird besonders eine Rauheit in der Stimme erstrebt und ein abgehacktes Dröhnen, durch die zum Schutz vor den Mund gehaltenen Schilde schwillt die Stimme durch den Widerhall voller und stärker an.“

Caesar könnte dann diesen keltischen Begriff übernommen und im Sinne seiner Politik auf den gesamten rechtsrheinischen Bereich ausgedehnt haben.
Aber auch das ist, wie gesagt, bisher nur eine Theorie…

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