Die Geschichte der Germanen ist in ihrem „Stammland“ Deutschland wenig bekannt – das ist überraschend und doch auch wieder nicht. In der allgemeinen Meinung herrscht das Vorurteil des bärtigen Wilden vor, der den wohlgeordneten und zivilisierten Legionen Roms hoffnungslos gegenüber stand. Das ist ein Mythos, der aber viel mit der jüngeren Geschichte Deutschlands zu tun hat. Über Jahrhunderte wurde versucht, die Germanen für eigene Ideen und Ideologien zu instrumentalisieren – dies erlebte in der Zeit des Nationalsozialismus einen traurigen Höhepunkt.
In diesem Artikel möchten wir einige Mythen über die Germanen benennen und richtigstellen.
Mythos: Die Germanen waren Wilde und Barbaren
Wer kennt nicht die epische Anfangsszene des Films „Gladiator“ mit Russel Crowe? Aus tiefstem Wald greifen martialisch geschminkte Germanen die römische Armee an, die Germanen sind bärtige Riesen – allein beim Zuschauen bekommt man bereits das Fürchten. Dieses Klischee ist dank einer umfangreichen Forschungsarbeit widerlegt. Zwar haben die Germanen keine eigenen Schriften hinterlassen, allerdings zeichnen Ausgrabungen und römische Beschreibungen ein klares Bild: Die Germanen betrieben Handel, hatten ein Straßennetz und waren militärisch erfahren und organisiert.
Mythos: Die Germanen waren Riesen
Ein weiterer Mythos ist, dass Germanen Riesen waren. Das ist dank anthropologischer Untersuchungen und Forschungen widerlegt: Zwar waren die Germanen im Schnitt wohl größer als die Römer, jedoch nicht einen ganzen Kopf. Das haben Vergleiche von Skeletten ergeben.
Mythos: Die Römer brachten den Germanen die Zivilisation
In den vergangenen Jahrzehnten wurde häufig ein Stereotyp erzählt: Die Hochkultur der Römer brachte den Germanen die Zivilisation. Während die Germanen primitiv in kleinen Dörfern wohnten, erblühten römische Städte, die beispielsweise über eine ausgeklügelte Wasserversorgung verfügten. Viele meinen, dass nur dank der römischen Eroberungen im heutigen Deutschland Fortschritt eintreten konnte. Dieser Mythos ist eng verknüpft mit der deutschen Geschichte. Im Mittelalter und der Neuzeit bestand das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, der Name sollte eine Brücke zur antiken Herrschaft der Römer schlagen. Dass man die Römer aber kaum als Heilsbringer sehen kann, offenbaren schon die kaum bekannten Kriegsverbrechen, die sie (nicht nur) an den Germanen begingen: Unzählige Menschen verloren wegen der römischen Eroberungsfeldzüge ihr Leben – nicht nur Krieger, sondern auch friedliebende Bauern, Frauen und Kinder. Den Menschen wurde systematisch ihre Lebensgrundlage genommen, indem Vieh abgeschlachtet und Felder abgebrannt wurden.
Mythos: Es gab nie „die“ Germanen
Dieser Mythos ist nicht so einfach aufzuklären. Es stimmt, dass es nie den Stamm der Germanen gab, wie es beispielsweise die Römer gab. Das germanische Reich setzte sich aus einer Vielzahl von Stämmen zusammen: Sueben, Cherusker und Alamannen waren nur einige davon. Diese Stämme stifteten Identität. Allerdings – und das ist in der Forschung mittlerweile unbestritten – wussten diese Stammesmenschen, dass sie von den Römern als Germanen angesehen wurden. Dies führte wohl schon zu einer gewissen Verbundenheit. Zudem waren die Riten, die Lebensweise und die Bauweise der Dörfer der verschiedenen Stämme ähnlich. Auch wurden Dialekte gesprochen, die sich ähnelten. Und letztlich dürfte eines besonders einend gewirkt haben: Der gemeinsame Feind Rom.
Dieser Artikel basiert auf dem sehr lesenswerten Artikel „Von wegen Barbaren!“ von Guido Kleinhubbert in „Der Spiegel“, Ausgabe Nr. 47 vom 19.11.2022.
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