Diskussion im Bundesrat
Plenarsitzung des Bundesrates (anwesend die Bundesminister: [Prof. Dr. Karl] Schiller, [Hans-Dietrich] Genscher, [Hans] Leussink, [Käthe] Strobel, [Gerhard] Jahn) Credit: Bundesarchiv, B 145 Bild-F034297-0029 / Wienke, Ulrich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Erst vor kurzem wurde die Arbeit des Vermittlungsausschusses einer breiten Öffentlichkeit im Zuge der Verhandlungen um den Hartz IV Regelsatz bekannt. Der Vermittlungsausschuss wird tätig, wenn der Bundesrat einem zustimmungspflichtigen Gesetz die Zustimmung verweigert. Er soll zwischen dem Bund auf der einen Seite und den Ländern auf der anderen Seite vermitteln, um schnellstmöglich eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.

Darf der Vermittlungsausschuss einen eigenen neuen Änderungsvorschlag vorlegen?

In unserem Beispielfall übertritt der Vermittlungsausschuss seine Kompetenzen und legt selbst einen Änderungsvorschlag vor, der neue Inhalte und Regelungen (die so nicht im Parlament verhandelt wurden) beinhaltet. Es wird die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens diskutiert. Die nachfolgende Argumentation ist ein Ausschnitt einer juristischen Hausarbeit, die von Prof. Dr. Dr. h. c. Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D. im Sommersemester 2011 gestellt wurde.

Der Vermittlungsausschuss hat die Aufgabe unter Ausschluss der Öffentlichkeit (§6 GOVA) einen Ausgleich zwischen den divergierenden Auffassungen von Bundestag und Bundesrat herbeizuführen. In Grenzen wird die Einschränkung der parlamentarischen Entscheidung durch den Vermittlungsausschuss im Hinblick auf einen Einigungsvorschlag akzeptiert. Die Kompetenzen und Grenzen des Vermittlungsausschusses sind in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Ein Gesetzesinitiativrecht kann dem Ausschuss nicht zugestanden werden – es steht ihm nach Art 76 Abs. 1 GG nicht zu. Als Nebengesetzgeber bestände die Gefahr einer Entparlamentarisierung durch den Vermittlungsausschuss.

Die Parlamentsöffentlichkeit nach Art 42 Abs. 1 S. 1 GG ist ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus. Indem sich der Vermittlungsausschuss vom Beschluss des Gesetzgebungsverfahrens lösen könnte, würde die öffentliche Kontrolle ausgehebelt werden – der Zusammenhang zwischen Gesetzgebung und Schlichtung wäre nicht mehr gegeben. Des Weiteren liegt die entscheidende Funktion der Gesetzgebungskompetenz beim Bundestag, Art 77 Abs. 1 S. 1 GG – der Bundesrat ist auf die Mitwirkung beschränkt, Art 50 GG. Eine unbegrenzte Änderungskompetenz des Vermittlungsausschusses würde diese Aufteilung verschieben und den Bundestag benachteiligen. Eine derartige Änderungskompetenz besteht daher nicht.

Der Einigungsvorschlag hat zusammenfassend die Anrufungsidentität und die Gesetzesidentität zu wahren. Die Anrufungsidentität ist das im Einberufungsverlangen geäußerte Begehren. Mit Gesetzesidentität ist die Wahrung des Wesensgehaltes des Gesetzes gemeint.

Der Artikel stammt ursprünglich aus dem Jahr 2011 (25.03.2011) und wurde am 22.11.2022 aktualisiert.

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