Die Vorwürfe gegen den WikiLeaks Gründer Julian Assange wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung überschatten die Arbeit der Whistleblowing-Webseite seit Monaten. In den Augen der WikiLeaks-Sympathisanten ist ein Prozess gegen Assange in Schweden der Auftakt zu einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Alle Ressourcen der Plattform fliesen in den Assange-Prozess – die Aktivisten begehen damit einen großen Fehler: Denn Assange schadet WikiLeaks.

Julian Assange (Gründer von WikiLeaks

Julian Assange – New Media Days / Peter Erichsen [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

 

Ein normaler Prozess

Die Vorwürfe gegen Assange sind schädlich und geeignet das öffentliche Ansehen des WikiLeaks-Frontmannes zu zerstören – doch sie sind Vorwürfe, denen unbedingt nachgegangen werden muss. In einem Rechtsstaat muss in einem Prozess die Wahrheitsfindung erfolgen; indem jedoch WikiLeaks die Aussagen der Frauen als von Geheimdiensten gesteuert darstellt und sie bezichtigt lediglich Assange schaden zu wollen, zeigen sie ihr eigenes Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis auf: WikiLeaks sei für eine moderne Demokratie so wichtig, dass Vorwürfen wegen persönlichen Verfehlungen nicht nachgegangen werden darf. 

Mir erschließt sich auch nicht, wie von einem Prozess in Schweden an eine Auslieferung an die Vereinigten Staaten geschlossen wird. Natürlich haben die Vereinigten Staaten ein Interesse daran, dass WikiLeaks nicht weitere Dokumente über die USA veröffentlicht – doch das Säbelrasseln mancher Hardliner und Journalisten, die Assange mit der Todesstrafe drohten, darf auch nicht zu hoch gewertet werden. Die Staaten sind eine Mediengesellschaft, Statements verbreiten sich oft nur durch populistische Forderungen. Im Prozess gegen Bradley Manning, der unter anderem die afghanischen Kriegstagebücher und Botschaftsdepeschen an WikiLeaks weiterleitete, wird auch ermittelt werden, ob Assange diesen aufforderte, Geheimnisverrat zu begehen. Hat er dies (was im übrigen der Grundidee von WikiLeaks widerspechen und die Veröffentlichung als puren Anti-Amerikanismus von Assange darstellen würde), so hat er sich der Anstiftung zum Geheimnisverrat schuldig gemacht.

 

Hängt WikiLeaks an einer Person?

Seit Assange Hausarrest in England hat, hat WikiLeaks seine Arbeit nicht wieder aufgenommen. Zwar wurde nach mehreren Monaten das Wiki-Archiv wieder freigeschaltet (der eigentliche Kern des Projekts) und die Global Intelligence Files veröffentlicht, doch ist die Übermittlung von Dokumenten (eben das Whistleblowing) nicht mehr möglich. Für zahlreiche Menschen, die auf Unrecht hinweisen möchten, ist so ein Tor versperrt.

Der ehemalige Sprecher des Projektes Daniel Domscheit-Berg hat sich Ende 2010 von WikiLeaks nach internen Differenzen mit Assange getrennt – mit ihm hat sich auch der Software-Architekt verabschiedet. Beide möchten mit OpenLeaks eine Plattform starten, die aus vorangegangenen Fehlern lernt. Das Verlassen dieser beiden Personen (und weiterer Unterstützer) hat WikiLeaks in eine Krise geführt, die von den Beteiligten jedoch totgeschwiegen wird. Die Aussagen von Domscheit-Berg in seinem Buch „Inside WikiLeaks“ werfen auf Assange das Licht eines dikatorischen Einzelkämpfers – eine Einordnung ist schwierig: Spricht hier lediglich verletzte Eitelkeit?

 

Die Jagd nach der Schlagzeile

Auf Drängen von Assange hat WikiLeaks seine Praxis der Freischaltung aller eingereichten Dokumente zu Gunsten wichtiger und global relevanter Leaks eingestellt. Die Veröffentlichung des Collateral Murder Videos, der Kriegstagebücher oder der Botschaftsdepeschen haben einen Hype um WikiLeaks und Assange generiert. Es ist schwierg zu bewerten, ob diese Strategie richtig oder falsch war. Natürlich bedurfte das Projekt der medialen Betrachtung – und in unserer Medienlandschaft ist dies nur durch Schlagzeilen möglich. Doch brachten diese Veröffentlichung überhaupt einen Mehrwert?

  • Collateral Murder hat ein Licht auf Kriegsverbrechen und Fehler der US-Armee geworfen. Das ist für die Öffentlichkeit sicher ein wichtiger Einblick – doch durch die journalistische Betreuung durch WikiLeaks selber und deren ausgewiesenen Anti-Amerikanismus wurde die öffentliche Meinung in eine falsche Richtung gelenkt. Das Video hätte helfen können, ein wenig Unrecht zu schmälern, indem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden und ein fairer Prozess erfolgt wäre. WikiLeaks wollte jedoch mehr: Sie wollten die Bosheit und Willkür der US-Armee und US-Regierung darstellen.
  • Die Kriegstagebücher gaben einen Einblick in das Alltagsgeschehen des Krieges. Auch zeigen sie die Abläufe einer durchorganisierten und hochprofessionellen Militärmaschinerie. Mit der Zusammenarbeit ausgewählter Medien (New York Times, Guardian, SPIEGEL) konnte das Material auch ausgewertet und analysiert werden. 
  • Die Botschaftsdepeschen wurden wiederum medial ausgewertet. Doch was blieb bei den Menschen hängen? Dass die Bundekanzlerin wie eine Teflon-Pfanne sei oder Entwicklungsminister Niebel eine lächerliche Besetzung darstelle.

Für den Journalismus sind interene Abläufe, Memoranden usw. natürlich ein hochwertiges Datenmaterial. Doch wird die eigentliche Stärke einer Whistleblowing-Plattform durch die ausschließliche Veröffentlichung nachrichtenwirksamer Informationen dadurch meiner Meinung nach aus den Augen verloren:

 

Eine Bürgerplattform

Durch die mediale Aufmerksamkeit ist es wahrscheinlich, dass tausende von Dokumenten auf WikiLeaks eingereicht wurden. Diese können alle Bandbreiten menschlichen Fehlverhaltens beinhalten: Die rechtswidrigen Weisungen eines Chefs, das Geschäftsgebahren eines Unternehmens oder Korruption in einer Behörde. All diese Dokumente wurden von Menschen eingereicht, die ein enormes Risiko eingingen. All diese Menschen wurden bisher enttäuscht: Denn die Leaks wurden nicht veröffentlicht.

Natürlich schafft es das Fehlverhalten eines kleinen mittelständischen Unternehmens nicht in die Bundesnachrichten – doch für die Lokalpresse wären solche Dokumente eine wichtige Quelle. WikiLeaks könnte in der Zusammenarbeit mit allen Medien ein gewichtiges Instrument werden; es ginge möglicherweise das Revolutionäre oder die Exklusivität verloren – doch die eigentliche Idee des Whistleblowings würde gestärkt: Menschen eine Möglichkeit bieten, auf Unrecht aufmerksam zu machen.

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