Die Sumerer gaben die Zahl ihrer Götter mit 3600 an. Diese Zahl ist sicherlich nur symbolisch, da aus der Quadratur der heiligen, Ganzheit darstellenden Zahl 60 errechnet. Doch da wir schon über 2000 Namen aus den Götterlisten kennen, ist sie sicher nicht allzu sehr übertrieben.

Dieses große Pantheon ist aus den örtlichen Götterstaaten zusammengewachsen und daher auch immer für “Neuzugänge” offen gewesen. Dabei waren die “großen” Götter auch für die “großen” Probleme des Kosmos und der Könige zuständig, während die kleineren Nebengottheiten vom “kleinen” Volk angerufen wurden. Jede Stadt und auch jeder Stadtfürst hatte seine eigene Schutzgottheit.

Die Götter – v.a. Himmelsgötter und die Muttergottheit – wurden in Gebäuden verehrt, die aus Mangel an Steinen aus Lehmziegeln gebaut wurden. Auch später wurden v.a. in Zeiten erhöhter Bautätigkeit immer wieder Kriegs- und Beutezüge an Gebiete unternommen, die Bauholz, Metalle und Steine – Waren, die man normalerweise auf dem Handelsweg erwarb – zu bieten hatten, wie Persien und die Mittelmeerregionen! Oft werden Trinkszenen mit einem König und einer Königin abgebildet, vielleicht ein Hinweis darauf, dass das noch in jungbabylonischer Zeit bekannte Ritual der “Heiligen Hochzeit” zwischen dem Stadtkönig und einer Hohepriesterin der Stadtgottheit (v.a. die Muttergottheit, später Ishtar) schon zu dieser Zeit bestand.

Von den kosmischen Funktionen wurden nur die wichtigsten immer bestimmten Stadtgottheiten zugeschrieben; in anderen Fällen hatten mehrere Götter ähnliche Funktionen. An der Spitze stand der Himmelsgott An von Uruk (dies war die erste sumerische Stadt, die eine Führungsrolle in Sumer erringen konnte!), der nur selten in irdische Dinge eingriff. Umso mehr tat dies sein Sohn Enlil von Nippur, der Gott des Luftraumes, der die Könige ein- und absetzte, obwohl seine Stadt nie Hauptstadt war. Die Erde galt als weiblich und wurde durch die Muttergöttin vertreten, die fast überall unter einem eigenen Namen verehrt wurde, etwa als Baba in Lagasch, Nichursang in Kisch, Mama in Kesch. Die die Erde befruchtende Kraft des Grund- (Süß-) wasserozeans vertrat der weise Enki von Eridu als vierter Gott des Kosmos. Die großen Gestirngottheiten (Sonnengott, Mondgott) wurden ebenfalls überall unter verschiedenen Namen verehrt, doch wurde dem Mondgott Nanna von Ur (als Hauptort Sumers Nachfolgerin von Uruk, nachdem ein Absinken des Grundwasserspiegels dessen Landwirtschaft ruiniert hatte) und dem Sonnengott Schamasch von Sippar am meisten Kraft zugesprochen. Inanna von Uruk bzw. ihre semitische Variante Ischtar von Sippar war zugleich Liebes- und Kriegsgöttin, wobei der Aspekt der Liebesgöttin mit dirnenhaften Zügen behaftet war und zugleich den Charakter einer Muttergöttin annahm. Auch unpersönliche Wesenheiten wie “das Sein” oder “das Schicksal” wurden göttlich verehrt. Männliche Kriegsgötter gab es viele, entsprechend der kriegerischen Tradition der Stadtstaaten.

Die Götter wurden als unberechenbar gesehen. Sie kämpften untereinander um Einfluss, Macht und Rang und führten Katastrophen herbei. Sie hatten aber auch die Welt erschaffen – auch dies freilich wieder im Kampf gegeneinander. In der biblischen Erzählung der Sieben-Tage-Schöpfung hat sich ein Teil dieser Schöpfungsmythen erhalten.

Die Sumerer versuchten, die Launen der Götter aus den Sternen abzulesen. Die daraus entstanden Wissenschaft der Astrologie wurde von den Chaldäern vervollkommnet. Aus diesem Wissen wird noch heute Astrologie betrieben.

Verehrt wurden die Götter in Tempeln, die auf der Spitze von künstlichen “Tempelbergen” standen. Diese waren als Stufenpyramiden mit meist fünf oder sieben Stufen gestaltet. Sie hießen “Zikkurat”. Eine solche Zikkurat “galt als steingewordene Achse zwischen dem Urozean und dem Himmel und stellte zugleich eine Verbindung zu den Göttern dar, denen sie als Treppe für den Abstieg zur Erde dienen sollte. Sie wies eine Stadt als Welt-Zentrum aus, das nicht nur Händler aus den vier Himmelsrichtungen anzog, sondern auch Tribute aus allen Teilen des Landes beanspruchen konnte.” (Luisa Reiblich: Von Babylon bis Jerusalem. Die Welt der altorientalischen Königsstädte. Zu einer Ausstellung im Reiss-Museum Mannheim. In: Antike Welt 1998, S.63).

Im zweiten vorchristlichen Jahrtausend fand eine “Flurbereinigung” in der Götterwelt statt: Da sich viele Götter nur mehr dem Namen nach unterschieden, gerieten viele der altsumerischen Götter in Vergessenheit, es wurden aber auch Götter fremder Eroberer wie der Churriter und Kassiten übernommen. Marduk setzte sich als Reichsgott Babylons auch in Assyrien durch und verdrängte hier sogar Assur. Das Handeln der Götter bekommt mehr menschliche Dimensionen. So erzählt ein Weltschöpfungsmythos aus der Zeit um 1400 v.Chr., wie Marduk im Kampf mit den älteren Göttern aus der Leiche der Tiamat, des Salzmeers, die Erde und den Himmel erschafft und zum Dank als oberster Gott anerkannt wird.

Auch der jüngere Gilgameschepos spiegelt ein widersprüchliches Götterbild wieder. So wird Ishtar z.T. in rüdester Form beschimpft. Kernthema ist die Auseinandersetzung des Menschen mit dem Tod, der unausweichlich ist. Indem es jeden herkömmlichen Trost zerschlägt, zwingt es den Menschen, nach etwas ganz Neuem Ausschau zu halten.

Die Unterschiede zwischen den Göttern schwinden im Lauf der Zeit immer mehr. Es gibt zwar noch einen Polytheismus, aber die verschiedenen Götterfiguren verschmelzen gleichsam miteinander. Jeder Gott ist ein barmherziger, aber gegen den Sünder strenger Vater, jede Göttin eine Mutter von gleicher Art. Im Grunde verhinderte nur die übermächtige Priesterschaft die Ausbildung eines echten Monotheismus.

Wolfram von Soden: “Von den Menschen fordern die Götter nicht nur die Erfüllung kultischer Pflichten, sondern auch ein Verhalten zum Mitmenschen, das strengen Maßstäben zu genügen hatte. Ein umfangreicher Sündenkatalog verwirft nicht nur jedes Tun, das den Bestand der Familie gefährdet, sondern auch Unbarmherzigkeit gegen gefangene Feinde, ja sogar Tierquälerei. Niemand konnte alle diese Forderungen immer erfüllen, daher kamen die Babylonier wie die Israeliten zu der Überzeugung, dass Sündhaftigkeit und Angewiesensein auf die göttliche Vergebung zum Wesen des Menschen gehören: “Wer hat nicht gesündigt, wer nicht gefrevelt?” Diese Erkenntnis entzog der verbreiteten, primitiv eudämonistischen Lehre, dass die Gottheit dem Frommen mit Wohlergehen belohnen müsse, weithin den Boden.”

Während der babylonischen Gefangenschaft sind die Juden in intensiven Kontakt zur babylonischen Kultur getreten. Weite Teile des AT wurden in dieser Zeit verfasst. So kann es nicht verwundern, wenn sich viele babylonische Mythen (wie die Geschichte vom Paradies und seiner Schlange) in der Bibel wieder finden, wenn auch als Sinnparabel mit gewichtigem theologischem Gehalt.

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