In Süditalien entstand unter dem Stauferherrscher der erste moderne, absolutistische Staat in Europa und dies ist in Ergänzung zu dem Thread von Dieter einen eigenen Beitrag wert. (viewtopic.php?f=57&t=3659)
Hier entstanden erstmalig die staatlichen Strukturen, die wir dann erheblich später in England bei den Tudors oder in Frankreich bei den Bourbonen wieder finden. Warum hatte dieser Staat aber keinen Bestand? Warum wurde nicht Italien zum Wegbereiter einer neuen europäischen Ordnung?
Nach dem heutigen Völkerrecht können wir von einem Staat dann sprechen, wenn mindestens drei Bedingungen erfüllt sind:
a.) Ein Staatsgebiet
b.) Eine Staatsbevölkerung und
c.) Eine Regierung, die das Gewaltmonopol besitzt.
Und dieser dritte Faktor ist entscheidend: Eine Regierung muss alleinige Gesetzgeberin sein und diese auch überall durchsetzen können. Dazu braucht es eine Exekutive, einen gut funktionierenden Verwaltungsapparat (Bürokratie), ein einheitliches Rechtssystem, in der Regel auch eine Polizei und eine Armee, regelmäßige Steuereinnahmen, also alles, was einen modernen Staat ausmacht. Das mittelalterliche Europa bestand aber aus einem Flickenteppich mehr oder weniger nahezu autonomer, oft rivalisierender Grundherrschaften, Städte, die häufig nahezu unabhängig waren, einen meist nur formalen obersten Herrscher ohne wirkliche Macht und ohne von seinen Besitztümern unabhängige Einnahmen. Die Wissenschaftler sprechen von Herrschaftsverbänden, nicht von Staaten.
In Süditalien entstand aber unter Friedrich II ein voll entwickeltes politisch-ökonomisches System. In dieser Region hatte es nie einen wirklichen Bruch mit der Antike gegeben, hatten sich Städte mit ausgeklügelten Verwaltungsstrukturen und einheitlichen Gesetzen bewahrt, blieben Handwerk und Handel erhalten. Unter der byzantinischen Herrschaft behaupteten sich bis weit in das Mittelalter hinein die großen, von Sklaven bewirtschafteten Latifundien, während in den Bergen bäuerlicher Kleinbesitz dominierte. Die arabische Eroberung im 9. Jahrhundert änderte dies nicht grundlegend. Sie führte aber zu einer massiven arabischen Einwanderung, vor allem nach Westsizilien. Die Araber verbesserten durch Bewässerungswirtschaft die Produktivität der Landwirtschaft Siziliens erheblich. Im 11. Jahrhundert eroberten die Normannen die Region, eliminierten die arabische Elite und errichteten eine pyramidale Feudal-Hierarchie mit Apanagen und Leibeigenschaft, schufen eine Monarchie nach orientalischen Vorbildern, einer überragenden Stellung des Königs, anknüpfend an alte römische, byzantinische und arabische Vorstellungen, die in der Bevölkerung noch tief verankert waren.
Friedrich II erhielt als neuer Herrscher und Erbe der Normannenkönige somit ein sehr reiches Gebiet, welches sich allerdings in Auflösung befand, da die Barone nach Unabhängigkeit strebten. Um einen absolutistischen Staat zu schaffen, konzentrierte er die Macht beim Herrscher. Schlösser wurden dem Adel wieder entrissen, Schenkungen rückgängig gemacht, Festungen zur Kontrolle des regionalen Adels gebaut, das Krongut erheblich ausgeweitet, Vererbung von Lehensgut wurde abhängig von der Zustimmung des Herrschers gemacht. In den Städten ersetzten königliche Beamte die Bürgermeister, alle Überbleibsel munizipaler Autonomie wurden beseitigt, ein einheitliches Rechts- und Verwaltungssystem kodifiziert. Ein Heer königlicher Justiare sorgte als Kommissare und Richter in allen Provinzen für die Durchsetzung des königlichen Willens. Aufständische Araber wurden nach Lucera in Apulien deportiert. Als islamische Minderheit in einer christlichen Umgebung waren sie dort auf den Schutz des Kaisers angewiesen, versöhnten sich mit ihm und lieferten Friedrich in der Zukunft eine treu ergebene Streitmacht. Inländische Zölle wurden zur Erleichterung des Handels aufgehoben, eine allgemeine Grundsteuer eingeführt, die Ausfuhr von Weizen, dem wichtigsten Exportgut, gefördert und besteuert. Eine einheitliche Währung vollendete dieses Werk.
Gestützt auf diese Basis konnte Friedrich jetzt versuchen, ganz Italien zu erobern. Doch hier gab es mächtige Gegner, den Papst und die oberitalienischen Städte. Die militärische Macht des Papstes war damals zwar unbedeutend, weshalb dieser auch ständig Verbündete brauchte. Aber die mächtigen Handelsrepubliken im Norden waren alle zusammen wesentlich reicher und bevölkerungsstärker als Süditalien. Ursprünglich von kleinen Landadligen gegründet, hatte sich hier ein wohlhabendes Bürgertum entwickelt. Zwar waren sie ständig untereinander zerstritten und deshalb konnte Friedrich auch vorübergehend ganz Italien vereinigen. Aber dieser Erfolg blieb nicht von Dauer. Unter seinem Nachfolger ging die Kontrolle über den Norden bald wieder verloren. Die Städterepubliken blühten in der Folgezeit durch Handel und Gewerbe auf, der Süden Italiens hingegen blieb agrarisch strukturiert, kam darüber nicht hinaus und wurde schon bald das Opfer von Fremdherrschaft. Das einst mächtige Königreich im Süden verwandelte sich langsam und unerbittlich in den Mezzogiorno Gürtel. Die Verhältnisse kehrten sich allmählich um, der Norden wurde reicher, der Süden ärmer. Hätte es Friedrich II geschafft, ein einiges Italien zu schaffen und er plante, die Herrschaftsstrukturen aus seinem Reich auf die ganze Halbinsel zu übertragen, dann wäre vielleicht Italien zum mächtigsten Staat in Europa aufgestiegen und die Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen.
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