Die Vorbemerkung beginnt mit der unmissverständlichen Aufforderung: „Schließe Freundschaften, wenn du sie nicht brauchst.“ Um aber die deutsch-französischen Beziehungen unwiderruflich von der „Deutsch-Französischen Erbfeindschaft“ in die heutige gute deutsch-französische Beziehung zu befördern, war die Einsicht vonnöten: „Aber wenn du Freunde brauchst, geh‘ zu Nachbarn.“ Dennoch, es war ein langer, mühevoller und bisweilen schmerzvoller Weg von der Erbfeindschaft hin zu normalen nachbarschaftlichen Beziehungen bis hin zur deutsch-französischen Freundschaft. Unabdingbar für diese Zielvorgabe war eine wirkliche und aufrichtige Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland; war ein Überwinden der zwischenmenschlichen Abneigungen, Beheben der Konflikte wirtschaftlicher Natur und der Versuch, die Erinnerung an die grauenvollen Kriege zwar nicht auszulöschen, aber das schmerzliche Gedenken abzumildern.
Von der Erbfeindschaft zur Freundschaft
Das Fundament hierfür wurde bereits während des Zweiten Weltkrieges von Franzosen in deutscher Kriegsgefangenschaft ausgearbeitet. Dieser größtenteils unbekannte Personenkreis wollte ganz dringend eine Wiederholung der Fehler aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vermeiden. Außerdem gab es im Konzentrationslager Buchenwald eine kleine Gruppe französischer Gefangener, deren Bekanntheitsgrad diesen Bemühungen um eine wirkliche und dauernde Verständigung mit dem Nachkriegsdeutschland Nachdruck verleihen konnte.
Von den insgesamt 250.000 Häftlingen im Konzentrationslager Buchenwald zwischen 1937 und 1945 bildete die Gruppe der französischen Inhaftierten eine „Französische Brigade“, deren Leitung dem Resistance-Kämpfer Oberst Henri Manhès (genannt Frédéric) (1889-1959) oblag. Zu den Gefangenen gehörte auch Léon Blum (1872-1950), französischer sozialistischer Politiker, vor und nach seiner Haftzeit Premierminister von Frankreich, und zwar 1936,1938, 1946-1947; Édouard Daladier (1884-1970), Ministerpräsident 1933, 1934, 1938-1940; Léon Jouhaux, Sozialpolitiker, Gewerkschafter und Friedensnobelpreisträger von 1951 und Georges Mandel (1885-1944), französischer Politiker, der später im Wald von Fontainebleau ermordet wurde.
Trotz dieser Bemühungen einiger kluger und vorausdenkender Menschen konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg die „Deutsch-Französische Erbfeindschaft“ überwunden werden. Diese abnorme Haltung wich der deutsch-französischen Freundschaft und der europäischen Integration, welche Kriege überflüssig, unnötig und unmöglich macht.
Für die Verständigung und Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich haben sich nach 1945 zivilgesellschaftliche Institutionen engagiert, die explizit zwar keine politische Funktion besitzen und auch nicht vom Staat kontrolliert werden, die jedoch gezielt auf das politische Handeln Einfluss nehmen. Ihre Aktivitäten zielen auf einen ungehinderten Informationsfluss und Kontaktaufnahmen ab, die zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg erst mühsam wieder aufgebaut werden mussten. Hierzu zählen u.a. die Städtepartnerschaften und auch die ungezählten Deutsch-Französischen Freundeskreise.
Ein mutiger Schritt: Der Élysée-Vertrag
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Die Initiative, die Charles de Gaulle und Konrad Adenauer im Jahre 1958 ergriffen haben, war eine Aktion des Mutes und der Vision. Diese beiden herausragenden Staatsmänner ermöglichten es beiden Ländern, den Teufelskreis der Konflikte, des Hasses und der Rachgier zu durchbrechen, indem sie die Menschen aufforderten, sich ihrer Schicksalsgemeinschaft klar bewusst zu werden. In dem von ihnen vorgezeichneten Weg lernten Deutschland und Frankreich allmählich, sich zu verstehen, zusammenzuarbeiten und zu einer wirklichen Solidarität zu gelangen. Manifestiert wurden Mut und Vision in der Rede de Gaulles am 9. September 1962 im Ludwigsburger Schlosshof vor fünftausend Zuhörern und anschließend im Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963.
Im Élysée-Vertrag waren regelmäßige Konsultationen der Staats- und Regierungschefs festgelegt, denen die Nachfolger von de Gaulle und Adenauer zwar mit mehr oder weniger Intensität nachkamen, aber zum Teil große Fortschritte für Europa sowie die deutsch-französischen Beziehungen durchgesetzt haben.
Während das Ausmaß der Beziehungen zwischen Bundeskanzler Ludwig Ehrhard (1897-1977; Bundeskanzler 1963-1966) und Staatspräsident de Gaulle wesentlich schwächer war als das während der Kanzlerschaft Adenauers, vertraute Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904-1988; Bundeskanzler 1966-1969) wieder mehr dem Nachbarn Frankreich. Erhards größtes Problem war zum einen der „Schatten“ Adenauers, der fehlende Rückhalt in der CDU und seine besondere Hinwendung zu den USA. Erhards Regierungszeit gilt als glücklos; ihm wird eine Abkühlung in den deutsch-französischen Beziehungen vorgeworfen.
Kiesinger vertraute zwar dem Nachbarn Frankreich, jedoch erfolgten besondere Impulse zur Verstärkung der Beziehungen nicht oder kaum wahrnehmbar. Kiesingers Problem war zum einen seine unzulängliche Vergangenheitsbewältigung und zum anderen seine Beratungsresistenz. Der Schriftsteller Günter Grass wandte sich 1966 in einem offenen Brief vehement gegen eine Kanzlerschaft Kiesingers und der Philosoph Karl Jaspers und seine Frau gaben deswegen ihre deutschen Pässe ab.
Brandt verschob den Fokus auf den Osten
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit konnte der damalige Außenminister Willy Brandt (1913-1992; Außenminister 1966-1969; Bundeskanzler 1969-1974) seine „neue“ Ostpolitik entwickeln. Als Bundeskanzler blieb sein Verhältnis zu dem französischen Präsidenten Georges Pompidou (1911-1974; Staatspräsident 1969-1974) unterkühlt. Die Zusammenarbeit der beiden Regierungen beschränkte sich hauptsächlich auf schulpolitische Maßnahmen. Unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ veränderte Brandt die Außenpolitik Westdeutschlands und leitete eine neue Ostpolitik ein. Für den Kurs der Entspannung des „Kalten Krieges“ und seinen Kniefall von Warschau erhielt Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Trotz anfänglicher Skepsis unterstützte Pompidou die deutsche Entspannungspolitik gegenüber den Ostblockländern.
Pompidou befürwortete den Rückzug Frankreichs aus der NATO und blieb zunächst noch beim Nein zum EWG-Beitritt Großbritanniens. Dennoch sah Pompidou seinen Schwerpunkt darin, Frankreich aus der diplomatischen Isolation herauszuführen; er konnte sich dann sehr europäisch verhalten und sah dann auch keinen Hinderungsgrund mehr, die EWG von sechs auf neun Mitgliedsstaaten zu erweitern. Damit konnte nun auch Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden.
Über eine Randnotiz, kaum eine Feststellung, wird man heute schmunzeln: Pompidou konnte mit den Deutschen ebenso wenig anfangen wie seinerzeit Erhard mit den Franzosen.
Die diplomatischen Beziehungen wurden durch persönliche Freundschaften vertieft: Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing
Mit dem Amtsantritt im Jahre 1974 von Helmut Schmidt (1918-2015; Bundeskanzler 1974-1982) und Valéry Giscard d’Estaing (1926- ; Staatspräsident 1974-1981) wurden die deutsch-französischen Beziehungen wieder herzlicher und vor allem auch produktiver. Beide regten die Bildung des Europäischen Währungssystems an und befürworteten die Direktwahl des Europäischen Parlaments. In der Zusammenarbeit von Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt entwickelte sich der deutsch-französische Bilateralismus zu einem Aktivposten im europäischen Integrationsprozess. Durch die persönliche Freundschaft zwischen d’Estaing und Schmidt konnte auch die deutsch-französische Freundschaft gewinnen, sie konnte gewissermaßen Fahrt aufnehmen. Dieses Verhältnis, das auf Vertrauen und Respekt beruhte, war ausschlaggebend für die weiteren Schritte hin zur europäischen Integration. Dank der großen wirtschafts- und finanzpolitischen Übereinstimmung zwischen Schmidt und d’Estaing entwickelten die beiden den Plan von informellen Treffen der wirtschaftlich wichtigsten Staaten und schlugen die Gründung der Gruppe der 7 (G7) vor. Die beteiligten Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA trafen sich erstmals auf Einladung d’Estaings im Schloss Rambouillet zu den sogenannten „Kamingesprächen“, ohne feste Tagesordnung, ohne Protokoll und ohne große Stäbe.
Helmut Kohl und François Mitterand treiben die europäische Integration voran
Ein vergleichsweise ähnlich gutes Verhältnis entwickelten die Nachfolger von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing. In der Geschichtsschreibung wird festgestellt, dass das Tandem François Mitterand (1916-1996; Staatspräsident 1981-1995) und Helmut Kohl (1930-2017; Bundeskanzler 1982-1998) in den 80er Jahren zum Motor der europäischen Integration wurde. Und das ganz sicher nicht nur deswegen, weil sie am 22. September 1984 gemeinsam Hand in Hand das symbolträchtige Schlachtfeld von Verdun besuchten. Diese große Zeremonie diente der Erinnerung an die Opfer der Kriege zwischen Deutschland und Frankreich. Das Gedenken vor dem Beinhaus von Douaumont, sieben Kilometer nordöstlich von Verdun, war mehr als Erinnerung, es war eine Versöhnungsfeier mit Kranzniederlegung und der Erklärung: „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden.“ Im Beinhaus von Douaumont werden die Gebeine von über 130.000 nicht identifizierten französischen und deutschen Soldaten aufbewahrt, die in der Schlacht um Verdun gefallen sind.
Mitterand und Kohl entwickelten im Laufe der Jahre ein besonders enges Vertrauensverhältnis, so dass sie gemeinsame Projekte entwickeln konnten, selbst die Einführung des Euro wurde wesentlich der intensiven deutsch-französischen Zusammenarbeit zugeschrieben.
Helmut Kohl gestaltete den Prozess der deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 und gilt als der Vater der Wiedervereinigung. François Mitterand, wie auch Margret Thatcher, sahen diesen Vorgang sehr skeptisch und Mitterand stimmte erst nach längerem Zögern der deutschen Wiedervereinigung zu.
Ein geeintes Deutschland und Frankreich agieren als Partner in der Europäischen Union
Der Regierungswechsel von Mitterand zu Jacques Chirac (1932- ; Staatspräsident 1995-2007) und von Kohl zu Gerhard Schröder (1944- ; Bundeskanzler 1998-2005) tat den bisherigen guten Beziehungen keinen Abbruch. Die Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs wurden häufiger und im Rahmen des Irakkrieges positionierten Deutschland und Frankreich sich gegen die amerikanische Politik. Das Verhältnis zwischen Chirac und Schröder war so ausgezeichnet, dass im Oktober 2003 Gerhard Schröder sich sogar von Chirac bei einer Sitzung im Europäischen Rat vertreten ließ.
Am 6. Juni 2004, anlässlich des 60. Jahrestags der Landung der Alliierten in der Normandie wurde zum ersten Mal auch ein deutscher Kanzler eingeladen. Bei der offiziellen Zeremonie umarmten sich Gerhard Schröder und Jacques Chirac.
Zu Chirac muss noch erwähnt werden, dass er sich am 16. Juli 1995 in einer Rede zu der politischen, moralischen und juristischen Verantwortung Frankreichs bekannte, sich zur Zeit der Okkupation aktiv an Deportation und Vernichtung der in Frankreich lebenden Juden beteiligt zu haben.
Auf Chirac folgte Nicolas Sarkozy, (1955-; Staatspräsident 2007-2012) nach Schröder kam Angela Merkel (1954-; Bundeskanzlerin seit 2005) und deren Zusammenarbeit zeichnete sich insbesondere durch die gemeinsame Koordinierung des Vorgehens der europäischen Staats- und Regierungschefs während der Eurokrise aus. Die in den gemeinsamen Treffen von Merkel und Sarkozy gefassten Beschlüsse mussten von den anderen Staats- und Regierungschefs zumeist (und zu deren gelegentlichen Unwillen) nur noch abgesegnet werden. Im Zuge der Eurokrise gilt die Zusammenarbeit als besonders eng.
Bei seinem ersten Staatsbesuch als französischer Staatspräsident in Berlin erklärte Sarkozy am 16. Mai 2007, die deutsch-französische Freundschaft sei für Frankreich heilig und könne durch nichts in Frage gestellt werden.
An den Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkrieges am 11.November 2009 unter dem Arc de Triomphe nahm Angela Merkel teil.
Im Mai 2012 kam es in Frankreich zum Wechsel an der höchsten Spitze; Nachfolger von Nicolas Sarkozy wurde François Hollande (1954-; Staatspräsident 2012-2017). Die Beziehung zu Angela Merkel war distanziert, aber in Finanz- und Wirtschaftsfragen, insbesondere in der weiteren politischen Behandlung der nach wie vor virulenten Eurokrise wurde der gemeinsamen Verantwortung Rechnung getragen.
Im Rahmen eines Staatsbesuchs am 4. September 2013 besuchten Bundespräsident Joachim Gauck (1940-; Bundespräsident 2012-2017) und François Hollande das Dorf Oradour-sur-Glane. Dort hatten am 10. Juni 1944 SS-Soldaten ein Massaker verübt und 548 von 642 Bewohnern ermordet.
Seit dem 14. Mai 2017 ist Emmanuel Macron (1977- , Staatspräsident seit 2017) das neu gewählte Staatsoberhaupt Frankreichs. In der Zusammenarbeit zwischen Merkel und Macron sind zwar gelegentliche Irritationen zu bemerken, die gemeinsame Zielvorstellung hin zur Weiterentwicklung der Europäischen Union steht dabei allerdings zu keinem Zeitpunkt zur Disposition.