Kennedy-mit-Frau-und-McNamara

Wenn ich mir die Angebote von Versandhäusern im Internet ansehe, dann lese ich häufig den Namen Etuikleid. Im Straßenbild oder im Büro sieht man es kaum.

Das Etuikleid ist schon recht alt: 1918 wurde es erstmals gezeigt. Es ist gerade geschnitten, in Hüfte und Taille etwas enger, hat keine Ärmel oder nur kurze und schließt meistens mit dem Knie ab. Für die damalige Zeit – der Erste Weltkrieg war gerade beendet – stellte es fast eine Revolution dar.

Jackie Kennedy machte es in den frühen sechziger Jahren wieder bekannt. Das Etuikleid ist schlicht, strahlt eine kühle Eleganz aus und passt in die coolen Sechziger.

Damit meine ich nicht das „tolle Jahr 68″, sondern die Zeit zwischen 1961 und 1967. In Washington kam es zu einem Generationenwechsel: An die Stelle von Dwight D. Eisenhower trat mit John F. Kennedy ein beinahe jugendliches Staatsoberhaupt. In Bonn verlor 1961 Konrad Adenauer seine absolute Mehrheit, und ein Jahr später erschütterte die „Spiegel-Affäre“ das Land. Deutschland entwickelte sich zu einer liberal-westlichen Gesellschaft. Die Nachkriegszeit war vorbei und die Politiker der westlichen Industriestaaten profitierten von einer langen Nachkriegskonjunktur, die erst 1973/74 enden sollte.

Die frühen Sechziger waren eine Zeit des Übergangs: Die konservativen Fünfziger hatten den Menschen Stabilität und einen bescheidenen Wohlstand geboten. Nun regten sich erste Ansätze zu mehr Liberalität – ähnlich wie die ersten Krokusse, die das Frühjahr ankündigen und ihre Blütenköpfe durch den Schnee stecken. Wie gesagt: Es waren Ansätze.

Im Tanzlokal durfte Twist getanzt werden; danach musste man die Freundin die Treppe hoch tragen und vor dem Sex auf den Kalender schauen. Ein Kanzlerkandidat, der ein nicht eheliches Kind war, musste sich 1961 und 1965 immer noch von Konservativen und Menschen, die sich christlich nannten, diffamieren lassen. Ein Bildungsforscher warnte vor einem Mangel an Akademikern und kritisierte, dass auf den Oberschulen zu viel Latein und Griechisch gelernt wurde. Am Wochenende gab es Beat-Club und wenn man tanzen ging, trugen die jungen Männer meist noch Anzug mit Einstecktuch und Krawatte. In der Universität siezte man sich.

Die frühen Sechziger waren eine Zeit des Übergangs. Wie guter Cool Jazz deuteten sie an, dass die Zeit der alten Männer, die den Zweiten Weltkrieg gewonnen (und Europa von Adolf Hitler befreit hatten) vorbei war. Berufstätige Frauen im Büro trugen Etuikleider, die eine feminine Ausstrahlung mit einem neuen Selbstverständnis als Frau verbanden. Chic war nicht mehr, was sich schickt, sondern was frau gefiel (und warum nicht auch Männern?).

Ich bin keine begeisterte Autofahrerin, aber es gibt für mich einen Werbespott aus dieser Zeit, der die Aufbruchsstimmung Mitte der Sechziger verdichtet: Ein Mittelklassesportwagen von BMW zieht ruhig seine Runden durch die Landschaft, untermalt von „Take Five“ – einem Klassiker des Cool Jazz (gespielt vom Quartett Dave Brubeck).

Der Krawall mancher 68er und ihre zum Teil karnevalesken Aktionen mögen die Medien heute noch beschäftigen. Die frühen Sechziger sind für mich die coolen Jahre des Jahrzehnts; eine Zeit des Aufbruchs in ein liberales Europa, von dem wir heute noch profitieren.

Ich bin froh, dass es vor den „68ern“ die coolen Sechziger gegeben hat.

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