Wahlen sind alte Institutionen, die einige hundert Jahre vor den Anfängen der Demokratie nach heutigem Verständnis in einer nicht beurkundeten Zeit entstanden. Dem athenischen Sonderweg „Demokratie ohne Wahlen aber mit Abstimmungen“ lässt sich eine germanische Variante hinzufügen. Die Germanen benutzten bei Bedarf ein ganz besonderes „Handzeichen“, sie schlugen auf ihren Schild.
Die Problematik und Kompliziertheit einer solchen Abstimmung ist daran zu erkennen, dass die frühen germanischen Siedlungsverbände sich nicht nur durch ihre Sprache, Abstammung, Sitten und Tradition von anderen unterschieden, sondern auch in dem mündlich überlieferten Rechtsbrauch des jeweiligen Personenverbandes. Da sich dieses Recht stets vom Recht anderer unterschied, lag der Bedarf einer „Wahl“ immer dann vor, wenn zwischen den Germanenstämmen ein Konsens herbeizuführen war.
Ein germanisches Wahlverfahren war auch deswegen schwierig durchzuführen, weil es große räumliche Entfernungen zu überwinden galt. Es hat in germanischer Zeit keine Städte gegeben, da die Stämme es ablehnten, in der Geschlossenheit einer Siedlung zu wohnen. Jeder Stammesverband legte nach alter Sitte einen reichlichen Zwischenraum zu den anderen ein und gemeinsam unterhielt man allenfalls Burgen zu Verwaltungszwecken.
Selbst als die Germanen etwa ab dem 3. Jahrhundert die Römerstädte bedrängten, geschah das nicht mit der Absicht, römische Verwaltungseinrichtungen oder Machtbasen zu übernehmen, sondern lediglich mit der Zielsetzung, germanische Handelszentren auszubauen. Am Aufbau weitergehender Verwaltungsstrukturen oder gar an einer Stadtverfassung war ihnen nicht gelegen. Die germanischen Könige und Herzöge waren fest in ihren Stämmen verwurzelt und neben diesen Bindungen benutzten sie als Mittel ihrer Machtausübung und Machtsicherung nur noch die unabhängigen Gefolgschaftsverfassungen ihrer Heere.
4 Mythen über die Germanen: Weiterlesen
Will man nun die politische Stabilität der germanischen Gesellschaft anhand ihrer eigenwilligen Wahlausübung beurteilen, sollte das vor dem Hintergrund der traditionellen Bindung innerhalb ihrer jeweiligen Sippen erfolgen, wobei von Fall zu Fall nur noch die Heeresstrukturen mit der gegenseitigen Abhängigkeit von Stammesverband und Interessengemeinschaft zu berücksichtigen sind.
Wahlen betrafen in keinem Fall den germanischen Stammesverband auch nur ansatzweise in seiner Autonomie, sondern ausschließlich in den Fällen übergeordneter Probleme wie z.B. der Kriegführung zusammen mit anderen Stämmen.
Wahlen und Wahlrecht
Es war ein weiter Weg, der von den Wahlen in der Zeit des Altertums bis hin zu den heutigen modernen Wahlen führte. Dieser Verlauf wird in dieser Serie von Marianne Eule zur Geschichte der Wahlen und des Wahlrechts nachgezeichnet. Einen Überblick der Serie erhalten Sie hier.