Thomas Müntzer und Martin Luther –

zwei Reformatoren und ein Gegensatz

Thomas MuentzerAm 27. Mai 1525 wurde im thüringischen Mühlhausen der Reformator und Theologe Thomas Müntzer enthauptet, nachdem sein Bauernheer bei Frankenhausen durch ein von Reichsfürsten und schwäbischen Städten finanziertes Heer vernichtend geschlagen worden war.

Doch halt – ein Reformator als Anführer eines Bauernheeres? Wie konnte es denn dazu kommen?

Ein Blick ins Lexikon verwirrt zuerst noch mehr. Denn da steht, dass Thomas Müntzer ursprünglich Anhänger Martin Luthers gewesen war und von diesem als Pfarrer nach Zwickau gesandt worden ist. Doch genau dieser Martin Luther verfasste 1525 eine Schrift, in der er das Handeln der von Müntzer angeführten Bauern im Bauernkrieg aufs Schärfste verurteilte und den Fürsten eine Art Freibrief ausstellte – er forderte geradezu härtestes Vorgehen gegen die Bauern. Was war geschehen?

In Deutschland herrschte Anfang des 16. Jahrhunderts Aufbruchstimmung. Schon im Jahrhundert zuvor hatte sich ein deutsches Nationalbewusstsein gebildet – mit allen Vor- und Nachteilen. So tauchte Frankreich zum ersten Mal in Verbindung mit dem Begriff „Erbfeind“ auf. Aus Sicht der Habsburger, die in Spanien und in Deutschland gegen die Könige von Frankreich um eine europäische Universalmonarchie kämpften und intrigierten, stimmte das sogar. Der positive Effekt der Entwicklung war, dass sich auch eine gesamtdeutsche Kultur ausbilden konnte: Der europäische Humanismus war vornehmlich eine Erscheinung des Heiligen Römischen Reiches (jetzt mit dem Zusatz „deutscher Nation“ versehen), im Gefolge der (Wieder-) Entdeckung der „Germania“ des Tacitus begann man eine gemeinsame deutsche Vorgeschichte zu konstruieren und nicht zuletzt die Schriftsprache begann sich zu vereinheitlichen: An die Stelle der verschiedenen Regionaldialekte, die noch das Medium der mittelalterlichen Minnelyriker und Dichter waren, traten jetzt die hochdeutsche und die niederdeutsche Schriftsprache. Martin Luther sollte diese Entwicklung zum Abschluss bringen. Mit seiner Bibelübersetzung im Stil der ostmitteldeutschen Kanzleisprache, einem im Gebiet des ostsächsischen Kolonisationsraumes entstandenen Mischdialekt mit ober- und niederdeutschen Elementen, der schon sehr unserem heutigen Hochdeutsch ähnelte, erreichte er breite Bevölkerungsschichten. Da man sich in der Zeit der Reformation intensiv mit der Bibel beschäftigte, verbreitete sich die Lesefähigkeit auch auf Teile der Bevölkerung, die es zuvor als unnötig angesehen hatten, das Lesen zu erlernen. So erklärt sich auch die enorme Resonanz, die Luthers 95 Thesen im ganzen Reich fanden: Die Thesen, eigentlich nur als Diskussionsgrundlage gedacht, trafen den Nerv der Zeit. Kirchenkritik sowohl von oben als auch von unten richtete sich schon seit über hundert Jahren gegen Rom: Der deutsche Klerus hatte sich höchstoffiziell über die Vorherrschaft der römischen Kirche in den deutschen Landen beschwert, der Engländer John Wicliff und der Tscheche Jan Hus hatten eine volksnahe, nationale Kirche gefordert und gegen die offensichtlichen Verstöße des Klerus gegen die Gebote der Keuschheit und der Armut richtete sich der Unmut aller Stände.

Als dann Martin Luther seine Theologie der Möglichkeit des direkten Kontaktes mit Gott ohne Notwendigkeit geistlicher Interaktion und der Sündenvergebung ausschließlich durch göttliche Gnade und nicht durch menschliche Taten verbreitete, wirkte dies wie ein geöffnetes Ventil. Auch der junge Thomas Müntzer war von der neuen Theologie begeistert und schloss sich Luther an, der ihn 1520 als Prediger nach Zwickau sandte. Dort allerdings wandte sich Müntzer radikaleren Strömungen zu: Nikolaus Storch, einer der „Zwickauer Propheten“, polemisierte gegen den ungerechten Reichtum von Patriziern und Klerus. In Erwartung des baldigen Weltendes forderten Storch und seine Anhänger Gerechtigkeit schon im Diesseits.

Thomas Müntzer erarbeitete eine Theologie, die sich weniger auf den strengen Bibelglauben als auf die Identifikation mit dem leidenden Christus stützte. Doch damit kam er nicht nur in Konflikt mit Luther, sondern auch mit der Zwickauer Obrigkeit. 1521 musste er die Stadt verlassen. In Prag verfasste er ein Manifest, in dem er seine Theologie darlegte. Missionsreisen führten ihn durch ganz Böhmen. 1523 erhielt er dann eine Pfarrstelle in Allstedt bei Eisleben. Hier setzte er seine Bemühungen fort, ein Gottesreich auf Erden aufzubauen. Dazu sammelte er Bürger, Bergleute und Bauern um sich, die seiner Ideologie der gerechten Umverteilung des Reichtums nur zu gern folgten. Ganz in reformatorischer Tradition führte er 1523/24 mit seinem „Allstedter Deutschen Amt“ die deutsche Volkssprache im Gottesdienst ein. Luther reagierte und publizierte 1525/26 in Wittenberg die „Deutschen Messe“.

Die beiden waren allerdings schon seit Längerem aneinander geraten. Das äußerte sich insbesondere in literarischen Streitereien. Luther sah die Sache der Reformation und die Ordnung schlechthin durch die mystisch-spiritualistischen, sozialreformerischen und radikaldemokratischen Bestrebungen Müntzers und anderer bedroht und bekämpfte sie mit Vehemenz und teils recht groben Worten. So schrieb er 1524 einen „Brief an die Fürsten zu Sachsen, von dem aufrührerischen Geist“.

Doch auch der damit angegriffene Müntzer konnte austeilen: Er verfasste die Streitschrift „Hoch verursachte Schutzrede und antwort wider das gaistloße sanfftlebende Fleysch zu Wittenberg“. Schon der Titel greift Luther an. Der ehemalige Augustinermönch führte mittlerweile in Wittenberg in seinem ehemaligen Kloster, das ihm vom sächsischen Kurfürsten Johann dem Beständigen geschenkt worden war, ein recht geruhsames Leben als Familienvater.

Martin LutherNicht nur durch Luthers Angriffe geriet Müntzer immer mehr in Abseits: Auch sein Landesherr, Graf Ernst I. zu Mansfeld, hatte eine andere Meinung in reformatorischen Dingen. Er verbot schließlich seinen Untertanen, Müntzers Gottesdienste zu besuchen. Müntzer wurde immer radikaler. Schon in der Anti-Luther-Schrift „wider das gaystloße und sanfftlebende Fleysch zu Wittenberg“ hatte er die Meinung vertreten, dass Gewalt nötig sei, um eine gerechtere Ordnung durchzusetzen. 1525 kehrte er nach Mühlhausen zurück und machte sich zum Anführer der aufständischen thüringischen Bauern.

Nicht nur die Bauern Thüringens, sondern die des ganzen Reichs befanden sich in einer immer schwieriger werdenden Lage. Steigende Bevölkerungszahlen hatten steigende Armut in Stadt und Land zur Folge. Die Renaissancefürsten forderten immer höhere Steuern, um ihre wachsenden Ausgaben für Repräsentation und Militär bestreiten zu können. Häufige Kriege ließen diese Ausgaben immer noch weiter ansteigen, zusätzlich erhöhten sie die Last der Bauern; denn im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein wurden Kriege weniger durch Schlachten gewonnen als durch Zerstörung des feindlichen Landes. Hauptziel war die wirtschaftliche Niederkämpfung des Gegners, und durch das systematische Verbrennen ganzer Dörfer beraubte man ihn seiner Einnahmequellen.

Auch in religiöser Hinsicht gab es Defizite. Die Angebote aus Rom wurden als ungenügend empfunden; als Ausgleich suchte das Heilsverlangen des Volkes Zuflucht in Wallfahrten, Heiligenverehrung, zum Teil auch in Aberglauben.

Entsprechend waren die Forderungen der Bauern. In zwölf Artikeln legten sie sie dem Adel vor: Sie wollten ihre alten Rechte, die in den sogenannten „Ehaften“ fixiert waren und zugunsten des römischen Rechts verdrängt worden waren, wieder zurück, außerdem die Einführung reformatorischer Neuerungen, dazu den Wegfall finanzieller Belastungen wie den Zehent und der verschiedenen Frondienste. In den Regionen, in denen die Bauern am höchsten belastet waren und in denen gleichzeitig die Grundherren am wenigsten entgegenkommend waren, brach der Bauernkrieg zuerst aus: Ausgehend von den kleinräumigen Landschaften Schwabens verbreitete sich der Aufstand schnell nach Franken, Hessen und Thüringen. Auch Tirol und die Steiermark, nicht jedoch Bayern waren betroffen. Zu Anführern der Bauern wurden oft kleine Adlige wie Götz von Berlichingen, die unter den gewandelten Verhältnissen ebenso litten wie die Bauern, und radikale Prediger wie Thomas Müntzer.

Sein ca.8000 Mann starkes Heer wurde allerdings von einem Aufgebot verschiedener Fürsten beider Konfessionen sowie des „Schwäbischen Bundes“ geschlagen, er selbst gefangen genommen, gefoltert und am 27. Mai hingerichtet.

Auch den anderen Bauernheeren erging es nicht besser: Nach örtlichen Anfangserfolgen, bei denen Klöster und Burgen erobert und geplündert und oft auch ihre Bewohner massakriert wurden, wurden die Bauern im Lauf des Jahres 1525 durch überlegen ausgerüstete Ritterheere besiegt und die Überlebenden meist grausam bestraft. Schätzungsweise 70 000 Bauern kamen ums Leben.

Das freie Bauerntum war danach als politische Kraft ausgeschaltet. Allerdings hatte auch das Kaisertum Schaden davon getragen, denn die Bauern waren allein durch den Einsatz von Adel, Fürsten und Städten besiegt worden. Entsprechend selbstbewusst traten Fürsten und Städte in der Folgezeit auf.

Martin Luther hatte sich auf die Seite der Fürsten gestellt. Hierin war er aber schon seit Beginn der Reformation gebunden. Von Anfang an auf den Schutz seines Fürsten, Kurfürst Friedrich des Weisen von Sachsen, gegen den Papst angewiesen, sah er in der „Reformation von oben“ die effektivste Art und Weise, seine Ideen und Ideale in allgemein geregelter Form umzusetzen. Doch seine Anhänger zogen nicht mit. Sie dachten Luthers Gedankengänge konsequent zu Ende.

Das Zölibat war abzulehnen. So befreiten sie Mönche und Nonnen – zum Teil gegen deren Willen – aus den Klöstern. Der Heiligenkult war Aberglaube. Also musste man die „Götzenbilder“ in den Kirchen zerstören. Luther beeilte sich, sich von dieser revolutionären Art zu distanzieren. Er sah auch, dass dabei Kultur zerstört wurde und seine Gedanken falsch interpretiert wurden. Die Gnade Gottes sollte den Gläubigen erst im Jenseits zu Teil werden. Ein Gottesreich auf Erden war unmöglich. Das sahen viele anders: Die Zwickauer Propheten und Thomas Müntzer, später auch die Münsteraner Wiedertäufer mit ihrem tausendjährige Reich beabsichtigten, totale Gerechtigkeit auf Erden herbei zu führen und so die Rückkehr des Messias quasi zu erzwingen.

Doch Luther sah „Deutschland schon im Blute schwimmen“. Um die Katastrophe zu vermeiden, predigte er Gehorsam gegen die Obrigkeit. Die Bauern, die sich eigentlich als Vollstrecker seiner Theorien sahen, mussten sich verraten fühlen. Als sie versuchten, sich gegen die Ausbeutung durch die großen Grundbesitzer zu wehren, zu denen auch die Kirche gehörte, ermahnte sie der Reformator zur Geduld, denn schließlich sei die Welt, so wie sie ist, gottgewollt. Aber auch die Obrigkeit wurde zur Mäßigung ermahnt.

Doch nicht erst im Jenseits, schon in dieser Welt wollten die Aufständischen befreit werden. Die Reaktion Luthers auf Gräueltaten der Bauern war eindeutig: In der Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ fordert er 1525 die gnadenlose Niederwerfung der seiner theologischen Führung entglittenen Bauern.

Dass angesichts solcher Pamphlete Thomas Müntzer nur noch mehr Unterstützung seitens der Unterdrückten erhielt, liegt auf der Hand.

Doch die ganze Auseinandersetzung zeigt die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Reformatoren: Während Müntzer einen gewaltsamen Umsturz anstrebte, wollte Luther die alte Ordnung wieder herstellen. Während der Eine das Ende der Welt in baldiger Zukunft erwartete und die Menschheit darauf vorbereiten wollte, strebte der Andere zu den Idealen der Urchristen zurück.

Letzten Endes siegte Luther, der Konservativere, über den Revolutionär Müntzer. Doch auch er konnte seine Ideale nicht vollkommen umsetzen. Schon sein Pakt mit den Fürsten hat Luther ja selbst Magenschmerzen bereitet; die erste kriegerische Auseinandersetzung um die Sache der Reformation, den Schmalkaldischen Krieg, musste er nicht mehr miterleben. Und auch die Auseinandersetzung mit den anderen Reformatoren, allen voran Zwingli, verlief für Luther nicht wie erhofft.

Dennoch gelang es ihm, eine standfeste Basis für seine neue Kirche zu schaffen. Es muss bezweifelt werden, ob eine protestantische Bewegung nach der Vorstellung von Müntzer ähnlich weitreichende Bedeutung erreicht hätte, vor allem, weil seine Theologie ja endzeitlich ausgerichtet war. Dazu kommt der eifernde Charakter Müntzers, der auch nicht davor zurück schreckte, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Aus solchen Bestrebungen ist noch nie Gutes erwachsen.

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