In dieser Arbeit soll über die Geschichte der Zünfte und über die Entwicklungen dieser Handwerksvereinigungen berichtet werden. Dabei wird die Zeit von den Anfängen bis in die Gegenwart umfasst, wobei allerdings der Schwerpunkt in die Zeit vom 11. bis zum 19. Jahrhundert gelegt wird.

Da aber die Zeit vor Bildung der Zünfte, also vor dem 11. Jahrhundert, bereits handwerkliche Verbindungen kannte, die hier „genossenschaftsähnliche“ Verbindungen genannt werden, sollen diese Verbindungen (oder auch Zusammenschlüsse) ebenfalls erwähnt werden.

Außerdem ist darüber zu diskutieren, ob im Zuge der Veränderungen im ausgehenden 19. Jahrhundert das Zunftwesen an Bedeutung verlor oder ob es sich ggf. und inwieweit den neuen Gegebenheiten und gesetzlichen Änderungen anpassen konnte.

 

Verschiedene Wappen der Zünfte von Bamberg. Bild von Heraldikbamberg [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:258-Wappen_Bamberg_ETA-Hoffmann-Platz-4.jpg?uselang=de
Verschiedene Wappen der Zünfte von Bamberg. Bild von Heraldikbamberg [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:258-Wappen_Bamberg_ETA-Hoffmann-Platz-4.jpg?uselang=de

Begriffsklärung:

Die Ausdrücke „Zunft“, „Gilde“ und „Innung“ gelten ganz allgemein als Synonym für eine Berufsvereinigung. Sie lassen sich jedoch individuell und zeitlich noch besonders festmachen.

  1. So bedeutet Zunft: „was sich ziemt“, kommt aus dem mittelhochdeutschen und hieß einstmals „zumft“.
  2. Die Gilde hatte neben der Standesvertretung die Bedeutung von „Opfer“, „Bruderschaft“ und besaß zusätzlich den Charakter einer religiösen Vereinigung.
  3. Innung heißt Verbindung und sind Institutionen, die als Folge des Wegfalls der Zünfte ins Leben gerufen wurden.

Eine Besonderheit gab es im norddeutschen Raum. In Hamburg und in anderen norddeutschen Städten wurden die Zünfte „Ämter“ genannt. Dabei handelt es sich wie bei den Zünften um Zwangsvereinigungen, die mit behördlicher Unterstützung eingerichtet worden waren.

Die Gliederung dieser Schrift ist so vorgesehen, dass zunächst über die handwerklichen Verbindungen vor dem 11. Jahrhundert berichtet wird.

Danach wird die Entwicklungsgeschichte bis zum Niedergang der Zünfte thematisiert. Das Zunftwesen an sich einschließlich der Zunftkämpfe wird erläutert. Aufgaben, Ziele und die innere Struktur an ausgewählten Beispielen runden diesen Abschnitt ab.

Der zeitliche Rahmen liegt in diesem Teil der Arbeit etwa ab dem 10./11. Jahrhundert bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Gewerbefreiheit den Zunftzwang beendete.

Abschließend befasst sich diese Schrift mit den Innungen der Gegenwart. Hier wird der Gewerbefreiheit und der Wandel im Zunftwesen vorgestellt, ebenso die Struktur und Bedeutungen der Innungen.

 

Inhaltsverzeichnis

1. Handwerkliche Verbindungen vor dem 11. Jahrhundert

2. Die Zünfte in der Zeit von etwa dem 10./11. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert

2.1. Die Entwicklungsgeschichte der Zünfte

2.2. Der Niedergang der Zünfte

2.3. Das Zunftwesen

2.4. Die Zunftkämpfe

3. Die Innungen der Gegenwart

3.1. Die Gewerbefreiheit und der Wandel im Zunftwesen

3.2. Struktur und Bedeutungen der Innungen

4. Quellen

1. Handwerkliche Verbindungen vor dem 11. Jahrhundert

Dieser Teil könnte anstelle der vorhin gewählten Formulierung „genossenschaftsähnliche Verbindungen“ auch als „handwerkliche Einbindung in Familie und Sippe als Vorläufer der Zünfte“ bezeichnet werden.

Nun ist es aber nicht überliefert, ob es in den Anfängen der Wirtschaftsgeschichte bereits berufliche Verbindungen gab, die denen der späteren Zünfte ähnelten. Erwiesen jedoch ist, dass die speziellen handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb der Familien oder Sippen wie ein Geheimnis sorgsam gehütet und jeweils nur an die eigene nächste Generation weitergegeben wurden; sie wurden vererbt.

Eine positive Folge davon war, dass es über handwerkliches Wissen und Könnerschaft hinaus zur Bildung sozialer Gruppen kam. Die jeweiligen Mitglieder waren in diese Gruppe eingebunden, im Guten wie auch im weniger Guten.

Eine negative Folge davon war, dass bei Aussterben einer Familie oder der Sippe die ihnen eigene Handwerkskunst erlosch (z.B. eine spezielle Bootsbautechnik, besondere Töpfereikunst z.B. in den Töpferzentren von Schlesien oder die Teppichweberkunst in Ostpreußen und andere mehr).

Gegen die Bildung anderer, gewissermaßen außerfamiliärer, beruflicher Vereinigungen sprach lange Zeit, dass auf dem Lande der größte Teil der Handwerkerleistungen von den Bauernfamilien selbst erbracht wurde. Erst mit der Entwicklung feudalherrlicher Wirtschaftszentren werden die Arbeitsteilung und damit die Ausgliederung der handwerklichen Tätigkeiten gefördert. In den Dörfern entwickelte sich zunehmend ein freies Dorfhandwerk, das zunächst nur für die jeweiligen Dorfbewohner Kleidung, Gebäude, Wirtschafts- und Hausgeräte produzierte.

Obwohl man davon ausgehen kann, dass diese handwerklichen Tätigkeiten noch keine große Ausdehnung gehabt haben, waren sie jedoch für die weitere Entwicklung sehr wichtig.

Denn seit dem 10./11. Jahrhundert wanderten die ursprünglich hofhörigen Handwerker vermehrt in die sich bildenden Städte. In diesen Städten wurden sie dann zu selbständigen Gewerbetreibenden; und nach einiger Zeit schlossen sich die Handwerker zu Zünften zusammen.

 

2. Die Zünfte in der Zeit von etwa dem 10./11. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert

Dieser Absatz wird unterteilt in die Entwicklungsgeschichte der Zünfte, der Niedergang der Zünfte, das Zunftwesen und die Zunftkämpfe.

 

2.1. Die Entwicklungsgeschichte der Zünfte

Die ältesten uns bekannten Urkunden über die Zünfte stammen aus dem 12. Jahrhundert. Es gibt einige über Zunftprivilegien für die Wormser Fischhändlerzunft von 1106 und für die Würzburger Schuhmacherzunft von 1128. Ein besonderes Zunftprivileg gehörte den Würzburger Handwerkern:  Sie legten bereits seit dieser Zeit (1128) eigenständig ihre Abgaben an den Stadtherrn fest. Ganz allgemein kann hierzu noch gesagt werden, und zwar unabhängig von den späteren Zunftkämpfen über politische Teilhabe, dass die städtischen Handwerker Bürger ihrer Stadtgemeinde waren und die gleiche Rechtsstellung besaßen, wie die Gruppe der Kaufleute.

Für das Frühe Mittelalter ist festzustellen, dass durch die vermehrte Zuwanderung von Handwerkern aus den Dörfern sich ein selbständiger Handwerkerstand bildete. Sehr schnell fanden sich die Handwerker zu Gilden zusammen, ohne damit aber ihre Selbständigkeit aufzugeben.

Zwar waren diese Vereinigungen ursprünglich als rein berufliche Zusammenschlüsse geplant, entwickelten sich jedoch zügig zu jenem fachgenossenschaftlichen Verband von Handwerkern, der seit dem 11. Jahrhundert Zunft genannt wird und mit einem Zunftzwang verbunden ist. Dieser Zunftzwang, der u.a. eine Zwangsmitgliedschaft bedeutet, beeinträchtigte die Selbständigkeit der einzelnen Betriebe ebenso wenig wie alle früheren Verbindungen.

In der folgenden Zeit des Mittelalters entstanden in allen Städten Zünfte, deren Funktion nun über das rein ökonomische Interesse hinausging. Sie waren zu einer Art Lebensgemeinschaft auf berufsständischer Grundlage geworden. Neben dem Wirtschaftlichen wahrten sie die Standesehre und die Standessitte. Hierzu wird noch ausführlicher in dem Abschnitt über das Zunftwesen berichtet.

Mit der Blütezeit der Stadtentwicklungen im Hochmittelalter ging auch der Aufschwung der Zünfte einher.

Seit dieser Zeit, bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts, gab es in allen europäischen Städten sich freiwillig bildende Verbände der Handwerker. Und sie waren ausnahmslos von der Obrigkeit mit Monopolrecht ausgestattet.

Die Privilegien der Zünfte waren jeweils niedergelegt in den Zunftrollen, die auch Zunftbriefe, in Norddeutschland ‚Schragen‘, genannt wurden. Zu den besonderen Rechten gehörte auch die Erlaubnis, ein eigenes Zunftwappen führen zu dürfen.

Wer einmal nach Buxtehude kommt, kann in der Altstadt auf den Gehwegen viele Zunftwappen ansehen. Die Wappen sind vor den jeweiligen Geschäften in den Gehweg eingelassen und auch dort geblieben, wenn der Inhaber sein Geschäft verlegte oder aufgab.

Etwa seit dem 15. Jahrhundert galten dann ganz strenge Aufnahmebedingungen. Eine ehrliche Herkunft und eheliche Geburt waren unabdingbar. Ein guter Leumund wurde ebenso vorausgesetzt, wie der Nachweis eines gewissen Vermögens.

Im öffentlichen Leben traten die Zünfte nunmehr geschlossen als sozialer Stand auf, der auch vermehrt Einfluss auf politische Entscheidungen nahm bzw. Einflussnahme zu erreichen suchte.

Entsprechend den verschiedenartigen Gewerken gab es auch eine Vielzahl von Zünften, die neben der wirtschaftlichen Bedeutung zunehmend an politischer Bedeutung gewannen. Das macht auch insofern Sinn, da die Handwerkerschaft mit einigen anderen Bevölkerungsgruppen den Mittelstand mit ungefähr 40 v.H. der Stadtbevölkerung ausmachten und mithin eine Mehrheit stellten. Bei den Ausführungen zu den Zunftkämpfen wird noch darauf zurückgekommen.

 

2.2. Der Niedergang der Zünfte

Der Niedergang der Zünfte ist von diesen selbst in Gang gesetzt worden. Etwa seit dem 16. Jahrhundert wurde mehr und mehr ein Verfahren praktiziert, welches man als monopolistische Bestrebungen und Unbeweglichkeit bezeichnen kann. Das äußerte sich vor allem in der rigiden Beschränkung der Zahl der zugelassenen Meister und einer Erschwerung bis hin zur Ausschaltung jedweden Neuzugangs.

Zu einer Abschottung der Zünfte führte einmal der Zunftzwang selbst, aber eben auch die konsequente Durchsetzung der Zulassungsbeschränkungen. Diese Praxis und die Querelen innerhalb der Zünfte führten letztendlich zu deren Ende, wobei die politischen Veränderungen Ende des 19. Jahrhunderts sicherlich auch eine Rolle spielten.

Besonders die Zulassungsbeschränkungen nahmen bisweilen so groteske Formen an, dass sie alleine mit Wirtschaftsinteressen nicht hinreichend erklärt werden können. Man kann unterstellen, dass der Faktor Macht hinzugekommen ist, der allerdings so direkt nirgendwo zugegeben wird.

Aber als ein Beispiel dafür soll gelten, dass anhand von Zunftakten aus dem 16. Jahrhundert für das Töpferzentrum Schlesien bekannt ist, dass im Jahre 1547 die Zunft in Bunzlau beschloss, nicht mehr als fünf Töpfereien zuzulassen und imstande war, sich dieses Privileg über zwei Jahrhunderte hinweg zu erhalten. Noch 1706 schrieben sie u.a. in einer Akte: „Wir fünf, die wir die Gerechtigkeit besitzen“.

Die politischen Veränderungen, die schon kurz erwähnt wurden, ließen die politische Bedeutung der Zünfte schwinden, stellte deren Existenz aber grundsätzlich nicht zur Disposition.

Der Grund für das Schwinden der politischen Bedeutung liegt neben Einführung der Gewerbefreiheit in der Ausdehnung von Landeskompetenzen und gleichzeitigem Rückgang der städtischen Selbstbestimmung.

Allerdings gingen in Hamburg schon 1835 für die Ämter (Zünfte) ein bisschen deutlicher die Lichter aus. In diesem Jahr reduzierte das „Generalreglement für die Ämter und Bruderschaften“ die Zahl der erlaubten Vereinigungen von 58 auf 38 und begann damit, das Handwerk von der mittelalterlichen Ämterordnung zu entrümpeln.

Endgültig aus war es dann mit Einführung der Gewerbefreiheit. Die noch bestehenden Ämter wurden aufgelöst und die Amtsangehörigen mit zum Teil hohen Entschädigungen abgefunden.

Auch die preußische Gewerbereform von 1848 bescherte den Zünften Änderungen, aber keine Beseitigung wie in Hamburg. Auch durch das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 8. Juli 1868 verloren die Zünfte lediglich ihre Vorrechte.

Trotzdem erholten sich die Zünfte erst 1881 von diesem Schock. Dann erst formierten sie sich neu. Sie gründeten Körperschaften des öffentlichen und privaten Rechts, zunächst als freie Innungen ohne Beitrittszwang und später auf Wunsch der beteiligten Handwerker dann als Zwangsinnung (das nationalsozialistische Regime kannte nur Zwangsinnungen) und gegenwärtig wieder mit „Freier Mitgliedschaft“.

 

2.3. Das Zunftwesen

Noch bevor es zu den später beschriebenen Zunftkämpfen um politische Teilhabe kam, war die wirtschaftliche Bedeutung der Handwerkerschaften für die Stadtgemeinden bereits so wichtig geworden, dass zu Ehren der Zünfte Straßen nach ihnen benannt wurden. So gab es z.B. um 1250 in Hamburg mehrere Zunftstraßen: die Knochenhauerstraße für die Schlachter, die Große und Kleine Bäckerstraße, die Schmiedestraße und die Pelzerstraße für das Kürschnerhandwerk.

Diese Ehrerbietung war durchaus berechtigt, denn in ihrer Blütezeit betrieben die Zünfte eine ausgeprägte Mittelstandspolitik. Sie sorgten dafür, dass die Handwerker einerseits ein standesgemäßes Einkommen erzielen konnten und auch andererseits dafür, dass die Kunden zu ihrem Recht kamen, indem sie eigens zu diesem Zweck Preis- und Qualitätsvorschriften erließen. Um eine Überkapazität zu vermeiden, erließen die Zünfte darüber hinaus Vorschriften, wie hoch die Beschäftigtenanzahl, die Zahl der Meister, Gesellen und Lehrlinge sein durfte.

Nun kann man ja sagen, dass mit der Festschreibung des standesgemäßen Einkommens unter dem Begriff „gerechte Nahrung“ die Zunft nur Gutes für den jeweiligen Handwerker und seine Familie bewirkte. Dennoch war das ein Eingriff in die persönliche Sphäre und blieb nicht der einzige.

Die Zunft bestimmte, was sich ziemt, was Schicklichkeit auch im privaten Bereich bedeutet. Eine Trennung von Beruf, Arbeit und Freizeit, Privat gab es nicht. Es wurde darauf geachtet, dass die Feiertage (im Mittelalter enorm viele) beachtet und zum Kirchgang benutzt und dass die Wochenarbeitszeit (auch enorm viele) eingehalten wurden. Es gab auch für die jeweiligen Zünfte unterschiedliche Kleiderordnungen.

Im Laufe der Zeit bildeten sich dann bei den Zünften und bei den noch bestehenden Gilden weitere Bräuche heraus:

  • Für die Bewahrung handwerklicher Qualitäten gab es so eine Art übergreifender Qualitätskontrolle und wer nicht ordentlich arbeitete, wurde „verrufen“, der wurde in Verruf gebracht.
  • Ein besonderer Brauch war die Freisprechung der Lehrlinge und die Bewahrung (Beherbergung) der Gesellen, die auf Wanderschaft gehen mussten.
  • Außerdem gab es noch den Brauch, Schutzgilden zu gründen zum Zweck der gemeinsamen Selbsthilfe bei Gefahr von außen.
  • Es gab die Hilfe in familiären Notfällen und die beschränkte sich nicht nur auf die Unterstützung von Witwen und Waisen. Vor allem galt die Fürsorge den lebenden Zunftmitgliedern und deren Familienangehörigen, was deren Erziehung mit einschloss. Das war für unsere Verhältnisse ein unglaublicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
  • Um die unregelmäßig auftretenden Krankheiten, Todesfälle und sonstigen Unglücksfälle besser absichern zu können, gingen die Zünfte dazu über, ihre Hilfsangebote zu institutionalisieren. Unterstützungskassen wurden ins Leben gerufen und Zunfthäuser eingerichtet, z.B. das Gewandhaus in Leipzig oder das Tuchhaus in Braunschweig.
  • Neben den sozialpolitischen Aufgaben nahmen die Zünfte sich zunehmend auch gesellschaftspolitisch in die Pflicht. Zum Beispiel stifteten der Maler Hinrik Bornemann (Sohn des Malers Hans Bornemann) und seine Frau Berteke 1496 die Flügelmalereien für den Altar des Apostels Lukas, des Schutzheiligen der Maler. Bis 1804 stand der Altar im Dom, kam dann in die Hauptkirche St. Jacobi und gehört heute noch der Hamburger Malerinnung.
  • In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass eine ursprünglich als sozialpolitisch geplante Genossenschaft sich im Laufe der Jahre verselbständigte und zu einem eigenständigen Wirtschaftsunternehmen wurde: Am 18. November 1875 gründeten Mitglieder der Deutschen Schiffszimmerer in Hamburg die Allgemeine Deutsche Schiffszimmerer-Genossenschaft mit dem Ziel, Altbauten in St. Pauli zu sanieren. Doch bereits im Jahre 1900 wurden Neubauten mit 136 Wohnungen in der Neustadt errichtet und bis heute gehören mehr als 8.000 Wohnungen dieser ältesten noch bestehenden Genossenschaft Hamburgs.

 

Eine Besonderheit im Ämterwesen gab es noch in Hamburg, und zwar das der Bönhasen.

Bönhasen ist die plattdeutsche Bezeichnung für Handwerker, und mit ihr bezeichnet man seit dem 17. Jahrhundert diejenigen Handwerker, die heimlich arbeiteten, weil sie entweder das Freimeisterprivileg nicht besaßen, von den Ämtern ihrer Stadt nicht zugelassen waren oder in einer Nachbargemeinde wohnten.

Bei Bönhasen handelte es sich um „kleine“ Handwerker ohne eigene Werkstatt, die zumeist nur auf Dachböden (norddeutsch: Böhn) arbeiteten.

Bönhasen waren äußerst unbeliebt, da sie durchweg günstigere Handwerksleistungen lieferten und somit eine unliebsame Konkurrenz zu den Amtsinhabern darstellten. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, durften Bönhasen regelrecht gejagt werden, außer, sie arbeiteten im Auftrag und im Hause eines Bürgers der Stadt.

Die Verfolgung der Bönhasen geschah nach Meldung an einen Amtsmeister, der dann einen Stadtdiener und vier für die Bönhasenjagd zuständige Amtsmeister verständigte. Die jagten die Delinquenten öffentlich und jedermann konnte sich daran beteiligen. Bönhasen waren „Freiwild“ und die Jagd endete mitunter mit erheblichen Verletzungen bei dem Verfolgten.

 

2.4. Die Zunftkämpfe

Bei den Zunftkämpfen ging es nicht allein um die politische Gleichberechtigung, obwohl dieser Punkt das wichtigste Anliegen war, es ergaben sich auch innerzünftliche Auseinandersetzungen, welche die Zunftkämpfe tangierten. Denn die Spannungen innerhalb der Zünfte waren sowohl sozialer als auch gesellschaftspolitischer Natur.

Die Auseinandersetzungen zwischen Gesellen und Meister um höhere Löhne charakterisieren nur einen Aspekt. Ein weiterer kennzeichnet die Konfrontation zwischen den Meistern und Gesellen, die für Neuerungen eintraten und denen, die den Status quo beibehalten wollten.

Für die Befürworter einer „Modernisierung“ von Zunftwesen und Stadtrecht kam erschwerend ein ganz besonderes Privileg der Zünfte als Hindernis hinzu. Die Zünfte besaßen nämlich die Gerichtsbarkeit in allen Zunftangelegenheiten; und dem waren alle Mitglieder unterworfen.

Aber auch gegenüber den Stadtherren führte das Festhalten am Althergebrachten zu Spannungen. Denn das Bestreben der Zünfte, ihren Mitgliedern das örtliche Gewerbemonopol zu sichern, stand im Widerspruch zu der sich bildenden freien Verkehrswirtschaft. Als es dann im Laufe des 14. Jahrhunderts zu erbitterten Auseinandersetzungen kam, beteiligten sich dann aber nur die Teile der Zünfte, die ohnehin gegen die alten Ordnung opponiert hatten.

Um die Zunftkämpfe um politische Gleichberechtigung einordnen zu können, soll einmal eine Schichtung der städtischen Einwohner vorgenommen werden.

  • Zu der Oberschicht gehörten die Fernhändler und Adelsgeschlechter, der nächsten Schicht sind die Einzelhändler und wohlhabenden Ackerbürger zuzurechnen. Und aus diesen beiden Gruppen mit insgesamt etwa 7 bis 8 v.H. rekrutiert sich die Stadtherrschaft.
  • Die breite Mittelschicht hingegen, bestehend aus Handwerkern, Fuhrleuten, Schiffern und kleineren Ackerbürger, umfasst ungefähr 40 v.H. und bildet damit eine Mehrheit, die von der politischen Teilhabe ausgeschlossen war.

 

Obwohl die Konfrontation zwischen Beibehaltung bzw. Aufgabe des Gewerbemonopols auf der einen Seite und der Forderung nach freier Verkehrswirtschaft auf der anderen Seite eine Kompensationsmöglichkeit bedeutet hätte, erlangten die Zünfte ganz allgemein erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts, zumeist gegen den Widerstand der herrschenden Schicht, den Zugang zu Rat und städtischen Regierungsämtern.

 

3. Die Innungen der Gegenwart

Die Übersicht über die Innungen der Gegenwart wird unterteilt in die Gewerbefreiheit, Wandel im Zunftwesen, Struktur und Bedeutungen der Innungen.

 

3.1. Die Gewerbefreiheit und der Wandel im Zunftwesen

Die Gewerbefreiheit entwickelte sich zunächst 1789 in Frankreich und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in den anderen europäischen Staaten. Gewerbefreiheit bedeutet das Recht, jedes Gewerbe oder jeden Beruf ohne Nachweis einer entsprechenden Vorbildung zu betreiben, sofern nicht durch gesetzliche Maßnahmen Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben sind.

Mit Artikel 151 Abs. 1 bis 3 legte die Verfassung des Deutschen Reichs dann die Modalitäten für die Gewerbefreiheit fest und verfügte, dass die Ordnung des Wirtschaftslebens den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle zu entsprechen hat, gesetzlicher Zwang nur in Ausnahmefällen zulässig sein soll und die Freiheit von Handel und Gewerbe nach Maßgabe der Reichsgesetze gewährleistet ist. Im Wesentlichen folgte dann das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland diesem Artikel, jedoch mit der Änderung in Artikel 9 Abs. 1 bis 3 dahingehend, dass alle Deutschen das Grundrecht der allgemeinen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit besitzen. Damit ist zugleich festgeschrieben, dass dieses Grundrecht kein Menschen- sondern ein Bürgerrecht ist.

Als Folge der neuen Gewerbe- und Handelsfreiheit verschwand im Laufe des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Zünfte; Nachfolgeorganisationen dann wurden die Innungen.

Als übergreifende Institution entstand z.B. in Hamburg schon 1873 eine Gewerbekammer als Interessenvertretung für die gesamte Wirtschaft, 1934 ging aus ihr die Handwerkskammer hervor. Unabhängig davon, dass mit der neuen Gewerbeordnung der Mitgliedszwang beseitigt wurde, eröffnete sich zugleich für jeden die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis Mitglied zu werden. Bedingung war, dass die jeweiligen Statuten der Berufsvereinigung eingehalten wurden.

 

3.2. Struktur und Bedeutungen der Innungen

Die „alten“ Innungen, die Zünfte, sind fast so alt wie das Handwerk selbst und mussten nun, nach Einführung der Gewerbefreiheit mit einhergehendem Verlust ihrer Vorrechte, eine neue Basis einrichten.

Deshalb bauten sie sich seit 1881 als Körperschaften des öffentlichen Rechts wieder auf, aber diesmal gemäß der gesetzlichen Vorgabe als freie Innungen ohne Beitrittszwang.

In den folgenden Jahren wurde die Handwerksgesetzgebung einige Male novelliert, mit der von 1897 wurden u.a. Handwerkskammern eingerichtet, 1908 wurde das Recht zur Ausbildung von Lehrlingen grundsätzlich den Handwerksmeistern zuerkannt und 1935 wurde verfügt, dass künftig jeder, der ein selbständiges Handwerk ausüben wollte, zuvor die Meisterprüfung bestanden haben musste; 1953 wurde das Handwerksrecht neu kodifiziert, wich aber kaum von den bisherigen Bestimmungen ab.

Die Aufgabe der Innungen hat sich gegenüber den Anfängen der Zünfte ebenfalls nicht dramatisch verändert.

Sieht man einmal davon ab, dass direkte Preis- und Qualitätsvorschriften nicht mehr erlassen werden dürfen, so besteht doch die Pflicht, die Standesehre unter den Innungsmitgliedern aufrecht zu erhalten und den Gemeingeist zu pflegen. Es ist für ein annehmbares Verhältnis zwischen Meistern und Gesellen zu fördern, über die Lehrlingsausbildung zu wachen und Streitigkeiten der Innungsmitglieder mit den Lehrlingen zu entscheiden.

Außerdem können gemeinsame wirtschaftliche und soziale Interessen derart geregelt werden, dass prüfungsberechtigte Fachschulen, Unterstützungsfonds und Schiedsgerichte eingerichtet werden können. Neu ist, dass die Innungsgesellen zur Verwaltung der Innungseinrichtungen einschl. des Innungsschiedsgerichtes und zu Gesellenprüfungen mit herangezogen werden müssen.

 

4. Quellen

  • Fuchs, Konrad / Raabe, Heribert (1996): Wörterbuch zur Geschichte, München.
  • Harenberg, Bodo (Hrsg.) (1987): Chronik des Ruhrgebiets, Dortmund.
  • Henning, Friedrich-Wilhelm (1995): Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914. 9. Auflage, Paderborn, München, Wien, Zürich.
  • Kluge, Arnd (2007): Die Zünfte, Stuttgart.
  • Kopitzsch, Franklin / Tilgner, Daniel (Hrsg.) (2010): Hamburg-Lexikon, Hamburg.
  • Schulz, Knut (2010): Handwerk, Zünfte und Gewerbe. Mittelalter und Renaissance, Darmstadt.

 

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