Der Auslöser der Diskussion

In seiner Rede am 03. Oktober 2010 sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff (CDU) unter anderem wörtlich: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland…“ und löste damit eine kontroverse Diskussion aus.

Bild 2 - Religionen


Während einige Unionspolitiker diese Aussage Wulffs kritisierten, lobten sie vor allem muslimische Verbände in Deutschland. Wulff selbst dürfte über die Kritik überrascht gewesen sein, ist die Rede doch vor allem als Vorbereitung auf seinen Staatsbesuch in die Türkei gedacht gewesen, wo er dann im Gegenzug sagte:
„Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei…“.

Wohl wissend, dass eine solche Aussage in dem überwiegend muslimisch geprägten Land eine gewisse Brisanz hatte, warb er dort so für mehr Religionsfreiheit.
Bundespräsident Wulff mußte aufgrund von Affären zurücktreten, die Diskussion um seine Aussage ist aber noch immer im Gange.
Gerade aktive Christen scheinen mit dieser Aussage ein Problem zu haben, da sie Deutschland als ein Land mit christlichen (oder christlich-jüdischen) Wurzeln und Traditionen sehen. Insbesondere der ab dem 3. März 2011 amtierende Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) konnte seinen Worten nach „keine islamischen Traditionen in Deutschland erkennen“.
Wulffs Nachfolger, Bundespräsident Gauck, hat den Satz Wulffs inzwischen relativiert, in dem er sinngemäß sagte:
Die Muslime gehören zu Deutschland.

Die Historie:

Mit sehr zaghaftem Beginn gibt es islamisches Leben in Deutschland bereits seit mehreren Jahrhunderten. Allerdings ist über die wenigen Hundert bis Tausend Muslime, die vor allem als Soldaten in der preußischen Armee der „langen Kerls“ seit der Zeit von König Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) dienten, allgemein wenig bekannt. Für sie wurde in einer Garnisionskirche ein eigener Moscheesaal eingerichtet. Damit lässt sich seit dieser Zeit eine – wenn auch bescheidene – 260-jährige muslimische Tradition in Deutschland historisch belegen.

Der Hauptzustrom muslimischer Migranten nach Deutschland begann allerdings erst in den 60er Jahren des 20. Jh. Aufgrund eines massiven Arbeitskräftemangels in Deutschland wurden ab 1955 mit zahlreichen Ländern in und um Europa sogenannte „Anwerbeabkommen“ abgeschlossen.
Dies waren im einzelnen:

  • Dezember 1955 erstes Anwerbeabkommen mit Italien
  • 1960 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien
  • 1960 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Griechenland
  • 1961 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei
  • 1963 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko
  • 1964 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Portugal
  • 1965 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tunesien
  • 1968 Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien

(Quelle: Wikipedia)

Dabei fällt auf, dass Gastarbeitern aus den europäischen Ländern eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gewährt wurde (mit Ausnahme von Italien, wo die Aufenthaltserlaubnis noch längstens 1 Jahr betrug), Gastabeitern aus asiatischen, bzw. afrikanischen Ländern dagegen nur eine Aufenthaltserlaubnis von 2 Jahren gewährt wurde. Geplant war vor allem bei letzteren ein Rotationsprinzip, das allerdings den Nachteil hatte, dass bereits angelernte Arbeitskräfte nach 2 Jahren gegen unerfahrene und damit neu anzulernende Arbeitskräfte ausgetauscht werden sollten. Die Industrie forderte bald die Änderung dieser Regelung. Die Migranten entschieden sich ebenfalls, ihre Familien nachzuholen und in Deutschland zu bleiben. Bis in die 70er Jahre hinein kamen so insgesamt über 5 Mill. Migranten nach Deutschland, vor allem aus Italien, Spanien, dem damaligen Jugoslawien, Griechenland, Portugal und der Türkei.

Heute (2012) leben in Deutschland rund 4 Mill. Menschen muslimischem Glaubens – und zwar dauerhaft und z. T. bereits in der 2. oder gar 3. Generation. Sie sind also z. T. hier geboren und sie werden auch hier in Deutschland bleiben. Sie arbeiten hier, zahlen hier Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und betrachten Deutschland als ihre Heimat. Um ihre Religion pflegen zu können, entstehen natürlich auch immer mehr Moscheen. Damit erhält auch der Islam neben anderen Religionen ein immer festeres Fundament in Deutschland. Dies ist eine unumstößliche die Realität.

Christliche (Leit-)Kultur?

Schon von König Friedrich II. von Preußen – dem „Alten Fritz“ – stammt der Satz:

„Jeder soll nach seiner Façon selig werden“.

Dieser Satz war so modern, dass er noch heute Gültigkeit hat. Die Religion eines jeden Menschen – also woran jeder glaubt oder eben nicht glaubt – ist die Privatsache eines Jeden und geht im Grunde genommen niemand anderen etwas an.
Die Traditionen und damit die Wurzeln der Gesellschaft unserer Republik mögen ganz überwiegend christlich geprägt sein. Die Bundesrepublik wurde überwiegend von Abgeordneten christlichen Glaubens gegründet. 1990 kamen jedoch die „5 Neuen Bundesländer“ hinzu, deren Bürger aber überwiegend keine Christen mehr sind, sondern mehrheitlich Atheisten. Darüber hinaus gibt es vor allem in bestimmten Großstadtvierteln der westlichen Bundesländer einen so hohen Bevölkerungsanteil an Migranten, dass hier ebenfalls die Bürger christlichen Glaubens in der Minderheit sind.
Neben der Geschichte Deutschlands – die klar christlich geprägt ist – muss man also auch die gegenwärtige Situation erfassen und versuchen, in die Zukunft schauen. Bereits heute ist feststellbar, dass die Bürger in ganz Deutschland zunehmend atheistischer werden oder die Bedeutung des Glaubens für ihr Leben zumindest immer mehr abnimmt. Dies manifestiert sich insbesondere in den zunehmenden Kirchenaustritten. Viele können mit Begriffen wie „reilgiöse Werte“, „christliche Leitkultur“ oder auch mit dem „Glauben“ allgemein kaum noch etwas anfangen. Auch auf solche Entwicklungen muß sich der Staat einstellen können – er muß ausreichend flexibel sein.
In den östlichen Bundesländern ist es ja bereits so, dass man zwar noch weiß, dass bestimmte gesetzliche Feiertage, wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten auf christliche Traditionen zurück gehen, aber darüber hinaus bedeutet gerade der christliche Aspekt den meisten wenig. Die Mehrheit der Bürger im Osten kennt die Kirchen nur noch von außen. Damit würde ich behaupten, dass das Christentum hier in den östlichen Bundesländern ebenfalls nicht wertstiftend und damit nicht mehr „Leitkultur“ ist.

Insgesamt ist also festzustellen, dass sich neben dem Christentum und dem Judentum auch viele weitere Religionen, der Atheismus und so eben auch der Islam in Deutschland etabliert hat.

Meine persönliche Einstellung zum Glauben

Ohnehin sehe ich das mit dem Glauben folgendermaßen:
Religion bzw. der Glaube ist etwas, was sich in unserem Kopf abspielt. Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Das beginnt schon in frühester Kindheit und endet eigentlich nie. Nur so lernt er die Welt begreifen. Was ist aber mit Dingen, die er nicht versteht? Gerade in der Frühzeit des Menschen gab es viele Dinge, die er nicht begreifen konnte – insbesondere Naturereignisse: Blitz und Donner, Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Sonne und Mond usw. usf. Solche Naturerscheinungen können wir erst seit relativ kurzer Zeit wissenschaftlich erklären. Da man sie sich aber schon früher irgendwie erklären wollte – vielleicht um weniger Angst davor zu haben – blieb eben nur, „übernatürliche Kräfte“ dafür verantwortlich zu machen: Götter.
Zunächst gab es in vielen Kulturen eine Vielzahl von Göttern. Jeder dieser Götter stellte meist eine Personifizierung von (Natur-)Ereignissen dar. Sie wurden verehrt, ihnen wurden Opfer dargebracht, um sie milde zu stimmen und es wurden zu ihren Ehren Feste veranstaltet, sprich: Es wurden bestimmte Rituale abgehalten.
Ähnlich ist es mit der Schaffung eines einzigen Gottes. Auch er ist eine Vorstellung von Menschen, um Unerklärliches zu erklären, um Halt zu finden, aber auch um eine Norm von Verhaltensregeln der Glaubengemeinschaft zu schaffen.

Wenn Menschen auch heute noch sagen, ihnen tut der Glaube gut – er bringt ihnen etwas, weil er ihnen Halt gibt, dann ist das durchaus in Ordnung. Es ist die Privatsache eines Jeden, woran er glauben möchte.
Insgesamt halte ich es persönlich aber mit dem Satz: „Glauben heißt nicht Wissen“. Da wir uns zu einer Informations- und Wissensgesellschaft entwickeln, halte ich Religionen bzw. den Glauben langfristig für ein Auslaufmodell. Die staatliche Verfassung hat längst neue Verhaltens- und Rechtsnormen geschaffen, an die sich nun jeder halten muss. Moralisches Handeln ist auch ohne den Glauben und ohne Kirche als moralische Instanz realisierbar. Ich halte deswegen die atheistische Gesellschaft für die Gesellschaft der Zukunft. Dies ist jedoch nur meine persönliche Meinung, die nicht maßgebend ist und keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erhebt.

Demokratie und Religion

Bei meinen persönlichen Ansichten stütze ich mich auch bei diesem Thema auf die Grundrechte, die im deutschen Grundgesetz manifestiert sind. Zum Thema Religion findet man dort folgendes:

Artikel 3, Abs. 3 besagt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Und in Artikel 4 heißt es:

„(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

…“

Das heißt also, wenn niemand wegen seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, dann darf aber auch der Glaube bzw. die Religion oder die politischen Anschauung (also auch als Atheist) selbst nicht benachteiligt oder bevorzugt werden.
Denkt man die Artikel des Grundgesetzes zu Ende, dann ergibt sich daraus folgendes:

Da es heute eine Vielzahl von Glaubensrichtungen auch bei den Christen, aber auch viele weitere, noch unterschiedlichere Religionen sowie, vor allem in den östlichen Bundesländern, auch viele Atheisten gibt, ist eine strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften besonders wichtig. Die Gesetze des Staates – insbesondere das Grundgesetz, als das höchste der geltenden Gesetze – müssen aus diesem Grunde über den religiösen Praktiken der jeweiligen Religion stehen. Niemand sollte seinen Glauben oder seinen Atheismus für das einzig Richtige halten und andere für unwichtiger, sosehr er davon auch überzeugt ist – oder daran „glaubt“.
Insofern kann es also auch keine Religion geben, die als Teil einer „Leitkultur“ oder ähnliches betrachtet wird – alle Religionen müssen die gleichen Rechte erhalten. Aus diesem Grunde halte ich auch die durch das Finanzamt eingezogene Kirchensteuer für grundgesetzwidrig und müsste entweder für alle Religionen gelten oder abgeschafft werden. Da jedoch die Trennung von Kirche und Staat gilt, ist die Abschaffung der Kirchensteuer zu favorisieren. Die Kirchen und alle anderen Glaubensgemeinschaften können sich ebenso gut über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren.

Wie bereits erwähnt, gehe ich davon aus, dass es die Privatsache eines jeden ist, woran er glaubt oder eben nicht glaubt. Da das Grundgesetz für alle Bürger unseres Landes gleichermaßen gilt, sind auch die religiösen Verhaltensnormen der jeweiligen Religion Privatsache und damit zweirangig. Diese Zweitrangigkeit gilt sowohl für die christlichen Konfessionen, als auch für alle übrigen Religionen und sonstigen Weltanschauungen gleichermaßen. Diese Verhaltensnormen dürfen damit auch nicht im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Auch das öffentliche Zeigen des religiösen Bekenntnisses z. B. das Tragen eines Kruzifixes oder eines Kopftuches u. a. sind Privatsache.

Beispiele: Verbietet man das Tragen eines Kopftuches in einer Schule, dann muss das Verbot auch für das Kruzifix gleichermaßen gelten. Meines Wissens gibt es genau solche Vorschriften in Deutschland auch bereits.
Auch ein Kruzifix an der Wand einer staatlichen Schule verstößt gegen das Gleichheitsgebot im Grundgesetz. Lediglich in einer kirchlichen Schule wäre das vertretbar.

Ein weiteres aktuelles Beispiel (2012):
Das Landgericht Köln urteilte, dass die nach der muslimischen und jüdischen Tradition üblichen Beschneidung von Jungen strafbar sind. Damit sind bestimmte fundamentale Elemente des Islams und des Judentums nicht mit unserer Gesetzgebung und somit mit unserer Kultur vereinbar. Verbände der Muslime und Juden kritisierten das Gerichtsurteil – der Zentralrat der Juden sprach daraufhin gar von einem „beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“.
An dieser Stelle möchte ich eine Ungenauigkeit, die dem Zentralrat der Juden unterlief, korrigieren:
Es gibt laut Grundgesetz kein „Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“, sondern es wurde dort die „Religionsfreiheit“ festgeschrieben. Religiöse Praktiken dürfen dabei jedoch nicht mit den übrigen Artikeln im Grundgesetz kollidieren. Dies wären demnach:
– das Recht auf körperliche Unversehrtheit,
– das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit,
und widerum
– die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, welche unverletzlich sind.
Dazu gehört auch, dass sich jeder frei entscheiden können muß, woran er glaubt oder eben (vielleicht) auch nicht glaubt. Auch von vornherein eine bestimmte Weltanschauung oder Religion eines Menschen schon bei der Geburt vorauszusetzen, widerspricht gerade diesem letztgenannten Grundrecht.
Dies alles gilt, auch wenn im Grundgesetz ebenso steht:
„Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
Aber auch das macht die übrigen Artikel im Grundgesetz nicht ungültig.

Fazit:

Insgesamt ist im Grunde die ganze Diskussion zweirangangig, ob nun z. B. der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. In Deutschland sind seit den 60er Jahren Menschen aus verschiedenen Nationen zunächst als Gastarbeiter eingewandert und haben sich dann jedoch auf Dauer hier angesiedelt. Diese Menschen, die im Zuge der Migration natürlich ebenfalls in unserer Gesellschaft integriert wurden, haben z. T. andere politische und religöse Weltanschauungen, als die einheimische Bevölkerung. Die Gesellschaft ist dadurch pluralistischer geworden. Es bleibt festzustellen, dass sich neben dem Christentum und dem Judentum auch viele weitere Religionen, der Atheismus und so eben auch der Islam in Deutschland etabliert hat.

In der Politik sind in einer pluralistischen Gesellschaft die Standpunkte ohnehin sehr verschieden. Trotz der Trennung von Kirche und Staat, lassen sich dennoch in den Ansichten der Politiker auch religiöse Einflüsse nicht vermeiden. Am deutlichsten wird das bei den Unionsparteien, die sich klar am christlichen Weltbild orientieren und mit diesen Werten in den Meinungsstreit eintreten.

Dennoch gilt in jedem Fall: Niemand hat die Wahrheit für sich gepachtet, niemand ist unfehlbar und alle müssen sich an die selben Gesetze halten.
Und dies gilt für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Toleranz und Respekt zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und die Anerkennung und Einhaltung der staatlichen Gesetze als übergeordnete, für alle geltenden Verhaltensnormen ist dabei für das Funktionieren der ganzen Gesellschaft unerlässlich.

weitere Quellen:

  • Das deutsche Grundgesetz,
  • Wikipedia

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