Zurück zum Teil „Die DDR am Vorabend der Friedlichen Revolution“
(Beide Teile gehören zusammen)
Gründung außerkirchlicher Oppositionsgruppen und Parteien
Die an der Friedlichen Revolution 1989/90 beteiligten außerkirchlichen Bürgerrechtsbewegungen gründeten sich zumeist erst Ende der ´80er Jahre.
Eine der ersten und bedeutendsten dieser Bürgerrechtsbewegungen war die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM), die sich bereits am 24. Januar 1986 gegründet hatte. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten Bärbel Bohley, Martin Böttger, Werner Fischer, Ralf Hirsch, Gerd Poppe, Ulrike Poppe und Wolfgang Templin.
Zu den Zielen der IFM gehörten die Wahrung der Menschenrechte und die Friedenssicherung. Die Initiative setzte sich für Abrüstung und „Entmilitarisierung“ ein und wandte sich gegen jede Art von autoritärer Struktur, gegen die Verherrlichung von Gewalt und gegen die Ausgrenzung von Minderheiten und Ausländern. Die Positionen wurden unter anderem in der illegalen Zeitschrift „grenzfall“ veröffentlicht. Der Aktionsschwerpunkt der IFM war Berlin.
Eine derartige Opposition ließ das SED-Regime jedoch auch weiterhin nicht zu.
Am 10. Dezember ´87 wurden zum Tag der Menschenrechte einige Mitglieder der IFM zeitweilig inhaftiert und im Januar 1988 wurden mehrere Mitglieder am Rande der traditionellen Demonstration anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin verhaftet und mussten anschließend ausreisen. Dadurch kam die Oppositionsarbeit der IFM fast völlig zum erliegen.
Eine solche Politik der Ausweisung von unbequemen Bürgern wurde in dieser Zeit sogar in den Medien der DDR unterschwellig propagiert. In der Tageszeitung „Junge Welt“ wurde in diesen Jahren z. B. ein Lied abgedruckt, in dem es sinngemäß hieß: Jeder, der nicht mitzieht, „den werfen wir raus aus unserem Staat“. Dies war somit am Ende ihrer Herrschaft die erklärte Politik der SED.
Trotz des Vorgehens des SED-Regimes gegen jede Bildung von oppositionellen Gruppen wurden am Rande des vom 24. bis 26. Februar 1989 stattgefundenen 7. Treffens der Basisgruppe „Frieden konkret“ in Greifswald Absprachen über die Bildung von DDR-weiten politischen Organisationen getroffen.
Nach den Ereignissen vom Januar 1988 wurde die IFM zwar geschwächt, aber nicht zerschlagen. Am 11. März 1989 veröffentlichte die IFM ihre Basiserklärung, mit der sie eine DDR-weite politische Organisation schaffen wollte.
Am 9./10. September 1989 fand in Grünheide (bei Berlin) ein Ereignis statt, das ebenfalls von besonderer Bedeutung war.
An diesen Tagen wurde der Aufruf „Aufbruch 89 – Neues Forum“ unterzeichnet und veröffentlicht. Damit wurde das „Neue Forum“ gegründet, das sich als „unabhängige politische Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern, die Demokratie in allen Lebensbereichen durchsetzen wollen“ definierte. Außerdem betonte es, „auf Gewaltlosigkeit, auf Vernunft und die Kraft der Argumente“ zu setzen.
Unterschrieben wurde der Aufruf u.a. von Bärbel Bohley, Frank Eigenfeld, Katrin Eigenfeld, Katja Havemann, Rolf Henrich, Sebastian Pflugbeil, Jens Reich, Reinhard Schult, Jutta Seidel und Hans-Jochen Tschiche.
Die Gründung des „Neuen Forums“ war deshalb so bedeutsam, weil es die erste oppositionelle Gruppe außerhalb der Kirchen war, die von Anfang an auch die offizielle Zulassung anstrebte.
Im ZDF bzw. in RIAS-TV erklärten Bärbel Bohley, Rolf Henrich und Prof. Jens Reich am 13. September 1989 die Zielstellung des Neuen Forums:
„Das Neue Forum distanziert sich hiermit ausdrücklich und ganz entschieden von der Erklärung der Böhlener Plattform.“
Eine Dialogbereitschaft der Führungsspitze der SED ist nicht durch ein Unterdrucksetzen, durch Forderungen, welche beide Seiten zur Handlungsunfähigkeit degradiert, zu erreichen. Selbst bei einer oberflächlichen Betrachtung der Punkte des Böhlener Papiers muß auffallen, daß diese illusionären Bedingungen gefährlich, ja reinweg staatsfeindlich sind. Wir betonen noch einmal, dass wir uns von den Maximalforderungen deutlich und ganz entschieden abgrenzen. Solch eine ‚radikale‘ gewalttätige Richtung ist für das Neue Forum unannehmbar. Die Ziele des Neuen Forums sind unmißverständlich ab ovo im offenen Themenkatalog genannt, man muß den Dialog zu offenstehenden Fragen suchen und sich nicht durch unsachgemäße Forderungen verbauen. Wir vertrauen voll und ganz auf der Klärung der Fragen wie: ‚Wie schaffen wir volle Rechtssicherheit, einschließlich einer zivilisierten Form der Auswanderung?‘ ‚Was meinen wir mit Sozialismus? Wie wird die Wirtschaft effektiver? Wie ist eine demokratische Mitwirkung der Bürger in allen Bereichen und auf allen Ebenen zu erreichen?'“
Am 18. September solidarisierten sich verschiedene DDR-Unterhaltungskünstler mit den Zielen des Neuen Forums.
Am 19. September meldete das „Neue Forum“ die Gründung der Vereinigung entsprechend einer DDR-Verordnung in 11 der 15 DDR-Bezirke an, der Antrag des „Neuen Forum“ wurde am 21. September jedoch abgelehnt, mit der offiziellen Begründung, es gebe keine gesellschaftliche Notwendigkeit für eine Neugründung – wurde auch in den Nachrichten des DDR-Fernsehens gesendet.
Innerhalb kürzester Zeit unterzeichneten über 200.000 Menschen den Aufruf des Neuen Forums, wovon die Erstunterzeichner völlig überrascht waren. Sie hatten auf Ihrem Zusammentreffen im September beschlossen, sich erst wieder Anfang Dezember 89 zusammenzufinden – der erste freie Termin an dem alle konnten.
Diese Zahl von 200.000 ist jedoch kaum mit der Mitgliederzahl des Neuen Forums gleichzusetzen. So gab die Bürgerbewegung am 14. Oktober 1989 die Zahl von 25.000 Mitgliedern bekannt.
Erst am 8.11.1989 wurde Bärbel Bohley, Jutta Seidel und ihrem Rechtsanwalt Gregor Gysi vom DDR-Innenministerium die Anmeldung des Neuen Forum bestätigt. Nach Einreichung der Unterlagen könne in drei Monaten die staatliche Anerkennung ausgesprochen werden, hieß es dort. Schon einen Tag später wurde das NF anerkannt und noch am selben Tag hielt das NF seine erste Pressekonferenz ab.
Als weitere Oppositionsgruppe verabschiedete „Demokratie Jetzt“ am 12. September 1989 ihren Gründungsaufruf „zur Einmischung in die eigenen Angelegenheiten“.
Daß es bei der Berichterstattung durch die West-Medien über die Ereignisse in der DDR auch zu Falschmeldungen kam, zeigen die folgenden Beispiele:
Am 24. September 1989 trafen sich erstmals im Gemeindesaal der Markusgemeinde – auf Einladung der „Initiative zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft“ – Vertreter der verschiedenen neu entstandenen Bürgerbewegungen, um ihre zukünftigen Initiativen miteinander abzustimmen. Der Deutschlandfunk verbreitete als Gesprächsergebnis, daß das Neue Forum als Dachorganisation aller Bürgerbewegungen akzeptiert wurde. Doch darauf hatten sich die Teilnehmer gar nicht geeinigt.
Schon am 14. September 1989 gaben die Nachrichten westdeutscher Rundfunkstationen bekannt, daß die Sammlungsbewegung „Demokratischer Aufbruch“ gegründet wurde.
Tatsächlich war der Gründungstag jedoch erst am 1. Oktober 1989 in Ostberlin. Die Gründung gelang trotz massiver Behinderung durch die Sicherheitsorgane, wie z. B. Polizeiketten und Hausarreste.
Bereits am 26. August 1989 veröffentlichte eine Initiativgruppe eines Menschenrechtsseminar in der Berliner Golgathakirchgemeinde den Aufruf zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei.
Am 7. Oktober 1989, dem 40. „Nationalfeiertag“ zur Gründung der DDR, gründete sich mit der SDP („Sozialdemokratische Partei der DDR“) in Schwante (Kreis Oranienburg) die erste oppositionelle Partei in der DDR.
Keine dieser Oppositionsgruppen und -parteien forderte die sofortige Entmachtung der SED um selbst die Regierung zu übernehmen. Den Verzicht auf die Machtübernahme begründete Jochen Läßig am 18. November 1989 auf einer Kundgebung in Leipzig, die landesweit im Fernsehen übertragen wurde, folgendermaßen:
„Eine Organisation, die zwei Monate alt ist, kann dieser Forderung leider nicht so schnell nachkommen. Wir haben die letzten zehn bis zwanzig Jahre geschlafen und keine Opposition etabliert, die kompetent genug wäre, die Führung zu übernehmen. Es geht also vorläufig nur um Mitregieren, um Machtbeteiligung und Kontrolle.“
So lehnten die Gruppen auf einem Treffen des NF, DA und SDP am 4.12.1989 auch eine Empfehlung des damaligen Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin, Walter Momper ab, die Opposition sollte die Regierung in der DDR übernehmen.
(siehe: Quelle)
Bei der Kirche lief „das Faß“ über
Die Aktionen der Kirchen und ihrer Gruppen und die immer weiter anwachsende Anzahl von Bürgern, die an diesen Aktionen teilnahmen, verunsicherte die Staatsführung zunehmend. Die zunehmende Nervosität wurde an den immer eindringlicher werdenden Forderungen, die die Vertreter des Staates an die Kirchen stellten und an den immer aggressiver werdenden Gegenmaßnahmen der Staatsorgane sichtbar. Auch wurden von der Kirche angebotene Gespräche immer wieder aufgeschoben oder ganz abgesagt.
So bat der Oberbürgermeister Leipzigs, Dr. Seidel, die Kirche am 25. August 1989, die Friedensgebete nicht am Messe-Montag, dem 4. September 1989, wieder beginnen zu lassen.
Am 1. September ´89 wurde auch der Kirchenvorstand von St. Nikolai von Genossen Sabatowska vom Rat der Stadt Leipzig, Abteilung Inneres, ins Rathaus bestellt. Ihm wurde nahegelegt, die Friedensgebete am 4. September 1989 nicht beginnen zu lassen. Der Kirchenvorstand ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken.
Der Leiter der BVfS Leipzig stellte am 2. September fest, daß nicht mehr zu verhindern sei, daß Westjournalisten anläßlich des Friedensgebetes am 4. September eine „große Story“ bekämen. Auf der Dienstversammlung bezeichnete er das MfS als die Avantgarde der Perestroika in der DDR – was jedoch eine völlige Verdrehung der Tatsachen bedeutete.
Noch am 25. August 1989 bot der Vorsitzende der Konferenz der Kirchenleitung, Landesbischof Werner Leich, Erich Honecker ein vertrauliches Gespräch an.
Jedoch teilte der Staatssekretär für Kirchenfragen Bischof Leich am 2. September ´89 mit, daß das für den 12. September geplante Spitzengespräch ausfallen müsse. Bischof Leich verwies auf die staatliche Gesprächsverweigerung seit über einem Jahr und sagte:
„Nun ist das Faß übergelaufen.“
Die Konferenz der Kirchenleitung beschloß daraufhin einen Brief an Honecker zu schreiben, in dem sie die Möglichkeiten einer „mündigen Beteiligung der Bürger an der Gestaltung“ gesellschaftlicher Prozesse als „unabdingbar“ bezeichnete und offene Diskussionen einklagte.
Wie geplant wurde am 4. September 1989 das erste Friedensgebet nach der Sommerpause von der Nikolaikirchgemeinde gestaltet. Die Predigt hielt Superintendent Magirius.
Danach fand eine Demonstration für „offene Grenzen, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit“ vor den laufenden Kameras verschiedener westlicher Agenturen statt. Anschließend kam es zu einem Demonstrationszug „Für freie Fahrt nach Gießen“, der auf dem Leipziger Hauptbahnhof endete.
Zur gleichen Zeit fand in der Reformierten Kirche eine Veranstaltung mit Friedrich Schorlemmer zur „gesellschaftlichen Erneuerung“ statt.
Daraufhin empfahl die SED-Bezirksleitung Leipzig am 5. September 1989 dem Staatssekretär für Kirchenfragen, „umgehend“ Gespräche mit dem Kirchenvorstand der Nikolaikirche aufzunehmen.
Am 7. September ´89 begannen die „Leipziger Volkszeitung“ und andere DDR-Zeitungen auf die Vorgänge um die Nikolaikirche („Unruhestifter in der Leipziger Innenstadt“) einzugehen.
Ebenfalls am 7. September ´89 kam es zu einem brutalen Polizeieinsatz gegen Demonstration wegen des Wahlbetrugs auf dem Berliner Alexanderplatz.
Eine Foto-Dokumentation über Polizeimaßnahmen im Frühsommer ´89 in Leipzig (u.a. nach den Friedensgebeten), die während des Statt-Kirchentages gezeigt wurde, wurde am 8. September durch die Stasi beschlagnahmt.
Ebenfalls am 7. September 1989 wurde der Brief der Konferenz der Kirchenleitung an Erich Honecker den Gemeinden bekannt gegeben und von ca. 1.300 Gottesdienstbesuchern mit Beifall aufgenommen.
Bischof Johannes Hempel nahm am Friedensgebet teil, das am 11. September 1989 stattfand. Während des Friedensgebetes riegelten Polizeiketten das Gebiet um die Nikolaikirche hermetisch ab. Nach dem Friedensgebet wurden 89 Personen festgenommen. Viele von ihnen wurden ohne Gerichtsverfahren zu Geldstrafen zwischen 1.000 und 5.000 Mark verurteilt. Die ersten inhaftierten Friedensgebetsbesucher wurden am 21. September 1989 per Strafbefehl und ohne Gerichtsverfahren zu 4 bis 6 Monaten Haft verurteilt. 19 Gottesdienstbesucher mußten bis Mitte Oktober in der Haftanstalt der Staatssicherheit bleiben.
So bildete sich am 13. 9. 1989 in Leipzig eine kirchliche Gruppe, die Solidaritätsaktionen für die Inhaftierten koordiniert. Sie erhielt von der Markus-Gemeinde einen Raum mit Telefon und organisierte in den nächsten Wochen die täglichen Fürbittandachten, die Informierung der Journalisten über die Vorgänge in Leipzig und z.B. das Anbringen von Transparenten an Fenstern der Nikolaikirche und Kerzen vor der Nikolaikirche.
Vom 15. bis 19. September 1989 war die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Eisenach. Basisgruppenmitglieder aus Leipzig verteilten auf der Synode Fotos von den Inhaftierten und baten um öffentlichen Protest durch die Synode. Bischof Johannes Hempel gab einen Informationsbericht über die Vorgänge in Leipzig.
Die Synode erklärte: „Die Massenauswanderung von Bürgern der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zwingt dazu, Ursachen dafür zu benennen, daß offensichtlich viele, besonders auch junge Menschen in unserem Land und für unser Land keine Zukunft mehr sehen. […] Wir brauchen: – demokratische Parteienvielfalt; – Reisefreiheit für alle Bürger; – wirtschaftliche Reformen; […] – Möglichkeit friedlicher Demonstrationen […]“
Am 17. September fand in der Berliner Gethsemanekirche das erste Fürbittgebet für die in Leipzig Inhaftierten statt. Es folgten täglich weitere auch in anderen Städten.
Am 18. 9. 89 wurde das Friedensgebet von der Friedensgruppe Grünau/Lindenau gestaltet. Die Nikolaikirche war nahezu überfüllt. Während des Friedensgebetes wurden wieder Polizeiketten um die Nikolaikirche aufgezogen. An diesen sammelten sich über tausend Schaulustige. Polizei inhaftierte erneut Demonstranten.
Das Mitglied der Koordinierungsgruppe für die Fürbittengebete Christian Dietrich erklärte in einem ARD-Telefon-Interview, daß es in Kürze zu Wahlen kommen müsse, an denen sich neben dem Neuen Forum auch andere neugegründete politische Vereinigungen beteiligen dürften.
Statt dessen erklärte das DDR-Innenministerium das Neue Forum am 21. September 1989 als staatsfeindlich und lehnte dessen Zulassung ab. Das MfS gab den entsprechenden SED-Sekretariaten in den folgenden Tagen laufend Informationen über die Entwicklung der „oppositionellen Sammlungsbewegungen“.
Erich Honecker forderte am 22. September in einem Fernschreiben an die SED-Bezirksleitungen die „Isolierung der Organisatoren der konterrevolutionären Tätigkeit“ und daß „die feindlichen Aktionen im Keim erstickt werden müßten“.
Am 23. September entschied das MfS die Weitergabe des Gründungsaufrufes des Neuen Forums, welcher u.a. in der Nikolaikirche aushängt, gemäß § 220 des StGB zu ahnden.
Im September 1989 stieg die Zahl der Teilnehmer an den Friedensgebeten und den häufig darauffolgenden Demonstrationen in Leipzig sprunghaft an. Am 25. September ´89 war dort die erste Demonstrationen, die bereits als Massendemonstration zu bezeichnen war:
Das Friedensgebet am 25. September ´89 gestaltete die AG Menschenrechte zusammen mit Pfarrer Wonneberger. Nach diesem Friedensgebet demonstrierten ca. 8.000 Menschen vom Nikolaikirchhof in Richtung Hauptbahnhof. Sie sangen „We shall overcome“ und riefen „Freiheit“ oder „Neues Forum (zulassen)“.
Ebenfalls zu einer Demonstration kam es nach einer Fürbittandacht am 26. September in Berlin in der Gethsemane-Kirche.
Daraufhin erklärte der stellvertretende Minister des MfS, Mittig, daß es falsch gewesen sei, daß die Verantwortung für die Verhinderung von Demonstrationen allein in Leipzig lag.
Das Sekretariat der SED-Bezirksleitungssitzung in Leipzig beschloß am 27. September ´89 einen Katalog an Maßnahmen, mit denen die Opposition in den folgenden Wochen unterdrückt werden sollte.
Der Bezirksstaatsanwalt drohte den Pfarrern Christian Führer und Christoph Wonneberger 28. September mit Haftstrafen, falls sie weiterhin das „Recht der DDR verletzten“.
In der „Leipziger Volkszeitung“ begann einer Leserbriefkampagne gegen die Besucher der Friedensgebete bzw. der Demonstranten.
Auf der Leipziger Stadtverordnetenversammlung ging der Oberbürgermeister in seinem Bericht auf die Vorgänge um die Nikolaikirche mit verleumdenden Bemerkungen gegen Kirche und Opposition ein. Der Bericht wurde gegen alle Gewohnheit jedoch nicht einstimmig bestätigt.
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Leipzig, 2. Oktober 1989:
In der Berliner Gethsemanekirche begannen unbefristete Mahnwachen gegen die Inhaftierungen in Leipzig, Potsdam und Berlin. Täglich fanden nun in Berlin Informationsandachten statt.
Die AG Umweltschutz gestaltete das Friedensgebet in Leipzig. Ein weiteres Friedensgebet fand zur gleichen Zeit wie in St. Nikolai auch in der Reformierten Kirche statt. An der Demonstration im Anschluß an den Friedensgebeten nahmen an diesem Tag ca. 25.000 Personen teil. Es kam zu Ausschreitungen und einem brutalen Einsatz von Polizei, Sondereinheiten und Kampfgruppen.
Gewandhauskapellmeister Kurt Masur erklärte in einem ARD-Interview angesichts der Polizeieinsätze „Ich schäme mich“ und rief zu einem gesamtgesellschaftlichen Dialog auf.
Das SED-Regime unter Honecker war jedoch zu jeglichem Dialog unfähig. Nach diesen Friedensgebet und der anschließenden Demonstration beschloß die Leipziger Bezirkseinsatzleitung am Tag darauf, den Einsatz von Armee-Einheiten gegen Demonstranten vorzubereiten.
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Flucht von DDR-Bürgern in den Westen
Seit dem Mauerbau bis 1988 waren über 350.000 DDR-Bürger „legal“ aus ihrer Heimat in Richtung Westen ausgereist. Im ersten Halbjahr 1989 haben die DDR weitere ca. 39.000 Menschen mit staatlicher Genehmigung und über 5.000 ohne Genehmigung die DDR in Richtung Bundesrepublik verlassen.
Am 6. Februar 1989 wurde Chris Geffroy bei seinem Fluchtversuch an der Berliner Mauer, von Grenzsoldaten erschossen. Er war der letzte Mauer-Tote der deutschen Geschichte.
Der Bundeswirtschaftsminister H. Haussmann und der Bundesbauminister O. Schneider sagen am 11./13. März 1989 ihren Besuch bei der Leipziger Frühjahrsmesse wegen dem Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer ab.
Die genaue Anzahl der an der Berliner Mauer sowie an der Grenze zur BRD getöteten Personen ist bis heute umstritten. Nach den Angaben von „Berliner Mauer Online“ schwanken die Zahlen der getöteten Personen sehr stark, je nachdem, an welche Stelle man sich wendet.
Die Berliner Staatsanwaltschaft gibt z. B. 169 Todesfälle durch Gewaltakte für die Zeit vom 13.08.1961 bis zum 09.11.1989 an der DDR-Grenze einschließlich Berlins an.
Dagegen gab das Museum Haus am Checkpoint Charlie auf der 137. Pressekonferenz am 13.08.2004 eine ungleich höhere Zahl an:
Gesamt: 1065 Grenz- und Mauer-Tote, davon Todesfälle vor / nach dem 13. August 1961
getötete Flüchtlinge/Personen Berliner Grenze/Mauer: 37 / 190
getötete Flüchtlinge/Personen innerdeutsche Grenze: 247 / 237
getötete Flüchtlinge/Personen Ostsee: 17 / 164
bei Fluchtversuch getötete DDR-Grenzsoldaten: 18 / 19
sonstige Todesfälle, auch außerhalb der DDR: 59 / 77
Die ständig wiederholten Behauptungen ehemaliger hoher SED-Funktionäre, es hätte nie einen Schießbefehl an der Mauer bzw. der innerdeutschen Grenze gegeben, möchte ich an dieser Stelle Lügen strafen. Es gab sehr wohl eine „Dienstanweisung an Angehörige der Spezialeinheit des MfS innerhalb der Grenztruppen der DDR“ vom 1. 10. 1973, die den Schußwaffengebrauch ausdrücklich vorschrieb – auch gegen Frauen und Kinder. Der entscheidende Absatz besagte:
„2. Verhinderung von Grenzdurchbrüchen
Es ist Ihre Pflicht, Ihre Einzelkämpfer- und tschekistischen Fähigkeiten so zu nutzen, daß Sie die List des Grenzverletzters durchbrechen, ihn stellen bzw. liquidieren, um somit die von ihm geplante Grenzverletzung zu vereiteln. Handeln Sie dabei umsichtig und konsequent, da die Praxis die Gefährlichkeit und Hinterhältigkeit der Verräter mehrfach beweist.
Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schußwaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zu nutze gemacht haben.
Nach erfolgter Anwendung der Schußwaffe haben Sie entsprechend der unter Punkt 1. genannten Maßnahmen zu handeln.“
Bei den Versuchen, die DDR „legal“ zu verlassen wurde jedoch von Seiten der DDR-Behörden den Antragstellern eines Ausreiseantrages zahlreiche Steine in den Weg gelegt.
Wer diesen Weg ging, wurde oftmals Monate, ja sogar Jahre bis zur Ausreisegenehmigung hingehalten und war fortan während dieser Zeit in Beruf und Alltag benachteiligt bzw. wurde schikaniert.
Dazu hier ein allgemeiner Überblick zum Thema „Ausreiseantrag“ in der DDR und hier einige Berichte von Betroffenen.
So kam es neben den Fluchtversuchen über die Mauer/Grenze zu zahlreichen anderen spektakulären Aktionen von Ausreisewilligen:
Ein Ausreisewilliger demonstrierte am 1. August 1988 in der Innenstadt von Leipzig mit dem Transparent: „Die DDR – ein Rechtsstaat? Es werden grundsätzliche Menschenrechte verweigert.“
Am 14. November 1988 verteilte eine Gruppe Ausreiseantragsteller nach dem Friedensgebet ein Flugblatt, in dem zu einem „Schaufensterbummel“ für den 20. November eingeladen wurde. Die Gruppe wurde kurz darauf verhaftet und im März 1989 zu Haftstrafen zwischen 10 und 20 Monaten verurteilt.
Am 4. Dezember 1988 besetzten 5 Ausreisewillige die Weimarer Herder-Kirche, Superintendent Reder ließ darauf die Kirche von der Polizei räumen.
Am 13. März 1989 hielt der Rektor des Theologischen Seminars, Prof. Ulrich Kühn, das Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche. Ca. 600 Ausreisewillige und Gruppenmitglieder demonstrieren nach dem Friedensgebet. Die Ausreiseantragsteller, die an der Demonstration teilnehmen, erhielten kurz darauf die Ausreisegenehmigung. In den folgenden Wochen konnten täglich etwa 50 ausreisewillige Leipziger in die Bundesrepublik ziehen.
Im August 1989 gab es allein in Leipzig knapp 5.000 Ausreiseantragsteller. Genauso viele sind seit dem 1. Januar 1989 mit Genehmigung der DDR-Behörden aus der Stadt ausgereist, außerdem über 1.000 „illegal“.
Am 19. September 1989 sammelte eine Gruppe von Ausreiseantragstellern nach dem Friedensgebet auf dem Nikolaikirchhof Unterschriften. Im Friedensgebet trugen einige Gruppenmitglieder Tücher mit dem Aufdruck „Redeverbot“ um den Mund.
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Fluchtversuche über Botschaften
Bereits in früheren Jahren hatten DDR-Bürger immer wieder versucht über die Botschaften westlicher Staaten zu flüchten, insbesondere über die bundesdeutschen Botschaften in Berlin oder z. B. auch in Prag, aber auch z. B. über die Botschaft von Dänemark in Ost-Berlin. Nicht ein einziges mal hatten diese Versuche, auf diesem Wege die DDR sofort zu verlassen, bisher zum Erfolg geführt. Die Fluchtwilligen wurden stets zur Aufgabe ihres Vorhabens bewegt mit der Zusicherung einer schnellen, legalen Ausreise aus der DDR durch die DDR-Behörden.
So war es auch in Prag, wo sich seit Februar 1989 regelmäßig bis zu 30 Personen in der bundesdeutschen Botschaft aufhielten, um die Ausreise zu erzwingen.
Doch ab August 1989 änderte sich die Situation grundlegend, denn der Flüchtlingsstrom in die bundesdeutschen Botschaften begann sehr stark anzuwachsen und nicht mehr alle Fluchtwilligen ließen sich zu einer vorübergehenden Rückkehr in die DDR bewegen.
Schon am 8. 8. ´89 wurde die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin wegen Überfüllung geschlossen. Über 130 DDR-Bürger hielten sich in der Botschaft auf, um ihre Ausreise zu erzwingen.
Am 13. August mußte auch die Bonner Botschaft in Budapest wegen Überfüllung geschlossen werden. Von dort wollten rund 180 DDR-Bürger ausreisen.
Besonders spektakulär war eine erste Grenzöffnung Ungarns nach Österreich.
Ein am 19. August 1989 vom Präsidenten der Paneuropa-Union, Otto von Habsburg (geb. 1912), initiiertes „Paneuropäisches Picknick“ in Sopron/Ungarn nutzen etwa 900 Menschen zur bis dahin größten Massenflucht von DDR-Bürgern seit dem Mauerbau.
Am 24. 8. erhielten 108 DDR-Bürger, die sich zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Botschaft in Budapest befanden, durch die ungarische Regierung als einmalige humanitäre Aktion, die Ausreiseerlaubnis in den Westen.
Am 10./11. 9. 1989 öffnete Ungarn gegen den Willen der DDR-Regierung dann endgültig seine Grenze zu Österreich und ließ alle dort anwesenden Fluchtwilligen aus der DDR in den Westen ausreisen. Dieser Tag markiert den Beginn der ersten großen Fluchtwelle von DDR-Bürgern über die ungarisch-österreichische Grenze. Bis Ende September kamen circa 30.000 Übersiedler auf diesem Wege in die Bundesrepublik.
Gegen diese Maßnahme der Regierung Ungarns protestierte die SED-Regierung am 12./13.9. und bezeichnete dies als „organisierten Menschenhandel“ – Reisegenehmigungen nach Ungarn wurden nicht mehr erteilt, so daß sich nun der Ansturm auf die Botschaften erhöhte.
Am 23. 8. wurde auch die Botschaft der Bundesrepublik in Prag wegen Überfüllung geschlossen. Dennoch erreichten täglich zwischen 20-50 weitere Flüchtlinge das Botschaftsgelände. Am 11. 9. wurde dem Auswärtigen Amt in Bonn die offizielle Zahl von 434 Zufluchtsuchenden gemeldet. Durch die Vermittlung von RA Vogel ließen sich am 12. 9. ´89 etwa 280 Personen noch einmal dazu bewegen, die Botschaft in Prag zu verlassen und in der DDR auf ihre Ausreise zu warten. Doch die Zahl der Flüchtlinge auf dem bundesdeutschen Botschaftsgelände stieg rasch wieder an – bis zum 24. 9. auf 865 Personen.
Am 26.9. verließen auf erneute Vermittlung von RA Vogel nur noch wenige DDR-Bürger die deutsche Botschaft in Prag um in die DDR zurückzukehren. Viele vertrauten der Zusicherung der SED-Regierung nicht mehr, binnen sechs Monaten in den Westen ausreisen zu dürfen. Statt dessen wurde Vogel diesmal ausgepfiffen und die meisten Flüchtlinge blieben in der Botschaft, da sie direkt in die Bundesrepublik ausreisen wollten.
Auf einer außerordentlichen Politbürositzung am 29. September 1989 ließ Erich Honecker die Ausreise der Botschaftsbesetzer über DDR-Territorium beschließen.
Die Fluchtwelle ließ auch die deutsche Bundesregierung aktiv werden.
Am 30. September 1989 fuhr Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher nach Prag und erklärte, daß die Botschaftsflüchtlinge ausreisen durften. Damit konnten etwa 6.800 DDR-Bürger aus den Botschaften in Prag und Warschau in die Bundesrepublik ausreisen. Zusammen mit den Flüchtlingen, die über die CSSR und über Ungarn flüchteten, reisten allein an diesem Tag über 7000(!) DDR-Bürger dauerhaft aus der DDR aus.
Laut der offiziellen Verlautbarung der SED-Regierung wurden sie aus „humanitären Gründen abgeschoben“, da die humanitären und medizinischen Zustände in den bundesdeutschen Botschaften unhaltbar geworden seien.
Die Fluchtwelle hielt auch in den folgenden Monaten weiter an. Schon am 1. bis 3. Oktober 1989 versammelten sich erneut etwa 7.600 Menschen vor der Bonner Botschaft in Prag, die in die Bundesrepublik wollten und die am 3. Oktober ebenfalls über DDR-Gebiet ausreisen durften. Diese erneute Botschaftsbesetzung hatte die tschechische Polizei noch zu verhindern versucht – jedoch ohne Erfolg.
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Beginn der „Friedlichen Revolution“
Die Ereignisse um die Botschaftsflüchtlinge und die Erkenntnis, daß die SED-Regierung auf Grund der großen Anzahl von Flüchtlingen zum Nachgeben gezwungen werden konnte, heizte die Stimmung in der Bevölkerung der DDR weiter auf.
Am Abend des 3. Oktober ´89 versammelten sich auf dem Dresdener Hauptbahnhof Ausreisewillige, die auf die Züge aus Prag mit den Botschaftsbesetzern warteten, um auf diese aufzuspringen und so ebenfalls in die Bundesrepublik ausreisen zu können. Kurz nach Mitternacht versuchte die VP, den Bahnhof zu räumen. Der Bahnverkehr kam teilweise zum Erliegen.
Am folgenden Abend kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten bzw. Ausreisewilligen.
Daraufhin fanden täglich Demonstrationen, u. a. mit Kerzen als Zeichen für Gewaltlosigkeit, am Bahnhof und in der Dresdener Innenstadt statt. Ausreisewillige, die aus den Zügen aus Prag geholt wurden, flüchteten in verschiedene Dresdener Kirchen.
Dagegen erklärte die Tageszeitung „Neues Deutschland“ noch am 2. Oktober 1989, daß den ausgereisten Bürgern „keine Träne nachzuweinen“ sei. Daß auch dies eine rein propagandistische Äußerung war zeigt sich schon daran, daß die SED-Regierung am 3. Oktober 1989 den visafreien Reiseverkehr in die CSSR aufhob. Eine legale Reise war damit nun auch in dieses „Bruderland“ bis zum 1. 11. ´89 nicht mehr möglich. Schon Tage vorher wurden Reisende in Richtung CSSR/Ungarn an der Grenze festgenommen bzw. zurückgewiesen.
Dennoch gelang es täglich mehreren Hundert, an manchen Tagen auch über 1.000 DDR-Bürgern, über die tschechische Grenze in die Bundesrepublik auszureisen.
Auf Grund dieser Ereignisse markieren die Tage vom 2. Oktober 1989 (Leipzig) u. 3./4. Oktober (Dresden) 1989 den Beginn der „Friedlichen Revolution“ in der DDR.
Die Ausreise von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik ging auch in den folgenden Monaten ungebrochen weiter.
In Leipzig gab es bereits im Oktober ´89 Probleme bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, da viele Fahrer in den Westen ausgereist waren. Es wurden statt dessen Soldaten als Fahrer eingesetzt. Während dessen gab es in der Bundsrepublik und West-Berlin bereits Anfang Oktober 1989 Probleme bei der Unterbringung der Flüchtlinge.
Anfang Januar 1990 appellierte die Bundesregierung an die Bevölkerung der DDR, sie mögen doch in der DDR bleiben.
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Der Staat setzt weiter auf brutale Gewalt gegen friedliche Demonstranten
Seit dem 2. Oktober 1989 hat es täglich Demonstrationen gegeben, die – wie bereits beschrieben – in Leipzig begannen, schnell auch Dresden und weitere Städte erfassten. Die bewaffneten Organe der DDR gingen dabei mit immer härterer Gewalt gegen die Demonstranten vor. Zum Gebrauch von Schusswaffen kam es dabei jedoch nicht.
Am 5. Oktober 1989 wies der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke die Dienststellen des MfS in Berlin an, Reservekräfte zu mobilisieren und die Maßnahmen zur Unterbindung von Demonstrationen effizienter zu gestalten. Dabei hieß es, sie sollten mit „allen Mitteln“ unterbunden werden.
Auch die Polizei setzte an diesem Tag bei friedlichen Demonstrationen in Dresden massiv Gewalt ein und nahm mehrere hundert Beteiligte fest.
Der Rat der Stadt Leipzig bildete eine Arbeitsgruppe, die einen Überblick über die Ausfälle aufgrund der großen Abwanderung in den verschiedenen kommunalen Bereichen auflistete und für Gegenmaßnahmen verantwortlich war.
Auf dem evangelischen Pfarrertag der Region Leipzig kam es zur Auseinandersetzung über die Aufgabe der Kirche angesichts eines drohenden Bürgerkrieges. Vertreter des Staates forderten von Bischof Hempel die „Entpolitisierung“ der Friedensgebete. Entgegen der Befehle Mielkes behauptete der Ratsvorsitzende des Rates des Bezirkes, es sei nicht vorgesehen, mit Waffen gegen Demonstranten vorzugehen.
Am 6. Oktober gingen die Demonstrationen in Dresden weiter.
Angesichts der Gewaltanwendung durch die VP bat der Thüringer Landesbischof die Pfarrer seiner Landeskirche, Friedensgebete vorzubereiten und die Kirchen als Zufluchtsorte zu öffnen.
Die Tageszeitung LVZ druckte eine Erklärung eines Kampfgruppenkommandeurs, in der es hieß: „Wir sind bereit und willens, das von uns mit unserer Hände Arbeit Geschaffene wirksam zu schützen, um diese konterrevolutionäre Aktion endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muß, mit der Waffe in der Hand!“
Dagegen gingen bei staatlichen Stellen eine Vielzahl von Protestbriefen, u.a. vom Neuen Forum Leipzig und vielen Pfarrern, ein.
Während dessen erteilten die Dresdener Behörden sofortige Ausreisegenehmigungen.
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7. Oktober 1989 – „Nationalfeiertag der DDR“:
Zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR – einem „Nationalfeiertag“ – besuchte der sowjetische Staats- und Parteichef M. Gorbatschow die DDR um mit Honecker zu sprechen. Es ist überliefert, daß er auf Grund der Differenzen mit der SED durchaus nicht gern kam. Die bestehenden Differenzen konnten Gorbatschow und Honecker bei diesen Treffen nicht lösen, so sehr Gorbatschow auf Veränderungen auch in der DDR drängte – die gegensätzlichen Ansichten verhärteten sich eher noch.
Bei diesem Besuch sagte M. Gorbatschow auch seine historischen Sätze. Auf die Frage eines Reporters:
„Glauben Sie, daß die Situation in der DDR jetzt gefährlich ist?“
Antwortete Gorbatschow:
„Ich glaube nicht. (…) Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren. Und wer die vom Leben ausgehenden Impulse – die von der Gesellschaft ausgehenden Impulse aufgreift und dementsprechend seine Politik gestaltet, der dürfte keine Schwierigkeiten haben, das ist eine normale Erscheinung.“
Diese Sätze wurden kurze Zeit später frei übersetzt als: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Für die Bürger in der DDR war das eine klare Aussage: Gorbatschow war eher bereit, die Demonstrationen zu dulden, als mit Panzern gegen sie vorzugehen. Eine Gefahr würde somit von den in der DDR stationierten Truppen der SU nicht ausgehen.
Zu einem solchen wie von Gorbatschow geforderten Umdenken war das Regime Honecker jedoch unfähig und verbreitete seine üblichen ideologischen Phrasen. Zur Festansprache des 40. Jahrestages meinte E. Honecker u. a.:
„[ … ] Unsere Republik gehört heute zu den zehn leistungsfähigsten Industrienationen der Welt, zu den knapp zwei Dutzend Ländern mit dem höchsten Lebensstandard. Und vergessen wir dabei nicht, daß der Wohlstand hierzulande weder aus der Erde sprudelt noch auf Kosten anderer erreicht wurde. Die DDR ist das Werk von Millionen, von mehreren Generationen, die in harter Arbeit ihren Arbeiter- und Bauern-Staat aufgebaut haben, einen Staat mit moderner Industrie und Landwirtschaft, mit einem sozialistischen Bildungswesen, mit aufblühender Wissenschaft und Kultur. Schließlich ist die DDR, eine Weltnation im Sport. (Anhaltender starker Beifall) Mit unseren Händen und Köpfen haben wir das zuwege gebracht, unter Führung der Partei der Arbeiterklasse. Nichts, aber auch gar nichts wurde uns geschenkt oder ist uns in den Schoß gefallen. Zudem waren hier nicht nur mehr Trümmer wegzuräumen als westlich der Elbe und Werra, sondern auch noch die Steine, die uns von dort in den Weg gelegt wurden. Heute ist die DDR ein Vorposten des Friedens und des Sozialismus in Europa. Dies zu keiner Zeit zu verkennen, bewahrt uns, sollte aber auch unsere Feinde vor Fehleinschätzungen bewahren. [ … ]“
Diese Rede enthält auch eine seiner letzten Parolen, die er heraus gab und die lautete: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“
Die vollständige Rede ist hier nachzulesen.
An diesem 7. 10. 1989 begann der breite öffentliche Protest auch in Berlin und zahlreichen anderen Städten. Während der „Feierlichkeiten“ zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR wuchs in Berlin die Zahl der anfänglich einige Hundert Demonstranten, die sich auf einem offiziellen Volksfest zusammenfanden, bis zum Abend auf mehrere Tausend an. Die Polizei und Staatssicherheit hatte offenbar während der Anwesenheit von M. Gorbatschow die Anweisung, noch nicht bis zum Äußersten zu gehen und ließ es lediglich dabei bewenden, die Demonstranten von der Staatsgala aufzuhalten und abzudrängen.
Bis zum späten Abend, als Gorbatschow wieder abreiste, wuchs die Zahl der Demonstranten auf über 100.000 an. Gorbatschow blieb nicht bis zum Ende der Gala – Zeitzeugen berichten, er wollte unter dem Einfluß von Alkohol nicht noch etwas falsches sagen.
Etwa um Mitternacht war die Zurückhaltung der Bewaffneten Organe zuende – Mielke soll gesagt haben, daß nun „Schluß“ sei „mit dem Humanismus.“ Mit äußerster Gewalt ging die Polizei nun gegen die Demonstranten – weiterhin in Sprechchören „keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“ rufend – vor und es gab mehrere Hundert Verletzte und auch 1047 Festnahmen. Die Fernsehbilder mit blutenden Demonstranten und von Staatskräften, die brutal gegen Demonstranten – auch Frauen – vorgingen, gingen in diesen Tagen um die Welt. Auch hier zeigte sich, daß der Begriff „Friedliche Revolution“ nur für die Demonstranten zutrifft, nicht aber für den Staat, der sich in diesen Oktobertagen durchaus nicht friedlich verhielt.
Trotzdem kam es nun auch in anderen Städten zu Demonstrationen und brutalen Polizeieinsätzen, so z.B. in Dresden, Plauen, Karl-Marx-Stadt, Suhl, Erfurt, Halle, Magdeburg, Potsdam, Arnstadt). In Plauen wurden sogar Hubschrauberstaffeln eingesetzt.
Auch in der Leipziger Innenstadt versuchten verschiedene Gruppen (zwischen 300 und 2.000 Personen), zum „Nationalfeiertag“ den ganzen Tag zu demonstrieren. Die Sicherheitskräfte gingen brutal dagegen vor. Es wurden Hunde und Wasserwerfer eingesetzt. Fast zweihundert Personen wurden verhaftet und u.a. in Pferdeställen auf dem Gelände der Agra festgehalten, auf dem ein Internierungslager für den „Spannungsfall“ vorgesehen war.
Der damals amtierende 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Jochen Pommert, meldete an das ZK: „Es ist die Absicht zu erkennen, die Volkspolizei zu beschäftigen.“
Während zweier Veranstaltungen des Neuen Forums in der Michaeliskirche unterzeichneten ca. 700 Menschen den Gründungsaufruf „Aufbruch 89“.
In Schwante (Kreis Oranienburg, bei Berlin) gründete sich die SDP (wie bereits weiter oben ausgeführt).
Der Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Landesbischof Werner Leich, forderte in einem ARD-Interview ein neues Wahlrecht und neue Reiseregelungen.
8. Oktober:
Erneut kam es zu Demonstrationen in mehren Städten der DDR.
Während am Abend in Dresden auf Initiative evangelischer und katholischer Amtsträger der Polizeieinsatz beendet und ein erstes Gespräch zwischen Vertretern der Demonstranten und des Stadtrates verabredet wurden, wurde in Berlin und anderen Städten weiterhin brutal gegen jegliche Bürgeransammlungen vorgegangen. Es wurden über tausend Bürger festgenommen und in vielen Fällen mißhandelt.
Der Stasi-Chef wiederholte seine Weisung vom 5. Oktober für die gesamte DDR. Er befahl „volle Dienstbereitschaft“ für alle Dienststellen und forderte die Einleitung von Maßnahmen, die eine kurzfristige Verhaftung oppositioneller Personen ermöglichte. Waffenträger sollten ihre Waffen stets bei sich tragen.
In Leipzig wurde daraufhin ein „Operativer Einsatzstab“ gebildet. Alle Diensteinheiten wurden angewiesen, sich auf Einsätze vorzubereiten, wie sie nach einer internen Bestimmung für den „Spannungsfall“ vorgesehen waren. In den folgenden Stunden wurden die Verhaftungen von mehreren hundert Oppositionellen vorbereitet.
Eine außerordentliche Sekretariatssitzung der SED-Stadtleitung in Leipzig beschloß, für den Abend die Parteisekretäre der SED-Grundorganisationen per Alarmierungssystem zu einer Beratung zu laden. An dieser Instruktion nahmen 450 Genossen teil. Dabei mußte sich die Parteileitung deutliche Anfragen durch Parteisekretäre der Grundorganisationen gefallen lassen.
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Die SED-Führung ändert ihren Kurs
Auf Grund der überwältigenden Massendemonstrationen der letzten Tage von regelmäßig mehreren Hunderttausend Bürgern, sah sich die SED-Regierung immer mehr unter Druck gesetzt, wobei auch die kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen immer lauter wurden. Die in den Tagen um den 7. Oktober 1989 immer wieder geforderte „volle Einsatzbereitschaft“ war nur noch von den Eliteeinheiten zu erwarten. Selbst auf die Kampfgruppen konnte sich die SED-Führung bei einer eventuellen gewaltsamen Beendigung der Demonstrationen nicht verlassen, was die interne Situation noch weiter verschärfte.
Zusätzlich ging auch die Massenflucht über die Grenzen der CSSR und Ungarn weiter, was ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Friedlichen Revolution war.
Dies alles ließ die SED-Führung schließlich resignieren. Als Beginn dieser Resignation und damit der Kursänderung der Regierung kann der 9. Oktober 1989 angesehen werden:
An diesem 9. Oktober tagte um 7.30 Uhr die Bezirkseinsatzleitung in Leipzig (entsprechend einem Honecker-Telegramm). Sie stellte fest, daß die Demonstrationen faktisch nicht mehr zu verhindern waren. (Die SED-Grundorganisationen tagten in Erwartung bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen am Abend.)
Der Leiter des Leipziger Zentralinstitutes für Jugendforschung W. Friedrich übergab Egon Krenz eine Erklärung, in der er feststellte, daß die SED mit einer Opposition leben müsse, und den Rücktritt Erich Honeckers empfahl.
Erich Honecker wiederum traf an diesem Tag im Staatsratsgebäude eine chinesische Delegation.
Die meisten Pfarrer wurden am diesem Tag von staatlichen Vertretern aufgesucht und von einer möglichen Teilnahme an einer Demonstration abgehalten.
Inzwischen war die Situation vor allem in Leipzig zwischen den Bürgern und den Staatsorganen weiterhin sehr angespannt und gereizt:
In der Stadt kursierten verschiedene Gerüchte über militärische Vorbereitungen. Es wurden Empfehlungen gegeben, nicht in die Innenstadt zu gehen. Die am 7. Oktober bekannt gegebenen Kontaktadressen des Neuen Forums wurden in einigen Schulen und Betrieben inoffiziell weitergegeben. Gegen eine Festnahme von Personen auf dem Platz vor der Oper wurde mit einem Hupkonzert protestiert.
Die Friedensgebete fanden an diesem Tag in fünf Leipziger Kirchen statt. Zu diesen Friedensgebeten wurden ca. 2.000 sogenannte „gesellschaftlichen Kräften“ beordert, so daß die Nikolaikirche schon 14.10 Uhr gefüllt war. An der Nikolaikirche wurde ein großes Tuch mit der Aufschrift: „Leute keine sinnlose Gewalt, reißt Euch zusammen…“ angebracht.
Nach den Friedensgebeten fand eine Demonstration von über 70.000 Bürgern statt. Es wurden Tausende Flugblätter mit dem Aufruf zur Besonnenheit verteilt. Kurt Masur las über den Stadtfunk einen Aufruf zur Besonnenheit und zum Dialog, den auch SED-Sekretäre unterzeichneten.
Durch diese Aufrufe zur Besonnenheit kam es an diesem Tag in Leipzig zu keinerlei Gewalt, obwohl 8000 Mann Bereitschaftspolizei, Armee, Kampfgruppen und Staatssicherheit in der Stadt zusammengezogen waren und Krankenhäuser und Ärzte in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Einen Einsatzbefehl gab es jedoch offenbar nicht.
Nach dieser großen Demonstration und dem „Dialog-Versprechen“ kam es zu einer Unmenge an Resolutionen und spontanen Initiativen. Mit einigen regionalen Unterschieden begann an diesem Abend die sogenannte „Herbstgesellschaft“.
Dagegen verhaftete die Stasi in Halle präventiv und willkürlich Oppositionelle. Zur gleichen Zeit wie in Leipzig begann in und um der Marienkirche in Halle ein Friedensgebet.
Die Teilnehmer der Andacht wurden von Polizeieinheiten attackiert und verprügelt. Die Situation drohte zu eskalieren. Allerdings war dies das letzte Aufbäumen der Staatsorgane gegen friedliche Demonstranten.
Vom 9. 10. 1989-12. 3. 1990 fanden regelmäßig die nun stets auf beiden Seiten friedlichen „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig und vielen anderen Städten im ganzen Land statt. An den Demonstrationen nahmen regelmäßig mehrere 100.000 Bürger teil, in deren Ergebnis es zu den freien Wahlen am 18. 3. 1990 kam.
Während es am 10. Oktober 89 in Berlin und Dresden wieder Demonstrationen gab, fand die wöchentliche SED-Politbürositzung in erweiterter Runde statt und wurde auf Grund der aktuellen Ereignisse um einen Tag verlängert. Im Ergebnis dieser Sitzung erklärte das Politbüro am 11. Oktober, sich Diskussionen stellen zu wollen. Diese „Erklärung des Politbüros„, die Egon Krenz gegen den heftigen Widerstand Honeckers und anderer Politbüromitglieder durchgesetzt hat, wurde noch am selben Abend von der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ im Fernsehen gesendet. Damit deutete die SED-Regierung erstmals die Bereitschaft für Änderungen ihres bisherigen harten Kurses an.
Die DDR-Medien begannen in den folgenden Tagen, allmählich offener zu berichten.
Das Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens schickte an alle Pfarrämter eine Kanzelabkündigung des Landesbischofs Dr. Johannes Hempel, in dem er sich für Dialog und Gewaltfreiheit einsetzte.
Sofort gab es auch Gespräche zwischen Vertretern der Kirche und des Staates:
Am 12. Oktober fand zwischen dem Oberbürgermeister und den leitenden kirchlichen Amtsträgern der Stadt ein Gespräch statt. Superintendent Richter machte dabei den Vorschlag, daß ein verantwortlicher Vertreter des Rates der Stadt am Montag zu den Menschen sprechen müßte.
Am 13. Oktober folgte dann ein Gespräch beim Rat des Bezirkes mit Vertretern von kirchlichen Gruppen der Stadt Leipzig.
Am 14. Oktober 1989 trafen sich Egon Krenz, Stasivizechef Mittig, Stabschef der Polizei K.-H. Wagner, Sekretär des Verteidigungsrates Fritz Streletz sowie ZK-Abteilungsleiter Wolfgang Herger mit Helmut Hackenberg in Leipzig und gaben den Befehl „Gewaltfreiheit“ für Montag, den 16. Oktober 1989.
Die Kirche stellte jedoch schnell auch Forderungen:
Am 14. Oktober wurde kirchlicherseits eine unabhängige Untersuchung der Gewaltanwendung um den 7. Oktober als Vorbedingung des „Dialoges“ gefordert.
Insgesamt war jedoch ein Zurückfallen der SED zum alten Kurs zu diesem Zeitpunkt noch nicht unmöglich, denn zum einen waren die alten Machthaber noch nicht entmachtet und auch auf den unteren Ebenen gab es noch genügend Befürworter dieses Kurses.
So erklärte z. B. noch am 10. Oktober 1989 der Bürgermeister des Stadtbezirks Leipzig-Mitte Setzepfandt auf einer Festveranstaltung zum 40. Jahrestag der DDR: „Es gibt keinen Grund, unsere bewährten im Leben jedes Bürgers spürbaren sozialistischen Grundsätze und Errungenschaften, den lebendigen, realen Sozialismus zugunsten der Wiederbelebung eines kapitalistischen Leichnams preiszugeben.“
Am 16. Oktober schickte Stasi-Chef Erich Mielke ein Telegramm an die Leiter aller Diensteinheiten, worin er Anweisungen gab, verstärkt Kontrollmaßnahmen durchzuführen, damit es nicht zu weiteren Demonstrationen käme. So waren am 16. 10. 1989 in Ost-Berlin und Leipzig 66 Hundertschaften bewaffneter Kräfte im Einsatz. Die Staatssicherheit befahl: „die Pistole am Mann“.
Doch auch am diesem Montag fand das Friedensgebet in 5 Leipziger Kirchen statt und danach kam es zu einer Demonstration von ca. 150.000 Bürgern um den Leipziger Innenstadtring. Egon Krenz, Erich Mielke und Erich Honecker verfolgten das Geschehen am Bildschirm des Innenministeriums. Die „Aktuelle Kamera“ berichtete kurz über die Demonstration.
Mit der Absicht, die Demonstrationen einzustellen, traf sich der Leipziger Oberbürgermeister am 17. Oktober mit Vertretern verschiedener christlicher Konfessionen, was aber nicht von Erfolg gekrönt war.
Degegen äußerten sich Günter Maleuda, Vorsitzender der DBD und Manfred Gerlach, Vorsitzender der LDPD – beides Blockparteien, an diesem Tag in Ost-Berlin distanziert zur bisherigen Politik der SED.
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Regierungswechsel
Auf Grund der nun offen zu Tage tretenden Ohnmacht der Staatsführung, begann nun der schrittweise Zusammenbruch des Machtapparates der SED. Der erste Schritt war die Entbindung Erich Honeckers von allen Partei- und Staatsämtern:
Am 18. Oktober 1989 wurde Erich Honecker offiziell „auf eigenem Wunsch“ von allen Partei- und Staatsfunktionen entbunden. Egon Krenz wurde zum neuen Vorsitzenden der SED gewählt und auch als Nachfolger für die Staatsämter vorgeschlagen.
Am 24. Oktober wurde Krenz von der Volkskammer auch zum Vorsitzenden des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates gewählt – mit 26 Gegenstimmen.
In einer vom DDR-Fernsehen übertragenen Rede räumte Krenz ein, daß „[…] in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen gezogen“ worden seien. „Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten.“, doch der „Sozialismus auf deutschem Boden“ stehe nicht zur Disposition. (siehe: Quelle)
Seit dieser Zeit verwendet der Volksmund den Begriff „Wende“ für die Ereignisse in dieser Zeit.
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Von breiten Teilen der Bevölkerung wurde dieser Regierungswechsel mit Erleichterung aufgenommen, auch wenn Krenz selbst nicht sehr beliebt war.
Krenz erfüllte zumindest die Hoffnung auf einen offeneren Regierungsstiel, ähnlich dem von M. Gorbatschow in der SU. Sofort berichteten auch die Medien der DDR wesentlich entkrampfter und offener über die Ereignisse im Land.
Dennoch gab es in zahlreichen Städten auch Demonstrationen gegen Krenz und die SED mit Losungen wie: „Wir sind das Volk“, „Bonzen raus, Arbeiter rein“ „Demokratie jetzt oder nie.“.
Doch auch nach diesem Machtwechsel unternahm die SED weiterhin immer wieder Versuche, den Lauf der Ereignisse zu bremsen. Am 23. 10. 89 versuchte die SED, eine Demonstration in Schwerin für Meinungs- und Reisefreiheit, zu der das Neue Forum aufgerufen hatte, zu einer Demonstration für Sozialismus umzufunktionieren. Das Neue Forum erhielt keine Redeerlaubnis. Daraufhin demonstrierten 50 000 Anhänger des Neuen Forum durch die Stadt und versammeln sich in den Kirchen.
Leipzig erlebte an diesem Montag mit über einer viertel Million Teilnehmern die bis dahin größte Protestkundgebung in der Geschichte der DDR. Erstmals berichtete auch das DDR-Fernsehen vom Ort des Geschehens. Auf Transparenten formulierten die Demonstranten ihre Absage an Egon Krenz, forderten Reisefreiheit und freie Wahlen. Auch in zahlreichen anderen Städten der DDR gingen die Menschen auf die Straße.
Auf der von 20. bis 24. Oktober stattfindenden Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens protestierte diese u.a. gegen die Gewalt gegenüber Demonstranten.
Auf der SED-Bezirksleitungssitzung am 24. 10. 89 erklärte Helmut Hackenberg: „Wir leben von Montag zu Montag.“. „Wenn ihr so wollt, das sage ich hier ganz offen, sind wir auch nicht in der Lage zu sagen, wie wir den Montag verhindern können. Das muß ich sagen. Wenn wir das gekonnt hätten, da hätten wir das schon zehnmal gemacht.“ Und „wir spüren selber, daß uns der Dialog auseinander läuft“.
Diese Worte sprechen wohl für sich…
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Und dennoch:
Selbst noch am 25. 10. 89 wies Erich Mielke erhöhte Kampfbereitschaft und das Tragen der Waffe an.
Trotzdem fanden auch an diesem Mittwoch in zahlreichen Städten Demonstrationen statt, wie z. B. in Berlin, Gera, Greifswald, Halberstadt und Rostock. In Neubrandenburg wurde eine Demonstration der Opposition mit einer Gegendemonstration der SED konfrontiert.
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Für die wegen „versuchter Republikflucht“ und bei den Demonstrationen inhaftierten Personen, verkündete der Staatsrat der DDR am Abend des 27. 10. 1989 eine Amnestie. Viele Häftlinge wollten jedoch lieber im Gefängnis bleiben, als in den Osten entlassen zu werden. Zu dieser Zeit gab es noch etwa 2000 politische Gefangene.
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Maueröffnung
Die Fluchwellen der vorangegangen Monate setzte die DDR-Regierung auch außenpolitisch unter Druck.
Am 29. Oktober 1989 unterrichtete Günter Schabowski bei einem Treffen den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, einige Kirchenvertreter der DDR und den Bürgermeister von Ostberlin über neue „Reiseregelungen“. Somit hatte die Verwaltung und die Verkehrsbetriebe in West-Berlin genügend Zeit, sich auf die Maueröffnung, die für den 10. November 1989 geplant war und den damit verbundenen Besucherstrom aus der DDR vorzubereiten.
So beschloß die Regierung von West-Berlin am 31. Oktober 1989 „die Einsetzung einer Projektgruppe zur Vorbereitung auf einen verstärkten Besucher- und Reiseverkehr aus Ost-Berlin und aus der DDR“.
Die BVG beschloß, an den Tagen des Wochenendes vom 10. 11. – 12. 11. 1989 nach dem „Smogfahrplan“ und auch Nachts zu fahren, um ein Chaos in der Stadt zu verhindern.
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Inzwischen spitzten sich die Ereignisse in Prag erneut zu.
Nach der Aufhebung der Visumspflicht für DDR-Bürger in die CSSR am 1. 11. 1989 waren bis zum 3. 11. erneut mehr als 5000 Personen auf das Botschaftsgelände der bundesdeutschen Botschaft in Prag geflüchtet.
Bevor die Flüchtlinge in die Bundesrepublik ausreisen durften, wurden sie von der DDR-Botschaft aus der DDR-Staatsbürgerschaft entlassen und es wurden ihnen Ausreisepapiere in den Westen ausgestellt.
Doch dieses mal wurde auf höchster politischer Ebene zwischen Berlin, Prag und Moskau eine Lösung ausgehandelt:
Am 3. November 1989 um 21.00 Uhr wurde dem Botschafter der Bundesdeutschen Botschaft in Prag mitgeteilt, daß die Grenze zwischen der CSSR und der Bundesrepublik Deutschland endgültig für die DDR-Bürger geöffnet werden würde. Ein Visum war nicht mehr notwendig, der Personalausweis oder Reisepass genügte für die Ausreise.
Damit markiert der 3. November 1989 den endgültigen Fall des „Eisernen Vorhangs“.
Bis zur Maueröffnung in Berlin reisten täglich zwischen 2000-4000 Menschen über die CSSR in die Bundesrepublik aus.
(siehe: Quelle)
Schon am 6. November ´89 erschien in den Tageszeitungen der DDR ein erster Entwurf eines „Reisegesetzes“, das jedoch kaum mehr Reisefreiheit gebracht hätte, als das bis dahin bestehende. So wurde dieser Entwurf auch von allen Seiten scharf kritisiert – selbst von der bis dahin SED-treuen FDJ.
Am 7. 11. 1989 wurde das neue Reisegesetz vom Verfassungs- und Rechtsausschuß der Volkskammer kontrovers diskutiert und abgelehnt.
Am 8. 11. 1989 teilte die tschechoslowakische Regierung dem Botschafter der DDR in Prag mit, daß sie nicht mehr länger bereit sind, das Staatsgebiet der CSSR als Transitland für DDR-Flüchtlinge in den Westen nutzen zu lassen. Sie forderten, diese Menschen direkt aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen. (siehe: Dokument)
Doch zu diesem Zeitpunkt liefen die Vorbereitungen für die Maueröffnung längst.
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9. 11. 1989:
Um ca. 19.00 Uhr gab Günter Schabowski die legendäre Erklärung zur Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik und Westberlin – „sofort“ – auf einer Pressekonferenz. Diese Bekanntmachung wurde jedoch auf Grund eines Missverständnisses zwischen Krenz und Schabowski zu früh veröffentlicht. Sie sollte ursprünglich am 10. 11. ´89 um 4.00 Uhr über die DDR-Medien erfolgen. Das hatte zur Folge, daß die DDR-Grenztruppen nicht informiert waren, als sich kurze Zeit nach der Pressekonferenz die ersten Menschen vor den Grenzübergängen versammelten.
Während dessen wurden eilig zusammengezogene Elite-Einheiten zur Verstärkung der Grenztruppen nach Berlin verlegt. Auf Grund der Tatsache, daß die Grenztruppen nicht über den Beschluß des Politbüros informiert waren, entstand an einigen Grenzübergängen in Berlin eine gefährliche Situation. Als die Befehlshaber die Grenzübergänge schießlich öffneten, handelten sie im Grunde eigenmächtig.
Ab etwa 20.30 Uhr stürmen die ersten DDR-Bürger in den Westen. Der erste Grenzübergang, an dem der Schlagbaum hoch ging, war in Schönefeld nach Berlin-Rudow.
Auch andere Übergänge öffneten nach und nach und an der innerdeutschen Grenze sowie an der Berliner Mauer strömen Tausende DDR-Bürger in die Bundesrepublik.
Ab diesem Zeitpunkt und am 10. 11. 1989 überschritten ca. 3 Mill. DDR-Bürger legal die Grenzen zur Bundesrepublik und West-Berlin (und kehren größtenteils zurück).
Gegen 21.10 Uhr unterbrach der Bundestag in Bonn nach dem Bekannt werden der Maueröffnung seine Sitzung mit dem Absingen der Nationalhymne.
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Zusammenbruch des SED-Machtapparates
Gleich nach seinem Regierungsantritt beauftragte Krenz den Chef der Plankommission Gerhard Schürer, eine ökonomische Analyse zu erstellen, um sich einen Überblick über die tatsächliche ökonomische Situation zu verschaffen. Diese Analyse ist als sogenanntes „Schürer-Papier“ in die Geschichte eingegangen und zeichnete ein katastrophales Bild über die wirtschaftliche Situation der DDR.
So war z. B. unter Honecker der Schuldenberg in sechs Jahren auf 20 Milliarden D-Mark angewachsen, die die DDR auf Dauer nicht hätte bedienen können.
Auch der marode Zustand der Wirtschaft wurde durch das „Schürer-Papier“ deutlich. So war zwar nicht alles in der DDR war marode, aber manches schon: zum Beispiel Teile der Energiewirtschaft, die Kohle/Karbid-Chemie, die Hüttenwerke und die Telekommunikation.
Diese Analyse wurde dem Politbüro am 30. 10. 1989 vorgelegt.
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Während die Vorbereitungen zur Öffnung der Mauer liefen, begann auch der Machtapparat der SED aus der Zeit des Kalten Krieges zusammen zu brechen.
Am 30. 10. 1989 war die letzte Ausstrahlung der Propagandasendung „Der Schwarze Kanal“ (5 min. zur Verabschiedung für Karl Eduard von Schnitzler)
Nach bekannt werden eines Unrechtsskandals in einer Schule in Berlin trat am 31. 10. 89 die Ministerin für Volksbildung, Margot Honecker, zurück.
Am 4. 11. 1989 hielten Bürgerrechtler und Schriftsteller öffentliche Reden, mit Forderungen an die Regierung vor einer Massendemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz (wurde im DDR-Fernsehen live übertragen).
Am 7. 11. 1989 erklärte der Ministerrat geschlossen seinen Rücktritt und
am 8. 11. 1989 trat auch das Politbüro des ZK der SED zurück und beschloß dessen Neuwahl.
9. 11. 1989 Maueröffnung (siehe oben)
Am 13. 11. 1989 trat der bisherige Volkskammerpräsident Horst Sindermann (1915-1990) zurück. Zu seinem Nachfolger wurde – erstmals in geheimer Abstimmung – der Vorsitzende der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands Günther Maleuda gewählt.
Nach der Abberufung des amtierenden Ministerrates wählt die Volkskammer den „Reformkommunisten“ Hans Modrow zum neuen Ministerpräsidenten.
Auf dieser 11. Tagung der Volkskammer wurde erstmals erstmals Klartext geredet. Die Staatsführung musste nun auch offiziell eingestehen, daß die DDR faktisch bankrott war.
Es wurde die Bildung eines „Zeitweiligen Ausschusses zur Überprüfung von Fällen des Amtsmißbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderen Handlungen, bei denen der Verdacht der Gesetzesverletzung besteht“ beschlossen.
Erich Mielke hielt auf dieser Tagung seine ebenso legendäre wie groteske Rede mit dem Satz:
„Ich liebe doch alle – alle Menschen – ich liebe doch… Ich setze mich doch dafür ein!„
Interessant: Die selben Abgeordneten der Volkskammer, die in den vorangegangenen Jahren mit „hoch“-Rufen die obersten Vertreter des Staates feierten, lachten Mielke während dieser Rede aus.
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Bereits am 15. 11. – eine knappe Woche nach der Öffnung der Mauer – mußte die Bundesregierung das Budget für das „Begrüßungsgeld“ auf 779 Millionen DM. Erhöhen. Jeder DDR-Bürger bekam einmal im Jahr bei einer Reise in die BRD oder West-Berlin 100,- DM als „Begrüßungsgeld“.
Ebenfalls an diesem Tag beschloß die DDR-Regierung die Auflösung der Staatsjagdsondergebiete – Waldgebiete in der DDR, die für die Jagdaktivitäten hoher Funktionäre reserviert waren. Besonders beliebt war die Schorfheide, nördlich von Berlin. Hier hatten sowohl Erich Mielke und Günter Mittag ihre Jagdreviere als auch Erich Honecker, der von seinem Vorgänger Walter Ulbricht das ehemalige Jagdschloss Hermann Görings, Carinhall, übernommen hatte und beträchtlich erweitern ließ.
Am 18. 11. 1989 endete auch die Amtszeit von Erich Mielke als Chef der Staatssicherheit mit der Umwandlung des „Ministeriums für Staatssicherheit“ (MfS) in das „Amt für Nationale Sicherheit“ (AfNS) und der Wahl des neuen Amtschefs, Generalleutnant Wolfgang Schwanitz, durch die Volkskammer.
An diesem Tag wurde auch neue Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow (SED) durch Egon Krenz vereidigt.
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In diesen Tagen wurden – zusätzlich zu den ohnehin bekannten Menschenrechtsverbrechen – unzählige Skandale des SED-Regimes aufgedeckt. So enthüllte die „Berliner Zeitung“ am 22. 11. 1989, daß der Bereich Kommerzielle Koordinierung („KoKo“) des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski direkt dem Zentralkomitee der SED unterstand. Das eigentlich zuständige Ministerium für Außenhandel hatte keinerlei Einfluss auf dessen Machenschaften.
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Das Europaparlament beriet in Straßburg über die Umwälzungen in Osteuropa. Bundeskanzler Helmut Kohl machte eine umfassende Hilfe für die DDR von Reformen abhängig. Auf Einladung der SPD weilte auch der Geschäftsführer der SDP, Ibrahim Böhme (später als Stasi-Spitzel enttarnt), unter den Gästen. Er erklärte, er erwarte ein vereinigtes, entmilitarisiertes Deutschland.
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Durch den sich beschleunigenden wirtschaftlichen Niedergang der DDR ergriff der Ministerrat am 23. 11. 89 Notmaßnahmen zur Abwendung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Bestimmte Industriewaren und Lebensmittel wurden nur noch an DDR-Bürger verkauft und die Zollkontrollen wurden verschärft.
Weiterhin wurde der Parteiausschluss von SED-Politbüromitglied Günter Mittag bekannt gegeben. Gegen Erich Honecker sei ein Parteiverfahren eingeleitet.
Auf der Volkskammertagung am 1. 12. 1989 wurde verfassungsmäßig festgeschriebene „Führungsrolle der SED“ im Staat abgeschafft, blieb aber Regierungspartei.
Am 3. 12. wurden die Mitglieder der ehemaligen DDR-Führung aus der SED
ausgeschlossen. Einige andere werden sogar verhaftet. Weitere Verhaftungen folgten.
Außerdem traten das Zentralkomitee und das Politbüro der SED geschlossen zurück.
Wie am 13. 11. 89 beschlossen, wurde 4. 12. 1989 der „Zeitweilige Ausschuss zur Überprüfung von Fällen des Amtsmißbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderen Handlungen, bei denen der Verdacht der Gesetzesverletzung besteht“ gebildet.
Schalck-Golodkowski, Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung beim ZK der SED, wurde am 3. 12. 1989 durch das 12. Plenum aus dem ZK ausgeschlossen, weswegen er nach Wirtschaftsverhandlungen in Bonn nicht in die DDR zurück kehrte. Er flüchtete am 4. 12. nach West-Berlin, wo er sich am 6. 12. den Behörden stellte. Er kam dort in U-Haft.
Nach bekannt werden der Vernichtung von Akten beim AfNS wurden ab dem 4. 12. 1989 und den folgenden Tagen im ganzen Land die „Stasi-Zentralen“ der Bezirke und Kreise von den Bürgerrechtsgruppen gestürmt und die Aktenvernichtung z. T. gestoppt. Die VP übernahm die Bewachung der Gebäude.
Am 5. 12. 1989 trat die Führung des AfNS zurück. Das Amt wurde im Zuge dieser „Erstürmungen“ am 14. Dezember 1989 durch Beschluß des Ministerrates aufgelöst. Zwar wurde gleichzeitig der Aufbau eines Verfassungsschutzes sowie eines Nachrichtendienstes (in offensichtlicher Anlehnung an die Geheimdienststrukturen in der Bundesrepublik Deutschland) beschlossen, jedoch kam es dazu wegen der Bürgerproteste und nach Beschluss des Ministerrates vom 13. Januar 1990 nicht mehr.
Dagegen forderte die Stasi-Zentrale der Bezirksstadt Gera noch am 9. 12. 89 per Telegramm an den Innen- und Verteidigungsminister die gewaltsame Beendigung der Wende in der DDR.
In Ost-Berlin gestattet das AfNS erstmals am 7. Dezember 1989 den Besuch einer Gruppe von Journalisten und Bürgervertretern in der Zentrale der Staatssicherheit in der Normannenstraße.
Die schleppende Auflösung des AfNS wurde im Januar 1990 zunehmend von Bürgerrechtlern und auch vom Runden Tisch kritisiert. Immer häufiger kam es dabei zu Demonstrationen dagegen und auch gegen Begünstigungen für aus den Betrieben entlassene Angehörige der Stasi.
So spitzte sich die Lage immer weiter zu, bis am 15. Januar 1990 auch diese letzte Zentrale in Berlin von wütenden Bürgern erstürmt wurde. Das DDR-Fernsehen übertrug das Geschehen live. Ein Bürgerkomitee übernahm anschließend die Kontrolle über die Gebäude.
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Am 6. 12. 1989 trat Egon Krenz von allen Ämtern zurück. Manfred Gerlach (LDPD) wurde zum neuen Staatsratsvorsitzenden gewählt (übernahm dieses Amt aber offiziell nur ungern).
An diesem Tag wurden auch die Kampfgruppen aufgelöst.
Am 7. 12. 1989 wurde Erich Mielke und am 29. 1. 1990 auch Erich Honecker nach Entlassung aus dem Krankenhaus verhaftet.
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In der Neujahrsnacht 1990 ab 1:00 Uhr demonstrierten in Beelitz in der Nähe von Potsdam Soldaten für eine Militärreform und für bessere Dienstbedingungen in der DDR. Sie hatten ihre Kaserne verlassen und weigerten sich, in die Unterkünfte zurückzukehren. Meuterei – ein bis dahin einmaliger Vorgang in der Nationalen Volksarmee.
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Demokratische DDR oder Wiedervereinigung?
Im Laufe des November 1989 begann eine sehr intensive innergesellschaftliche Diskussion über die weiteren Ziele der Friedlichen Revolution. Diese Diskussion wurde nicht nur innerhalb der Bevölkerung geführt, sondern auch in allen Bürgerrechtsgruppen, Parteien und sonstigen Organisationen in der DDR und wurde am Ende dieser Diskussion unterschiedlich beantwortet.
Noch auf der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November gab es ausschließlich Forderungen nach demokratischer Erneuerung der DDR und einem gerechten und menschlichen – oder wie der Schriftsteller Stephan Heym es nannte – „den richtigen Sozialismus“. Es gab auf dieser Demonstration noch keinen Widerspruch dagegen. Auch die Bürgerrechtsgruppen, wie z. B. das Neue Forum und der Demokratische Aufbruch, waren am Anfang geschlossen für eine Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft und somit für einen Fortbestand der DDR in einem sogenannten „Dritten Weg“ mit einem wie auch immer gearteten „demokratischen Sozialismus“ eingetreten. Unmittelbar nach der Maueröffnung am 9. November verlangte ein Aufruf des Neuen Forums:
„Ihr seid die Helden einer politischen Revolution, laßt Euch jetzt nicht ruhigstellen durch Reisen und schuldenerhöhende Konsumspritzen!“.
Tatsächlich war in den Monaten Oktober/November 89 viel erreicht worden:
Die Mauer war offen, überall im Land fanden politische Diskussionen statt – niemand hatte mehr Angst, seine Meinung zu sagen, auch die Medien hatten begonnen, freier zu berichten.
Jedoch trat durch diese Offenheit auch die wirtschaftliche Misere des Landes immer offener zu Tage. Und: Man konnte zwar in den Westen fahren, nur fehlte eine konvertierbare Währung, um auch an fernere Ziele zu reisen oder sich die begehrten westlichen Konsumgüter und Lebensmittel leisten zu können. Es mußte also eine konvertierbare Währung her. Die Bundesrepublik hatte seit ihrer Gründung eine solche Währung und sie wurde im Laufe der Jahrzehnte eine der stärksten Währungen der Welt, nur hieße das, daß sich auch die DDR-Wirtschaft auf einem freien Weltmarkt behaupten müsste. Und so stellten sich immer mehr Menschen insbesondere nach der Maueröffnung und ggf. nach Besuchen bei Verwandten in Westdeutschland oder West-Berlin die Frage, ob es nicht überhaupt besser wäre, sich mit einer so starken Wirtschaftsmacht wie der Bundesrepublik zusammen zu schließen. Und wie sollte ein solcher Zusammenschluß schließen aussehen? Konföderation? Oder staatliche Vereinigung?
Das Neue Forum hatte offenbar erkannt, daß sich viele Bürger neben den politischen Freiheiten auch nach dem Wohlstand sehnten, der ihnen Jahrzehntelang vom SED-Regime vorenthalten wurde. Die Unterschiede im Warenangebot zwischen der DDR und Westdeutschland lösten einen echten Kulturschock aus. Dies war psychologisch bedingt, denn das von allen Zeitzeugen übereinstimmend als „überwältigend“ beschriebene Warenangebot in den Supermärkten im westlichen Teil Deutschlands konnte Anfangs sogar leichte Schwindelanfälle auslösen.
So waren bereits Mitte November 89 die ersten Rufe aus der Bevölkerung nach einer staatlichen Einheit Deutschlands zu hören und wurden in der Folgezeit immer lauter:
Auf der Leipziger Montagsdemonstration des 13. 11. 1989 sah man zum ersten Mal die Losung „Deutschland einig Vaterland“.
Am Abend des 26. 11. 1989 wurde der Aufruf „Für unser Land“ unterzeichnet und über das DDR-Fernsehen verbreitet. Namhafte Persönlichkeiten und Vertreter verschiedener Oppositionsgruppen fordern einen eigenständigen Weg der DDR und warnen vor einer Vereinnahmung durch die Bundesrepublik.
Der Aufruf hatte in der Bevölkerung wenig Resonanz.
Dafür wurden auf der Montagsdemonstration am 27. 11. die Rufe „Deutschland einig Vaterland“ immer lauter.
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Am 28. 11. 1989 debattierte auch der Bundestag in Bonn über die Veränderungen in der DDR. Bundeskanzler Helmut Kohl legte auf dieser Debatte mit seinen „10-Punkte-Plan“ für eine Einigung Deutschlands vor. Die Einigung Deutschlands wurde damit offizielle Tagespolitik der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere bei den Alliierten und bei der UdSSR stieß der Vorstoß von Helmut Kohl zunächst auf wenig Zuspruch. Diese Mächte zur Zustimmung zu bewegen, war in den folgenden Monaten eine der kompliziertesten Aufgaben des Bundeskanzlers.
Die Blockpartei NDPD begrüßte am 29. 11. den Konföderationsgedanken ausdrücklich.
Dagegen erklärte Egon Krenz vor laufenden Kameras, eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten stünde „nicht auf der Tagesordnung“.
Mit dieser Politik der Bundesrepublik, die nun klar auf die deutsche Einheit ausgerichtet wurde, begannen auch zahlreiche Politiker in die DDR zu reisen und vor der Bevölkerung Reden zu halten und auch Mut zuzusprechen.
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Am 3. 12. 1989 wurde eine große Menschenkette in Form eines Kreuzes durch die gesamte Republik organisiert, unter dem Motto „Ein Licht für unser Land“. Kirchliche Gruppierungen hatten zu dieser Aktion „für die Erneuerung und Demokratisierung der Gesellschaft“ aufgerufen. Verschiedene Schätzungen sprechen von bis zu 2 Mill. Menschen, die daran teilnahmen (darunter auch der Autor dieses Artikels).
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Im Zuge der innergesellschaftlichen Diskussion wurden gemeinsame deutsch-deutsche Veranstaltungen, z. B. auch in den Medien immer zahlreicher. So gab es am 10. 12. 1989 die erste Fernsehbrücke zwischen zwei deutschen Jugendsendungen: „spruchreif“ aus dem Westen und „elf99“ aus dem Osten.
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Wie bereits angedeutet, erfaßte die Diskussion um die Zukunft der DDR auch die Parteien.
Auf dem Parteitag am 15. 12. 1989 benennt sich die SED – nach wie vor Regierungspartei – in „SED-PDS“ um und schloß nun auch Egon Krenz aus der Partei aus. Gregor Gysi wurde neuer Parteivorsitzender. Mit dem Parteitag wurde ein wie auch immer gearteter „demokratischer Sozialismus“ erklärtes Parteiziel.
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Mit dem zusammenbrechenden Macht- und Zwangsapparat der SED auch gegenüber den übrigen Parteien und Organisationen begannen sich diese aus der Umklammerung zu lösen.
Von allen Parteien in der DDR machte die CDU wohl den größten und schnellsten Wandlungsprozeß durch.
Am 10. 11. 1989 wurde der langjährige (seit 1966) CDU-Vorsitzende Gerald Götting durch Lothar de Maizière abgelöst, der am 17. 11. 89 im Namen der Ost-CDU die Mitschuld seiner Partei an der entstandenen Lage bekannte.
Noch am 5. 12. 1989 erschien ein Artikel in der Tageszeitung „Märkische Volksstimme“ über eine am 4. 12. 89 abgegebenen Erklärung der CDU wo es hieß:
„Die Bereitschaft der CDU(Ost), für einen erneuerten Sozialismus auf deutschem Boden zu wirken, unterstrich Christine Wieynk…Aus der Heimat DDR solle wieder ein Land mit eigener Identität, mit politischer und geistiger Kultur, ein Staat uneingeschränkter Menschenrechte werden, der seinen Beitrag in das Werk des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung einbringe…“
(Am selben Tag trat die LDPD aus der „Nationalen Front“ aus.)
Erst auf dem Sonderparteitag der (Ost-)CDU am 15./16. Dezember 1989 begann allmählich der Kurswechsel hin zu einer konservativen Partei. So hieß es in den Tageszeitungen der DDR zum Sonderparteitag:
„Zum Abschluß der zweitägigen Beratungen, die vielfach kontrovers verliefen und von Sorge um Partei und Land geprägt waren, wurde das programmatische Dokument „Positionen der CDU zu Gegenwart und Zukunft“ beschlossen. Die CDU versteht sich laut Positionspapier und Satzung als Volkspartei mit christlichem Profil, die eintritt für Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit, für Marktwirtschaft in sozialer Bindung und für eine Konföderation beider deutscher Staaten. Der Begriff Sozialismus kommt in beiden Dokumenten nicht mehr vor…“
Auf diesem Sonderparteitag wurde Lothar de Maizière wiederum zum Vorsitzenden der CDU gewählt. Von 759 Delegierten stimmten 714 für ihn. Vertreter der bundesdeutschen CDU und CSU waren als Gastredner geladen.
Mit dem Eintritt in das Parteienbündnis „Allianz für Deutschland“ am 5. Februar 1990 dürfte der Wandlungsprozeß der (Ost-)CDU weitgehend abgeschlossen gewesen sein. Zusammen mit dem „Demokratischen Aufbruch“ und der DSU trat die CDU nun für eine schnellst mögliche Einigung Deutschlands ein.
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Am 19. 12. 1989 traf Bundeskanzler Helmut Kohl zu seinem ersten offiziellen Besuch in der DDR ein. Der Bundeskanzler konnte sich ungehindert von Staatssicherheit und Polizei von den Dresdnern feiern lassen. Bei dem anschließenden Vier-Augen-Gespräch der Regierungschefs legten beide ihre Vorschläge zur weiteren Zukunft Deutschlands vor:
Der Zehn-Punkte-Plan von Bundeskanzler Helmut Kohl und die Vorschläge für eine Vertragsgemeinschaft von Ministerpräsident Hans Modrow wurden dabei verhandelt.
Die anschießende Rede von Helmut Kohl feierten 20 000 Menschen begeistert. Die offiziellen Gastgeber nahmen an der Kundgebung nicht teil. Dagegen hat das Bundeskanzleramt einen Chor der evangelischen Kirche eingeladen.
Zeitgleich fand auf dem Berliner Alexanderplatz eine Demonstration gegen die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten statt.
Auch der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine kritisierte in West-Berlin auf dem dort stattfindendenden Bundesparteitag in seiner Grundsatzrede die Vereinigungspolitik der Regierung Kohl.
Jedoch wurde die Öffnung des Brandenburger Tores in Berlin am 22. 12. 1989 mit einem großen Volksfest begangen.
Spätestens in diesen Tagen war die innergesellschaftliche Diskussion in der DDR zugunsten der deutschen Einheit entschieden
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Ebenfalls am 22. 12. 1989 beendete Francois Mitterand einen 3-tägigen Besuch in der DDR. Kurz vor seinem Rückflug äußerte sich Mitterrand zur deutschen Frage dahingehend, daß er Neuverhandlungen über den 4-Mächte-Status von Berlin nicht ausschloß. Frankreich habe auch nichts gegen die deutsche Einheit, doch müsse sie sich auf friedlichem und demokratischem Wege sowie im Rahmen einer europäischen Ordnung vollziehen.
Damit war Mitterand der erste, der 4 Alliieerten, der einer deutschen Einheit grundsätzlich zustimmte.
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Für Bundesbürger, die zu Weihnachten in die DDR wollten, gab es nun auch eine Erleichterung: Der Zwangsumtausch (25,- DM 1:1 in DDR-Mark) wurde abgeschafft. Für die Einreise genügte nun der Reisepass.
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Die Opposition beteiligt sich an der Regierung – die Vorbereitungen zur ersten freien Wahl beginnen
Die SED versuchte auch Ende November immer noch, die Wahrheit zu verfälschen:
Die Aktuelle Kamera berichtete am 22. 11. 89 über den angeblichen „Vorschlag“ der SED, einen Runden Tisch aller Parteien und Bewegungen ins Leben zu rufen.
Tatsächlich wurde „der Vorschlag zu einem Runden Tisch nach Abstimmung mit den anderen oppositionellen Bewegungen und Gruppen von der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ erarbeitet und öffentlich gemacht worden (…). ADN selbst hatte am 21. November 1989 über ein Gespräch unseres Beauftragten Dr. Gerhard Weigt mit dem Vorsitzenden der LDPD, Prof. Dr. Manfred Gerlach, zu dieser Frage berichtet.“
(siehe: Quelle)
Ab 7. 12. 1989 fanden wöchentliche Tagungen des „Runden Tisches“ auf allen politischen Ebenen statt. Die Tagungen in Berlin wurden im DDR-Fernsehen live übertragen. Obwohl er nur vorschlagende Funktion hatte, beeinflusste der „Runde Tisch“ in den folgenden Monaten maßgeblich die Politik in der DDR.
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Am 28. 12. 1989 hatten Unbekannte in Ost-Berlin in der Nacht das sowjetische Ehrenmal im Bezirk Treptow mit rechtsradikalen Parolen beschmiert. Schon am Nachmittag kam bei den Untersuchungsorganen der Verdacht auf, daß die Staatssicherheit selbst mit Hand angelegt hat. Dennoch kam es aus diesem Anlaß in den folgenden Tagen zu mehreren Demonstrationen linker Gruppen gegen rechtsradikale Tendenzen in der DDR.
Auch die Modrow-Regierung versuchte, das Ereignis als Rechtfertigung für den Aufbau eines Verfassungsschutzes zu nutzen.
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Ab Januar 1990 formierten sich Parteien und Splittergruppen zu Parteizusammenschlüssen und Wahlbündnissen für die erste demokratische Volkskammerwahl am 18. 3. 1990.
In dieser Zeit bildeten sich unzählige von Splittergruppen und –parteien, die sich durch weitere Zusammenschlüsse zu landesweiten Parteien bzw. Bündnissen für die bevorstehende Volksammerwahl zu formieren versuchten.
So schlossen sich die Bürgerrechtsgruppen „Neues Forum“, „Initiative für Menschenrechte“ und „Demokratie Jetzt“ am 4. 1. 1990 zum Wahlbündnis „Bündnis 90“ zusammen.
Auch die am 24. 11. 1989 offiziell gegründete Grüne Partei schloß sich kurz vor der Wahl mit dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) zu einem Wahlbündnis zusammen.
Am 13. 1. 1990 benannte sich die „Sozialdemokratische Partei der DDR“ (SDP) in SPD um.
Am 29. 1. 1990 beschloß die Volkskammer ein neues Wahlgesetz, nach dem politische Parteien und Gruppierungen materielle und finanzielle Wahlhilfe aus der Bundesrepublik in Anspruch nehmen konnten. Erstmals durften auf dieser Tagung auch Redner aus der Opposition das Wort ergreifen.
Am 1. 2. 1990 Ministerpräsident Hans Modrow (SED-PDS) legte der Volkskammer ein Konzept zur deutschen Einheit vor – unter dem Motto: „Deutschland einig Vaterland“. Punkt 4 dieses Planes forcierte z. B. die „Bildung eines einheitlichen deutschen Staates in Form einer deutschen Föderation oder eines deutschen Bundes durch Wahlen in beiden Teilen der Konföderation. Zusammentreten eines einheitlichen Parlamentes, das eine einheitliche Verfassung und eine einheitliche Regierung mit Sitz in Berlin beschließt.“
In Bonn wurde der Modrow-Plan zurückhaltend aufgenommen und vor allem Modrows Neutralitätskonzept traf auf Ablehnung.
Am 4. 2. 1990 benannte SED-PDS sich in PDS um.
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Auf Grund eines Vorschlags des Zentralen Runden Tisches vom 22. 1. 1990 bildete sich am 5. 2. 1990 eine „Regierung der nationalen Verantwortung“ durch Aufnahme von 8 neuen „Ministern ohne Geschäftsbereich“ aus Bürgerrechtsbewegungen bzw. -parteien in die Regierung. Der Wahltermin für die Volkskammerwahl, der ursprünglich für den 6. Mai 1990 vorgesehen war, wurde auf den 18. 3. 1990 vorgezogen.
Damit entbrannte ein verbissen geführter Wahlkampf, an dem auch zahlreiche Redner aus der Bundesrepublik teilnahmen.
Ebenfalls am 5. 2. 1990 wurde das Parteienbündnisses „Allianz für Deutschland“ aus CDU(Ost), „Demokratischer Aufbruch“ (DA) und Deutsche Soziale Union (DSU).
Die „Deutsche Forum Partei“ nahm ebenfalls an den Verhandlungen teil, trat dem Bündnis aber nicht bei.
Am 7. 2. 1990 schlossen sich das „Neue Forum“, „Demokratie Jetzt“ und die „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ zum „Bündnis ´90“ zusammen.
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An diesem Tag beschloß das Kabinett in Bonn, die Währungsunion mit der DDR in Angriff zu nehmen. Wirtschaftsminister Helmut Haussmann sah für die DDR gute Chancen. Damit begann eine sehr kontrovers geführte Diskussion um den Wechselkurs zwischen DM und DDR-M. Diese Diskussionen und auch Diskussionen über den Abbau von Subventionen und daraus resultierenden Preiserhöhungen lösen in der Folgezeit immer wieder Hamsterkäufe von Teilen der Bevölkerung aus.
Die westdeutschen Grünen bezeichneten die Initiative der Bundesregierung als anmaßend und arrogant.
Am 10. 2. 1990 stimmte auch M. Gorbatschow nach einem Besuch H. Kohls einer Einheit Deutschlands grundsätzlich zu. Auch den Zeitpunkt überließ er den Deutschen. Damit war bereits vor der Volkskammerwahl der Weg zur Deutschen Einheit auch außenpolitisch geebnet.
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Am 12. 2. 1990 wurde der „Bund Freier Demokraten“ aus LDP, FDP(Ost) und „Deutsche Forum Partei“ gebildet.
Ebenfalls an diesem Tag war das Hauptthema der 12. Sitzung des Runden Tisches der bevorstehende Besuch von Ministerpräsident Hans Modrow in Bonn. Die Bürgerrechtler protestierten gegen Kohls Verhandlungen in Moskau, für die er nach ihrer Auffassung kein Mandat der DDR-Bürger gehabt hätte. Der Protest richtete sich auch gegen den Anschluss der DDR an die BRD. Außerdem forderte der Runde Tisch von der Bundesregierung einen Solidarbeitrag in Höhe von etwa 15 Milliarden DM ohne Bedingungen, was von Rudolf Seiters in dieser Form postwendend abgelehnt wurde.
Dagegen forderten die meisten der 80.000 Demonstranten auf der Montagsdemo in Leipzig die Wiedervereinigung und die DM mit Losungen wie: „Kommt die DM bleiben wir, kommt sie nicht geh´n wir zu ihr!“
Am Brandenburger Tor begannen Pionierkräfte der DDR-Grenztruppen am 19. 2. 1990 mit dem Abriss der Mauer.
Am 20. 2. 1990 verabschiedete die Volkskammer das mit Spannung erwartete Wahlgesetz. Damit wurden die ersten freien und geheimen Wahlen der DDR für 18. März 1990 endgültig beschlossen. Rechtsextreme Parteien wie „Die Republikaner“ blieben verboten und durften damit zur Wahl nicht antreten.
Auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung am 22. 2. 1990 stand ein Gesetzentwurf zur Einführung der Unternehmens- und Gewerbefreiheit in der DDR, das bedeutete das Ende der staatlich-gelenkten Planwirtschaft. Kurz danach gab es bereits die ersten Eröffnungen von Privatgeschäften und Supermärkten auch aus der Bundesrepublik.
Am 1. 3. 1990 beschloß der Ministerrat, die staatlichen Betriebe (VEBs) in Kapitalgesellschaften umzuwandeln. Außerdem wurde die Gründung einer Treuhandanstalt beschlossen, die nun an unter parlamentarischer Kontrolle das „Volkseigentum“ verwaltete.
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Am 2. 3. 1990 informierte das Bündnis 90 in Ost-Berlin über seine Wahlziele. Das Wahlbündnis bejahte die deutsche Einheit unter bestimmten Bedingungen und forderte in einer Sozialcharta, soziale Errungenschaften der DDR zu erhalten.
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Am 7. 3. 1990 tagte in Ost-Berlin letztmals die nicht demokratisch gewählte Volkskammer. Zentrales Thema der letzten Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Hans Modrow waren seine Moskaureise und die Ergebnisse der Gespräche mit den sowjetischen Genossen.
Michail Gorbatschow hatte bei dem Treffen den polnischen Vorschlag begrüßt, die zwei deutschen Staaten sollten einen Vertrag über die Westgrenze Polens paraphieren und lehnte weiterhin eine Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der NATO entschieden ab.
Auf Hans Modrows Initiative verabschiedete die Volkskammer noch eine Reihe weit reichender Gesetze, die die Eigentumsverhältnisse in der DDR sichern sollten.
Am 12. 3. 1990 tagte in Ost-Berlin auch der Runde Tisch zum 16. und letzten mal. Über den neuen Verfassungsentwurf, den eine Arbeitsgruppe entwickelt hatte, sollte am 17. Juni in einem Volksentscheid abgestimmt werden. Eine Übernahme des Grundgesetzes der Bundesrepublik lehnten die Teilnehmer des Zentralen Runden Tisches ab. Dagegen hatte z. B. der Demokratische Aufbruch bereits am 11. 3. die Herstellung der Deutschen Einheit nach § 23 als eines der Wahlziele beschlossen.
An diesem Tag begann gegen 18.00 Uhr in Leipzig die 23. und letzte Montagsdemonstration.
Noch einmal kamen 30 000 Menschen, um sich symbolisch von einem Ereignis zu verabschieden, das ihre Stadt auch als Zentrum der Friedlichen Revolution in der DDR bekannt gemacht hat.
Ebenfalls an diesem Tag hatte Minister Eppelmann vom Demokratischen Aufbruch die Möglichkeit, in der ehemaligen Zentrale der Staatssicherheit in Ost-Berlin, die geheimen Unterlagen seines Parteivorsitzenden Wolfgang Schnur einzusehen. In den letzten Tagen gab es Vorwürfe gegen Schnur, für die Stasi gespitzelt zu haben. Auf einer Pressekonferenz verlas Rainer Eppelmann eine schriftliche Erklärung von Wolfgang Schnur, der noch immer alles leugnete.
Doch alles leugnen half nichts mehr. Am 14. 3. 1990 – wenige Tage vor der Wahl – gestand Wolfgang Schnur, daß er rund 25 Jahre lang als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Auf der Pressekonferenz von CDU-West und Demokratischer Aufbruch in West-Berlin verlas Schnurs Stellvertreterin, Brigitta Kögler, die Rücktrittserklärung ihres Vorsitzenden. Diese Affäre, so kurz vor der Wahl, hat dem Demokratischen Aufbruch enorm geschadet. Eine eben solche Stasi-Tätigkeit des Vorsitzenden der Ost-SPD, Böhme, wurde erst nach der Wahl aufgedeckt.
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18. 3. 1990: Erste (und letzte) demokratische Volkskammerwahl
Abwahl der „PDS“, die nur 16,33% der Stimmen erreicht und damit erfolgreicher Abschluß der „Friedlichen Revolution“
Der 18. März 1990 war einer der besonders bedeutenden Tage in der deutschen Geschichte. An diesem Tag fand die einzige demokratische Wahl zur DDR-Volkskammer statt, in der die demokratischen Parteien einen überragenden Wahlsieg über die SED, die sich inzwischen in „PDS“ umbenannt hatte, errangen.
Die friedliche Revolution hatte damit ihren erfolgreichen Abschluß gefunden.
Im Vorfeld gab es einen Wahlkampf, den von den West-Parteien sowohl finanziell als auch personell mit West-Rednern unterstützt wurde.
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Das Wahlergebnis am 18. März 1990 sah wie folgt aus:
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Abgegebene gültige Stimmen: 92,88%
Insgesamt traten 22 Parteien bzw. Parteien- oder Wahlbündnisse zur Wahl an.
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Den Wahlsieg ingesamt errang das Parteienbündnis „Allianz für Deutschland“ mit 48% der abgegbenen Simmen und erreichte von den insgesamt 400 Sitzen der Volkskammer 192 Sitze.
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Auf die einzelnen Parteien innerhalb des Bündnisses entfielen:
Christlich-Demokratische Union Deutschlands (Ost-CDU): 40,8% = 163 Sitze
Deutsche Soziale Union (DSU)……………………………: 6,3% = 25 Sitze
Demokratischer Aufbruch – sozial + ökologisch (DA)……: 0,9% = 4 Sitze
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Das schlechte Abschneiden meiner eigenen Partei „Demokratischer Aufbruch“ – einer der Bürgerrechtsparteien – hatte für mich dabei allerdings noch einen leicht bitteren Beigeschmack.
Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD)……….: 2,2% = 9 Sitze
Am 25.6.1990 empfahl der Parteivorstand den Mitgliedern der DBD, einer der ehemaligen Blockparteien, in die CDU einzutreten. Am 15.9.1990 erfolgte dann der formale Zusammenschluss mit der CDU.
Zweitstärkste Kraft wurde die (Ost-)SPD mit……………: 21,9% = 88 Sitze
Die meisten ursprünglichen Bürgerrechtsparteien – namentlich das „Neue Forum“, „Demokatie Jetzt“, die „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ (IFM) schlossen sich im sogenannten „Bündnis 90“ zusammen. Auch sie erreichten ein nur enttäuschendes Ergbnis. Bündnis 90…………………….: 2,9% = 12 Sitze
Dem Bündnis 90 schloß sich nach der Wahl noch das Bündnis Grüne Partei + Unabhängiger Frauenverband (Grüne Partei – UFV)………………………………………………: 2,0% = 8 Sitze
Auf die übrigen Parteien bzw. Parteien- oder Wahlbündnisse entfielen:
Bund Freier Demokraten (DFP – LDP – F.D.P)………….: 5,3% = 21 Sitze
Diesem Bündnis schloß sich nach der Wahl mit der NDPD eine weitere ehemalige Blockpartei an.
National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD)….: 0,4% = 2 Sitze
Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD)………..: 0,3% = 1 Sitz
Aktionsbündnis Vereinigte Linke (AVL) + Die Nelken – VL..: 0,2% = 1 Sitz
Die bis dahin regierende SED, die sich inzwischen in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)
umbenannt hatte, erreichte:…………………………….: 16,4% = 66 Sitze
und war damit klar abgewählt.
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Sonstige, ohne Sitze in der Volkakammer:
Alternative Jugendliste [DJP – GJ – MJV – FDJ] (AJL)……: 0,1%
CHRISTLICHE LIGA……………………………………..: 0,1%
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)…………….: 0,1%
Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD): 0,0% – 3.891 Stimmen
Europäische Föderalistische Partei Europa Partei (EFP)..: 3.636 Stimmen
Unabhängige Volkspartei (UVP)…………………………: 3.007 Stimmen
Deutsche Biertrinker Union (DBU)………………………: 2.534 Stimmen
Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD)………..: 2.417 Stimmen
Einheit jetzt……………………………………………: 2.396 Stimmen
Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) Deutsche Sektion der 4. Internationale: 386 Stimmen
Vereinigung der Arbeitskreise für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie: 380 Stimmen
Europa-Union der DDR…………………………………: 0 Stimmen
(siehe: Quelle)
Mit dem Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ waren die politischen Weichen für eine schnelle Verwirklichung der Deutschen Einheit gestellt. Die Bürger der DDR haben in dieser Wahl demokratisch darüber abgestimmt.
Die ursprünglichen Bürgerrechtsparteien „Bündnis 90“, SPD, „Demokratischer Aufbruch“ (DA) und „Grüne/Unabhängiger Frauenverband“ erreichen zusammen 27,68% (SPD mit 21,84%).
5. 4. 1990 neugewählte Volkskammer tritt erstmals zusammen und konstituiert sich
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Nachbetrachtungen:
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einige Diskussionen eingehen, die gerade 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Vollendung der deutschen Einheit geführt werden:
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Zum einen ist es der Vorwurf, erst durch das massive Eingreifen von Wahlkämpfern aus Westdeutschland wäre es zu dem Meinungsumschwung in der Bevölkerung gekommen, durch den es zum Wahlerfolg der „Allianz für Deutschland“ und damit zu der schnellen Einheit kam und ohne dieses massive Eingreifen (oder einige Leute meinen sogar „Einmischen“) hätte sich die Mehrheit des Volkes für eine demokratische DDR entschieden – eventuell sogar für einen 3. Weg (=“demokratischer Sozialismus“).
Richtig daran ist, dass zahlreiche Wahlkämpfer aus allen Parteien die DDR bereisten und sich im Wahlkampf zur ersten demokratischen Volkskammerwahl engagierten. Ob das jedoch das Meinungsbild und damit das Wahlergebnis am 18. 3. 1990 beeinflußte, ist nicht feststellbar und ist aber zumindest auch zu bezweifeln.
Auf keinen Fall dürfte sich für die SED, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in „PDS“ umbenannt hatte, etwas geändert haben, da diese Partei nach wie vor sowohl für den Fortbestand der DDR als auch für einen wie auch immer gearteten „Sozialismus“ stand. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung war jedoch schon Jahre vor der Friedlichen Revolution nicht von der Sache überzeugt – auch die in der DDR geborene und aufgewachsene Jugend nicht. Um diese Behauptung zu beweisen, habe ich dazu einmal eine Hochrechnung erstellt:
Eine Schulklasse in der DDR, Mitte der ´80er Jahre, hatte eine durchschnittliche Stärke von etwa 25 Schülern. In einer solchen Schulklasse war die große Mehrheit trotz der allgegenwärtigen SED-Propaganda nicht von der Sache des Sozialismus/Kommunismus überzeugt. Die Zahl derjenigen, die tatsächlich von der Politik der SED überzeugt waren, betrug durchschnittlich etwa 2-3, höchstens aber 4 Schüler – das weiß ich aus Diskussionen, die wir Mitte der ´80er Jahre durchaus untereinander geführt haben. 3-4 von 25 Schülern ergibt 12-16 %. Exakt 16,33 % erreichte die PDS auch bei der Volkskammerwahl am 18. 3. 1990, so daß dieses Wahlergebnis das tatsächliche Verhältnis der Bürger wider gibt, die entweder tatsächlich irgendwie von der Sache des Sozialismus überzeugt waren oder einfach die DDR als Staat erhalten wollten. Tausende hatten bis zu diesem Zeitpunkt die DDR auch schon in Richtung Westen verlassen, was sich auf die Prozentzahl der PDS-Wähler leicht steigernd ausgewirkt haben dürfte.
Damit dürfte bewiesen sein, daß die Wahlkämpfer aus dem westlichen Teil Deutschlands lediglich einen Verteilungswahlkampf unter den Bürgern betrieben haben, die bereit waren, eine der demokratischen Parteien zu wählen, während sie die Wähler der Kommunisten nicht erreichten.
Daß die westdeutschen Wahlkämpfer auf den Wahlkampfveranstaltungen einen derartigen Erfolg hatten und sogar Euphorie unter der Bevölkerung im Osten verbreiteten, hatte natürlich seine Gründe:
Durch den sich für (fast) alle sichtbar abzeichnenden wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR, vor allem auf Grund der immer schlechter werdenden Versorgung auch mit Waren des täglichen Bedarfs, brauchten die Menschen im Osten etwas, woran sie sich „festhalten“ konnten, d. h. jemanden der ihnen Hoffnung gab, dass auch wieder bessere Zeiten kommen würden. Das war auch wichtig, denn die Abwanderung von Bürgern aus dem Osten in den Westen hielt auch in den Monaten November und Dezember 1989 ungebrochen an und wäre sogar noch stärker geworden, wenn die westlichen Politiker nicht diese Hoffnung in ihren Reden genährt hätten.
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Zum anderen sind weitere Diskussionen in den Medien und auch in den Foren z. Z. sehr aktuell:
(a) Es gibt 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Vollendung der Deutschen Einheit recht heftige Diskussionen darum, ob die DDR nun ein Rechtsstaat oder ein Unrechtsstaat gewesen sei, mit dem Argument, es hätte zwar politische Gefangene gegeben, aber die normalen Zivilprozesse verliefen rechtsstaatlich. Selbst Rechtsgeschichtler begehen bei der Beurteilung der Justiz in der DDR Fehler, denn:
„Der Rechtsgeschichtler Prof. Uwe Wesel stellte fest, dass das DDR-Recht bis auf den Umgang mit den politischen Gegnern nicht schlechter als in der Bundesrepublik war.“
siehe: Quelle)
Diese Aussage des Herrn Wesel ist so nicht haltbar:
Ich war mit meiner damaligen Schulklasse in den ´80er Jahren bei einer solchen „normalen“ Gerichtsverhandlung als Zuschauer und habe gesehen, wie eine solche Gerichtsverhandlung in einem eigentlich völlig normalen Zivilprozess ablief. Ich muß gestehen, daß ich entsetzt darüber war, wie mit dem Angeklagten umgegangen wurde und wie die „Richterin“ ständig die moralische Keule über dem Angeklagten schwang. Daß er etwas falsch gemacht hatte, als er unter Einfluß von Alkohol einen Unfall verursachte, wußte der Angeklagte natürlich selbst, also warum mußte die „Richterin“ noch den „Moralapostel“ spielen und den Angeklagten während der Gerichtsverhandlung noch zu moralischen Äußerungen zwingen?
Das war für mich keine ordentliche Verhandlung, sondern ging durchaus schon in Richtung „Schauprozess“ – selbst bei solch einem Fall, der eigentlich völlig unpolitisch hätte sein müssen. Aber in der „DDR“ war eben nichts unpolitisch.
Daß es zu solchen und weiteren Auswüchsen – wie z. B. auch den Zwangsadoptionen – kam, lag im Rechtssystem der DDR selbst begründet:
Bereits die in der Verfassung der DDR festgeschriebene Staatsform als „Staat der Arbeiter und Bauern“ unter der Führung der SED und deren Ideologie zeigt auf, worauf alles in diesem Staat ausgerichtet war – so eben auch die Rechtsprechung. Selbst zivile Gesetze, die auf den ersten Blick als durchaus nachvollziehbar erscheinen, konnten durch ein anderes Gesetz wieder hinfällig werden. Ich meine hier im Besonderen einen Bestimmung im „Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975“, Erster Teil: „Grundsätze des sozialistischen Zivilrechts“, Viertes Kapitel, 2. Absatz, wo es heißt:
„(2) Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn damit den Rechtsvorschriften oder den Grundsätzen der sozialistischen Moral widersprechende Ziele verfolgt werden.“
Damit wurden im Grunde alle anderen Bestimmungen in diesem Gesetzbuch ad absurdum geführt.
Als weitere Beispiele für die eben nicht vorhandene Rechtsstaatlichkeit der DDR können auch mehrere Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968/74 herangezogen werden.
In § 42 heißt es z. B.:
„§ 42. Arbeitserziehung.
(1) In den gesetzlich vorgesehenen Fällen kann auf Arbeitserziehung erkannt werden, wenn der Täter arbeitsfähig ist und auf Grund seines asozialen Verhaltens zur Arbeit erzogen werden muß. Die Arbeitserziehung beträgt mindestens ein Jahr und dauert so lange, bis der Erziehungserfolg eingetreten ist. Sie darf die Obergrenze der Freiheitsstrafe, neben der sie angedroht ist, nicht überschreiten. § 39 Absatz 5 gilt entsprechend.
(2) Das Gericht beschließt nach Ablauf von mindestens einem Jahr die Beendigung der Arbeitserziehung, wenn durch die Haltung des Verurteilten, insbesondere durch seine regelmäßige Arbeitsleistung und seine Disziplin, zu erkennen ist, daß der Erziehungserfolg eingetreten ist.“
Ebenfalls anzuführen ist hier der Zusammenrottungs-Paragraph:
„§ 217. Zusammenrottung. (1) Wer sich an einer die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigenden Ansammlung von Personen beteiligt und sie nicht unverzüglich nach Aufforderung durch die Sicherheitsorgane verläßt, wird mit Haftstrafe oder Geldstrafe bestraft.
(2) Wer eine Zusammenrottung organisiert oder anführt (Rädelsführer), wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(3) Der Versuch ist strafbar.“
Später wurde noch die Möglichkeit der Bewährung eingeführt, änderte aber nichts an der Strafbarkeit. Dieser Paragraph ließ sich sehr gut gegen eventuelle politische Protestaktionen anwenden, obwohl die spezielle Anwendung absichtlich nicht näher umschrieben wurde und daher auch gegen nicht politisch motivierte Ansammlungen von Personen – wie z. B. Punks – angewandt werden konnte.
Über die Entwicklung der Justiz in der DDR gibt es eine genaue Studie der hu-berlin, die hier nachzulesen ist.
Bekannt ist auch, daß es in der DDR eine hohe Anzahl von politischen Gefangenen gab. Hierzu eine statistische Beschreibung:
(b) Wie sollte die DDR als Staat allgemein bewertet werden?
Hier spielen besonders die Argumente eine Rolle, wenn man den ganzen Staat verteufelt und kein gutes Haar daran ließe, würde man auch die beruflichen Leistungen und auch das Privatleben der damaligen Bürger diskreditieren, obwohl es eben auch glückliche Stunden gab. D. h. also, wer den Staat DDR kritisiert, kritisiert auch seine Bürger, denn die Bürger haben ja in diesem Staat gelebt und gearbeitet und haben sich auch viele Jahre nicht gegen diesen Staat gewehrt – vielleicht sogar, weil es eben auch „gute Seiten“ an dem Staat gab, wie z. B. die Vollbeschäftigung und die sozialen Einrichtungen.
Bei diesen Argumenten wird vor allen ein großer Fehler gemacht:
Es wird ein politisches System, das von einer relativ kleinen Schicht der Bevölkerung am Leben erhalten und gestaltet wurde (der SED), mit dem Privatleben der Bürger gleichgesetzt, die sich in dem Staat irgendwie eingerichtet haben. Natürlich richtete man sein Leben entsprechend der Gegebenheiten so gut ein, wie es eben ging. Das haben die Menschen zu allen Zeiten gemacht – im Römischen Reich oder im Mittelalter als Bauern oder in der industriellen Revolution als Arbeiter, in der die Arbeit in der Industrie schlecht bezahlt und hart war. Es ist in der Geschichte auch zu beobachten, daß das Volk stets vieles hinnahm, solange es relativ gut leben konnte oder es zumindest Hoffnung auf Verbesserung widriger Umstände gab. Erst beim Eintritt einer allgemein als schlecht empfundenen Lebensqualität und zusätzlicher Hoffnungslosigkeit entsteht eine Situation, in der sich das Volk gegen die Machthaber erhebt. Läßt sich eine solche Erhebung nicht mehr verhindern, so haben die Machthaber immer wieder versucht, die Wut des Volkes von sich selbst weg und auf bestimmte ohnehin schwache Randgruppen in der Bevölkerung oder auf äußere Feinde des Staates hinzulenken.
Erst wenn dies nicht gelingt, trifft eine solche Erhebung/Revolution des Volkes die Machthaber selbst.
In der DDR war nun folgendes zu beobachten:
Aus der Zusammenfassung des Abschnittes „Die Situation der DDR-Bürger“ ergibt sich, daß sowohl die sich verschlechternde Versorgungssituation als auch die fehlenden Freiheiten zu einer Verschlechterung der Lebensqualität seit dem Beginn der ´80er Jahre beigetragen haben.
Die Reformen, die M. Gorbatschow in der SU begonnen hatte, wurden von der SED abgelehnt – Zeitschriften, wie der „Sputnik“ wurde sogar verboten. Das Massaker in Peking wurde dagegen in der Volkskammer mit Applaus begrüßt. Wahlen, die im Grunde ohnehin keine echten Wahlen waren, wurden zusätzlich noch gefälscht. Über das „West-Fernsehen“ erfuhr man auch davon. Dafür wurden vom SED-Regieme ständig die gleiche Propaganda und die gleichen Parolen verbreitet.
Dinge wie diese zerstörten demnach auch jegliche Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation in der Zukunft und lösten die Friedliche Revolution in der DDR aus.
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Deutschen Einheit – Licht und Schatten:
Wie ich aufgezeigt habe, war die „Friedliche Revolution“ in der DDR war an Dramatik und rasch aufeinander folgenden Ereignissen nicht zu übertreffen. Für alle „Bürger der DDR“ bedeutete dieser politische Umbruch, der im Volksmund noch heute stets als „Wende“ bezeichnet wird, nicht nur die Veränderung der politischen Verhältnisse, sondern er veränderte das Leben der Menschen überhaupt. Nicht nur, dass man es ab Oktober 1989 wagte, seine politische Meinung frei zu äußern, in befreiten Medien nicht mehr nur die SED-Propaganda über sich ergehen lassen mußte und sich anfing, politisch zu engagieren – die „Friedliche Revolution“ bewirkte bei den meisten Menschen der DDR, daß man damit begann, „den aufrechten Gang zu lernen“, wie es ein Bürgerrechtler auf einer Großveranstaltung in Berlin im November ´89 sehr treffend beschrieb.
Daß die Revolution überhaupt möglich war und über die gesamte Zeit der „Wende“ friedlich blieb, ist vor allem ein Verdienst der Kirchen. Hier gründeten sich die Bürgerrechtsbewegungen, wie z. B. „Neues Forum“, „Demokratischer Aufbruch“ und „Demokratie Jetzt“, sowie die SDP und von hier aus gingen auch die regelmäßigen „Montagsdemonstrationen“ aus.
Was mit Losungen begann, wie „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“ und mit Forderungen wie freie Meinungsäußerung, freie Medien, Reisefreiheit, und freie Wahlen inklusive dem Recht, sich in nicht gleichgeschalteten Parteien organisieren zu dürfen, mündete ab Dezember ´89 in offen ausgesprochenen Forderungen nach der deutschen Einheit, die schon am 3. Oktober 1990 Wirklichkeit wurde.
Aber für viele Bürger der „neuen Bundesländer“ bedeutete dieser politische und wirtschaftliche Umbruch in den Folgejahren auch häufige Arbeitslosigkeit, berufliche Umorientierung und für nicht wenige auch Enttäuschung und Resignation.
Auf Grund der extrem gestiegenen Arbeitslosigkeit begann am 15. 3. 1993 eine neue Serie von „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig unter dem Motto: „Uns reicht´s“ und damit der Versuch, diese wieder aufleben zu lassen. Jedoch fanden diese Demos nur wenig Resonanz:
So nahmen am 15. 3. 1993 etwa 15.000 Teilnehmer an der Demonstration teil, am 29. 3. 1993 jedoch nur noch 3.000 Teilnehmer. Bei immer noch steigender Arbeitslosigkeit wurde „soziale Gerechtigkeit“ gefordert.
Und es gab noch weitere Probleme im Zusammenhang mit der Flucht von DDR-Bürgern, dem Fall der Mauer und der Einigung Deutschlands. Hier nur zwei Beispiele:
Bereits am 11. 2. 1990 besuchte ein Alteigentümer die Mieter seines Hauses auf der Insel Hiddensee, das er zurückfordern wird.
Zum Problem der Alteigentümer siehe hier.
Am 4. 3. 1990 am Grenzübergang Lübeck-Schlutup haben Einheimische aus Ärger und Wut über die „Trabbi-Invasion“ aus dem Osten die Straße gesperrt.
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Quellen:
„Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“, „Weltgeschichte“- Band 1 und 2, www.archiv-buergerbewegung.de, www.mdr.de/damals/, www.wahlrecht.de/ergebnisse, www.ddr89.de, www.chronikderwende.de/, geschichte-wissen.dehttps://geschichte-wissen.de/forum, www.geschichtsforum.de, www.chronik-der-mauer.de, www.bstu.bund.de, www.prag.diplo.de/Vertretung/prag, www.glasnost.de, http://www.ddr-wissen.de, de.wikisource.org, de.wikipedia.org, 1989.dra.de, www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv, www.verfassungen.de/de/ddr/strafgesetzbuch74.htm, www.youtube.com, www.das-parlament.de, von mir gesammelte Zeitungsartikel aus dem Jahren 1989/90 und aus der Gegenwart, aber auch eigene Erinnerungen an die Zeit vor und während der „Wende“ habe ich mit einfließen lassen.
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Gilbert Jacoby – alias „Barbarossa“
Ausführlicher und mit Grafiken und Bildern als Buch erhältlich: ISBN: 978-3-8442-0978-5