Autor: Bookworm

Die Rote Armee Fraktion

Versuch einer Chronologie des westdeutschen Terrorismus

Vorspiel

Der zweite Juni 1967
Berlin, 2. Juni 1967: Der Unmut und die Unzufriedenheit der Studenten, die in den Sechzigerjahren immer mehr gewachsen war, erreicht seinen Höhepunkt, als Reza Pahlevi, der Schah von Persien, auf Staatsbesuch nach Deutschland kommt. In der offiziellen Einladung von Pahlevi, der seit 1953 mit Unterstützung der USA im Iran eine Militärdiktatur mit ihm an der Spitze errichtet hatte, glaubten viele der jungen Menschen, die schon durch Proteste gegen den Vietnamkrieg, veraltete Lehrmethoden und allgemein die „kapitalistische Ausbeutungsmaschinerie“ geeint waren, erkennen zu können, wie es in Wahrheit mit der Demokratie in Deutschland bestellt sei. In ihren Augen hatte die Bundesrepublik durch die Maßnahmen im Vorfeld des Schah-Besuchs ihr wahres, polizeistaatliches Gesicht offenbart:
Autobahnen, die der Konvoi des Schahs befahren sollte, wurden komplett gesperrt. In Deutschland lebende Perser, von denen bekannt war, dass sie mit der politischen Linie Pahlevis nicht einverstanden waren, wurde ohne jegliche Rechtsgrundlage in Vorbeugehaft genommen, während die so genannten Jubelperser – wie später bekannt wurde großteils Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes SAVAK – ihren Schah jubelnd und mit Fahnen winkend am Flughafen begrüßen durften.
Als Studenten später am Tag vor dem Schöneberger Rathaus protestieren, in das der Schah sich begeben hat, um sich im Goldenen Buch der Stadt einzutragen, beginnen die Jubelperser, mit Holzlatten auf die Deutschen einzuprügeln. Die Polizei greift erst Minuten später ein – auf Seiten der Perser. Als der Schah am Abend die Deutsche Oper besucht dasselbe Spiel: Jubelperser und Polizei gehen brutal gegen die Demonstranten vor. Der Polizist Karl-Heinz Kurras und seine Kollegen glauben, einen der Rädelsführer der Proteste ausfindig gemacht zu haben und verfolgen ihn. Plötzlich löst sich ein Schuss, die Kugel trifft den Kopf des Demonstranten. Benno Ohnesorg, 26 Jahre alt und an diesem Abend zum ersten Mal auf einer Demonstration, stirbt kurz darauf auf dem Weg ins Krankenhaus. Das gewaltsame Vorgehen der Polizei hat ein erstes Menschenleben gekostet.
Noch in der Nacht erklärt der Regierende Bürgermeister, Heinrich Albertz von der SPD: „Die Studenten haben […] nicht nur einen Gast der Bundesrepublik Deutschland beschimpft und beleidigt […], sondern auf ihr Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte.“
Kurras, der Todesschütze, wurde später freigesprochen. Es habe sich um Putativnotwehr gehandelt, so die Begründung des Gerichts. Reue empfindet er bis heute nicht. Im Jahr 2007 äußerte er sich gegenüber der Presse wie folgt: „Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So is das zu sehen.“
Später berichtet Albertz über die Reaktion Pahlevis: „Am nächsten Morgen musste ich den Schah zum Flugzeug bringen. Ich fragte ihn, ob er von dem Toten gehört habe. Ja, das solle mich nicht beeindrucken, das geschehe im Iran jeden Tag.“

Die Folgen
Benno Ohnesorgs Tod blieb nicht folgenlos: Das Westberliner Abgeordnetenhaus setzte einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, dessen Abschlussbericht einige Rücktritte und Suspendierungen nach sich zog.
Viel entscheidender sind jedoch die Konsequenzen, die die Studentenbewegung aus dem Tod Ohnesorgs zog: Der brutale und rücksichtslose Polizeieinsatz während des Schahbesuchs war für die meisten ein eindeutiges Zeichen für die Gewaltbereitschaft des Staates gegenüber Kritikern der Regierung. Das führte zu einer zunehmenden Radikalisierung der APO (Außerparlamentarische Opposition) und zur These: „Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft werden.“ Gudrun Ensslin äußerte sich noch am selben Abend im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) wie folgt: „Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz – mit denen kann man nicht argumentieren.“
So ist kaum zu bestreiten, dass der Tod Benno Ohnesorgs für viele der entscheidende Anlass war, in den Untergrund und die Illegalität zu gehen und so überhaupt erst der Grundstein für den westdeutschen Terrorismus in den folgenden Jahren gelegt wurde.

Hauptteil

In jenem politisch heißen Sommer trafen sich auch zwei Menschen zum ersten Mal, die später den Kopf der Roten Armee Fraktion bilden sollten: Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Schon an diesem ersten Abend in der Wohnung Bernward Vespers – Ensslins Verlobtem – wurden Pläne für politische Aktionen als Antwort auf die Vorfälle im Juni geschmiedet; die Ideen, die Baader – der bereits zu dieser Zeit einen gewissen Ruf in der Berliner Szene hatte – einbrachte, waren die mit Abstand radikalsten.

Andreas Baader
Bernd Andreas Baader wird am 6. Mai 1943 in München geboren. Sein Vater, der Historiker Dr. Berndt Phillipp Baader bleibt vermisst, nachdem er 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet, und so wird Baader in einem reinen Frauenhaushalt von seiner Mutter, seiner Großmutter und seiner Tante erzogen.
Als Jugendlicher fällt er besonders durch die ihm attestierte hohe Intelligenz sowie seine beständige Weigerung, sich einer Autorität zu beugen, auf. Er zeigt ein hohes Aggressionspotential und prügelt sich oft; wird mehrmals der Schule verwiesen. Später entdeckt er seine Liebe zu Automobilen und Motorrädern; derer er sich des Öfteren durch Diebstahl habhaft macht. Er sitzt mehrere Gefängnisstrafen wegen Verkehrsdelikten, insbesondere Fahren ohne Führerschein, ab und 1963, als er zwanzig Jahre alt ist, zieht er nach West-Berlin. Dort lernt er Ellinor Michel und Manfred Henkel, ein Ehepaar, das mit dem gemeinsamen Sohn in Schöneberg lebt, kennen. Man versteht sich, Baader zieht zu ihnen und man lebt in einer Art Dreiecksbeziehung. 1965 bringt „Ello“ Baaders Tochter Suse zur Welt.

Gudrun Ensslin
Gudrun Ensslin wird am 15. August 1940 als viertes von insgesamt sieben Kindern des evangelischen Pfarrers Helmut Ensslin, der während des Krieges der Bekennenden Kirche angehörte, und seiner Frau Ilse Ensslin im schwäbischen Bartholomä geboren. Im Jahr 1960 macht sie ihr Abitur in Tuttlingen, wo sie das Gymnasium besuchte, und beginnt im selben Jahr in Tübingen ein Germanistikstudium. Zwei Jahre später, 1962, lernt sie Bernward Vesper, den Sohn des Schriftstellers Will Vesper, kennen, der ebenfalls Germanistik studiert. Sie verloben sich; im Jahr darauf gründen sie zusammen einen Verlag, das „Studio für neue Literatur“. Am 13. Mai 1967 kommt der gemeinsame Sohn Felix zur Welt. Zu diesem Zeitpunkt droht die Beziehung jedoch schon zu zerbrechen; Ensslin weigert sich, Vesper zu heiraten. Im Januar des Folgejahres trennen sie sich endgültig, wahrscheinlich weil Ensslin die Launenhaftigkeit ihres Verlobten nicht länger ertrug.

Den Ausschlag zum ersten ernsthaften Verbrechen der beiden gibt eine Flugschrift der Kommune I. Diese hatte nach dem Brand im Brüsseler Warenhaus „À L’Innovation“ am 22. Mai 1967, bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen waren, mehrere Flugblätter veröffentlicht, auf dem sie – nach Meinung des Gerichts, vor dem sich die Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel wegen eben jener Flugblätter zu verantworten hatten – zur Brandstiftung aufriefen. Die Aussage „Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten Mal in einer europäischen Hauptstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabei zu sein und mit zu brennen), das wir in Berlin bisher noch missen müssen“ brachte den Bezug zum Vietnamkrieg, gegen den sich damals die Mehrheit der Studentenproteste richteten. So entstand schließlich der Eindruck, die Gewalt in Südostasien sei nur durch Gegengewalt zu beenden. Und die Frage „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser“ lieferte auch gleich die Antwort auf die Frage, wie diese Gegengewalt denn aussehen müsste.
Im März 1968 steht der Entschluss, dass sie – gemeinsam mit Thorwald Proll, einem Freund der beiden – ein wenig in westdeutschen Kaufhäusern „zündeln“ wollen. In München besorgen sie sich bei Horst Söhnlein, einem altem Bekannten von Andreas Baader, die Materialien, die sie für ihre Brandsätze benötigen und fahren dann nach Frankfurt am Main. Das war am 2. April 1968. Am Abend, kurz vor Ladenschluss, begeben sich Baader und Ensslin gemeinsam in das „Kaufhaus Schneider“ und deponieren dort in einem Moment, da sie sich unbeobachtet fühlen, einen Brandsatz auf einer Schrankwand. Der Zeitzünder steht auf Mitternacht, damit das Feuer zu einer Zeit ausbricht, in der keine Menschen verletzt werden können. Zur selben Zeit wird auch im „Kaufhof“ ein Brandsatz gelegt; wer hier die Täter waren, konnte später nicht eindeutig geklärt werden.
Kurz vor Mitternacht ruft eine Frau im Büro der Deutschen Presseagentur an und sagt: „Gleich brennt’s bei Schneider und im Kaufhof. Es ist ein politischer Racheakt.“ Und tatsächlich brennen in dieser Nacht zwei Kaufhäuser in Berlin. Die Feuerwehr ist jedoch schnell zur Stelle und die – relativ geringen – Schäden, die entstanden, sind hauptsächlich durch Löschwasser und nicht durch das Feuer selbst verursacht worden.
In jener Nacht kommen die Brandstifter bei einer Bekannten unter, die sie im „Club Voltaire“ kennen gelernt haben. Doch dem Freund der Bekannten behagt der Besuch nicht; er hat ihn von Anfang an im Verdacht, hinter den Bränden zu stecken.
Am nächsten Morgen werden Baader, Ensslin und die anderen aufgrund eines „konkreten Hinweises“ von der Polizei verhaftet. In Ensslins Tasche wird eine Schraube gefunden, wie sie auch bei den Brandsätzen verwendet worden war; im Auto werden noch weitere zum Bau eines Sprengsatzes geeignete Materialien sichergestellt.
Während die Brandstifter in Untersuchungshaft sitzen, kommen sie erstmals mit Ulrike Meinhof in Kontakt. Meinhof arbeitet zu diesem Zeitpunkt noch als Kolumnistin für „konkret“ und will Ensslin für einen Artikel interviewen. In diesem Artikel zieht Meinhof, die sich von Ensslin tief beeindruckt zeigt, auch gleich das Fazit der Brandanschläge: „So gesehen ist Warenhausbrandstiftung keine antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend, konterrevolutionär.“
Am 31. Oktober 1968 werden die Urteile im so genannten „Brandstifter-Prozess“ verlesen; 3 Jahre Gefängnis für jeden der Angeklagten. Doch bereits am 13. Juni 1969 befinden sich Baader, Ensslin, Proll und der mitangeklagte Söhnlein wieder auf freiem Fuß; im November soll darüber entschieden werden, ob der Revision der Urteile stattgegeben wird. Es wurde nicht. Nachdem sie die Zeit bis November in Frankfurt verbracht haben, fliehen die Brandstifter nach Frankreich, nur Söhnlein tritt die Haft an. In Paris leben Baader, Ensslin, Thorwald Proll und dessen Schwester Astrid in der Wohnung des französischen Schriftstellers Régis Debray, der als Kampfgenosse Che Guevaras 1967 in Bolivien festgenommen und zu dreißig Jahren Haft verurteilt worden war. Nachdem die Flüchtigen sich in Amsterdam neue Papiere beschafft haben, reisen sie weiter nach Italien, wobei sie in Straßburg Thorwald Proll abhängen, da dieser nach Baaders Meinung nicht robust genug für ein Leben im Untergrund war. Proll stellt sich später den Behörden und tritt den Rest seiner Haftstrafe an. Baader, Ensslin so wie Astrid Proll kehren Anfang des Jahres 1970 nach Deutschland zurück.

Ulrike Meinhof
Ulrike Marie Meinhof wird am 7. Oktober 1934 in Oldenburg geboren, zieht jedoch schon früh nach Jena. Ihr Vater ist der Kunsthistoriker Dr. Werner Meinhof, der im Jahre 1940 an Krebs verstirbt.  Über ihre Mutter, die ein Kunststudium begann, lernt sie Renate Riemeck kennen. Nach dem Tod der Mutter Ingeborg Meinhof 1948 übernimmt Riemeck auch die Vormundschaft für Ulrike und deren ältere Schwester Wienke.
Nach dem bestandenen Abitur 1955 beginnt sie ein Studium der Philosophie, Pädagogik, Soziologie und Germanistik in Marburg, wechselt jedoch 1957 nach Münster, wo sie sich dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) anschließt. Sie engagiert sich in der Friedensbewegung, die sich gegen eine Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen ausspricht. Im Jahre 1958 tritt sie der bereits 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und 1959 erscheint ihre erste Kolumne bei »konkret«, einer Hamburger Kulturzeitung, deren Chefredakteur Klaus Rainer Röhl sie während ihres Engagements gegen Atomwaffen kennen gelernt hatte. Im Januar des Folgejahres wird sie selbst Chefredakteurin von »konkret«; am 27.12.1961 heiratet sie Röhl. Einen Rechtsstreit mit dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der sich von ihr mit Adolf Hitler verglichen sah, gewinnt sie mit der Hilfe ihres Verteidigers, des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, und erlangt so in Deutschland eine gewisse Popularität. 1962 bringt sie die Zwillinge Bettina und Regine zur Welt. Nachdem die aus der DDR agierende KPD 1964 die finanzielle Unterstützung für »konkret« versagt, beendet sie ihre redaktionelle Mitarbeit und schreibt fortan nur noch Kolumnen. 1968 folgt die Scheidung von Klaus Rainer Röhl, 1969 beendet sie ihre Mitarbeit an »konkret« schließlich ganz. In der Frankfurter Rundschau schreibt sie: „Ich stelle meine Mitarbeit jetzt ein, weil das Blatt im Begriff ist, ein Instrument der Konterrevolution zu werden, was ich durch meine Mitarbeit nicht verschleiern will“.
Meinhof konzentriert sich nun ganz auf die Arbeit an „Bambule“, ihrem ersten Fernsehspiel, das die autoritären Methoden der Heimerziehung kritisiert. Sie wird dabei zusehends depressiver; fragt sich nach dem Sinn ihres Tuns, als plötzlich zwei wohlbekannte Gestalten an ihrer Tür auftauchen und um Unterschlupf bitten.

Es ist im Februar des Jahres 1970, als Andreas Baader und Gudrun Ensslin bei Ulrike Meinhof klingeln. Man kennt sich bereits vom Brandstifter-Prozess, und Meinhof erklärt sich einverstanden, den beiden, die immer noch von der Polizei gesucht werden, Unterschlupf zu gewähren. Baader und Ensslin bleiben jedoch nur weniger Wochen und ziehen dann zusammen mit dem Rechtsanwalt Horst Mahler in eine eigene Wohnung. Genaue Pläne, was sie nun tun wollen, haben sie nicht. Irgendwann entsteht die Idee, dass man Waffen brauche und so versuchen sie, sich welche zu beschaffen. Peter Urbach, ein in der Szene aktiver V-Mann und Agent des Verfassungsschutzes, gibt ihnen Tipps. Bei dem Versuch, eines der von Urbach beschriebenen Waffenverstecke aufzusuchen, geraten sie in eine fingierte Verkehrskontrolle und Andreas Baader wird festgenommen.
Unverzüglich kommt der Wille auf, Baader zu befreien. Man schmiedet Pläne, besorgt Waffen im rechtsradikalen Milieu und schließlich ist es so weit:

Der 14. Mai 1970 – Die Baader-Befreiung
Am Morgen des 14. Mai 1970 wird Andreas Baader aus der JVA Tegel, in der er seine Reststrafe wegen Brandstiftung verbüßt, in das „Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen“ ausgeführt. Dort soll er Ulrike Meinhof treffen, die vorgibt, gemeinsam mit Baader ein Buch über die Organisation randständiger Jugendlicher schreiben zu wollen. Während die beiden im Lesesaal des Instituts vortäuschen, an ihrem Buch zu arbeiten, klingeln zwei Frauen, die später von der Polizei als Ingrid Schubert und Irene Goergens identifiziert werden, an der Tür des Instituts und werden eingelassen, dürfen den Lesesaal aber nicht betreten und warten in der Eingangshalle. Plötzlich öffnen sie die Tür und zwei vermummte und bewaffnete Gestalten stürmen in das Institut. Ein Schuss fällt; der Institutsangestellte Georg Linke wird getroffen. Nachdem die Eindringlinge die Polizisten, die Baader bewachen sollen, mit Schüssen aus ihren Tränengaspistolen handlungsunfähig gemacht haben, flüchten Baader, Meinhof, Goergens, Schubert und die beiden Unbekannten durch das Fenster und rauschen in zwei Autos davon. Nach mehreren Fahrzeugwechseln verliert die Polizei die Spur der Gruppe, die sich nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt in der Wohnung einer Bekannten von Ulrike Meinhof versteckt.
Am Abend feiert man in einer Berliner Hinterhof-Wohnung die geglückte Befreiung. Es entsteht die Idee, sich nach Jordanien in ein Übungslager der palästinensischen Fatah zu begeben, um sich dort militärisch ausbilden zu lassen. Kurz vor ihrer Abreise lässt die Gruppe der französischen Journalistin Michele Ray ein Tonband zukommen, in der sie ihre Gründe für die Baader-Befreiung darlegt. Der »Spiegel« veröffentlicht später Auszüge daraus. So gab es laut Meinhof im Wesentlichen drei Gründe für die Befreiungsaktion:
1)    Baader ist ein Kader und als solcher unentbehrlich für die Gruppe.
2)    Eventuelle Sympathisanten der Gruppe können sich mit den Motiven einer Gefangenenbefreiung identifizieren.
3)    Die Gruppe macht klar, dass sie es ernst meint.
Jene Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 wird heute üblicherweise als Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion – kurz RAF – angesehen.

Das Leben in der Illegalität
Die Idee, sich von der Fatah militärisch ausbilden zu lassen, wird kurz darauf Realität. Etwa ein Monat nach der Baader-Befreiung, die für die meisten Gruppenmitglieder den endgültigen Schritt in die Illegalität bedeutet hatte, reist man in zwei Gruppen über die DDR, den Libanon und Syrien nach Jordanien. Während des Trainings in einem Gebirgscamp nahe Amman werden der Umgang mit Schusswaffen und verschiedene Szenarien wie zum Beispiel Banküberfälle geprobt. Zurück in der Bundesrepublik werden diese neu gewonnen Fähigkeiten sogleich dem Praxistest unterzogen: Am 29. September 1970 werden im Zuge des so genannten „Dreierschlages“ drei Banken in Berlin gleichzeitig überfallen. Die Beute beträgt rund 200.000 Mark. Aufgrund eines anonymen Tipps gelingt es der Westberliner Polizei kurz darauf Horst Mahler sowie die an der Baader-Befreiung beteiligten Ingrid Schubert und Irene Goergens zu verhaften.
Im weiteren Jahresverlauf konzentriert sich die Gruppe auf Dokumentendiebstähle, um Ausweispapiere fälschen zu können und darauf, neue Mitglieder anzuwerben. In dieser Zeit stößt auch Jan-Carl Raspe dazu, der über seine Freundin Marianne, eine alte Bekannte Ulrike Meinhofs, in das Umfeld der Gruppe geraten war.

Jan-Carl Raspe
Jan-Carl Raspe wird am 24. Juli 1944 in Berlin geboren. Sein Vater war bereits vor seiner Geburt verstorben und er verbrachte seine Kindheit zusammen mit seinen beiden älteren Schwestern, seiner Mutter und zwei Tanten in einem Haus in Ostberlin. Als 1961 der Grenzübergang zwischen Ost und West geschlossen und die Berliner Mauer errichtet wird, befindet er sich im westlichen Teil der Stadt, wo er zur Schule ging. Er kommt bei Verwandten unter und beschließt in Westberlin zu bleiben. Nach dem Abitur 1963 beginnt er ein Studium der Chemie, wechselt aber nach zwei Semestern zur Soziologie. Er engagiert sich in der Studentenbewegung; ist bei den Protesten gegen den Schahbesuch 1967 dabei und ist einer der Gründer der im selben Jahr entstandenen „Kommune II“.  Nachdem er sein Diplom in Soziologie mit „Sehr gut“ bestanden hat, zieht er mit seiner Freundin Marianne in eine kleine Wohnung, die nach der Rückkehr der Gruppe um Baader und Meinhof zu einem Zufluchtsort wird. Ab Herbst 1970 ist er auch selbst an Aktionen der Gruppe beteiligt.

Die Gruppe ist sich über das weitere Vorgehen nicht einig. Die von Baader verlangten größeren Aktionen, etwa die Entführung bekannter Politiker wie Franz Josef Strauß oder des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, werden von der Gruppe mehrheitlich abgelehnt. Man beschränkt sich auf die Planung neuer Banküberfälle, wie etwa dem in Kassel am 15. Januar 1971, bei dem zwei Banken gleichzeitig überfallen und etwa 100.000 Mark erbeutet werden.
Anfang desselben Jahres veröffentlich Horst Mahler aus der Haft heraus sein „Positionspapier“, in dem er versucht, die Ziele der Stadtguerilla darzulegen. Er hatte sich dabei nicht mit dem Rest der Gruppe abgesprochen, die dementsprechend empört ist und sich von Mahlers Veröffentlichung distanziert. Ulrike Meinhof bekommt den Auftrag, ein eigenes Manifest der Gruppe zu schreiben. Mitte des Jahre ist „Das Konzept Stadtguerilla“ fertig. Auf dem Titelblatt taucht erstmals der rote Stern mit der „Heckler & Koch MP5“ auf. Darunter prangen die Buchstaben RAF. Über die Benennung der Gruppe als Rote Armee Fraktion war gemeinsam entschieden worden – auch wenn einigen Mitgliedern später Zweifel kamen, da RAF bereits als Abkürzung für die Royal Airforce in Gebrauch war und der Name Rote Armee bei vielen Deutschen schlechte Erinnerungen an das Kriegsende wachrief.
Kurz darauf, am 15. Juli 1971 wird Petra Schelm bei einem Fluchtversuch nach einer Verkehrskontrolle erschossen. Sie ist das erste Todesopfer in den Auseinandersetzungen zwischen RAF und Staat. Doch wenig später hat die Polizei einen ersten Verlust zu beklagen: Gerhard Müller erschießt in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober den Polizeimeister Norbert Schmid bei einer Personenkontrolle.
Jetzt zeigt sich auch, wie die RAF mit Aussteigern verfährt, die andere Mitglieder der Polizei ausliefern: Edelgard Gräfer, der die Polizei drohte, sie würde ihren Sohn nicht wieder sehen, sollte sie keine Aussagen machen, lieferte die gewünschten Informationen – und wurde in einer Racheaktion der RAF mit einem Eimer Teer übergossen.
Beide Seiten haben jetzt den Finger locker am Abzug. Bei einem Banküberfall in Kassel am 22. Dezember 1971, bei dem rund 150.000 Mark erbeutet werden, erschießt die RAF einen zum Tatort gerufenen Polizisten.

Bombenanschläge
Als die amerikanische Luftwaffe in Vietnam damit beginnt, nordvietnamesische Häfen zu verminen, sieht die RAF sich veranlasst, den USA zu zeigen, dass „für die Ausrottungsstrategen von Vietnam Westdeutschland und West-Berlin kein sicheres Hinterland mehr sei“.
Am 11. Mai 1972 explodieren im IG-Farben-Haus in Frankfurt am Main, wo das Offizierscasino des V. US-Korps untergebracht ist, drei Rohrbomben. Ein amerikanischer Soldat wird getötet, 13 weitere werden verletzt.
Doch das war erst der Anfang einer Serie von Sprengstoffanschlägen in Deutschland. Am nächsten Tag verletzen zwei Sprengsätze, die in der Augsburger Polizeidirektion explodieren, fünf Menschen. Nur Stunden später explodiert im Hof des LKA in München eine Autobombe. Diesmal werden keine Menschen verletzt.
Am 15. Mai missglückt ein geplanter Anschlag auf den Bundesrichter Buddenberg. Die Bombe, die ihn in seinem Fahrzeug töten sollte, erwischt stattdessen seine Frau; diese überlebt verletzt.
Da eine Telefonistin des Springerverlags in Hamburg eine telefonische Bombendrohung nicht ernst nimmt, werden durch die Detonation von drei Bomben am 19. Mai insgesamt 17 Menschen verletzt; die Polizei kann weitere Sprengkörper rechtzeitig entschärfen.
Seinen traurigen Höhepunkt findet die Anschlagsserie am 24. Mai 1972 in Heidelberg. Durch die Explosion von zwei Autobomben im Europa-Hauptquartier der US-Armee werden insgesamt drei US-Soldaten getötet, fünf weitere werden verletzt.

Die Kader werden verhaftet
Die Polizei reagiert auf die Anschläge mit der größten Fahndungsaktion die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat. Am 31. Mai 172 befinden sich im Rahmen der »Aktion Wasserschlag« sämtliche Hubschrauber im Besitz des Staates in der Luft, um entlang der Autobahnen Straßensperren zu errichten und so die Bundesrepublik „richtig durchzuklopfen“, wie es der damalige BKA-Chef Horst Herold ausdrückt. Schlussendlich führt die Aktion jedoch zu keinem Fahndungserfolg.
Doch bereits einen Tag darauf ändert sich etwas. In den frühen Morgenstunden des 1. Juni 1972 nähern sich drei Männer – Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Holger Meins – einer von der Polizei observierten Garage, die der RAF als Sprengstofflager dient. Baader und Meins begeben sich in die Garage während Raspe draußen Wache hält. Als die Polizeibeamten auf Raspe zugehen, eröffnet der das Feuer und flüchtet, wird jedoch schließlich auf einem Gartengrundstück gestellt, wo er sich widerstandslos festnehmen lässt. Baader und Meins jedoch verschanzen sich in der Garage, wo sie nach kurzer Zeit von einem Großaufgebot der Polizei umzingelt sind und erst aufgeben, nachdem Baader durch einen gezielten Schuss aus einem Scharfschützengewehr verletzt wird.
Eine Woche später wird auch Gudrun Ensslin in einer Hamburger Modeboutique verhaftet; eine der Verkäuferinnen hatte den Revolver gesehen, den sie bei sich trug und die Polizei alarmiert. Die Schlinge zieht sich nun immer enger, und als es der Polizei aufgrund des Tipps eines Hannoveraner Lehrers am 15. Juli 1972 gelingt, auch noch Ulrike Meinhof und Gerhard Müller festzunehmen, befindet sich die gesamte Führungsspitze der RAF in Haft.

Im Gefängnis
Innerhalb von zwei Wochen war es der Polizei also gelungen, alle wichtigen Führungspersönlichkeiten zu fassen. Diese sitzen nun über die ganze Bundesrepublik verteilt in den Gefängnissen der Stadt, in der sie verhaftet worden waren, und klagen über die Haftumstände, die sie als „Isolationsfolter“ bezeichnen. Um ihre Forderungen nach Hafterleichterungen durchzusetzen, organisieren sie über das von Gudrun Ensslin entwickelte System des Nachrichtenaustauschs über die damals noch unkontrollierte Post der Verteidiger bald den ersten Hungerstreik. Die Häftlinge sehen ihren Körper als letzte „Waffe“ die sie noch haben, und so bleibt es nicht bei diesem einen Hungerstreik. Am 9. November 1974, während des dritten Hungerstreiks, stirbt schließlich Holger Meins an den Folgen seiner Unterernährung. Nun zeigen die Streiks tatsächlich Wirkung: Fast alle inhaftierten RAF-Mitglieder werden bis 1975 im Hochsicherheitstrakt der gerade fertig gestellten JVA Stuttgart-Stammheim verlegt und die Haftbedingungen werden gelockert; die Häftlinge können sich untereinander mehrere Stunden an Tag treffen und erhalten nun fast täglich Besuch von ihren Anwälten.

Die Entstehung der Zweiten Generation
Nachdem alle Führungspersönlichkeiten der so genannten Ersten Generation verhaftet waren, rückten Andere nach. Die meisten waren bereits vorher in der RAF aktiv gewesen, hatten aber nicht zum engsten Kern der Gruppe gehört. Zudem werden auch viele durch die propagandistische Wirkung, die Baader und die anderen aus dem Gefängnis heraus und bei ihrem Prozess entwickeln, dazu bewegt, sich der weiter agierenden und sich vornehmlich auf die Befreiung der Inhaftierten konzentrierenden Gruppe anzuschließen.

Die Geiselnahme von Stockholm
Ende Februar 1975 war es der »Bewegung 2. Juni«, einer der RAF ähnlichen linksextremistischen Terrorgruppe, gelungen, durch die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz die Freilassung von fünf inhaftierten Gruppenmitgliedern zu erpressen. Scheinbar davon inspiriert, versucht nun auch die RAF, den Staat zu erpressen und so die Freilassung der Gefangenen zu erwirken:
Es ist der 24. April 1975, kurz vor zwei Uhr in der Früh. Eine Gruppe von sechs RAF-Terroristen – bestehend aus Hanna Krabbe, Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer, Bernhard Rössner, Ulrich Wessel sowie Siegfried Hausner – die sich selbst „Kommando Holger Meins“ nennen, stürmen die Deutsche Botschaft in der schwedischen Hauptstadt Stockholm und nehmen zwölf Menschen als Geisel und verbarrikadieren sich im oberen Stockwerk. Sie fordern die Freilassung von 26 Gefangenen, darunter die Kader der Ersten Generation: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe.
Als nun die schwedische Polizei anrückt und das untere Stockwerk besetzt, drohen die Terroristen mit der Erschießung der Geiseln. Die Polizei nimmt die Drohung nicht ernst genug und rückt nicht ab, woraufhin die Geiselnehmer den deutschen Militärattaché Andres Baron von Mirbach auf den Flur bringen und ihn dort erschießen. Die Aktion zeigt Wirkung: Die Polizei zieht sich zurück.
Derweil ist die Bundesregierung in Berlin nicht geneigt, den Forderungen der RAF nachzugeben: Bundeskanzler Helmut Schmidt bringt es auf die Formulierung „Meine Herren, mein ganzer Instinkt sagt mir, dass wir hier nicht nachgeben dürfen.“
Diese Entscheidung wird den Geiselnehmern gegen 20 Uhr mitgeteilt. Ihre Antwort besteht in der Erschießung einer weiteren Geisel, Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart, gegen 22:20 Uhr.
Kurz vor Mitternacht: Die schwedische Polizei ist kurz davor, das Gebäude unter Einsatz von Betäubungsgas zu stürmen, als eine Detonation das Gebäude erschüttert. Die Terroristen hatten – versehentlich, wie sie später herausstellen soll – den im Gebäude installierten Sprengstoff zur Explosion gebracht. Der Geiselnehmer Ulrich Wessel ist sofort tot, doch auch alle anderen Personen im Gebäude erleiden schwere Verbrennungen. Siegfried Hausner stirbt zehn Tage später in Haft an den Folgen seiner Verletzungen.
Die als Befreiungsaktion geplante Geiselnahme ist gescheitert; die vier Terroristen, die überlebten, werden später zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Die Stammheimer Prozesse I
Am 21. Mai 1975 beginnt die Staatsanwaltschaft damit, die 354 Seiten umfassende Anklageschrift gegen Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe zu verlesen. Im Vorfeld des Prozesses, der in der eigens zu diesem Zweck errichteten Mehrzweckhalle in Stammheim stattfand, hatte der deutsche Bundestag zahlreiche Sondergesetze erlassen, was dazu führte, dass die RAF-Anwälte Klaus Croissant, Kurt Groenewold und Hans-Christian Ströbele nicht zum Prozess zugelassen wurden und Baader oder Verteidiger seines Vertrauens dastand. Anträge, den zugeteilten Pflichtverteidigern die Mandate zu entziehen, werden abgelehnt.
Von Beginn an stören die Angeklagten die Verhandlung, beleidigen ihre Pflichtverteidiger und den vorsitzenden Richter Dr. Prinzing, was meist zum Ausschluss der Angeklagten vom Verfahren führt. Als diese sich durch einen neuerlichen Hungerstreik verhandlungsunfähig machen wollen, wird ein neues Gesetz verabschiedet, dass die Fortführung einer Verhandlung erlaubt, sollten die Angeklagten ihre Verhandlungsunfähigkeit selbst verschulden. Anträge darauf, Politiker wie den ehemaligen US-Präsidenten Nixon, die Bundeskanzler Brandt, Schmidt und Erhard so wie die Bundespräsidenten Kiesinger und Scheel als Zeugen zu laden, um zu beweisen, dass der Völkermord in Vietnam auch von deutschen Boden aus koordiniert worden war und so die Anschläge auf US-Einrichtungen gerechtfertigt seien, werden abgelehnt.

Der Tod der Ulrike Meinhof
Als zwei Justizbeamte am Morgen des 9. Mai 1976 Zelle 719 öffnen, finden sie die darin inhaftierte Ulrike Meinhof tot auf. Sie hatte sich in der Nacht am Fensterkreuz erhängt; den Strick hatte sie auf einem Anstaltshandtuch hergestellt, das sie in Streifen gerissen hatte.
Sowohl die amtliche Obduktion als auch die von Meinhofs Schwester veranlasste Nachobduktion führen zu dem Befund: Suizid durch Strangulierung, keine Fremdeinwirkung. Die anderen Gefangenen wollen dies nicht wahr haben und sprechen von einer Hinrichtung durch den Staat. Diverse Indizien sprechen gegen einen Selbstmord: So war das Gitter offenbar zu engmaschig, um einen Strick oben genannter Art ohne Hilfsmittel hindurch zu ziehen. Geeignete Hilfsmittel konnten jedoch nicht gefunden werden. 
Aus dem geheimen Nachrichtenaustausch zwischen den Gefangenen, insbesondere Baader und Ensslin, geht jedoch hervor, dass diese Zweifel am Selbstmord nur gespielt waren. Hinzu kommt, dass Meinhof bereits Monate zuvor verlautet hatte, „Selbstmord sei der letzte Akt der Rebellion“.

Die Stammheimer Prozesse II
Bereits am zweiten Verhandlungstag hatten die Angeklagten behauptet, seit dem Jahr 1973 in ihren Zellen systematisch abgehört worden zu sein. Anfangs waren diese Behauptungen nur kopfschüttelnd als weiterer Beweis des Verfolgungswahns der RAF abgetan worden. Doch nun stellt sich heraus, dass die Gefangenen gar nicht so unrecht gehabt hatten. Nachdem sich die Hinweise weiter verdichtet hatten, treten Anfang 1977 schließlich die baden-württembergischen Minister für Justiz und Inneres vor die Presse und geben zu, dass in den Jahren 1975, 1976 und 1977 mehrmals über Tage hinweg die Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigern mit Hilfe von Wanzen abgehört wurden. Da von den Technikern des Bundesamts für Verfassungsschutz sieben Wanzen installiert wurden, in Stammheim jedoch nur vier Räume für Gespräche zwischen Anwalt und Mandant vorhanden sind, muss wohl davon ausgegangen werden, dass auch die Privatgespräche der Inhaftierten abgehört wurden.
Am 25. Januar 1977 schließlich muss der vorsitzende Richter Dr. Prinzing seinen Stuhl räumen: Das Gericht hatte dem von Otto Schily gestellten 85. Befangenheitsantrag statt gegeben und ersetze Prinzing nun durch den bislang nur beisitzenden Richter Dr. Foth. Der Grund für diesen Austausch war die Tatsache, dass Prinzing vertrauliche Prozessakten an Bundesrichter Albrecht Mayer weitergegeben hatte, dessen Strafsenat für eine eventuelle Revision des Prozesses zuständig gewesen wäre.
Nach 192 Prozesstagen wird am 28. April 1977 das Urteil verlesen. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, die bei der Urteilsverkündung nicht anwesend sind, werden wegen mehrfachen Mordes, versuchten Mordes sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Verteidigung legt Revision ein; die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Die Ermordung von Siegfried Buback und Jürgen Ponto

Rückblick: Bereits drei Wochen vor der Urteilsverkündung hatten die Terroristen, die sich noch auf freiem Fuß befanden, wieder zugeschlagen:
Es ist der 7. April 1977, Gründonnerstag, und Generalbundesanwalt Siegfried Buback befindet sich auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Als der Wagen, in dem sich neben Buback auch noch sein Chauffeur Wolfgang Göbel sowie dessen Vorgesetzter, Georg Wurster, befinden, an einer roten Ampel zum Stehen kommt, hält neben ihnen ein Motorrad, darauf zwei vermummte Gestalten. Plötzlich zückt einer von ihnen ein Maschinengewehr und eröffnet das Feuer. Als die Männer davon fahren, sind Buback und Göbel bereits tot, Wurster stirbt wenig später im Krankenhaus. Wer die Täter sind, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Am 30. Juli 1977 betreten drei Personen das Haus des Dresdner Bank-Chefs Jürgen Ponto. Susanne Albrecht ist der Familie bekannt, ihre Schwester ist das Patenkind Pontos. Die anderen beiden sind Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. Geplant ist eine Entführung. Alles sieht nach einem normalen Besuch aus, bis Klar plötzlich seine Pistole zieht und sie auf Ponto richtet. Der nimmt das alles zunächst gar nicht ernst und versucht, Klar die Waffe aus der Hand zu schlagen. Dabei löst sich ein Schuss. Brigitte Mohnhaupt stürmt in den Raum und eröffnet das Feuer. Die Kugeln treffen Ponto in Kopf und Brust, er erliegt wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Mohnhaupt, Klar und die völlig aufgelöste Albrecht flüchten aus dem Haus und rasen mit dem Auto davon. Die geplante Entführung hatte sich in ein Mordkommando verwandelt.

Der Deutsche Herbst

Die Entführung des Hanns Martin Schleyer
Montag, 5. September 1977. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ist auf dem Weg zu seiner Zweitwohnung in Köln. Als der Wagen in der Friedrich-Schmidt-Straße ist, schießt ein gelber Mercedes auf die Straße. Schleyers Chauffeur bremst hart, und der hinter ihnen fahrende Wagen, in dem sich drei zum Schutz Schleyers abgestellte Polizisten finden, fährt auf. Vier Gestalten – Peter Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Stefan Wisniewski und Willi-Peter Stoll – stürmen auf die Straße und decken die Fahrzeuge mit einem wahren Kugelhagel aus ihren Maschinengewehren ein. Schleyer wird aus dem Wagen gezerrt und in einen bereitstehenden Fluchtwagen verfrachtet. Die Terroristen rasen davon. Von Schleyers Begleitern hatte keiner die Schießerei überlebt.
Während die von BKA und Polizei sofort ausgelöste Ringfahndung läuft, wechseln die Entführer mit Schleyer in einer Tiefgarage das Fahrzeug. Ein dort hinterlegter Brief an die Bundesregierung, der vom „Kommando Siegfried Hausner“ unterzeichnet ist, verkündet die Forderungen: Die Freilassung von 11 inhaftierten RAF-Terroristen, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Jedem der Freizulassenden sollen 100.000 Mark mitgegeben werden.
Schleyer wird in eine konspirative Wohnung in Erfstadt-Liblar gebracht, 30 Minuten entfernt vom Tatort, wo er vermutlich die ersten 10 Tage seiner Entführung verbringt.

Der harte Kurs der Bundesregierung
Die Bundesregierung um Bundeskanzler Helmut Schmidt ist sich schnell über das weitere Vorgehen einig: man will einen „harten Kurs“ fahren und den Forderungen der Entführer unter keinen Umständen nachgeben.
Das weitere Vorgehen gestaltet sich jedoch als schwierig: Der Plan, die gesamte Polizeiarbeit dem BKA zu unterstellen, führt in erster Linie zu einem großen Chaos. Durch fehlendes Personal, mangelnde Abstimmung der Beamten untereinander und aufgrund überlasteter Infrastrukturen gehen in den ersten Tag massenhaft Ermittlungsergebnisse verloren. Das Versagen der Polizei mutet geradezu grotesk an, wenn man bedenkt, dass das Schleyer-Versteck mithilfe der Rasterfahndung bereits zwei Tage nach der Entführung gefunden war, dieses aufgrund mangelnder Befehle nicht betreten wurde. Die Information geht schließlich in der Masse von Daten verloren.
Die Terroristen bringen Schleyer nach zehn Tagen in eine Wohnung im niederländischen Den Haag. Kurz darauf reist ein Teil der Gruppe nach Bagdad ab, wo ihnen Abu Hani, der Chef der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine), seine Hilfe anbietet. Diese Hilfe besteht aus einer bereits fertig geplanten und durchführbereiten Flugzeugentführung, mit der die Gefangenen in Stammheim freigepresst werden sollen.
Derweil bemüht sich die Bundesregierung, ein Land zu finden, dass bereit ist, die Terroristen im Falle eines Austausches aufzunehmen. Scheinbar lehnen alle befragten Länder ab, was allein schon deshalb unglaubwürdig wirkt, weil Algerien sich wenige Tage zuvor bereit erklärt hatte, japanische Terroristen aufzunehmen, die dort ebenfalls mit einer Flugzeugentführung freigepresst wurden.
Währenddessen eskaliert die Situation in Stammheim immer weiter: Seit dem Beginn der Schleyer-Entführung befinden sich die Häftlinge in Isolationshaft und unterliegen einer Kontaktsperre. Die rechtliche Grundlage hierfür war vom Bundestag erst nachträglich als Sondergesetz zurecht gezimmert worden. Während der Staat bei seinem Verhandlungen weiter auf eine Verzögerungstaktik setzt, sprechen die inhaftierten RAF-Mitglieder indirekt schon von Selbstmordgedanken.

Die Entführung der „Landshut“
13. Oktober 1977, kurz nach 13 Uhr deutscher Zeit: Die Landshut, eine Boeing 737 der Lufthansa, befindet sich mit 86 Passagieren an Bord auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main, als plötzlich in der Economy-Class ein Tumult ausbricht. Zwei bewaffnete Männer stürmen zum Cockpit und ziehen die Piloten heraus. Zwei Frauen stellen sich mit Handgranaten in den Gang. Der Anführer der Terroristen, der sich selbst als „Captain Martyr Mahmud“ vorstellt, befiehlt den Fluggästen über den Bordlautsprecher: „Hands up! Follow the instructions!“
Um 14:38 melden die französischen Behörden am Boden, dass die Maschine vom planmäßigen Kurs abweicht. Tatsächlich leiten die Terroristen das Flugzeug nach Rom um, wo es aufgetankt wird. Dort werden erstmals öffentlich die Forderungen der Entführer verlesen: Sie sind identisch mit denen der Schleyer-Entführung. Dann hebt die Landshut wieder ab und nimmt Kurs auf Larnaka in Zypern, wo sie um 20:30 Uhr für einen erneuten Tankstopp landet. Eine halbe Stunde zuvor hatte die Bundesregierung ihren letzten Hund von der Kette gelassen: Die GSG9 der Bundespolizei, eine Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung, vor deren Einsatz bislang immer zurück geschreckt worden war, folgte dem entführten Flugzeug. Weitere Zwischenlandungen folgen in Bahrain und Dubai. Mittlerweile hat das BKA mit der Unterstützung von Computern die Identität der Flugzeugentführer, die sich selbst als „Kommando Martyr Halimeh“ bezeichneten, herausgefunden: Captain Martyr Mahmud hieß in Wirklichkeit Zohair Youssif Akache, Soraya Ansari war Souhaila Andrawes, Riza Abbasi war Wabil Harb und hinter Shanaz Gholoun verbarg sich Hind Alameh.
Die Maschine fliegt weiter nach Aden im damaligen Südjemen. Da die Regierung dort jedoch alle Landebahnen blockieren lässt, ist der Pilot gezwungen, auf einem schmalen Sandstreifen neben der Piste zu landen. Jürgen Schumann, der Pilot der Landshut, verlässt das Flugzeug, um das Fahrwerk nach eventuellen Schäden zu untersuchen. Als er jedoch verspätet zurückkehrt, wird er von Captain Martyr Mahmud erschossen. Nur noch vom Copiloten gesteuert, hebt die Maschine wieder ab und nimmt Kurs auf ihr endgültiges Ziel: Mogadischu, die Hauptstadt von Somalia.

Operation Feuerzauber
Am frühen Morgen des 17. Oktober landet die Landshut in Mogadischu. Die Entführer erneuern ihr Ultimatum und drohen mit der Sprengung des voll besetzten Flugzeugs, sollten die in Stammheim Inhaftierten nicht bis 15 Uhr freigelassen werden. In letzter Minute lenkt die Bundesregierung zum Schein ein und kann unter dem Vorwand, es dauere mehrere Stunden, um die Gefangenen von Frankfurt nach Somalia zu fliegen, das Ultimatum nochmal um einige Stunden verlängern. Inzwischen ist die Maschine mit der GSG9 an Bord in Mogadischu gelandet. Während die Spezialeinheit die Ausrüstung entlädt, hält der Tower ständigen Funkkontakt mit den Entführern, um sie abzulenken.
Dann, am 18. Oktober um 0:05 Uhr erfolgt der Zugriff: Mit Blendgranaten der britischen Spezialeinheit SAS (Special Air Service) werden die Entführer für einen Moment handlungsunfähig gemacht. Dann stürmen vier Gruppen das Flugzeug und eröffnen das Feuer. Drei der Entführer sterben im Kugelhagel, nur Souhaila Andrawes überlebt schwer verletzt. Nach nur sieben Minuten ist der Spuk vorbei. Die Passagiere werden über die Tragflächen aus dem Flugzeug gebracht. Nach über hundert Stunden in der Hand der Terroristen ist ihr Martyrium vorbei. Als der Deutschlandfunk um 0:38 Uhr die Meldung vom Ende der Entführung bringt, hören auch die Gefangenen in Stammheim mit…

Die Todesnacht von Stammheim
Was sich im siebten Stock der Justizvollzugsanstalt Stammheim in dieser Nacht genau abspielte, wird wohl für immer ungeklärt bleiben. Als um 7:41 Uhr des 18. Oktober 1977 die Beamten Jan-Carl Raspes Zelle öffnen, finden sie den Gefangenen röchelnd und aus einer Wunde am Kopf blutend auf seinem Bett; neben ihm eine Pistole. Obwohl sofort ein Notarzt verständigt und Raspe in ein Krankenhaus gebracht wird, verstirbt dieser gegen 9:40 Uhr im Operationssaal.
Nach Raspes Abtransport ins Hospital wird um kurz nach Acht Uhr die Zelle von Andreas Baader geöffnet: Hier kommt jedoch jede Hilfe zu spät, die Beamten können nur noch den Tod des in einer Blutlache liegenden Gefangenen feststellen. Auch Gudrun Ensslin wird tot in ihrer Zelle gefunden, erhängt mit einem Lautsprecherkabel am Zellenfenster. Einzig Irmgard Möller lebt noch, die Stichverletzungen in der Herzgegend waren nicht tödlich.
Der Obduktionsbefund am Abend ergibt: „Die bisherigen Feststellungen bei allen drei Toten sprechen nicht gegen Selbstmord, sondern lassen sich alle durch Selbstmord erklären.“

Das Ende des Deutschen Herbstes
„Wir haben nach 43 Tagen Hanns-Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet. Herr Schmidt, der in seinem Machtkalkül von Anfang an mit Schleyers Tod spekulierte, kann ihn in der Rue Charles Peguy in Mühlhausen in einem grünen Audi 100 mit Bad Homburger Kennzeichen abholen.“
Mit dieser Erklärung des „Kommando Siegfried Hausner“, das sich als verantwortlich für die Schleyer-Entführung bekannte, endet der Deutsche Herbst. Als Reaktion auf die gescheiterte Flugzeugentführung in Mogadischu und die Selbstmorde in Stammheim hatten die Terroristen ihre Drohung wahr gemacht und Schleyer erschossen. Die Identität der Täter – Stefan Wisniewski und Rolf Heißler – wird erst dreißig Jahre später, im Jahr 2007, gewahr, als das ehemalige RAF-Mitglied Peter Jürgen Boock sein Schweigen bricht.

Von der Dritten Generation bis zur Selbstauflösung


Das Ende der Zweiten Generation

Nach dem Ende der Stammheimer traten in der RAF immer mehr Schwierigkeiten auf. Viele wollten nicht an einen Selbstmord glauben und gaben sich wilden Verschwörungstheorien über vom Staat verordnete Morde hin. Zudem fehlte zusehends die Motivation für weitere Aktionen: Die Zweite Generation hatte sich im Wesentlichen darauf konzentriert, die Kader der Ersten Generation aus dem Gefängnis zu bekommen; ein Ziel, das nun nicht weiter zu verfolgen war.
Abgesehen von einem Bombenanschlag auf den Oberbefehlshaber der NATO in Europa, Alexander Haig, am 25. Juni 1979, der keine Todesopfer forderte, waren die von der RAF, zu der sich ab 1980 die restlichen Mitglieder der linksextremistischen Terrororganisation „Bewegung 2. Juni“ gesellten, verübten Aktionen hauptsächlich Banküberfälle.
Das Ende der Zweiten Generation läutete die Verhaftung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im November des Jahres 1982 ein. „Die alte RAF ist zu Ende gegangen“ formulierte es BKA-Chef Horst Herold, der bereits ein Jahr zuvor pensioniert worden war.

Die Dritte Generation
Ein genaues Datum für den Anfang der Dritten Generation gibt es selbstverständlich nicht, doch ist es wohl zweckmäßig, die Veröffentlichung des so genannten Maipapiers im Mai 1982 als Ausgangspunkt zu wählen, in dem eine Änderung des Kurses der RAF angekündigt wurde. Das neue Konzept beinhaltete nicht nur die Bildung einer „antiimperialistischen Front“, sondern auch militärische Angriffe, koordinierte militante Projekte (zusammen mit anderen linken Terrorgruppen in Europa, wie der Action Directe in Frankreich und den Brigate Rosse in Italien), aber auch politische Initiativen.
Doch die Dritte Generation unterschied sich auch in anderen Punkten deutlich von der früheren RAF: So sind bis heute kaum Namen der Mitglieder beziehungsweise Täter bekannt, was auch auf das deutlich professionellere Vorgehen in dieser Zeit zurückzuführen ist. Dies ist auch der Hauptgrund, warum viele bezweifeln, dass es überhaupt jemals eine Dritte Generation gab. Die Aktionen seien zu professionell durchgeführt worden, um von Terroristen, die sich ihr Wissen autodidaktisch aneignen mussten zu stammen. Die wahren Verantwortlichen seien Geheimdienstorganisationen wie beispielsweise Gladio.

Der Terror geht weiter
18. Dezember 1984: Nur ein glücklicher Zufall in Form eines fehlerhaften Zünders verhindert die Explosion von 25 Kilogramm Sprengstoff auf dem Gelände der NATO-Schule in Oberammergau und rettet so den 43 Menschen im Gebäude das Leben. Doch das ist nur ein dunkler Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird:
Am 1. Februar 1985 dringen Unbekannte in das Haus von Ernst Zimmermann in Gauting ein, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) und des BDLI (Bundesverband der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie), und richten ihn in seinem eigenen Schlafzimmer durch einen aufgesetzten Schuss in den Hinterkopf hin. Die Täter sind bis heute unbekannt.
Im August desselben Jahres dann der nächste Streich: Nachdem der erst zwanzigjährige US-Soldat Edward Pimental in einem Waldstück erschossen und seiner Identification Card beraubt wurde, explodiert am selben Tag, dem 8. August 1985, eine Autobombe auf den amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Rhein-Main-Airbase in Wiesbaden. Bei dem Anschlag, der eine Kooperation aus RAF und der französischen Action Directe war, kommen zwei Menschen ums Leben, elf weitere werden zum Teil schwer verletzt. Später werden Birgit Hogefeld und Eva Fraule als Täter verurteilt.
Ein Jahr später geht der Terror weiter: Ein 50 Kilogramm schwerer Sprengsatz tötet am 9. Juli 1986 den Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und seinen Chauffeur Eckhard Groppler. Am 10. Oktober 1986 wird der Diplomat den Außenministeriums, Gerold von Braunmühl, vor seinem Haus in Bonn erschossen. Bei beiden Taten ist bis heute ungeklärt, wer die Täter waren.
30. November 1989: nach einer Zeit verhältnismäßiger Ruhe ist der Terror zurück. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, fällt einem Sprengstoffanschlag zum Opfer: Nachdem die Wucht der Explosion die gepanzert Limousine von der Straße geworfen hatte, verblutete er im Fond des Wagens aufgrund einer Verletzung der Schlagader. Auffällig ist vor allem, dass die eingesetzte Technik, nämlich eine Lichtschranke und Bombe militärischer Bauart mit TNT als Sprengstoff, untypisch für die RAF ist.
Ein weiterer Wirtschaftsmagnat lässt sein Leben, als die RAF in einer Kommandoaktion am Abend des 1. April 1991, Ostermontag, den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder am Fenster seines Hauses in Düsseldorf erschießt.

„Wir haben uns entschieden, dass wir … die Eskalation zurücknehmen“
Als nachdem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung 1990 die Archive der Stasi auch für westdeutsche Behörden geöffnet werden, gelingt es, zehn ehemalige RAF-Mitglieder, die sich in den Arbeiter- und Bauernstaat abgesetzt hatten, zu enttarnen. Bundesjustizminister Klaus Kinkel bietet daraufhin Anfang 1992 den RAF-Gefangenen Haftentlassungen an, sollten die in Freiheit agierenden Gesinnungsgenossen auf weitere Aktionen verzichten. Die Reaktion der RAF folgt drei Monate später mit einer Erklärung, in der es heißt:
„Wir haben uns entschieden, dass wir von uns aus die Eskalation zurücknehmen. Das heißt, wir werden Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat für den jetzt notwendigen Prozess einstellen.“
Dass diese neue Regelung das Einstellen von Aktionen gegen Staatseigentum nicht impliziert, zeigt sich ein Jahr später:
In der Nacht vom 26. auf den 27. März 1993 verschafft sich eine Kommandogruppe der RAF, die sich selbst in einem späteren Bekennerschreiben als „Kommando Katharina Hammerschmidt“ bezeichnet, Zugang zum Gelände der gerade fertig gestellten Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt. Die wachhabenden Sicherheitsleute werden überwältigt und in einen Transporter einige hundert Meter weiter gebracht. Dann werden die mitgebrachten 200 Kilogramm Sprengstoff installiert. In den frühen Morgenstunden verwandeln 5 Explosionen die Haftanstalt in den teuersten Trümmerhaufen der Bundesrepublik; der Schaden beträgt etwa 100 Millionen Mark.
Die letzte Konfrontation zwischen Polizei und RAF findet am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen statt, einer kleinen Stadt nahe Schwerin. Dem bereits seit Jahren in der RAF-Szene agierende V-Mann des Verfassungsschutzes Klaus Steinmetz ist es gelungen, ein Treffen mit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, beide Teil der Führungsebene der Dritten Generation, zu arrangieren. Doch der Plan, die Terroristen in einer Unterführung des Bahnhofs festzunehmen, geht nicht auf: Während es den Spezialisten der GSG9 gelingt, Birgit Hogefeld zu überwältigen, kann Wolfgang Grams die Treppen zum Bahnsteig hinaus flüchten. Es folgt ein Schusswechsel, den der Polizeibeamte Michael Newrzella nicht überlebt. Auch Grams findet hier sein Ende, doch die Frage nach dem „Wie“ ist bis heute nicht genau beantwortet. Die offizielle Darstellung der Staatsanwaltschaft legt einen Selbstmord des verletzten Grams nahe, der so einer Festnahme entgehen wollte. Andere Zeugen am Tatort sprechen jedoch von einer regelrechten Hinrichtung des auf den Gleisen liegenden Terroristen. Sicher ist nur, dass diese Schießerei bereits de facto das Ende der RAF darstellt.

Am Ende: Die Selbstauflösung

„Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“
Diese Worte bilden die Einleitung der achtseitigen, vom BKA als authentisch eingestuften Selbstauflösungserklärung der RAF, die am 20. April 1998 der Nachrichtenagentur Reuters zugespielt wird. Sie sind somit der Anfang vom Ende dessen, was beinahe dreißig Jahre lang Politik und Wirtschaft Westdeutschlands in Angst und Schrecken versetzt haben.
Am Ende muss die RAF selbst zugeben, dass ihr Plan vom antiimperialistischen Kampf gescheitert ist. Von Reue trotzdem keine Spur.
„Das Ende dieses Projekts zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte“ heißt es in dem Papier. Aus dieser Perspektive ist es nur logisch, dass die Erklärung nach einem Gedenken an die eigenen Toten mit einem Zitat von Rosa Luxemburg endet: „Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein.“

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