GeheimgangDiese Methode zur Überwindung feindlicher Befestigungsanlagen stellte gleichzeitig eine der effektivsten als auch eine der gefährlichsten Strategien beim Angriff auf befestigte Orte dar. Das Graben von Stollen unter die Mauern war weniger anfällig für Beschuss von den Mauern, dafür war es alles andere als einfach, diese so anzulegen, dass man genau an die gewünschte Stelle gelangte. Zudem existierten einige Abwehrtechniken, die die Arbeit unter Tage lebensgefährlich machten.

Eine Vorstufe zu den Stollen unter der Erde stellte das Aushöhlen der Mauer dar. Dies geschah meist im Schutz von speziellen Schutzschilden, die hierzu am Fuß der Mauer aufgebaut wurden. Ziel war dabei nicht, eine Öffnung in die Mauer zu arbeiten. Stattdessen wurde in dem entstandenen Loch Feuer entzündet, um eine Bresche zu schlagen.[1]

Das tatsächliche Unterminieren von Wällen und Fundamenten war etwas komplizierter und konnte zu zwei verschiedenen Zwecken erfolgen. Man konnte entweder versuchen, einen Gang unter der Mauer zu graben, durch den die Angreifer in die Befestigung eindringen konnten oder es darauf anlegen, Gebäudeteile zum Einsturz zu bringen.

 

In beiden Fällen durften die Belagerten nicht bemerken, dass ein Stollen gegraben wurde. Geschah dies war nicht nur der Überraschungseffekt dahin, es konnten auch Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Bereits in der Antike konnten Gegenstollen gegraben werden. Erreichte man den Stollen des Feindes konnte man versuchen, diesen im Kampf Mann gegen Mann zu erobern und anschließend zu zerstören. Die Kämpfe unter der Erde müssen ganz besonders grausam gewesen sein. Man konnte oft nicht aufrecht stehen, es war dunkel, stickig und jederzeit konnten Teile des Ganges einstürzen oder zum Einsturz gebracht werden. Da die Gänge sehr schmal waren, konnten sich die Kämpfer nur hintereinander bewegen. Der vorderste von ihnen hatte im schlechtesten Fall einen bewaffneten Gegner vor sich und gleichzeitig den Rest seiner Truppe direkt hinter sich, immer nach vorne drängend. Bessere Chancen bestanden dann, wenn die Grabungsmannschaft des Feindes nichts vom Gegenstollen wusste. Dann konnte man überraschend einbrechen und die als Tunnelbauer eingesetzten Bergleute töten, bevor der Gegner eigenen Truppen in den Tunnel bringen konnte. Um den riskanten Kampf unter der Erde zu vermeiden, wurde häufig auf andere Mittel zurückgegriffen. Das Einleiten von heißem Öl, Wasser oder auch Rauch in das Tunnelsystem hatte meist tödliche Folgen.[2] Während der Belagerung von Neuss 1474/75 durch die burgundische Armee unter Karl dem Kühnen setzten die Verteidiger auch Sprengrohre und in kochendem Wasser erhitzte Fäkalien ein, um die Belagerer aus ihren Gräben zu vertreiben. Insbesondere letzteres erwies sich als außerordentlich effektiv.

Das Aufspüren der Tunnel war allerdings nicht einfach. Die Eingänge wurden durch hölzerne Bauwerke verdeckt, beispielsweise durch Palisaden oder auch Belagerungstürme. Die ausgehobene Erde musste unauffällig weggeschafft werden, um keinen Verdacht zu erregen. Manchmal wurde sie auch auf dem Boden des Tunnels festgestampft.[3] Dennoch gab es einige Methoden, die den Quellen nach zu urteilen häufig zum Erfolg führten. In der Antike legte man bronzene Schilde auf den Boden, um die Tunnelarbeiten akustisch zu orten. Hierzu eigneten sich auch Kupfergefäße. Im Mittelalter verwendete man mit Wasser gefüllte Schüsseln und/oder kleine Glocken. Doch auch diese Methoden waren nicht immer zuverlässig. Insbesondere dann nicht, wenn die Belagerer mehrere Tunnel gruben – von denen aber nicht alle in die Befestigung führten, sondern lediglich vom Hauptstollen ablenken sollten.[4]

 

Konnte der Stollen nicht rechtzeitig aufgespürt und zerstört werden, befand sich die belagerte Befestigung in größter Gefahr. Es konnten entweder Belagerer unbemerkt in die Stadt oder Burg gelangen und die Tore von innen öffnen oder die Fundamente der Mauern zerstört und diese damit zu Fall gebracht werden. Dies erreichte man dadurch, dass man den neu geschaffenen Hohlraum zunächst mit Holzbalken abstützte, ihn mit brennbarem Material füllte und dieses anzündete. Im späten Mittelalter konnte auch Schwarzpulver eingesetzt werden. Die Balken und der Hohlraum brachen ein und schufen im Idealfall eine breite Bresche, durch die man die Befestigungsanlagen stürmen konnte.[5] Schafften es die Verteidiger nicht, den ersten Angriff abzuwehren und die Bresche provisorisch mit Holz und Steinen zu verschließen, war die Einnahme nur noch eine Frage der Zeit.

Dieser Gefahr konnte man bereits beim Planen und Anlegen der Befestigungsanlagen vorbeugen. Reichten die Fundamente der Mauern zu tief, konnten sie nicht untergraben werden. Wassergräben stellten ebenfalls einen guten Schutz dar, wenn man sie nicht abgraben konnte.

Die Technik des Unterminierens feindlicher Stellungen sollte weit über das Mittelalter hinaus Anwendung finden. Sie wurde in größerem Stil im amerikanischen Sezessionskrieg und in den beiden Weltkriegen verwendet. Die Weiterentwicklung der Sprengstoffe und Waffen sollte hier noch zu weit schrecklicheren Ergebnissen führen, als sie im Mittelalter möglich waren.

 

[1] Vgl. Nossov, Konstantin (2012). S. 123.

[2] Vgl. Ebd. S. 131.

[3] Vgl. Ebd. S. 124-125.

[4] Vgl. Ebd. S. 129.

[5] Vgl. Ebd. S. 127/130.

Literatur:

Nossov, Konstantin: Ancient and Medieval Siege Weapons. A fully illustrated Guide to Siege Weapons and Tactics, Guilford, 2012.

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