Ich möchte an dieser Stelle einmal darauf eingehen, warum wir heute überhaupt noch über das Mittelalter Bescheid wissen. Diese Frage klingt vielleicht auf den ersten Blick banal, ist aber nicht unwichtig. Immerhin ist aus dieser Zeit schon lange niemand mehr am Leben, der uns Auskunft geben könnte. Auch Fotografien gab es noch lange nicht, genauso wenig Filme oder Tonaufnahmen. Wir können uns einzig und alleine auf die schriftlichen Hinterlassenschaften des Mittelalters und archäologische Funde berufen. Doch wer sagt uns, dass es sich nicht um Fälschungen handelt?
An dieser Stelle wird es meistens schwierig. Wie wissen die Historiker, ob sie es mit einem Original oder zumindest der Abschrift eines Originals zu tun haben und nicht mit einer Fälschung? Um diese Frage möglichst sicher zu beantworten, wird die Quellen genau untersucht. Aus welchem Material besteht die Quelle? Wo wurde sie gefunden, wo aufbewahrt? Lassen sich Vermerke darüber finden, ob sie in einem bestimmten Archiv aufbewahrt wurde? Wie alt ist das Material? Stimmt der Inhalt mit anderen Quellen dieser Zeit überein? Wer war der Urheber der Quelle und passt dieser in den historischen Kontext?
Bei Texten, die nicht mehr im Original erhalten sind sondern lediglich eine Abschrift vorliegt wird versucht, die Herkunft des Originaltextes möglichst genau zu bestimmen. Dies geschieht durch den Handschriftenvergleich. Die Texte werden gelesen und es wird ein Koordinatensystem angelegt, mit dessen Hilfe man Abweichungen der Texte untereinander feststellen kann. Hieraus ergeben sich verschiedene Handschriftenklassen, anhand derer man Abhängigkeiten herausstellen kann. Auf diese Weise ist es möglich, einen sogenannten Archetyp zu bestimmen, also den Ursprungstext, auf den alle andere Abschriften zurückgehen. Dieser Arbeitsschritt wird beim Edieren einer Quelle angewandt und normalerweise in der Einleitung der Edition beschrieben.
Wenn man mit Bildern aus dem Mittelalter arbeiten möchte, sollte deren Echtheit im Vorfeld geklärt werden. Experten auf diesem Gebiet sind die Kunsthistoriker. Aber auch Naturwissenschaftler können mit Hilfe einer Altersbestimmung hilfreich sein. Dies ist insbesondere deswegen so wichtig, da ein großer Teil der mittelalterlich wirkenden Bilder nicht wirklich aus dem Mittelalter stammt.
Die Archäologie ist ein wesentlicher Bestandteil der Mittelalterforschung. In den schriftlichen Quellen geht es nur selten um die einfachen Menschen oder um Dinge, die für die damalige Zeit alltäglich waren. Bedenken Sie, Schreibmaterial war kostbar, die Herstellung von Schriften zeitaufwendig. Aufgeschrieben wurde nur, was aus der damaligen Sicht wirklich wichtig war. Die Archäologen geben uns Einsicht in dieses einfache Leben, in Bauernhöfe, Burgen und Städte. Ihre Funde lassen sich eindeutig datieren, da sie in entsprechenden Erdschichten gemacht werden. Im Zweifelsfall kann auch hier eine naturwissenschaftliche Altersbestimmung Sicherheit geben.
Unser Wissen über das Mittelalter beruht auf dem Zusammentragen aller Erkenntnisse, von der Tonscherbe im Boden bis hin zum wertvollen Codex in einer der verbliebenen Klosterbibliotheken. Durch einen steten Abgleich und eine generell kritische Arbeitsweise wird versucht, größtmögliche Sicherheit zu gewinnen. Dennoch, ein Restzweifel sollte immer bleiben. So stellte sich beispielsweise die Konstantinische Schenkung, die der römischen Kirche das Gebiet des Kirchenstaates zusicherte, erst sehr spät als Fälschung des Mittelalters heraus. Munter gefälscht wurde auch bei den Urkunden, da die Aussteller in der Regel keine Archive unterhielten und deren Echtheit nur schwer überprüfen konnten. Sicherlich gibt es viele Dinge, die wir noch nicht wissen und vielleicht niemals herausfinden werden (neue Quellenfunde aus dieser Zeit sind sehr, sehr selten). Die richtige Arbeitsweise schützt aber vor Fehlern, insbesondere der Vergleich aller Erkenntnisse zu einer bestimmten Zeit. So lassen sich Unstimmigkeiten am besten herausarbeiten.
Blog: http://dasmittelalter.wordpress.com/2013/01/05/das-mittelalter-und-seine-quellen/