Napoleon in Berlin vor dem Brandenburger Tor

Über den Begriff der Nation gibt es eine umfangreiche Literatur. Im Allgemeinen wird unter Nation eine soziale Gruppe verstanden, „die sich aufgrund vielfältiger historischer gewachsener Beziehungen sprachlicher, kultureller, religiöser oder politischer Art ihrer Zusammengehörigkeit und besonderen Interessen bewusst geworden ist.“ (Peter Alter, Nationalismus, Frankfurt 1985, S.23). Häufig sind auch noch wirtschaftliche Gemeinsamkeiten und territoriale Verbindungen von Bedeutung. Eine Nation kann mit einer Ethnie zusammenfallen, dies ist aber oft nicht der Fall bzw. die ethnische Zugehörigkeit existiert häufig nur fiktiv im Bewusstsein der Mitglieder. Eine Nation grenzt sich meistens von anderen ab und erlangt dadurch ein Wir-Bewusstsein. Entscheidend dabei ist, dass diese unterschiedlich definierte Gruppe auch eine Nation sein will. Nationalistisches Bewusstsein entsteht häufig als Folge von Fremdherrschaft oder durch Vernetzung einstmals unabhängiger Subsysteme.

In der Frühphase der kapitalistischen Entwicklung fällt der Liberalismus mit dem Nationalismus zusammen. Die Bürgernation steht gegen den kosmopolitischen Adel und den internationalen Klerus. Der Nationalismus ist der Kitt, der die sozial ganz verschiedenen Schichten zu einer ideellen Gemeinschaft verbindet. In Frankreich erklärte sich der dritte Stand zur Nation und schloss den Adel und Klerus daraus aus. Das Bürgertum bildete die treibende Kraft und mit dem Nationalismus mobilisierten sie auch die Bauern, Handwerker und Arbeiter.

In Deutschland bestand aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung nur ein Amts- und Bildungsbürgertum, welches sich als Kulturnation begriff. Sie wollten die deutsche Kleinstaaterei überwinden und die Macht des Adels beschränken. (Vertreter dieser Richtung waren z.B. Goethe, Schiller, Freiherr vom Stein). Daneben entwickelte sich aber ein völkischer Nationalismus, ebenfalls aus dem Bildungsbürgertum, der rassistische Ideen entwickelte. (Ernst Moritz Arndt, Turnvater Jahn)

Aufgrund der französischen Fremdherrschaft unter Napoleon entwickelte sich ein Gegensatz zu den Ideen der Aufklärung, die als Ideologie der Besatzungsmacht abgelehnt wurden. Da anders als in England oder Frankreich Staat und Nation nicht zusammenfielen, mussten die Strukturen eines Nationalstaates zunächst vorgedacht werden:

• Welche Gebiete sollen zu dem zu schaffenden Nationalstaat eigentlich gehören?
• Wer ist eigentlich Deutscher?

Bei der Beantwortung dieser Fragen entstand die politische Romantik. Sie entdeckte die Volksgemeinschaft als Kriterium der Nationalität. In ihr wird man hineingeboren, als Glied eines durch Abstammung miteinander verbundenen Volkskörpers. Man kann ihr nicht beitreten, da nur die Blutsverwandtschaft entscheidend ist. Die Deutschen seien demzufolge eine ethnische Gruppe, abstammend von den Germanen. Juden oder Slawen konnten keine Deutschen sein, auch wenn sie in Deutschland lebten, da sie kein „germanisches Blut“ besaßen.

Der deutsche Nationalismus war anders als in Frankreich nicht das Kind der Aufklärung, sondern entwickelte sich im Gegensatz zu ihr als Kind der Romantik. Deshalb war er von Anfang an mit tiefen, oft irrationalen Emotionen belastet. Angetrieben vom Hass gegen den fremden Eroberer, verkam der Nationalismus zu einer Art Religionsersatz, nahm tendenziell rassistische Züge an. Er trennte Deutschland von seinen Nachbarn und isolierte das Land von den anderen Staaten, ein folgenschwerer Entwicklungsprozess mit schlimmen Folgen für Deutschland und Europa.

“Ich will den Hass gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für immer.
Dann werden Deutschlands Grenzen auch ohne künstliche Wehren sicher sein, denn das
Volk wird immer einen Vereinigungspunkt haben, sobald die unruhigen und räuberischen
Nachbarn überlaufen wollen. Dieser Hass glühe als die Religion des deutschen Volkes, als
ein heiliger Wahn in allen Herzen und erhalte uns immer in unsrer Treue, Redlichkeit und
Tapferkeit.(…)”
Zitat E.M. Arndt („Über Volkshass und den Gebrauch einer fremden Sprache“, 1813):

„Es versteht sich von selbst, dass jeder Mann eine Frau aus dem eigenen Volke nehmen wird. Alles andere ist bloß tierische Paarung. Wer sich mit einem fremden Weibe einläßt, hat Volk und Vaterland verspielt.“
„Deutsches Volksthum“ von Turnvater Jahn 1810

Dies waren nicht die Ansichten extremistischer Außenseiter, sondern weitverbreitete Überzeugungen in der damaligen Zeit und die beiden Autoren standen an der Spitze der Unabhängigkeitsbewegung.

Häufig unterscheidet man „positiven Nationalismus“ und „negativen Nationalismus“. Als positiv wird der Nationalismus von unterdrückten Völkern bezeichnet, ihr Kampf um Unabhängigkeit, Autonomie oder gleiche Rechte. Negativ und gleichbedeutend mit Chauvinismus ist ein Nationalismus, der die eigene Nation besonders hervorhebt und die übrigen als minderwertig ansieht und sie unterdrückt. Die deutsche Geschichtsschreibung beschreibt daher den frühen Nationalismus und seinen Kampf gegen Napoleon als positiv, den späteren Nationalismus der wilhelminischen Ära als negativ. Doch die Untersuchung zeigt, dass Nationalismus fast immer janusköpfig ist, positive und negative Elemente sind stets gleichzeitig vorhanden und es hängt von der politischen Situation ab, welche die Oberhand gewinnen. Aus Unterdrückten können selber Unterdrücker werden, aus Opfern werden später Täter, das beobachten wir überall in der Welt. Grund ist zumeist ein Wandel in den Eliten, die den Nationalismus prägen. Aus dem einst benachteiligten Bürgertum in Deutschland wurde im Kaiserreich eine fast mit dem Adel gleichberechtigte Schicht. Die demokratischen Elemente des frühen Nationalismus wurden zurückgedrängt und durch die reaktionären Elemente ersetzt.

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