Für die Pilger, welche aus den Frankenlanden oder von noch weiter östlich stammten, war der Weg beschwerlich und voller Gefahren. Man musste stets um sein Leben fürchten, mangelte es doch an einer ausreichenden Infrastruktur. Doch der Pilger war nicht immer auf sich allein gestellt. Das Reisen in Gruppen erhöhte die Sicherheit und am Wegesrand mochte mancher Mensch ihnen helfen. Schnell liest man aus dem Pilgerführer heraus, wer als gut und wer als böse einzuschätzen war. Dabei wird klar, dass alle, die mit der Kirche zusammenarbeiteten ganz natürlich gut sein mussten, während auf der weltlicheren, anderen Seite nur habgierige und gefährliche Menschen zu finden waren.
Die Flüsse
Es gab sowohl heilsame, wie auch todbringende Flüsse. Dies richtete sich zumeist nach deren Lage. Als heilsam bezeichnete man den am Somportpass entspringenden Aragón, da dieser wie es hieß, Spanien bewässerte. Nicht ganz so hochgelobt, aber immer noch als gut, galt die Runa. Doch existierten auch todbringende Gewässer, wie den Salzbach bei Lorca. Darüber hinaus gab es noch viele weitere gute und heilende, aber auch böse und krankmachende Flüsse auf dem Weg nach Santiago. Generell galt, dass Flüsse an heiligen Stätten besonders rein sein sollten. Bedenkt man aber die hygienischen Zustände einer mittelalterlichen Stadt, so kann man es schnell als Aberglauben abtun.
Land und Leute
Als besonders verrucht, galten meist die Navarresen. Den eigentlichen Grund hierfür nennt uns der Pilgerführer nicht. Wir erfahren lediglich „ihre Taten“ – ob diese der Wahrheit entsprachen, bleibt zu bezweifeln. Einheimische, die die Not der Fremden ausnutzen und diese ausbeuten. Beweise für solch ein Gedankenspiel liefert uns nur der Pilgerführer:
Im Frankenland gelegen, galt die Gegend der Poitou als „[…] fruchtbar, hervorragend und reich an allen Freuden.“ Alle Menschen waren große Krieger, aber auch die Nettigkeit in Person. Man kann gar nicht anders, als nett von diesen Leuten zu denken. Je weiter südlich man jedoch kommt, desto mehr werden all die positiven Eigenschaften scheinbar weniger. Die Sprache wird rauer, das Land gefährlicher. Das Angebot an Nahrungsmitteln und Wasser nimmt drastisch ab, Ungeziefer breitet sich aus und selbst die sandigen Wege sollten die Wanderung erschweren.
Hatte man die Beschwerlichkeiten hinter sich gelassen, konnte man sein Leben in der Gascogne erst einmal wieder genießen. Alles war sauber. Wasser, Brot und Wein existierten im Überfluss.
„Die Gascogner haben ein loses Maul, sie sind schwatzhaft, spöttisch, lüstern, Wein und Essen zugeneigt, schlecht mit Kleidung sowie Schätzen und Schmutz ausgestattet, aber an den Krieg gewöhnt und in der Gastlichkeit gegenüber Armen zuvorkommend. Wenn sie am Feuer sitzen, essen sie gewöhnlich ohne Tisch und trinken gemeinsam aus einem Becher. Sie essen und trinken viel, sind schlecht gekleidet, sie schlafen alle zusammen auf wenig verfaultem Stroh, sogar das Gesinde mit Herr und Herrin.“
Das die Bewohner wenigstens nett zu Armen waren, war eine einfache Täuschung des Pilgerführers mit einer versteckten Botschaft: Wer bereits alles im Überfluss besaß, dem fiel es eben nicht auf, wenn einiges davon an die Armen ging.
Am oben bereits erwähnten Salzbach saßen zwei Navarresen. Diese versicherten, dass das Wasser genießbar sei. Die Pilger tränkten ihre Pferde, welche jedoch verendeten. Also schnappten die Navarresen sich die beiden Kadaver und fingen an, diese zu verarbeiten. Generell wurden Basken und Navarresen auf das Schlimmste beschimpft und man dichtete ihnen alles Böse an.
Es mussten aber nicht immer bestimmte Volksgruppen sein, die einen schlechten Ruf genossen. Ebenso nahm man verschiedene Berufsgruppen ins Visier. So galten Fährleute als heimtückisch, da diese ihre Boote überluden, um absichtlich zu kentern. Da kaum jemand schwimmen konnte, ertranken die Passagiere und die Fährleute plünderten anschließend die Leichen. Gastwirte waren ausschließlich Betrüger und Sicherheit gab es nur hinter Hospizen und Klostermauern.
Woran aber lag es, dass bestimmte Menschengruppen als durchweg schlecht angesehen wurden? Vielleicht gab es einfach nur Kommunikationsprobleme, immerhin waren Sprache und Dialekte selten einheitlich normiert. Von heutiger Sicht aus betrachtet hätten wir Deutsch, Französisch und Spanisch im Angebot, als Umgangssprache wird Englisch benutzt. Und damals? Die Gelehrtensprache war Latein, doch dies war die Sprache von Wenigen. Und noch seltener waren die Fähigkeiten Lesen und Schreiben, von einer weiteren Sprache ganz zu schweigen.
Andere Gefahren
Auf einige, eigentlich offensichtliche Gefahren, geht der Pilgerführer dagegen kaum bis gar nicht ein. Darunter zählt die Versorgung unterwegs. Eine Reise dauerte meist mehrere Wochen bis Monate, ohne ausreichend Geld, kam man selten sehr weit. Betteln oder Armenversorgung waren zwar eine Möglichkeit, aber die denkbar Schlechteste, die man wählen konnte.
Im Krankheitsfall musste man sich auf die Selbstheilkräfte des Körpers verlassen, denn selten nur kannte sich jemand mit Heilkräutern aus. Hinzu kommt, dass man auf die Pflanzen der jeweiligen Provinz angewiesen war. Unkenntnis und Sprachbarrieren behinderten den Pilger zusätzlich.
Vor Raubüberfällen und weiteren gefährlichen Begegnungen, warnte der Pilgerführer. Darunter zählten meist Basken und Navarresen, doch trieb sich auf den Straßen und in den Wäldern noch allerlei anderes Gesinde herum.
Wovor nicht gewarnt wurde, waren Kriege. Die gesamte Geschichte der Menschheit ist von Kriegs- und Beutezügen durchzogen. Da die Pilger zum Teil erhebliche Strecken zurücklegen mussten und eine sehr lange Zeit unterwegs waren, bestand stets die Gefahr in einen Konflikt verwickelt zu werden.
Auffällig ist jedoch, dass je weiter man vom Ziel entfernt war, die Leute als aufrichtig und gastfreundlich galten. Meist natürlich zu Beginn einer der großen Straßen, in der Nähe eines Heiligenortes. In Santiago de Compostela und dem Umland galt der gleiche Grundsatz. Navarro, dass Baskenland und einige fränkische Gebiete jedoch dienten als dämonische Pufferzone zwischen den heiligen Stätten. Der Mensch sollte quasi die „moralisch verdorbenen“ Gebiete als Prüfung meistern.
Quelle:
Herbers, Klaus: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert. Stuttgart, 2008.