Das 19. Jahrhundert war nicht nur das „lange“ Jahrhundert von der Französischen Revolution 1789 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914, es war auch das Jahrhundert der gesellschaftlichen Umbrüche, es war das Jahrhundert der großen Erfindungen, und nicht zuletzt, es war das Jahrhundert der Cholera-Epidemien. Zwischen 1831 und 1892 trat diese „Geißel der Menschheit“ in mehreren großen Schüben in Nordwesteuropa auf.

 

Cholera-Behandlung
Ein an Cholera erkrankter Mann wird behandelt (1992), Bildlizenz: Gemeinfrei, Bild von Centers for Disease Control and Prevention

Epidemien, wie die Cholera und die Pest haben in der Geschichte der Menschheit eine katastrophale Rolle gespielt. Das Erscheinen dieser Krankheit hat auf das Lebensgefühl der Menschen in den betroffenen Gebieten wie ein Schock gewirkt. Erst der Fortschritt der Medizin und der Hygiene sowie Verbesserungen im Wohnumfeld haben die Wirkung der Epidemien in den Griff bekommen und den Menschen das Gefühl des Ausgeliefertsein genommen.

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Armut und mangelnde Hygiene zwar nicht die Hauptursache für den Ursprung der Cholera ist, wohl aber ihr Multiplikator. Diesen Zusammenhang u.a. an dem krassen Beispiel, welches mit Hamburg vorliegt, zu untersuchen, ist das Ziel dieser Arbeit.

Der hier verwendete Begriff „Stadthygiene“ bedeutet eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit einwandfreiem Trinkwasser, aber auch Abwasserbeseitigung und Müllabfuhr auf eine Art und Weise, die weder Mensch noch Umwelt schädigen kann. Der Terminus „Cholera“ soll wegen seiner Komplexität ausführlich in Kapitel zwei erläutert werden.

 

Inhaltsverzeichnis

Impfung
Ein Sanitäter der US Navy impft einen Flüchtling gegen Cholera in Vietnam (1966), Bildlizenz: Gemeinfrei, Bild von National Archives at College Park [Public domain]

1. Die Cholera

1.1. Die Cholera – Was ist das?

1.2. Vom Ursprung der Cholera in Hinterindien und die Verbreitung über Ostasien und Moskau bis nach Nord-West-Europa

1.3. Die Cholera und ihre Behandlung

1.4. Die Cholera in Hamburg

2. Die Bevölkerungsentwicklung in Hamburg und die Wohnverhältnisse in ausgewählten Stadtteilen

3. Entwicklung der Stadthygiene

3.1. Die Wasserkunst

3.2. Problematik von Müllbeseitigung und Kanalisation

3.3. Entwicklung der Müllbeseitigung und Kanalisation

4. Die Verantwortlichen

4.1. Die Ignoranz der Mächtigen

4.2. Die Vermeidbarkeit der Cholera-Epidemie von 1892

5. Zusammenfassung und Schlussbemerkung

6. Quellen

1. Die Cholera

1.1 Die Cholera – Was ist das?

Cholera kommt aus dem griechischen und heißt Gallensucht. Die Cholera ist eine Magen- und Darmerkrankung, die sich mit Erbrechen und Durchfall bemerkbar macht. Die Folge sind Austrocknungserscheinungen mit beträchtlicher Kräfteabnahme. Die asiatische Cholera wird als epidemische Cholera bezeichnet und ist anzeigepflichtig.

 

Cholera-Brasilien
Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien besucht Cholera-Opfer, 1855 (Bild von François-René Moreau), Bildlizenz: Gemeinfrei, Bild von Grandes Personagens da Nossa História. v.2. São Paulo: Abril, 1972

Hervorgerufen wird diese Krankheit durch den Kommabazillus (Vibrio cholerae). Zuerst trat die Cholera 1817 im Ganges-Delta auf und breitete sich schnell über mehrere Länder aus.

Die Ansteckung erfolgt durch kontaminierte Lebensmittel oder durch verunreinigtes Trinkwasser. Für die Übertragung gilt der Mensch als natürliches Erreger-Reservoir. Die ersten Krankheitserscheinungen treten frühestens nach drei Stunden auf, spätestens nach drei Wochen, zumeist aber innerhalb von zwei bis fünf Tagen.

Das klinische Vollbild der Cholera zeigt sich hauptsächlich mit starkem Durst und Müdigkeit, erniedrigter Körpertemperatur, blauen und kalten Gliedmaßen, mit Schwindel und kaltem Schweiß. Die Krankheit kann tödlich verlaufen, weil der Körper mit der Flüssigkeit auch die wichtigen Mineralien Kalium und Magnesium verliert (Elektrolytverlust) und es dadurch zu einem Kreislaufkollaps kommen kann. Selbst nach einer erfolgreichen Behandlung können Erkrankte die Cholera-Erreger noch drei Monate lang ausscheiden. Mangelnde Hygiene erhöht das Risiko einer Ansteckung.

 

1.2. Vom Ursprung der Cholera in Hinterindien und die Verbreitung über Ostasien und Moskau bis nach Nord-West-Europa

Die Cholera ist in einigen Teilen Vorderasiens „bodenständig“ und überzieht in unregelmäßigen Abständen große Teile der Erde. Sie entstand 1817 in Hinterindien und gelangte über Ostasien 1830 nach Südrussland. Bereits im Frühjahr 1831 starben in Königsberg mehr als 1.300 Menschen an den Folgen dieser Krankheit. Noch im selben Jahr greift die Cholera epidemisch auf Mittel- und Westeuropa über und allein in Großbritannien sterben daran ungefähr 32.000 Menschen.

In den Jahren zwischen 1836 und 1873 kam es zu weiteren Epidemiewellen, an denen in Hamburg mehr als 5.000 Menschen starben.

Zur Katastrophe kam es im Jahre 1892 in Hamburg, als noch einmal von 16.956 Erkrankten 8.605 Menschen starben. Die Hamburger Epidemie erregte insofern weltweites Aufsehen, als es dem Bakteriologen Robert Koch (1843-1910) bereits 1883 gelungen war, den Choleraerreger zu isolieren und die Zusammenhänge zwischen Hygiene und Erkrankungsausbreitung darzulegen.

Das Verbreitungsgebiet der Cholera liegt immer noch vorwiegend in Asien, doch seit 1970 breitet sich diese Krankheit auch in Afrika aus.

 

1.3. Die Cholera und ihre Behandlung

Noch bevor Robert Koch 1883 den Kommabazillus lokalisierte, machte Louis Pasteur (1822-1895) im Jahre 1865 an der Universität Sorbonne eine andere Entdeckung. Er fand heraus, dass viele Krankheiten durch Mikroben und Bakterien verursacht werden. Pasteur kam zu der Erkenntnis, dass die Krankheiten, die gleichermaßen Menschen und Tiere befallen, sich nicht wesentlich von den „Krankheiten“ der Milch unterscheiden. Es gelingt ihm in der Folge, die Krankheitserreger durch Erhitzen abzuschwächen und in Impfstoffe umzuwandeln, die dann zwar noch eine leichte Erkrankung zur Folge haben, aber eine Widerstandsfähigkeit gegenüber den jeweiligen Krankheitserregern erzeugen.

 

Robert-Koch-Expedition
Robert Koch (Dritter von rechts) und seine Begleiter auf der deutschen Cholera-Expedition in Ägypten 1884 aus KRUIF, Paul de. Mikrobenjäger. Orell Füssli, Zürich, 1927, Urheber unbekannt, Bildlizenz: Gemeinfrei

Neben den Forschungen Louis Pasteurs sind es die Erkenntnisse Robert Kochs, die der Bakteriologie um 1880 zum Durchbruch verhalfen. Koch lieferte die methodischen Grundlagen der Bakterienkunde und Emil von Behring (1854-1917) entwickelte nach der Entdeckung spezifischer Bakteriengifte 1890 eine umfassende Serumtherapie.

Gegenwärtig verlangt eine Reihe von Ländern bei der Einreise den Nachweis einer Cholera-Impfung, obwohl die Weltgesundheitsorganisation diese Impfung aufgrund geringer Wirksamkeit und zu kurzer Immunitätsdauer aus den internationalen Gesundheitsvorschriften herausgenommen hat.

 

1.4. Die Cholera in Hamburg

Im 19. Jahrhundert, in den Jahren von 1831 bis 1892, wurde Hamburg sieben Mal von einer Cholera-Epidemie heimgesucht. Insgesamt starben in dieser Zeit 15.977 Menschen. Obwohl allein diese Zahlen in Europa nichts Ungewöhnliches darstellten, andere Länder und Städte hatten ähnliche und zum Teil noch größere Opferzahlen zu beklagen, war die letzte große Hamburger Epidemie von 1892 ein Skandal, der den guten Ruf Hamburgs ruinierte.

Cholera-Hamburg
Cholerabaracke in Hamburg während der Choleraepidemie von 1892, Bildlizenz: Gemeinfrei

Gegen die Tatsache, dass die Seuche vermutlich über von Le Havre kommende Schiffe eingeschleppt worden war, konnte Hamburg im Vorwege zwar nichts ausrichten, doch die epidemische Verbreitung lag in der Verantwortlichkeit der Hamburger. Der Cholera-Erreger verbreitete sich über das Trinkwasser, welches immer noch ungefiltert der Elbe, Alster oder einem der Fleete entnommen wurde. Ein weiterer Grund waren die überbelegten und unhygienischen Wohnungen in den ärmeren Wohngebieten, in welchen dann auch die meisten Cholera-Toten zu beklagen waren.

Die Wohngebiete der sogenannten Unterschichten waren in Hamburg seit Beginn des 17. Jahrhunderts nahezu unkontrolliert gewachsen und bis weit in das 19. Jahrhundert hinein entstanden durch Hinterhausbebauung und Aufstockung bereits bestehender Häuser viel zu enge und zu kleine Wohnquartiere mit unzureichenden sanitären Verhältnissen. Zwar fasste der Senat schon einmal um 1870 erste Pläne zur Sanierung, doch erst nach der großen Cholera-Epidemie 1892 wurden die Pläne aktuell.

Als im August 1892 erneut Fälle von Cholera auftreten, wurden die Schulen geschlossen und die Stadt in Gesundheitsdistrikte eingeteilt. Diese Maßnahmen bleiben aber unwirksam, da der Hintergrund der Seuche nicht beseitigt war. Die Cholera-Fälle weiteten sich zu schnell zu einer stadtweiten Epidemie aus, jedoch mit dem Schwerpunkt in den Gängevierteln in den Kirchspielen von St. Michaelis und St. Jacobi, da die dort herrschenden katastrophalen hygienische Bedingungen die Ausbreitung der Infektionskrankheit begünstigten. Der noch im August 1892 nach Hamburg gereiste Robert Koch erinnert daran, dass die Krankheit dort ausbricht, wo die zentrale Wasserversorgung aufhört und erklärt angesichts dieser Verhältnisse: „Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde.“. Diese Kritik wiegt umso schwerer, als bereits seit zwanzig Jahren der Zusammenhang zwischen der schlechten Qualität des Trinkwassers und einem Erkrankungsrisiko bekannt war.

 

2. Die Bevölkerungsentwicklung in Hamburg und die Wohnverhältnisse in ausgewählten Stadtteilen

Da man die Ursache für die Ausbreitung der Cholera in unhygienischen Wohnverhältnissen der ärmeren Bevölkerung vermutet und wenn man dabei noch berücksichtigt, dass sich die Bevölkerung Hamburgs von 1800 bis 1900 nahezu versechsfachte, drängt sich eine Untersuchung über die Korrelation zwischen Wohnumfeld und Erkrankungsrisiko auf.

Über die Bevölkerungszahl für die Zeit zwischen 1300 und 1810 gibt es in Hamburg nur Schätzungen; erst 1810 führten die Franzosen die Volkszählung ein. Um 1300 sollen in Hamburg etwa 5.000 Menschen gelebt haben und für das Jahr 1800 werden 130.000 Personen angenommen. Bei der ersten Volkszählung 1810 stellte man eine Einwohnerzahl von 120.000 fest, 1892 wurden 575.754 Personen gezählt und 1900 lebten in Hamburg 768.349 Menschen.

Die Bevölkerungszahl war in den einzelnen Stadtteilen unterschiedlich hoch, sie regulierte sich nach dem verfügbaren Einkommen und nach der Preisgestaltung der Wohnungen. Für Hamburg kann festgestellt werden, dass der Prozess der gesellschaftlichen Trennung nach Wohngebieten gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahezu abgeschlossen war.

So lebten beispielsweise 1892 in Harvestehude etwa 13.000 Menschen mit einem Jahreseinkommen zwischen 2.400 bis 2.800 Mark, in St. Pauli 73.000 Menschen mit einem Pro-Kopf-Einkommen zwischen 400 bis 800 Mark und in der Altstadt-Nord 49.720 Personen mit einem Einkommen von ebenfalls zwischen 400 bis 800 Mark.

In Harvestehude waren die vorhandenen Flächen mit 6 v.H., in St. Pauli mit 13 v.H. und in der Altstadt Nord mit 32 v.H. bebaut. Die Wohnungen in Harvestehude verfügten etwa zur Hälfte über Badeeinrichtungen, bei denen in St. Pauli waren es weniger als 5 v.H. und in der Altstadt-Nord lag die Zahl der mit Badeeinrichtung versehenen Wohnungen bei knapp 3 v.H..

Aus den Berichten über die Cholera-Zeit ist zu entnehmen, dass die Wohnverhältnisse nicht nur innerhalb der obenstehend erwähnten Stadtteile gravierende Unterschiede aufwiesen, sondern auch noch die Neustadt-Süd und Billwerder (alte Schreibweise: Billwärder) als Negativbeispiele herangezogen werden können.

So schreibt ein Polizei-Offiziant in seinem Bericht vom 21.9.1892 an die „Desinfectionsanstalt“, dass in dem Hause Wilhelminenstrasse Nr. 46 (Hein-Hoyer-Straße 44/48) im Hinterhaus erneut drei Cholerafälle vorgekommen seien, welches nach seinem Dafürhaben aus folgenden Umständen auch nicht ausbleiben konnte. In dem Hause seien Dachstübchen mit je einem kleinen Fenster eingerichtet, in welchem ganze Familien wohnten. Die Wohnungen seien mit schlechter Luft angefüllt, so dass das Bewohnen nicht zulässig erscheine. Außerdem befänden sich die Closets der sämtlichen Etagen im Keller, aus welchem ein übler Geruch hervordringe.

Eine Nachuntersuchung des Polizei-Arztes ergab am 22.9.1892, dass das Ergebnis einer Besichtigung die Beschwerde gerechtfertigt erscheinen lässt. Schlafräume befinden sich unmittelbar unter dem Dache und verfügen über keine ausreichende Belüftung. Die Einzimmer-Wohnungen werden zum Teil mit bis zu sechs Personen bewohnt. Eine Abhilfe dieser Überfüllung sei im sanitären Interesse dringend geboten, zumal an der Closetanlage im Keller des Hinterhauses während der ganzen Dauer der Epidemie noch nicht einmal eine Reinigung vorgenommen worden sei.

Im Jahre 1901 erscheint im Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft eine Untersuchung über die „Verhältnisse kleiner Wohnungen in Alt-Hamburg“. Sie beschreibt u.a. die erschreckenden Zustände im Sanierungsgebiet Steinstraße und Neustadt. Der Autor dieser Studie schildert, dass ihm bei seinen Gängen durch dieses Viertel die charakteristischen Hinterhöfe mit den ein- und zweistöckigen Buden aufgefallen seien. In einem Hof am Großen Bäckergang seien 22 dieser „Häuser“ vorhanden und die darin lebenden Familien teilten sich eine Abortanlage mit fünf Abteilungen, einen einzigen Wasserhahn mit nur einem Ausguss.

 

3. Entwicklung der Stadthygiene

3.1. Die Wasserkunst

Bis in das Mittelalter hinein gab es in Hamburg keine organisierte Trinkwasserversorgung. Es blieb der Bevölkerung selbst überlassen, wie sie ihrem Wasserbedarf genügte. Es gab die Möglichkeit, Brunnen oder Schöpfstellen aufzusuchen, an Wasserwagen oder bei Wasserträgern Wasser zu kaufen und etwa seit dem 14. Jahrhundert versorgten dann erste Wasserleitungen die wohlhabenden Haushalte.

Im Jahre 1531 wurde bei der heutigen Reesendammbrücke eine „Wasserkunst“ errichtet, der zwei weitere am Graskeller und am Oberbaum folgten. In diesen wurde Alsterwasser über einen Sammelbehälter in ein Röhrensystem geleitet und in die bereits vorhandenen Wasserleitungen eingespeist, während die Bewohner ärmerer Stadtgebiete auf Eigenversorgung angewiesen blieben.

Lange Zeit blieben die meisten Bewohner der Hamburger Altstadt gezwungen, ihr Trinkwasser unmittelbar aus Alster, Elbe oder einem Fleet zu holen. Nur die etwas Wohlhabenderen konnten es sich leisten, ihre Zisternen oder Brunnenkasten über Rohrleitungen mit Quellwasser aus der Umgebung von Hamburg oder mit dem unfiltrierten Wasser aus den drei „Alsterwasserkünsten“ zu füllen. Beim großen Brand 1842 versagte die Löschwasserversorgung, da alle Alsterwasserkünste ebenfalls zerstört worden waren. Beim Wiederaufbau beschloss die Bürgerschaft die Anlage eines Wasserversorgungsnetzes für die ganze Stadt und daraufhin entstand nach den Plänen von William Lindley die erste zentrale Trinkwasserversorgung mit Standort in Rothenburgsort. Diese wurde mit Elbwasser betrieben und verfügte über drei Ablagerungsbecken für das Absinken der Schwebeteilchen, zwei Dampfpumpen und einen 65 m hohen Schornstein. Mit dieser neuen Wasserkunst wurde auch das Leitungssystem auf 62 Kilometer ausgebaut, mit welchem das gesamte innere Stadtgebiet versorgt wurde, die Gängeviertel erhielten Sammelanschlüsse.

Die zunehmende Verschmutzung der Elbe, verursacht durch den Schiffsverkehr, die Einleitung der städtischen Abwässer und der Tatsache, dass die neue Wasserkunst das Elbwasser nicht filtrieren konnte, war mit die Ursache von Cholera-Epidemien in Hamburg. Beispielsweise verfügte Altona bereits über filtriertes Wasser und dort traten kaum Cholera-Fälle auf.

Erst 1893 ging das neue Schöpfwerk und eine Anzahl Filter in den Sandfiltrationswerken auf der Elbinsel Kaltehofe in Betrieb, um das für Trinkzwecke genutzte Elbwasser zu reinigen. Die neue Anlage bestand aus vier hochliegenden Ablagerungsbassins auf der Billwerder Insel und 18 Filterbassins auf Kaltehofe. Das zu reinigende Wasser wurde mit einer unterirdischen Kanalleitung aus den Ablagerungsbassins zur Filteranlage geführt. Pro Tag lieferte jeder Filter rund 12.000 Kubikmeter einwandfreies Trinkwasser, welches unter der alten Norderelbe hindurch in zwei Vorratsbassins gepumpt wurde und von dort in die Pumpbrunnen der Maschinenanlage der Stadtwasserkunst in Rothenburgsort floss. Bis 1905 erfolgte die Hamburger Wasserversorgung durch das Elbwasser. Danach wird in Billbrook das erste Grundwasserwerk der Stadt in Betrieb genommen.

 

3.2. Problematik von Müllbeseitigung und Kanalisation

Eine Straßenreinigung oder Müllabfuhr im heutigen Sinne gibt es in Hamburg noch nicht lange. Beides geschah mehr oder weniger privatwirtschaftlich, je nach wohlhabender oder armer Wohngegend. Vom Jahre 1609 bis 1620 waren für eine kurze Zeit Müllabfuhr und Strafvollzug identisch. Das geschah mit dem Karrendienst für verurteilte Übeltäter, die jeden Morgen zu zweit oder zu dritt an eine große Karre gespannt wurden und mit ihrem Klingeln die Hausmädchen veranlassten, den Müll vor die Tür zu stellen. Die Karre wurde nach dem ersten Verurteilten, Michael Schotte, „Schott’sche Karre“ genannt. Ab 1620 machte das Zuchthaus die Karre als Strafvollzug überflüssig.

Noch bis 1840 gab es für eine umfassende Sanierung der alten Wohnviertel kein Geld. Davon betroffen waren vor allem die unhaltbaren Zustände der Stadthygiene. Ein unterirdisches Sielsystem zur Ableitung der Abwässer fehlte ebenso wie eine umfassende städtische Wasserversorgung. Nach wie vor lieferten die Fleete den größten Teil des Wassers und führten im Gegenzug auch den größten Teil des Unrats wieder mit ab. Das Ergebnis war dann zweimal täglich zu besichtigen, wenn die durch die Ebbe trockengelegten Fleete ihren Schlammuntergrund preisgaben und zugleich ihre stinkenden Gase absonderten.

 

3.3. Entwicklung der Müllbeseitigung und Kanalisation

Hamburgs Müllbeseitigung war um 1840 noch äußerst mangelhaft, obwohl seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von dem Hamburger Kaufmann Caspar Voght auf seinem Gut Flottbek vorexerziert worden war, dass Straßenfäkalien sinnvoll eingesetzt über den Weg der Dungaufbereitung die Produktivität einer Landwirtschaft steigern konnte. So stieg beispielsweise der Pachtwert der Flottbeker Ländereien binnen zwanzig Jahren auf etwa das Fünffache und die Kosten der Bodenaufbereitung sanken innerhalb von vierzig Jahren auf unter 13 v.H. der anfänglichen Aufwendungen.

Voght machte es vor, dass neben einer mechanischen Bearbeitung des Bodens das Ausstreuen von Dünger eine nachhaltige Verbesserung der Böden nach sich zieht. Und diesen Dünger stellte Voght ohne eigene Tierhaltung selbst her. Er beschaffte sich „Dung“ zunächst aus Altona und später auch aus Hamburg. Für Altona verpflichtete Voght sich für die Dauer von sechs Jahren, den Straßenkot einzusammeln und erhielt zum Ausgleich dafür sogar jährlich 1.800 Courantmark. Um die Hamburger Gassenreinigung durchführen zu können, ließ Voght den Schmutz mit Ewern nach Flottbek schaffen. Die Dungherstellung geschah in Flottbek ausschließlich aus diesen eingesammelten städtischen Fäkalien.

Erst im Jahre 1886 wird die privatwirtschaftlich betriebene Straßenreinigung und Kehrrichtabfuhr in einen Staatsbetrieb umgewandelt, aber bereits 1896 nimmt Hamburg seine erste Müllverbrennungsanlage am Bullerdeich in Betrieb. Hamburgs Kanalisation war um 1840 ebenfalls noch unterentwickelt und selbst im Jahre 1853 waren im Stadtgebiet erst 11 Kilometer Abwasserrohre in Betrieb, welche allerdings die Abwässer ungeklärt in die Elbe leiteten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ging man davon aus, dass die Reinigungskraft der Elbe mit der Abwassereinleitung keine Probleme haben würde. Im zweiten Bauabschnitt erreichte Ende 1860 das Sielnetz eine Länge von 48 Kilometern, welches bis 1865 dann auf etwa 105 Kilometer ausgebaut wurde und damit war die Innenstadt, jedenfalls soweit es die Abwässer betraf, hygienisch sauber. Zwischen 1871 und 1904 begann der dritte Bauabschnitt, der das Sielnetz auf 700 Kilometer verlängerte, bis 1938 wurden 1.800 Kilometer, bis 1973 wurden 4.068 Kilometer erreicht und gegenwärtig beträgt die Länge des Hamburger Sielnetzes 5.000 Kilometer.

 

4. Die Verantwortlichkeiten

4.1. Die Ignoranz der Mächtigen

Evans beschreibt in seiner Untersuchung über die Cholera in Hamburg, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die herrschenden Schichten Hamburgs die Frage der Armut mit Selbstgefälligkeit betrachtet haben, da bis dato ernsthafte Unruhen ausgeblieben waren. Nur so ist zu erklären, dass sogar die Cholera-Epidemien bis 1892 nahezu keinerlei Konsequenzen weder bei Medizinern noch bei politisch Verantwortlichen nach sich zogen, obwohl mittlerweile nicht nur in Hamburg der Zusammenhang von Ursache der Cholera-Erkrankung und Stadthygiene bekannt war.

Zunächst änderte sich auch 1892 nicht viel, obgleich den Hamburger Behörden bereits seit Juli bekannt war, dass eine neue Cholera-Epidemie bevorstand. Die Ignoranz der Behörden war insofern verwerflich, weil sie von der Reichsregierung verpflichtet worden waren, in allen Verdachtsfällen spezielle Untersuchungen auf Anzeichen des Cholera-Erregers durchzuführen und den Reichsbehörden eine entsprechende Meldung zu machen. Die Untersuchungsmethoden waren allerdings vielen Hamburger Ärzten selbst 1892 noch nicht vertraut und darüber hinaus konnten sich die meisten nicht entschließen, die Diagnose „Cholera“ auszusprechen.
Hinzu kam, dass in Hamburg ein starker Druck auf die Mediziner ausgeübt wurde, keine solche Diagnose zu stellen. Der Grund hierfür waren die unweigerlich zu erwartenden Quarantänemaßnahmen und die Befürchtung der dann folgenden Einbußen im Handel.

Dieses unverantwortliche Verhalten war in Hamburg seit 1872 in einem Plan dahingehend festgelegt, wonach in Einzelfällen keinesfalls Cholera zu diagnostizieren sei, sondern erst nach einer epidemischen Ausbreitung dieser Krankheit.

Selbst nach Bekanntwerden des ersten Cholera-Fälle vom 14. August, von denen einige sogleich tödlich verlaufen waren, versicherte Senator Hachmann noch am 22. August 1892 dem amerikanischen Vizekonsul Charles Burke, es gebe in Hamburg keine Cholera.

Die Hamburger Behörden betrieben eine unentschuldbare Verzögerungs- und Vogel-Strauß-Politik, denn beispielsweise im Unterschied zu Bremen erhielten die Bewohner Hamburgs keinerlei Warnungen oder wenigstens Hinweise auf eine möglicherweise nahende Cholera. Und über den obenstehenden Plan der „Nichtzurkenntnisnahme“ hinaus war für den Notfall einer Epidemie keinerlei Vorsorgeplanung getroffen.

So kann es nicht überraschen, dass Hamburgs Gesundheits- und Verwaltungsbehörden wegen ihres Verhaltens deutlich kritisiert wurden. So bescheinigte Robert Koch den für die erste Diagnose zuständigen Ärzten, ihre Fähigkeit, eine bakteriologische Untersuchung durchzuführen, lasse zu wünschen übrig.

Dem Senat wurde absolute Unfähigkeit bescheinigt und der Reichskanzler Caprivi beklagte sich „in gereiztem Ton“ bei dem Bürgermeister Johann Georg Mönckemeier über die Verzögerung der amtlichen Bekanntgabe der Krankheit durch eben diesen Senat.

Außerdem wurde der Senat durch den Hamburger General Anzeiger gewissermaßen an den Pranger gestellt, als dieser ihm eine Verschleppungs- und Vertuschungspolitik vorwarf und fragte, warum der Senat nicht die Quarantänemaßnahmen angewendet habe, mit deren Hilfe es den Preußen gelungen war, die Krankheit zu verhindern.

 

4.2. Die Vermeidbarkeit der Cholera-Epidemie von 1892

Bereits wenige Tage nach dem amtlichen Eingeständnis, die Cholera sei ausgebrochen, hatte die Krankheit unvorstellbare Ausmaße angenommen. Vom 16. August bis zum 12. November 1892 wurden 16.956 Cholera-Fälle gemeldet, von denen 8.605 Erkrankte starben.

Noch als in Hamburg intensiv und heftig darüber gestritten wurde, was denn als Grund für die Ausbreitung der Krankheit angesehen werden könnte, machte Robert Koch den Hamburgern 1892 unmissverständlich klar, dass die Verseuchung von Hamburgs Trinkwasser der Hauptgrund für die tausendfache Erkrankung sei.

Ein Vergleich mit Altona erhärtete Kochs Aussage. Altonas Trinkwasser wurde seit 1859 durch Sand gefiltert, das Wasser Hamburgs nicht. Auf der Hamburger Seite traten wesentlich mehr Cholerafälle auf als in Altona. Als Beispiel wird auch der „Hamburger Hof“ genannt. Dieser Wohnblock am Schulterblatt mit 345 Einwohnern gehörte zwar zu Hamburg, erhielt aber von Altona das Trinkwasser. Im „Hamburger Hof“ trat 1892 kein einziger Fall von Cholera auf.

Wäre nun aber der erste Cholera-Fall vom 14. August 1892 als solcher diagnostiziert worden, hätte der Senat möglicherweise die Bewohner auffordern können, ihr Trinkwasser abzukochen. Als die Epidemie am 24. August bekannt wurde, war es zu spät. Bei den herrschenden Umweltbedingungen, es war sehr heiß und die Elbe führte wenig Wasser, vermehrten sich die Cholera-Erreger rasch und gelangten mit den Ausscheidungen schon viele Kilometer elbaufwärts ins Wasser. Und da die Trinkwasserentnahme elbaufwärts bei Rothenburgsort und Billwerder erfolgte, schloss sich der Teufelskreis.

 

5. Zusammenfassung und Schlussbemerkung

Wie ein roter Faden zieht durch die vorliegende Arbeit die mangelhafte Trinkwasserversorgung, die fehlende Abwasserbeseitigung und unkontrollierte Müllabfuhr, vor allem in den ärmeren Bevölkerungsgebieten. Dazu gehört auch die „eigenwillige“ Wohnungsbaupolitik der Behörden mit den Aussparungen im sanitären Bereich. Nicht verschwiegen werden soll, dass Teile der Bevölkerung beispielsweise ihre Straßen selbst mit Fäkalien und Hausmüll verunreinigten, aber es darf auch nicht verschwiegen werden, dass Möglichkeiten anderer Beseitigung praktisch nicht vorhanden waren.

In diesem Zusammenhang wird in Erinnerung gerufen, dass der in Kapitel 1 beschriebene Fall keine Ausnahme darstellt. An dieser Fundstelle wird dargelegt, dass in einem Hof am Großen Bäckergang 22 Familien mit einer einzigen Abortanlage mit fünf Stellen, nur einem Wasseranschluss und einem Ausguss lebten. Das bedeutet, dort lebten wenigstens 100 Menschen mit nur fünf Klostellen und lediglich einem Wasseranschluss. Selbst ohne Cholera und in kerngesundem Zustand der Bewohner ist wenig Phantasie nötig, um sich vorzustellen, dass Krankheiten ganz schnell und wie ganz von selbst ausbrechen werden.

Dennoch, der Hauptgrund für die Cholera-Epidemie von 1892 lag nicht in der Armut weiter Bevölkerungskreise und ihrer unzureichenden Nahrungsmittelversorgung, er lag in der Inkompetenz der Ärzteschaft und Ignoranz von Senat und Bürgerschaft.

Die Inkompetenz von einigen Vertretern der Ärzteschaft manifestierte sich in der Unfähigkeit, eine präzise Diagnose stellen zu können und von anderen Ärzten in dem Unwillen, eine solche Diagnose zum Ausdruck zu bringen.

Die Ignoranz von Senat und Bürgerschaft wird deutlich an dem Plan von 1872, eine Cholera erst dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie bereits als Epidemie vorhanden ist. Da das verseuchte Trinkwasser für Hamburgs große Epidemie als der Hauptverursacher bezeichnet werden muss und diese Tatsache den Hamburger Behörden seit Jahrzehnten bekannt war, ist der viel zu späte Bau einer Trinkwasserfiltrieranlage im Jahre 1893 als eine unverzeihliche Gleichgültigkeit gegenüber den Grundbedürfnissen der Bevölkerung zu verurteilen.

Das Vergehen der Verantwortlichen wiegt umso schwerer, weil sie an anderen Städten hätten erkennen können, wie mit Seuchen umzugehen ist. Beispielsweise gab es in Bremen 1892 nur sechs Cholera-Fälle, da die Bremer zwischen 1875 und 1890 die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung an eine Versorgung mit filtriertem Trinkwasser angeschlossen hatten. Als ein weiteres Beispiel soll die drastische Methode Breslaus gelten, die 1866 erkannten, dass die mitten durch die Stadt fließende Ohle ein Seuchenherd ersten Ranges war. Man schüttete die Ohle im Stadtbereich einfach zu und ließ damit den Fluss außerhalb der Stadt in die Oder münden. Die Hamburger hätten sicherlich weder Elbe, noch Alster oder die Fleete zuschütten können, aber die genannten Beispiele hätten als Anlass zum Nachdenken ausgereicht.

 

6. Quellen

  • Davies, Norman / Moorhouse, Roger (2005): Breslau. Die Blume Europas. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt, München.
  • Dettke, Barbara (1995): Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin.
  • Evans, Richard J. (1996): Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910, Reinbek.
  • Kopitzsch, Franklin / Tilgner, Daniel (1998): Hamburg Lexikon, Hamburg.
  • Simson, John von (1983): Kanalisation und Stadthygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf.

 

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