Die Feiern zum Ersten Mai im real existierenden Sozialismus Die gewerkschaftlichen Feiern zum Ersten Mai sind ursprünglich aus Amerika nach Europa herüber geschwappt. Das war gewiss eines der wenigen Sachen aus den USA, die die Politoberen der DDR übernommen haben, weil es eben schon da war. Spätestens nach dem berühmten „yea, yea, yea“ aus Ulbrichts Kehle war Schluss mit den Amerikanismen in der DDR. Wie lief so ein Maifeiertag in einer Kleinstadt in der DDR ab? Ich kann hier aus eigener Erfahrung berichten, da ich diese Gesellschaftsordnung von Klein auf erlebt habe. Die Maifeier war schon als Vorschulkind ein besonderes Erlebnis. Ich besuchte in den 50ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf dem Land einen Kindergarten – eine Art KITA – ja so was gabs schon damals. Von da aus konnten wir Kinder am Vortag des 1. Mai hinter einem Bauernhof sehen, wie ein Pferdewagen liebevoll mit bunten Fähnchen und frischem Maiengrün geschmückt wurde. Uns schlug das Herz höher, ahnten wir doch, dass wir am nächsten Tag damit auf die Festwiese kutschiert würden, gezogen von einem Pferdegespann. Diese Kremserfahrt prägte sich im kindlichen Empfinden zu einemunvergesslichen Erlebnis ein. Auch als Schulkind fand man bis zu einem gewissen Alter noch Gefallen an diesem schulfreien Feiertag. Gern bastelte und gestaltete man Wimpelketten und schmückte das Schulgebäude. Man lernte im Chor ein Lied zum Vortragen und übte auf einem Musikinstrument. Gehorsam ließ man sich das Halstuch binden … Das änderte sich, sobald man größer war und das FDJ-Hemd nicht mehr so recht zu unserem jugendlichen Modeverständnis passte – und man es trotzdem tragen musste. Listig zog man sich bei kühlem Wetter einen Pullover über die blaue Textilie und band einen Schal auf den Hemdskragen. Man hörte nun auch lieber fetzige Schlager, bastelte gern am Fahrrad – wenn nicht gar schon am Moped … Der schulfreie Tag war zwar willkommen aber die Veranstaltung nicht. Da ich in der Kreisstadt die EOS (Penne) als Internatsschüler besuchte, musste ich vom Bürgermeister meines Heimatdorfes eine Bescheinigung im Rektorat vorlegen, dass ich die Maifeierlichkeiten daheim besucht habe. Grundlegend verstärkt wurde das Primborium um den ersten Mai im Erwachsenenalter. Vor diesem „Großen Tag“ mussten in den Betrieben, Handelsorganisationen u. a. die „Verpflichtungen zum sozialistischen Wettbewerb“ abgeliefert werden. Das war auch so eine Verballhornung der Leninschen These: „Wie soll der Wettbewerb organisiert werden?“. Die DDR-Medien, die nach dem Motto: „Nichts zeigen – nichts sagen – nicht unterhalten!“ ihren Beitrag zum Mai erfüllten, berichteten in ihrer eintönigen, gleichlautenden Sendervielfalt: „Die Werktätigen der Brigade soundso rüsten sich mit erfüllten Plänen zu Ersten Mai“ … Dieser Journalismus wurde bis zum Erbrechen fortgesetzt, bis man spätestens Anfang April das Wort Mai nicht mehr hören konnte, ohne angewidert ab- oder umzuschalten. Zu allem Überdruss wurden die vorgeschriebenen und verordneten „Losungen zum 1. Mai“ noch in der Presse veröffentlicht. Im Vorfeld des Feiertages waren die Bürger angehalten, ihre Häuser und Fenster zu schmücken und zu beflaggen. Dazu verteilte man seitens der Partei- und Staatsführung unermüdlich entsprechende Aufrufe. Ich kann mich entsinnen, wie mein Großvater jedes Jahr eine RiesenDDRFahne mit langem Mast aus dem Dachfenster wehen ließ. Ich erinnere mich aber auch an ein älteres Ehepaar (Staasi?) welches am Vorabend des Ersten Mai durch das Wohngebiet schlenderte und alle diejenigen registrierte, die nicht geflaggt hatten. Endlich war es soweit!!! Der Erste Mai war gekommen. Im Rundfunk spielte man schon seit dem Morgen Kampflieder und Marschmusik und das Fernsehen übertrug live von den Militärparaden in Moskau und Berlin und den anschließenden Volksfesten. Gewünscht war es, dass die Bürger möglichst vielzählig am Stellplatz erschienen und gemeinsam im Arbeitskollektiv demonstrierten. Dazu zahlte man den Anwesenden betrieblicherseits an Ort und Stelle eine Zielprämie von 5,- Mark aus. Mitgebrachte Kleinkinder erhielten kleine Papierfähnchen, so genannte Winkelemente. Nach endloser Warterei, bei der so manch einer bereits seine Zielprämie aufgebraucht hatte setzte sich der Pulk endlich in Bewegung. Gewöhnlich verlief die Marschroute vorbei an einem Monument mit Lenin oder Marx/Engels und die „Straße der Besten“ entlang. Die Straße der Besten war ein Straßenabschnitt, an dessen Seite großformatige Plakate mit den Konterfeis erfolgreicher Werktätiger zu sehen waren. Wer diese „Besten“ ernannte und wodurch sie es wurden, blieb den meisten ein Rätsel und somit war es auch vielen völlig egal. Von weit erklangen Kampflieder und Märsche, die allmählich lauter wurden, je mehr wir uns dem Festplatz näherten. Am Festplatz befand sich eine mit rotem Fahnentuch bespannte Ehrentribüne, auf welcher die Partei- und Staatsfunktionäre milde lächelten. In der Sonne glänzte das aufpolierte Parteiabzeichen. So standen sie oben, das Gesicht dem Volke zugewandt – aber mit dem Rücken zur Wand. (Das Letztere glaubten sie selbst aber nicht) Block für Block erreichte den Festplatz und reihte sich ein. Jubelchöre und Begeisterungsrufe auf die sozialistischen Errungenschaften sollten die Demonstrierenden zu Beifall und Verzückung animieren. Doch die meisten hatten die Laatscherei satt und verspürten Durst. Und wieder ertönten Märsche und Arbeiterkampflieder. Immerzu erschallten Hochrufe auf die oberen Parteigenossen. Und die Genossen genossen dieses Szenarium. … Welch eine Verkennung des proletarischen Grundgedankens von egalité – Gleichheit! Dann folgte eine salbungsvolle, langatmige und phrasenhafte Rede, gespickt mit den Vorzügen und vermeintlichen Erfolgen des Sozialismus. Mir knurrte langsam der Magen! Der Referent unkte weiter mit dem Hinweis auf den sterbenden Kapitalismus gegen den westdeutschen Gegner. Dazu prangte die Mainelke des Redners im Knopfloch eines Markenanzuges vom Klassenfeind. … Zum Schluss sollte man noch ein Lied mitsingen. Es wurde das Lied: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ angestimmt. Die Nationalhymne der DDR war ja in der DDR nicht erwünscht wegen des Textes: Deutschland, einig Vaterland. Dafür konnte man aber abends mit der „Deutschen Reichsbahn“ gemütlich heimfahren.