Ehemalige Häftlinge vom Hasag-Zwangsarbeitslager in Leipzig vor ihrer Baracke. Darunter auch Grossvater des Autors. November 1945.
Ehemalige Häftlinge vom Hasag-Zwangsarbeitslager in Leipzig vor ihrer Baracke. Darunter auch Grossvater des Autors. November 1945.

Laut Aussagen von Oswald Pohl, dem Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamts, die er 1947 in Nürnberg machte, war das Leipziger Unternehmen nach der Zahl der beschäftigten Häftlinge der viertgrösste Arbeitgeber im besetzten Europa.

Gemessen an der Art der physischen und psychischen Vernichtung der Menschen nimmt das betriebseigene Zwangsarbeitslager der Firma Hasag im polnischen Ort Skarżysko-Kamienna einen ähnlichen Platz in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs wie Auschwitz und Mauthausen ein.

 

Anfänge

Die ersten „Arbeitsjuden“  von Skarżysko wurden  von der Hasag bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1941 beschäftigt. Das Interesse an der jüdischen Arbeitskraft stand im engen Zusammenhang mit der Ausfuhr von 2000 polnischen Arbeiter in den Hauptbetrieb nach Leipzig. Seit Frühling und Sommer 1941 erfolgte dann ihr Einsatz bei der Munitionsproduktion. Paradoxerweise meldeten sich  viele Ghettobewohner bei der Personalabteilung der deutschen Rüstungsfabrik freiwillig. Eine feste Einstellung bot ihnen freilich die Möglichkeit das Ghetto zu verlassen, und damit in der Aussenwelt an Lebensmittel zu kommen, die in dem abgesperrten Wohnviertel nur schwer oder überhaupt nicht erhältlich waren. Diese Praxis wiederholte sich ein Jahr später (1942), als wieder einmal eine grosse Zahl von polnischen Arbeitern nach Leipzig versetzt worden ist. Auch in diesem Fall sollte der Mangel durch jüdische Stadtbewohner ersetzt werden. Im gleichen Jahr begann dann die Anlieferung von Juden über die berüchtigte „Aktion Reinhard“, die zu dieser  Zeit im Distrikt Radom begann. In deren Rahmen kamen Juden aus aufgelösten Ghettos direkt in die Gaskammer des Vernichtungslagers in Treblinka. Dem grausamen Schicksal konnten nur arbeitsfähige relativ junge, gesunde und kräftige Männer und Frauen entkommen, für die der Status von Zwangsarbeitern in betriebseigenen Arbeitslagern vorgesehen war. Diese Prinzipien hat man auch in den Hasag-Werken in die Tat gesetzt, und so wurden die jüdischen Hasag-Beschäftigten aus dem bisherigen Wohnsitz in den Ghettos in eine neue, feste Unterkunft auf dem Fabrikgelände umgesiedelt. So hat man noch im Jahre 1942 1900 Leute in das provisorische Lager der Hasag in Skarżysko-Kamienna eingewiesen. Dabei stammten 500 von ihnen aus dem lokalen Ghetto, den Rest bildeten arbeitsfähige Personen aus anderen Orten des Radomer Distrikts, die man als reichsnützlich eingestuft hatte. Als im April 1942 das erste Kontingent der Arbeitssklaven in den Hasag-Werken eintraf, war die Wohnkapazität des neu entstehenden Lagers noch sehr knapp. Ihre Unterkunft bestand zuerst nur in einem leeren Gebäude in der Ekonomii-Strasse. Die Vier-Etagen-Pritschen reichten nicht für alle aus, so dass anfangs viele von den Gefangenen im Freien übernachten mussten. Die unmenschliche Unterbringung sah nicht einmal Latrinen und zur Wasserversorgung nur einige Wasserkräne in der ganzen Fabrikanlage vor. Die ersten Häftlinge  der Hasag wurden zuerst hauptsächlich zu Arbeiten wie Strassenpflasterung, Errichtung von neuen Baracken und Umzäunungen eingesetzt.

Lage von Skarżysko-Kamienna, (c) Google Maps
Lage von Skarżysko-Kamienna, (c) Google Maps

Nach einigen Monaten  nach der Verfrachtung der ersten Zwangsarbeiter  ist das Lager auf  etwa 20 Baracken angewachsen. Die neu errichteten Gebäude waren diesmal mit Drei-Etagen-Pritschen ausgestattet. Diese baute man aus ungehobeltem Holz, was nicht die einzige Unbequemlichkeit war. Als Bettzeug dienten den Zwangseinwohnern schmutzige und klebrige Strohsäcke, vor Kälte sollten gebrauchte, stinkende und verdreckte Decken schützen. Eine Pritschenfläche war dabei für zwei Mitbewohner bestimmt. Die Abstände zwischen den Betten waren dazu so klein, dass man seinen Schlafplatz nur schwer erreichen konnte. Die katastrophalen hygienischen Zustände im Lager sorgten oft für Plagen von Läusen, Ratten und Wanzen. Häufige Ausbrüche von Dysenterie und Typhus waren die oft tödlichen Folgen.

 

Verpflegung

Die für die  Zwangsarbeiter der Hasag festgelegten Ernährungsnormen basierten auf der täglichen Portion von 200 Gramm Brot (gebacken aus Kartoffelflocken mit einem geringen Zusatz von Mehl), einer wässrigen Brühe, deren Inhaltsstoffe faules und erfrorenes Gemüse, sowie wiederum Kartoffelflocken waren. Ab und zu fand sich unter den Zutaten auch ein Stück Pferdefleisch oder Zucker. Getreidekaffee war das tägliche Getränk der Gefangenen, den sie übrigens auch in einer reglementierten Menge bekamen.

 

Kranke

Das Krankenhaus bestand aus zwei Baracken. Blanke Pritschenbretter ohne Bettzeug waren die  Schlafplätze der Kranken. Ihrer Hauptfunktion, die in der Verordnung von Medikamenten bestehen sollte, konnte die Heilanstalt nicht nachgehen, denn diese gehörten einfach nicht zu deren Ausstattung. Die Mängel betrafen auch jegliche Verbandsmaterialien. Verunglückte bedeckten ihre Wunden also mit schmutzigen Lappen oder Papierstücken. Einmal die Woche fand unter den Patienten eine Selektion statt, nach der die Schwächsten (Arbeitsunfähigen) durch Erschiessung hingerichtet wurden. Wehrlose Kranke mussten auch Misshandlungen und Diebstähle seitens des medizinischen Personals  über sich ergehen lassen. Viele Patienten haben den Aufenthalt im Lagerkrankenhaus nicht überlebt. Für Tote war eine grosse, gleich vor dem Gebäude stehende Holzkiste vorgesehen. Sobald diese voll war, hat man die Leichen auf einen speziellen Wagen geladen und wie Abfälle abtransportiert und entsorgt.

 

Selektionen

Von Zeit zu Zeit fanden im Lager Selektionen statt. Sie hatten das Ziel, den auf Effizienz abzielenden Produktionsprozess von schwachen und damit arbeitsunfähigen Arbeitern zu befreien. Auf die Ausleselisten kamen zudem noch oft Patienten von dem Lagerkrankenhaus, und außerdem jeder der dem jeweiligen Lagerkommandanten nach seinem Gutdünken als lebensunwürdig erschien. Nach der Auswahl sollten die Häftlinge noch ihren letzten Beitrag zum Wohle des Dritten Reiches leisten, indem sie als Testobjekte für neue Munitionssorten eingesetzt wurden. Die Erschiessungen fanden auf dem Schiessplatz in der Umgebung vom Werk C statt. Die grösste Selektion hat man im Sommer 1944 im Rahmen der Lagerauflösung vorgenommen. Sie brachte ca. 500 Menschen den Tod.

 

Funktionen des Lagers

 Das Gelände der s.g. „patelnia“. Herr Tadeusz Miernik von Majków bei Skarżysko-Kamienna (dritter von rechts) erzählt einer Gruppe von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, was er in seiner Kindheit als Augenzeuge gesehen und miterlebt hat.
Das Gelände der s.g. „patelnia“. Herr Tadeusz Miernik von Majków bei Skarżysko-Kamienna (dritter von rechts) erzählt einer Gruppe von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, was er in seiner Kindheit als Augenzeuge gesehen und miterlebt hat.

Die Hauptfunktion des Lagers war bekanntlich die Aufbewahrung von möglichst kostenfreien Arbeitskräften für das Rüstungsbetrieb. Nach Aussagen vieler Zeugen betrieben aber SS-Truppen auf dem Lagergelände auch Vergasungen von Häftlingen aus anderen Lagern. Die Leichenverbrennung erfolgte dann in der Betriebszone mitten im Wald, auf einer Wiese, die wegen ihrer Funktion scherzhaft als „Pfanne“ (poln. patelnia) bezeichnet wurde. Opfer dieser Massentötungsmethode wurden nach Skarżysko in zu mobilen Gaskammern umgebauten LKW gebracht. Auf diese Art und Weise sollen in dem Hasag-Betriebslager polnische, französische, britische, und russische Kriegsgefangene ermordet worden sein. Auf die Opferliste kamen aber auch Gefangene aus anderen KZ, Vernichtungslagern, oder Mitglieder polnischer Widerstandsbewegungen. Einmal wurde sogar ein Transport mit einigen hundert Kindern gesehen.

 

Ausmass der Zwangsarbeit

Nach der Übernahme der polnischen Staatlichen Munitionsfabrik (PFA) durch die Hasag führte die neue Fabrikführung neue Managementprinzipien ein, nach denen der Betrieb in drei Hauptteile (Werke) gegliedert wurde.

Das „Werk A“ teilte sich in vier Abteilungen: Granaten-, Infanterie-, Automatenabteilung, und Werkzeugbau. Unrealistische Produktionsnormen, das Fehlen an Schutzkleidung, häufige Prügel seitens der Meister, des Werkschutzpersonals, der Vorarbeiter oder gar der Abteilungsleiter machten den Arbeitstag zu einem traumatischen Erlebnis. Das Gros der Zwangsarbeiter  bestand aus Handwerkern, Bauern oder assimilierten jüdischen Intellektuellen. Der Arbeitgeber nahm keine Rücksicht auf die fehlende Erfahrung der Beschäftigten in einer Fabrikarbeit, und die neuen Mitarbeiter setzte man einfach ohne Anlernung an die jeweiligen Maschinen und verlangte ungeachtet dessen eine enorme Arbeitsleistung. Die erst genannte Abteilung bestand aus zwei Unterdepartements. Die Granatenpresserei, geleitet von Karl Procher, produzierte Geschossschalen. Zur deren Herstellung gebrauchte man spezielle Riesenöfen. Bei einer Temperatur, die oftmals bis 1800 Grad Celsius stieg, arbeiteten beinahe nackte Menschen ohne Schutzmäntel oder Brillen, oft auch ohne Schuhe. Im anderen Unterdepartement gab es nur weibliche Arbeiter. Ihre Tätigkeit –  das Aufpolieren der Schalen – musste in einem unglaublichen Tempo verlaufen. Hiebe bekamen sie für jeden kleinsten übersehenen Flecken.

Bernard Kremer führte die  Infanterieabteilung und wurde für einen strengen Leiter gehalten. Die Arbeitsverhältnisse waren je nach Sektion unterschiedlich; für seine sadistischen Neigungen war Alfred Wagner bekannt. Eine Einweisung in die Automatenabteilung galt wegen der vergleichsweise guten Arbeitsverhältnisse als ein Privileg, an  das man nur durch Bestechung der Vorgesetzten kommen konnte. Gearbeitet hat man da nur bis 17 Uhr, dazu waren die meisten Sonntage frei. Im Werkzeugbau nutzte dessen Chef Willi Seidel seine Funktion, um von seinen jüdischen Untertanen in einer listigen Form Geld zu erzwingen. Er machte das, indem er ab und zu Selektionslisten zusammenstellte. Für das Wegstreichen des eigenen Namens  musste man mit Geld oder kostbaren Gegenständen aufkommen.

Das „Werk B“ war in der ehemaligen Fabrik für Aktivkohle eingerichtet. Von den insgesamt drei Werken war es am kleinsten und zählte nur vier Baracken. Im Jahr 1941 waren in diesem Teil der Munitionswerke nur 774 Häftlinge registriert. Die Werkführung  hatte Walter Glocke inne. Seine Untergebenen: Wilhelm Ledig, Leiter des Departements für Luftabwehrmunition und Georg Hering, der die Abteilung für blinde Patronen kontrollierte, traten in Erinnerungen ehemaliger Gefangene als äusserst negative Persönlichkeiten auf. Im Bereich von „Werk C“ gab es eine Küche, eine Mühle zur Herstellung von Kartoffelflocken und sogar eine Farm mit  Nutztieren, und wo man Obst- und Gemüseanbau betrieben hat. Einige Jüdinnen setzte man für Büroarbeiten ein, oder als Kellnerinnen in der Kantine. Dieser Lagerteil gehörte zu den wenigen Ausnahmen, wo Gefangene mit einer relativ humanitären Behandlung rechnen konnten.

Eine Einweisung ins „Werk C“ hat für die meisten Zwangsarbeiter ein Todesurteil bedeutet. In der Fabrikhalle 6 dauerte die Tagesschicht 12 und die Nachtschicht 14 Stunden. An einem Ort ohne Lüftung rührte man in zwei grossen Kesseln kochenden Salpeter und TNT. Zu diesem Zweck dienten grosse ruderartige Löffel. Beim Schütteln der beiden Inhaltsstoffe in die riesigen Behälter entstand ein dichter Staub, der Augen und Lungen stark reizte. Die Produktionsnorm, die die Verfüllung von 2800 Geschossen pro Schicht vorsah, liess keine Sekunde zum Aufatmen frei. Bei so einem Arbeitstempo waren häufige Arbeitsunfälle unvermeidlich. In den Hallen 53 und 58 leisteten die Häftlinge mit löchrigen Eimern voller flüssigen, kochenden  TNT ausgestattet Trägerarbeit. Auch hier verlief die Arbeit so schnell, dass die ätzende Substanz aus den undichten Behältern sickerte. Somit fügte man sich häufig schwere Wunden an Beinen und Füssen zu. Noch schlimmer war in diesem Teil des Arbeitslagers das Schicksal von Frauen beim Zermahlen von TNT-Würfeln. Die chemische Beschaffenheit des sich dabei lösenden Staubs beschädigte Lungen und Augen. Eine Lebenserwartung länger als zwei Monate war dort eine Ausnahme. Nicht selten baten sie ihre Aufseher um einen schnellen Tod durch Erschiessen. In einem weiteren Bereich des „Werk C“, den  Hallen 13 und 15, wurden  Seeminen hergestellt. Den Häftlingen hat man dort  die Aufgabe auferlegt, diese mit Pikrinsäure zu verfüllen. Die Substanz war ebenfalls sehr gefährlich, so dass vor dem Krieg nur  ein vierstündiger Kontakt damit erlaubt war, und in einer entsprechenden  Schutzkleidung. Die Hasag-Leitung führte wie in allen Bereichen, so auch hier,  12-Stunden-Schichten ein. Die täglichen Arbeitsziele sorgten dafür, dass keine Arbeitspausen möglich waren. Der tödliche Stoff, der den ganzen Körper gelb verfärbte, liess den oft nur in Pappsäcke gekleideten Arbeiter kaum Überlebenschancen. Im Kompetenzbereich des „Werks C“ befand sich auch die Entladung von ankommenden Bahntransporten. Zu den Lieferungen, die rund um die Uhr ankamen, engagierte man auch diejenigen, die eine schwere Tagesschicht hinter sich hatten. Keine seltene Situation war, dass ein voller Güterwaggon von nur zwei Häftlingen geleert wurde. Infolge solch eines Arbeitsterrors schrumpfte die Zahl dieses Abteilungsteams nach einem Monat von 120 auf 20 Männer. Das Defizit wurde jedoch gar nicht durch neue Ersatzkräfte gedeckt. Das heisst, dass die  20 Menschen, die dem Tod entkommen waren denselben Aufgabenbereich zu ertragen hatten wie die volle Mannschaft. Es gab daher Tage, an denen man sich nur zwei Stunden Schlaf leisten konnte. Aber auch der lagerinterne Transport war eine Tätigkeit, die für sehr viele tödlich endete. Die Strecke aus der Halle 58 in das Lagermagazin 3 hat man „Todestransport“ genannt, denn die 40 Tonnen wiegenden Transportpaletten mit Geschossschalen sollten jeweils von nur drei Gefangenen überführt werden. Doch für Einige Wenige bot sogar das „Werk C“ gute Arbeitsplätze. Gute Arbeitsbedingungen gab es in der Halle 51, wo Patronenhülsen mit dem Fabrikcode markiert wurden oder die Halle 51, wo man Zünder für Luftabwehrmunition einsammelte.

Von den etwa 25 bis 30 Tausend Zwangsarbeitern der Hasag-Werke in Skarżysko-Kamienna haben nach Schätzungen polnischer Historiker ungefähr 18 bis 23 Tausend den Aufenthalt im Lager nicht überlebt.

 

Quellen:

  • Gibaszewski Krzysztof, HASAG, Muzeum im. Orła Białego, Skarżysko-Kamienna 2011
  • Piątkowski Sebastian, Skarżysko-Kamienna w latach wojny i okupacji (1939-1945), w Dzieje Skarżyska-Kamiennej. Monografia z okazji 90-lecia nadania praw miejskich, Skarżysko-Kamienna 2013
  • Wijaczka Jacek, Działalność koncernu HASAG w Skarżysku-Kamiennej w latach II wojny światowej, w Znad Kamiennej. Skarżysko-Kamienna. Materiały i studia, Tom I, Skarżysko-Kamienna 2007

 

Piotr Solbach

 

 

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