Ein Wahlsystem ist dasjenige Verfahren, mit welchem die Wahlstimmen der Bevölkerung in Mandate umgesetzt werden. Zunächst zeigt sich, dass innerhalb der verschiedenen Wahlsysteme zwei Grundtypen feststellbar sind: die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl.
Die Mehrheitswahl
Die Mehrheitswahl ist der historisch erste Typus und hat einen rein personenbezogenen Charakter. Dieses System hat den Vorzug der Einfachheit, fördert klare Mehrheitsverhältnisse und sorgt auf diese Weise für eine Regierungsstabilität. Allerdings trägt sie den Bedingungen eines modernen Parteienstaates keine Rechnung, da für eine individuelle Wahlentscheidung die jeweilige parteipolitische Präferenz ausschlaggebender ist als die Persönlichkeit des Kandidaten. Das bedeutet, dass die Mehrheitswahl zu einer Verfälschung des Wählerwillens führen kann, da Stimmenverteilung und Mandatsverteilung eines ganzen Wahlgebietes dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit nicht unbedingt entsprechen muss.
Das System der Mehrheitswahl teilt sich in zwei Hauptstränge:
In Einmann-Wahlkreisen kann für die Wahlentscheidung die relative oder die absolute Mehrheit erforderlich sein.
Die relative Mehrheitswahl
Die relative Mehrheitswahl ist das klassische Verfahren der angelsächsischen Welt, das an Einfachheit nicht zu übertreffen ist (Großbritannien, Vereinigte Staaten, Kanada, Neuseeland, Indien, Jamaika, Barbados, Bahamas).
Die absolute Mehrheitswahl
Bei der absoluten Mehrheitswahl können Probleme dahingehend auftauchen, dass keiner der Bewerber die absolute Mehrheit erzielt. In diesem Fall gilt die Regelung, dass ein zweiter Wahlgang stattfinden muss. Dieses Verfahren wird bei Präsidentschaftswahlen in Frankreich, Österreich und Portugal angewendet.
In Mehrmann-Wahlkreisen stellt das System der Mehrheitswahl ein simples Verfahren dar, da die Bewerber in der Reihenfolge der für sie abgegebenen Stimmen gewählt sind (z.B. Japan). Auf diese Weise wird erreicht, dass die Stimmen, die nicht für den Sieger abgegeben werden, nicht verlorengehen.
Wo gilt die Mehrheitswahl?
In 7 von 23 westlichen Industrieländern wird heute ein System der Mehrheitswahl angewandt:
Großbritannien, Kanada, USA
relatives Mehrheitswahlsystem
in Einerwahlkreisen
Neuseeland
seit 1993 Verhältniswahlsystem
Australien, Frankreich
Absolutes Mehrheitswahlsystem
Irland
Mehrheitswahlsystem
Die Verhältniswahl
Die Verhältniswahl ist eine Listenwahl. Da die Kandidatenlisten im Normalfall von politischen Parteien aufgestellt werden, hat der Wähler hauptsächlich zwischen verschiedenen programmatischen Alternativen zu entscheiden, aber kaum die Möglichkeit, eine personelle Auswahl treffen zu können.
Allerdings ergibt sich bei der Listenwahl das Problem, wie sich die Verteilung der Mandate auf die einzelnen Listen errechnet. Drei Listengestaltungsmöglichkeiten bieten sich zur Lösung an:
- Bei der gebundenen oder starren Liste ist der Wähler an die festgelegte Reihenfolge der Kandidaten gebunden. Auf die Bestimmung der Personen, die das von ihm bevorzugte politische Programm vertreten sollen, hat er keinen Einfluss.
- Bei der lose gebundenen Liste muss sich der Wähler ebenfalls für eine Liste entscheiden, aber er kann die Reihenfolge der Kandidaten ändern, indem er z.B. einem Kandidaten mehrere Stimmen gibt (kumulieren).
- Bei der Freien Liste kann der Wähler nicht nur die Reihenfolge auf einer Liste ändern, sondern er kann auch Kandidaten aus verschiedenen Listen auswählen (panaschieren). In diesem Fall besteht also die Möglichkeit, der personellen Präferenz für die Wahlentscheidung eine größere Bedeutung zukommen zu lassen als der parteipolitischen.
Bei dem System des unbeweglichen Wahlquotienten wird die Zahl der Stimmen, nach der den Listen ein Mandat zugewiesen wird, absolut festgesetzt. Dadurch wechselt die Anzahl der Mandate je nach Wahlbeteiligung und Stimmenverteilung. Als Folge dieses Systems wechselt von Wahl zu Wahl die Parlamentsgröße und wird aus diesem Grunde heute nicht mehr angewandt. (Der Schweizer Bürkli propagierte dieses System.)
Demgegenüber steht bei dem System des beweglichen Wahlquotienten die Anzahl der Mandate fest, während die Anzahl der für ein Mandat erforderlichen Stimmen wechselt. Für die Bestimmung des Wahlquotienten gibt es mehrere Verfahren, die in drei Gruppen unterteilt werden können:
Bei der absolut höchsten Stimmzahl als Bezugsrahmen wird der Wahlanteil ermittelt, indem die Zahl der abgegebenen Stimmen durch die Zahl der Mandate geteilt wird. Jede Liste erhält so viele Mandate, wie der Anteil in den auf sie entfallenden Stimmen enthalten ist. Die Restmandate werden in der Reihenfolge der Stimmreste auf die einzelnen Listen verteilt.
Bei der relativ höchsten Stimmzahl als Bezugsrahmen wird der Wahlanteil so bestimmt, dass die abgegebenen Stimmen durch die Zahl der Mandate + 1 geteilt wird. Jede Liste erhält so viel Mandate, wie der Anteil in den auf sie entfallenden Stimmen enthalten ist. Die Restmandate werden verteilt, indem die Stimmenzahl jeder Liste durch die um 1 vermehrte Zahl der ihr bereits zugewiesenen Mandate geteilt und das nächste Mandat derjenigen Liste zugewiesen wird, die den höchsten Wahlquotienten aufweist. Dieses Verfahren wird so lange fortgesetzt, bis alle Mandate vergeben sind.
Darüber hinaus gibt es noch das Höchstzahlverfahren, welches häufig in Mittel- und Nordeuropa angewendet wird. In diesem Verfahren wird der höchste Durchschnitt als Bezugsgröße zu Grunde gelegt. Die auf jede Liste entfallenden Stimmen werden der Reihe nach durch Divisoren geteilt. Dadurch ergeben sich Höchstzahlen, in deren Reihenfolge die Mandate auf die Listen verteilt werden. In der Bestimmung des Divisors liegt ein mathematisches Problem. Herkömmlicherweise wird das von dem Belgier V. d’Hondt entwickelte Höchstzahlverfahren angewandt, bei dem die natürliche Zahlenfolge die Divisoren bildet.
Wahlen und Wahlrecht
Es war ein weiter Weg, der von den Wahlen in der Zeit des Altertums bis hin zu den heutigen modernen Wahlen führte. Dieser Verlauf wird in dieser Serie von Marianne Eule zur Geschichte der Wahlen und des Wahlrechts nachgezeichnet. Einen Überblick der Serie erhalten Sie hier.