Der König unterzeichnet die Magna Charta.
Der König unterzeichnet die Magna Charta.

Obwohl der Vergleich mit der germanischen Welt und seinen „Wahlen ohne Demokratie“ in Verbindung mit dem England des Mittelalters und der Neuzeit wie eine abenteuerliche Konstruktion anmutet, soll die Erwähnung erlaubt sein, dass es etwa vom 13. Jahrhundert bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts in England eine Form von Wahlen gab, die keinerlei Bezüge zur Demokratie aufwies.

Im Übrigen war es den Herrschern Englands auch völlig gleichgültig, ob und unter welchen Umständen es zu Wahlen kam oder nicht. Der Krone war wichtig, dass die Repräsentanten verbindlich entscheiden konnten. Eine erste Wahl ist seit 1275 belegt; eine Wahl, die durch Akklamation erfolgte und völlig undramatisch verlief. Die Abgeordneten des Adels wurden aber nicht gewählt, sondern durch den König in das Oberhaus eingeladen; lediglich die Vertretung des niederen Adels und des Bürgertums wurde gewählt und hatte ihren Sitz im Unterhaus.

Diese Form der Auswahl wird von der Politikwissenschaft heute als „vormoderne“ Wahlen bezeichnet, da bereits mit der Magna Charta Libertatum (Große Urkunde der Freiheiten) im Jahre 1215 Regelungen dahingehend festgeschrieben wurden, dass die Krone ohne Beratung keine Steuern festsetzen durfte. Die Magna Charta enthielt noch weitere Elemente zur Rechtssicherheit der Bevölkerung, so z.B. gegen missbräuchliche Anwendung königlicher Gewalt; außerdem waren individuelle Rechte so verankert, dass sie damit eine überständische und überregionale Geltung erhielten.

Magna Charta vom Juni 1215: Eine der wichtigsten Verfassungsurkunden der englischen Geschichte, abgeschlossen zwischen König Johann ohne Land und den englischen Baronen. Von ihren 61 Kapiteln sind die wichtigsten die über die Freiheit der Kirche, die Rechtsanwendung, die königliche Gerichtsbarkeit; und der Versuch, die Ausübung der königlichen Gewalt einer Kontrolle der Stände zu unterwerfen.

Im Jahre 1430 erfolgte im Wahlrecht eine Abgrenzung bezüglich der Wahlberechtigung. Voraussetzung für die Wahlberechtigung war fortan ein Jahreseinkommen von wenigstens 40 Schilling. Darüber hinaus bestand Wahlpflicht und das betraf ungefähr die Hälfte der männlichen Bevölkerung. Die Wahlen blieben Auswahl ohne Kontroversen. Eine Konfliktregelung geschah hinter den Kulissen und es gab keinerlei Wahlkampf.

Erst 1640 begann die Phase „frühmoderner“ Wahlen. Es kam zu mehr Auswahl und es zeigte sich beginnender Wahlkampf auch schon mit „Wahlgeschenken“, wie z.B. großzügiger Bewirtung der umworbenen Wähler. Die unumkehrbare Politisierung der englischen Gesellschaft begann im Jahre 1688 mit der „glorious revolution“ und führte 1689 mit der Bill of Rights zu einer Bestätigung der Parlaments- und Freiheitsrechte und z.B. dazu, dass die Wahl von Mitgliedern des Parlaments frei sein muss. Das bedeutete für die Zukunft auch, dass ein Wahlverlust nicht mehr gleichbedeutend war mit dem Verlust der sozialen Ehre. Mit dieser Bill of Rights gelang in England der Durchbruch zu „modernen“ Wahlen und nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, erst 1789 mit der Französischen Revolution.

Bill of Rights vom Oktober 1689: Bill ist im angelsächsischen Recht vor allem der dem Parlament vorgelegte Gesetzentwurf; er wird durch die Zustimmung des Königs zum Act (Gesetz), so die „Bill of Rights“, das Gesetz der Rechte; sie wurde im Oktober 1689 durch ein ordnungsgemäß berufenes Parlament zum Gesetz erhoben, nachdem es im Anschluss an die Vertreibung Jakobs II. (1685-88) zunächst durch eine formlos berufene Parlamentsversammlung als „Declaration of Rights“ aufgesetzt und im Februar 1689 von den neuen Herrschern (Wilhelm III. von Oranien und Maria, 1689-1694-1702) angenommen worden war. Die Bill of Rights regelte in 13 Artikeln die Thronfolge in England und sämtliche Rechte des Parlaments, vor allem das Ausschreiben von Steuern; sie stellte eine Art Staatsgesetz dar. Die Bill of Rights führte dazu, dass die Herrschaft des Parlaments gegenüber der Regierung und dem König gesichert wurde.

Im Rahmen der konstitutionellen Monarchie (begrenzte Königsherrschaft) des 18. Jahrhunderts vollzogen sich die Zweiteilung der Exekutive und die Machtverlagerung vom König auf das Kabinett, über dessen Zusammensetzung der König allerdings noch frei bestimmen konnte. In diese Zeit fällt die Herausbildung des Amtes des „prime minister“, der aber erst nach der Wahlrechtsreform von 1832 ein Regierungschef im modernen Sinne wurde. Wichtiges Ergebnis dieser Reform war eine Neuaufteilung der Wahlkreise, die nunmehr eine in etwa gleich große Bevölkerungszahl vorsah.

Im Jahre 1867 kam es zu einer zweiten Wahlrechtsreform, die zum einen ohne eine formelle Gesetzesänderung die konstitutionelle Monarchie in eine parlamentarische Monarchie umwandelte und zum anderen eine Erweiterung des Wahlrechts mit sich brachte. Durch geringere Anforderungen an Besitz und Einkommen erhöhte sich der Anteil der Wahlberechtigten von zunächst 4 % auf 8 % und dann von 9 % auf 16 %. Diese Reform und eine weitere von 1884 haben die Bevölkerung als einen dominierenden Faktor ins politische Feld gebracht, der zukünftig mittels Wahlen über die Regierungsgewalt entschied.

Eine weitere Folge des Demokratisierungsprozesses war die politische Entmachtung des Oberhauses, zumal das Budgetrecht schon seit dem 18. Jahrhundert auf das Unterhaus übergegangen war, wenn auch zunächst noch mit dem uneingeschränkten Vetorecht des Oberhauses. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das absolute Vetorecht des Oberhauses auf ein Jahr verkürzt. Ebenfalls seit der Zeit des 18. Jahrhunderts bezieht sich die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung ausschließlich nur noch auf das Unterhaus.

Mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer im Jahre 1918 erfolgte auch die begrenzte Einführung des Frauenwahlrechts; das allgemeine Wahlrecht für Frauen wurde dann 1928 eingeführt. Das begrenzte Wahlrecht für Frauen betraf nur die Frauen, die mindestens 30 Jahre alt waren und selbst oder über ihre Familie ein gewisses Vermögen besaßen. Männer erreichten mit dem 21. Lebensjahr das Wahlrecht und anstelle eines Besitznachweises genügte der Nachweis eines sechsmonatigen Wohn- oder Geschäftssitzes in dem jeweiligen Wahlkreis. Seit dem Jahre 1832 gibt es in England Volkswahlen in ununterbrochener Reihenfolge.

Wie in den meisten angloamerikanischen Ländern besteht in England das System der Mehrheitswahl.

Wahlen und Wahlrecht

Es war ein weiter Weg, der von den Wahlen in der Zeit des Altertums bis hin zu den heutigen modernen Wahlen führte. Dieser Verlauf wird in dieser Serie von Marianne Eule zur Geschichte der Wahlen und des Wahlrechts nachgezeichnet. Einen Überblick der Serie erhalten Sie hier.

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