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In Deutschland brach in den ersten Tagen des Novembers 1918 die monarchische Ordnung zusammen. Arbeiter- und Soldatenräte bildeten sich in vielen Städten. Am 7. November 1918 wurde der bayerische König als erster Monarch eines Bundesstaates seines Amtes enthoben. In den nächsten Tagen dankten auch alle anderen regierenden deutschen Fürsten ab.

Der Kaiser hielt sich im Hauptquartier der Obersten Heeresleitung in Spa (Belgien) auf. Er weigerte sich, auf den Thron zu verzichten. Am 9. November wollte er die Kaiserkrone niederlegen, aber König von Preußen bleiben – ein realitätsfernes Vorhaben. Reichskanzler Prinz Max von Baden sah in den Mittagsstunden des 9. November 1918 nur noch eine Möglichkeit, die demonstrierenden Massen in der Reichshauptstadt unter Kontrolle zu bringen. Er teilte die Abdankung des Kaisers der Presse mit und übergab seine Amtsgeschäfte an den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert.

Ein Sozialdemokrat war nun Reichskanzler und Deutschland eine Republik – eine Entwicklung, die noch im Frühjahr 1918 nur wenige Deutsche für möglich gehalten hätten. Bis zur Konstituierung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 in Weimar sollte Ebert maßgeblich die deutsche Politik bestimmen. Er steuerte das Land durch eine schwere Krise. Von 1919 bis 1925 war er Reichspräsident. Und doch tat sich auch die eigene Partei, die SPD, lange Zeit schwer mit Friedrich Ebert. Ebert, das war ein Funktionär, ein ehrenwerter Mann gewiss, aber kein Revolutionär. Dieser untersetzte Handwerker, der sich vor 1914 in der Partei hoch gearbeitet hatte, verströmte keinen Hauch revolutionärer Romantik. Das radikaldemokratische Pathos von August Bebel, seinem Vorgänger im Amt des Parteivorsitzenden, begeisterte die Sozialdemokraten. Rosa Luxemburg schien die revolutionäre Zukunft der Partei zu verkörpern.

Friedrich Ebert hingegen begann seine Karriere in der Gewerkschaftsbewegung; die Sozialpolitik wurde sein Spezialgebiet. Sozialpolitiker sind ihrem Wesen nach Reformisten, sie versuchen, das bestehende System zu verbessern. Ebert bewährte sich als Arbeitersekretär in Bremen. In der Berliner Parteizentrale organisierte er die Verwaltung. Er erlebte, wie die Partei von Wahl zu Wahl stärker wurde. Ebert wusste, dass viele Arbeiter an konkreten Veränderungen interessiert waren: bessere Wohnungen, kürzere Arbeitszeiten, angemessene Bezahlung. Trotz aller Kritik am Kaiserreich stimmte die Fraktion der Sozialdemokraten im Reichstag unter seiner Führung den Kriegsbewilligungskrediten zu. Im Laufe des Krieges wurde die Kritik an seinem Kurs lauter: Konnte die Sozialdemokratie mit seiner gemäßigten Linie überhaupt etwas erreichen?

Wie jede Partei liebt die SPD Charismatiker. Ein Philipp Scheidemann konnte wortgewaltig die deutsche Republik ausrufen; als Reichsministerpräsident machte er keine gute Figur. Lange Zeit galt Eberts schlichte Würde als kleinbürgerlich; seine Haltung gegenüber den Spartakisten 1918/19 als plumper Antikommunismus.

Die Rolle Eberts im November und Dezember 1918 ist seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch von linken oder linksliberalen Historikern kritisiert worden. Reinhard Rürup vertrat die These, dass die von Ebert geleitete Regierung in jenen Wochen eine grundlegende Chance zur Demokratisierung des Landes verpasst hätte. Sein Kollege Eberhard Kolb meinte, die Sozialdemokratie hätte mithilfe der Arbeiter- und Soldatenräte die alten Eliten entmachten sollen. Hat Friedrich Ebert wirklich eine Chance vertan? Oder zeigte er sich der Situation doch gewachsen?

 

1917/18: Die Monarchie verliert an Ansehen

Friedrich EbertIm Jahr 1917 wuchs in allen Bevölkerungsschichten die Kritik an der konstitutionellen Monarchie. Nach dem Zusammenbruch der zaristischen Monarchie in Russland im März wurde der Ruf nach einer Demokratisierung des Kaiserreiches in der Mitte des deutschen Parteienspektrums lauter, auch wenn die Fortschrittliche Volkspartei, die Nationalliberalen oder das Zentrum (eine Partei des politischen Katholizismus) kein konkretes Programm vorweisen konnten. Der linksliberale Verfassungsrechtler Hugo Preuß notierte am 1. September 1917, dass nur ein „fundamentale(r) Systemwechsel“, also eine Parlamentarisierung Deutschlands, einen Ausweg bieten könne. Die Monarchie als Staatsform stand für ihn nicht zur Diskussion.

Auf der Linken kam es zu Veränderungen. Zu Ostern 1917 gründeten Sozialdemokraten, die mit der Führung der SPD unzufrieden waren, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Die USPD forderte die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes, die Freilassung politischer Gefangener, die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts in allen Bundesstaaten und die Abschaffung der Zensur. Die Partei war nicht bereit, weitere Kriegskredite zu bewilligen.

Die Sozialdemokratie, nun auch Mehrheitssozialisten genannt, erklärte im Frühjahr 1917, dass sie ebenfalls die Republik wünsche. Die Mehrheit der Deutschen würde aber die Monarchie vorziehen. „Man soll die Stärke der Monarchie in Deutschland nicht unterschätzen“, hieß es am 3. April 1917 im Vorwärts, dem Zentralorgan der Partei. „Findet diese Monarchie kluge Ratgeber, dann kann sie sich für alle absehbare Zeit sichern und festigen. Das deutsche Volk ist in seiner Mehrheit nicht antimonarchisch, es ist aber zweifellos in seiner Mehrheit demokratisch gesinnt, es will das gleiche Wahlrecht zu allen Vertretungskörpern, es will Selbstverwaltung und parlamentarisches System.“

Die Sozialdemokratie hatte ihre grundsätzliche Opposition gegen das wilhelminische System aufgegeben. Sie besaß aber keine Strategie, um eine Demokratisierung zu erzwingen. Der Mehrfrontenkrieg machte es unmöglich, im Inneren einen Umsturz vorzubereiten. Der Führung der Partei blieb nur die Möglichkeit, im Reichstag und den Landtagen die Wahlrechtsreform auf die Tagesordnung zu setzen. Die Verweigerung von Kriegskrediten wäre eine Möglichkeit gewesen, aber da auch die Sozialdemokraten den Krieg als Verteidigungskrieg betrachteten, lehnte die Parteiführung diesen Schritt ab. Die USPD traf mit ihrer radikalen Rhetorik eher die Stimmung innerhalb der Arbeiterschaft. Der Krieg ging in das vierte Jahr, und eine Entscheidung war nicht abzusehen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln reichte nicht aus. Wer Geld besaß, konnte sich auf dem Schwarzmarkt versorgen. Im Krieg traten die sozialen Unterschiede wieder stärker hervor.

Die Konservativen lehnten jede Veränderung ab. Eine Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts hätte das Ende der konservativen Vorherrschaft in Preußen bedeutet. Stattdessen setzte man, bestärkt von den Militärs, auf einen deutschen Sieg. Während am 19. Juli 1917 im Reichstag eine Mehrheit, bestehend aus Sozialdemokraten, den Linksliberalen und dem Zentrum einen Frieden ohne Gebietsabtretungen und Kriegsentschädigungen forderte, wollte die Oberste Heeresleitung den Krieg dazu nutzen, um Deutschland zur Hegemonialmacht in Europa zu machen. Die Befürworter dieses Siegfriedens gründeten die Deutsche Vaterlandspartei. Im Innern wandte sich die rechtskonservative Sammelbewegung gegen weitere Zugeständnisse an den Reichstag. In der Arbeiterschaft konnte sie kaum Anhänger gewinnen.

Eine entschlossene politische Führung fehlte im Kaiserreich in den letzten beiden Kriegsjahren. Der Kaiser war nur noch eine Randfigur. Stattdessen konnte die Oberste Heeresleitung (OHL), vor allem General Erich Ludendorff, der stellvertretende Chef des Generalstabes, immer mehr Einfluss gewinnen. Der Monarch neigte den Militärs zu. Ludendorff drohte am 12. Juli 1917 mit Rücktritt, falls Reichskanzler von Bethmann-Hollweg im Amt bliebe. Bethmann lehnte die Annexionspläne der OHL ab, war aber auch nicht mehr in der Lage, im Reichstag eine Mehrheit für seine liberalkonservative Politik zu finden. Politisch isoliert trat er am 13. Juli 1917 zurück. Kurz vorher hatte er dem Monarchen noch die Zusage abringen können, nach dem Ende des Krieges das gleiche Wahlrecht in Preußen einzuführen.

Seine beiden Nachfolger konnten die innenpolitische Krise nicht lösen. Vom 14. Juli 1917 bis zum 31. Oktober 1917 nahm der Reichskommissar für Volksernährung, Georg Michaelis, die Aufgaben des Reichskanzlers wahr. Michaelis vermochte sich gegen die Oberste Heeresleitung nicht durchzusetzen. Der bayerische Zentrumspolitiker Georg von Hertling trat die Nachfolge an. Er gehörte zum konservativen Flügel seiner Partei und lehnte eine Parlamentarisierung ab.

Die Militärs wollten 1918 mit einer Offensive im Westen die Entscheidung erzwingen. Bis Juli 1918 konnten die deutschen Truppen in Frankreich noch einmal Boden gewinnen. Die deutschen Soldaten standen kurz vor Paris. Am 18. Juli 1918 erfolgte ein erfolgreicher alliierter Gegenangriff; in der zweiten Hälfte des Juli schlug das Pendel um. Am 8. August 1918 musste Kaiser Wilhelm einräumen, dass Deutschland am Ende seiner Kräfte sei. Die Oberste Heeresleitung versicherte dem Monarchen kurz darauf, man könne die deutschen Stellungen in Frankreich und Belgien halten. Doch im September spitzte sich die Lage zu. General Ludendorff kam zu der Überzeugung, dass die Front vor dem Zusammenbruch stünde.

Am 29. September 1918 teilte er der Reichsleitung mit, dass nur der sofortige Abschluss eines Waffenstillstandes die Katastrophe vermeiden könnte. Dieser Schritt sollte aber von jenen Politikern vollzogen werden, die in den Augen der Militärs Deutschland in diese furchtbare Lage gebracht hätten. Die Oberste Heeresleitung forderte vom Kaiser plötzlich das, was sie seit 1917 bekämpft hatte: die Parlamentarisierung Deutschlands und ein Friedensangebot an die Westmächte. Prinz Hertling hielt beide Schritte für falsch.

Neuer Reichskanzler wurde am 4. Oktober Prinz Max von Baden, ein liberaler Fürst. Anfang Oktober trat der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann als Staatssekretär ohne Geschäftsbereich in die Reichsregierung ein. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kaiserreiches nahm ein Sozialdemokrat am Kabinettstisch Platz. Die Regierung bereitete eine Verfassungsreform vor, die aus Deutschland eine parlamentarische Monarchie machen sollte. Die stärkste deutsche Partei, die Sozialdemokratie, wollte die Monarchie als Institution erhalten. Der Kaiser und sein Sohn, Kronprinz Wilhelm, hätten jedoch abdanken müssen. Ebert, der Vorsitzende der SPD, setzte sich für eine pragmatische Lösung ein. Ihm war die Frage der Staatsform gleichgültig, wenn es nur gelänge, in Deutschland den Obrigkeitsstaat abzuschaffen. Sein Ziel war eine evolutionäre Entwicklung hin zu einem demokratischen Volksstaat mit monarchischer Spitze.

In den ersten Novembertagen überschlugen sich jedoch die Ereignisse. Prinz Max drängte den Kaiser, der sich bei der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa aufhielt, zum Rücktritt. Wilhelm II. lehnte dies ab. Am 29. Oktober 1918 brach in der Hochseeflotte eine Revolte aus. Die Marineführung wollte mit einem Flottenvorstoß in die Nordsee die Engländer zu einer Schlacht provozieren. Die Marineoffiziere glaubten nicht an einen Sieg, wollten jedoch wenigstens ‚ehrenvoll im Kampf untergehen‘. Die meisten Matrosen lehnten dieses Himmelfahrtskommando ab. Am 4. November 1918 befand sich Kiel in der Hand der Aufständischen. In den nächsten Tagen bildeten sich in Deutschland Arbeiter- und Soldatenräte. Die monarchische Autorität verfiel. Am Abend des 8. November 1918 sah auch Ebert keine Chance mehr, die Hohenzollerndynastie zu erhalten. Die USPD machte in den Fabriken der Reichshauptstadt mobil, und viele Mitglieder der SPD beteiligten sich an den Streiks.

Am Morgen des 9. November zogen demonstrierende Massen in die Berliner Innenstadt. Die SPD unterstützte die Aktionen, um nicht die Initiative an die Unabhängigen zu verlieren. In den Mittagsstunden erschien Ebert mit einer sozialdemokratischen Delegation in der Reichskanzlei. Prinz Max hatte vorher ein Telegramm aus Spa erhalten, das er als Thronverzicht des Kaisers interpretierte. Friedrich Ebert versicherte ihm, nur eine sozialdemokratisch geführte Regierung könne noch für Ruhe und Ordnung sorgen. Gegen 14.00 Uhr übergab der Reichskanzler dem Vorsitzenden der größten deutschen Partei die Amtsgeschäfte. Ebert gab sofort eine Presseerklärung heraus, in der er mitteilte, dass er eine Volksregierung bilden wolle. Er rief dazu auf, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern. Von einer sozialistischen Republik war nicht die Rede. Der pragmatische Ton gab den Kurs vor, dem Ebert in den nächsten Wochen folgen sollte: Er war kein Visionär, sondern ein Politiker, der die dringendsten Probleme (Beendigung des Krieges, Versorgung der Bevölkerung) lösen wollte. Mit den Staatssekretären des alten Kabinetts entschied Ebert, die Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten zu akzeptieren. Dann musste er sich der Frage widmen, wie eine stabile Regierung zustande kommen sollte.

 

Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten

Formal betrachtet war Ebert am 9. November 1918 kaiserlicher Reichskanzler, aber schon kurz darauf rief Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstages die Republik aus. Damit erkannte der Sozialdemokrat nur die Realität an. Ebert wollte die Frage der Staatsform (Monarchie oder Republik) einer verfassungsgebenden Versammlung zur Entscheidung vorlegen. Doch nach dem Sturz der Dynastien in den Bundesstaaten und dem unwürdigen Verhalten des letzten Kaisers hatte die Monarchie keine Chance mehr.
Eberts Plan einer Koalition mit der Fortschrittlichen Volkspartei und der USPD ließ sich am 9. November nicht realisieren. Im Laufe des Nachmittags zeichnete sich ab, dass nur eine Zusammenarbeit mit der USPD die Massen unter Kontrolle halten konnte. Deshalb verhandelten die SPD und die USPD über eine Regierungsbildung.

Am Nachmittag und Abend des 9. November kam es zu einem Schriftwechsel zwischen den beiden sozialistischen Parteien, der Aufschluss gibt über die unterschiedlichen Ziele der Beteiligten. Die USPD wollte nur drei Tage an der Regierung mitwirken. Die politische, verwaltungsmäßige und richterliche Gewalt sollte ausschließlich bei den Räten liegen. Die Unabhängigen planten die Errichtung einer Räteherrschaft, die in den kommenden Wochen grundlegende Veränderungen vornehmen sollte. Erst nach Abschluss dieser revolutionären Phase sollte ein Parlament gewählt werden.

Die Sozialdemokraten hatten andere Pläne. Die Koalition mit der USPD sollte bis zur Einberufung einer Konstituante (verfassungsgebender Versammlung) dauern. Die Staatsgewalt völlig in die Hände der Räte zu legen widersprach in den Augen der SPD dem demokratischen Prinzip: „Ist mit diesem Verlangen die Diktatur eines Teils einer Klasse gemeint, hinter dem nicht die Volksmehrheit steht, so müssen wir diese Forderung ablehnen, weil sie unseren demokratischen Grundsätzen widerspricht.“ Die Mehrheitssozialisten strebten so schnell wie möglich freie Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung an.

Man einigte sich am 10. November 1918 auf eine Formulierung, die mehrdeutig war. Die USPD glaubte, dass sie damit den Arbeiter- und Soldatenräten eine Möglichkeit der Mitwirkung geschaffen hätte. Ebert hingegen setzte auf die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung. Während die Unabhängigen ein revolutionäres Räteregime anstrebten, das eine demokratische Umgestaltung plante, die dann eventuell von einem Parlament abgesegnet werden sollte, folgten die Mehrheitssozialdemokraten einem liberal-demokratischen Verfassungsmodell und verstanden sich als Übergangsregierung.

Am 10. November 1918 bildeten SPD und USPD einen Rat der Volksbeauftragten. Ihm gehörten drei Sozialdemokraten (Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg) und drei Mitglieder der USPD (Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth) an. Die Ministerien wurden von bürgerlichen Staatssekretären geleitet, die ihr Ressort aber nur als Verwaltungschefs zu führen hatten. Von der Mitwirkung an politischen Entscheidungen blieben sie ausgeschlossen – eine Konzession an die USPD. Die Linkssozialisten lehnten jede Zusammenarbeit mit den Kräften des alten Regimes ab, doch die SPD hielt ihre Mitwirkung für unerlässlich, weil eine funktionierende Verwaltung für die Versorgung der Bevölkerung unerlässlich sei. Eine Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte aus dem Umkreis von Berlin, die angesichts der Umstände stellvertretend für alle Arbeiter- und Soldatenräte im Reich handelte, bestätigte am Abend des 10. November den Rat der Volksbeauftragten.

Eigentlich hätte der Reichstag über die Bildung der neuen Regierung entscheiden müssen; auch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen wäre in seine Zuständigkeit gefallen. Doch das Parlament wurde nicht mehr einberufen. Der Rat der Volksbeauftragten besaß keine demokratische Legitimation – es sei denn, man betrachtete die demonstrierenden Massen als Quelle der Volkssouveränität.

Friedrich Ebert von der SPD und Hugo Haase waren in der Führung des Rats der Volksbeauftragten formal gleichberechtigt. Doch im täglichen Regierungsgeschäft erwie sich Ebert als die treibende Kraft. Zeitweise benutzte er auch die Amtsbezeichnung Reichskanzler.

Ebert hatte vor 1914 in der SPD und den Freien Gewerkschaften Karriere gemacht und galt als Mann des gemäßigten Parteiflügels. Er war ein geschickter Organisator. Theoretische Diskussionen lagen ihm weniger. Friedrich Ebert verkörperte den Typ des pragmatischen Sozialdemokraten, der im wilhelminischen Kaiserreich erlebt hatte, dass die stärkste deutsche Partei immer einflussreicher wurde, aber auch an Grenzen stieß. Der Zukunftsstaat, von dem die Parteiführung sprach, interessierte ihn kaum. Für ihn war organisatorische Disziplin ein wichtiges Mittel, um den Einfluss der Sozialdemokratie zu vergrößern und jene Grenzen zu überwinden, die die Arbeiterschaft von der Gesellschaft trennten. Integration in den Staat setzte für Ebert aber voraus, dass es ein demokratischer Staat war. Jetzt, im November 1918, sah er die Chance, die Türe zur Demokratie und zum Sozialismus zu öffnen. Beides war für ihn identisch. Sein Demokratieverständnis war geprägt von der Vorstellung, dass ein Parlament die einzige Grundlage bildete, um alle Teile der Bevölkerung an der Willensbildung zu beteiligen. Da die Arbeiterschaft die Mehrheit in der Bevölkerung stellte, glaubte Ebert, dass sie in Zukunft der politischen Ordnung ihren Stempel aufdrücken würde.

Am 8. Dezember 1918 bekannte er sich in einer sozialdemokratischen Volksversammlung dazu, möglichst schnell Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung abhalten zu lassen: „Unsere Legitimation zur Regierung beruht einzig und allein auf dem Willen unseres Volkes. So lange aber unser Volk nicht in freier Wahl seine Regierung selbst bestimmen kann, so lange bleibt jede Regierung ein Provisorium. Deshalb ist es unerlässlich notwenig, dass schnellstens die konstituierende Nationalversamlung kommt. Die Konstituante wird der Sieg der Sozialdemokratie sein.“ Vor dem Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte wiederholte Friedrich Ebert am 16. Dezember 1918 sein Grundverständnis: „Das siegreiche Proletariat richtet keine Klassenherrschaft auf. Es überwindet zunächst politisch, dann wirtschaftlich die alte Klassenherrschaft und stellt die Gleichheit all dessen her, was Menschenantlitz trägt. Das ist der große ideale Gedanke der Demokratie.“ Die politische Gewalt in die Hände von Arbeiterräten zu legen, hätten seinem demokratischen Grundverständnis widersprochen.

Am 12. November erließ der Rat der Volksbeauftragten ein Sofortprogramm. Die reaktionäre Gesindeordnung wurde abgeschafft, der Belagerungszustand aufgehoben. Der Aufruf trug eher eine liberal-demokratische Handschrift. Die politischen Beschränkungen des wilhelminischen Obrigkeitsstaates wurden aufgehoben. Die Einführung des Achtstundentages sollte spätestens am 1. Januar 1919 in Kraft treten und Wahlen in Deutschland zu Vertretungskörperschaften sollten nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht durchgeführt werden. Nichts deutete daraufhin, dass die deutsche Arbeiterbewegung den Bolschewisten folgen wollte.

Doch im liberalen Bürgertum blieb Skepsis. Der linksliberale Verfassungsrechtler Hugo Preuß veröffentlichte am 14. November 1918 in einer Berliner Tageszeitung einen Aufsatz, in dem er die neue Regierung als Obrigkeitsstaat beschrieb. Im alten wilhelminischen System hätte das Bürgertum wenig Einfluss gehabt; unter der neuen Revolutionsregierung sei es politisch völlig ausgeschaltet. Preuß sprach dem Rat der Volksbeauftragten nicht den guten Willen ab, warb jedoch entschieden für möglichst schnelle Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung und unterstützte damit die Politik Eberts. Für Preuß stellte sich wenige Tage nach dem 9. November die Alternative: „Demokratie oder Bolschewismus?“

Ebert war zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, in Zusammenarbeit mit der Obersten Heeresleitung den Rückzug der deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten zu organisieren. Die Zusammenarbeit mit dem Generalstab, am Abend des 10. November vereinbart, ist nach dem Krieg immer wieder kritisiert worden. Doch Ebert benötigte die Unterstützung der Militärs, um deutsche Soldaten vor der Kriegsgefangenschaft zu schützen und das Heer geordnet hinter den Rhein zurückzuführen.

In Berlin artilkulierte sich in den nächsten Wochen der linke Flügel der USPD, vor allem die Spartakisten, immer radikaler. Zwar folgten ihnen nur wenige Arbeiter, aber mit ihrer kommunistischen Rhetorik wirkten die Spartakisten gefährlicher, als sie waren. Ebert sah in den Aktivitäten dieser linksradikalen Gruppen eine Gefahr für den geordneten Übergang zur Demokratie. So kam es im Dezember, nachdem die deutschen Truppen in die Heimat zurückgekehrt waren, zu einer Zusammenarbeit zwischen den Resten des kaiserlichen Heeres und den Sozialdemokraten im Rat der Volksbeauftragten. Im Nachhinein überschätzte Ebert die Gefahr, die von den Linksradikalen ausging. Dass ehemals kaiserliche Exzellenzen nun wieder Teile der Regierung berieten, steigerte den Unmut innerhalb der USPD und auch der SPD.

Zwischen dem 16. und 20. Dezember tagte in Berlin die Zentralversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte und plädierte mit großer Mehrheit für möglichst schnelle Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung. Die Delegierten machten aber auch deutlich, dass sie einen demokratischen Sozialismus in Deutschland anstrebten. Als es um die Weihnachtsfeiertage zu einem Aufstand der Matrosendivision kam und Ebert auf die alten Militärs setzte, um die Revolte niederzuschlagen, traten die Vertreter der USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Zwischen dem 5. und 11. Januar 1919 kam es in der Reichshauptstadt zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen, als linksradikale Kräfte in Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) das Berliner Zeitungsviertel besetzten und Karl Liebknecht den Rat der Volksbeauftragten für abgesetzt erklärte. Einheiten des Heeres schlugen den Aufstand nieder. Am 19. Januar 1919 fanden in ganz Deutschland Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung statt. Am 6. Februar 1919 eröffnete Friedrich Ebert die nach Weimar einberufene Nationalversammlung. Deutschland war eine demokratische Republik geworden.

 

Eine vertane Chance?

Zwischen dem 9. November 1918 und dem 6. Februar 1919, dem Zusammentritt der Nationalversammlung, stand – etwas pathetisch formuliert – das Überleben Deutschlands auf dem Spiel. In diesen Tagen wurden Größe und Grenzen Eberts deutlich: Der Vorsitzende der SPD war kein Barrikadenkämpfer, sondern ein Pragmatiker, der Deutschland aus seiner katastrophalen Lage herausführen wollte. Er scheute sich nicht vor der Macht. Wenn Ebert vom Aufbau des Sozialismus sprach, war das keine hohle Phrase. Noch Anfang November setzte Ebert auf einen evolutionären Übergang. Die Weigerung des Kaisers abzudanken, hatte diesem Konzept einen Strich durch die Rechnung gemacht. Verpasste er, wie der Historiker Reinhard Rürup meinte, im November und Dezember 1918 die Chance, eine demokratische Revolution durchzuführen?

Die Abdankung des Kaisers hatte die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht verändert. Von daher waren die Vorausetzungen für einen radikaldemokratischen Bruch nicht gegeben. Eine sozialistische Umgestaltung von Teilen der Wirtschaft schloss auch Ebert nicht aus, aber angesichts der chaotischen Zustände im November und Dezember 1918 wäre die sofortige Überführung von bestimmten Wirtschaftszweigen eine Torheit gewesen. Die wichtigste Aufgabe der Regierung bestand darin, die Lebensmittelversorgung zu sichern und den Krieg zu beenden. Für akademische Erörterungen und Experimente über Fragen der Sozialisierung fehlte die Zeit. Auch auf dem rechten Flügel der USPD wollte man Eingriffe in die Produktionsstrukturen nicht überstürzen. Ebert vertrat auch hier die Auffassung, dass diese Frage der Nationalversammlung überlassen werden müsse.

Geradezu fatal waren die außenpolitischen Hypotheken, die SPD und USPD übernehmen mussten. Die Verantwortlichen für die Niederlage waren wie der Kaiser geflohen oder schienen von der tagespolitischen Bühne verschwunden zu sein. Die harten Waffenstillstandsbedingungen erschwerten die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel und Heizmaterial. Erst im April 1919 konnten deutsche Handelsschiffe wieder ihre Arbeit aufnehmen.

Befürworter einer zeitweiligen Räteherrschaft argumentieren oft damit, dass die deutschen Räte mit großer Mehrheit der SPD oder dem gemäßigten Flügel der USPD nahegestanden hätten. Eine bolschewistische Bedrohung wäre gar nicht vorhanden gewesen. Das stimmt. Aber die Räte wurden nur von einem Teil der Bevölkerung gewählt – woher nahmen sie die Legitimation, für das ganze deutsche Volk zu sprechen? Und wie hätte – so das Konzept der gemäßigten Rätetheoretiker – ein Nebeneinander von Räten und konstitutioneller Versammlung ausgesehen? Wollte man den Räten ein Vetorecht gegenüber der demokratisch legitimierten Nationalversammlung einräumen? Hätte ein Aufschub der Wahlen zur Konstituante nicht – wie es beispielsweise Hugo Preuß befürchtete – die bürgerlichen Kräfte gestärkt? Hätten nicht all jene bürgerlichen Politiker, die sich zwischen November und Februar 1919 kaum zu Wort meldeten, nicht einer Räteregierung den Verlauf der Friedensverhandlungen angekreidet? Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges nahmen schon eine demokratisch legitimierte Nationalversammlung als Verhandlungspartner nicht ernst – wären sie den Abgesandten einer deutschen Räteversammlung offener gegenübergetreten?

Außerdem gab es im November und Dezember eine linksradikale Propaganda, die mit den terroristischen Methoden der Bolschewiki sympathisierte. Morddrohungen gegen Führer der Mehrheitssozialdemokratie wurden ausgestoßen. Zwar ist die These, dass es in Deutschland 1918 nur die Alternative „Demokratie oder Bolschewismus“ gegeben hätte, von der Forschung überzeugend widerlegt worden. Aber die verantwortlichen Akteure hatten nicht das Wissen von Historikern, die aus der Rückschau ihr Urteil fällen können. Ebert überschätzte diese Propaganda und die Aktivität der Spartakisten. Er stützte sich wohl zu sehr auf die kaiserlichen Militärs, aber er benötigte im November und Dezember 1918 bewaffnete Kräfte zum Schutz der Regierung. Eine republikanische Armee gab es nicht. Und sein Ziel lautete: Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung. Seiner Meinung nach hatte die Sozialdemokratie eine Aufgabe zu lösen, an der die Liberalen im Kaiserreich gescheitert waren: Deutschland zu einem politischen Gemeinwesen zu machen, in dem die Freiheit des Einzelnen und der Wille der Volksmehrheit keine Gegensätze mehr waren; ein Gemeinwesen, dass keine Bevölkerungsgruppe mehr ausgrenzt.

Dieses Ziel erreichte Friedrich Ebert. Die Kritik an seiner Politik wird oft von dem Wissen bestimmt, dass die Weimarer Republik schließlich scheiterte. Im Jahr 1919 gab es mit der Wahl der Weimarer Nationalversammlung noch jede Chance, in Deutschland eine Demokratie aufzubauen. Dass es nicht gelang, dass es in Deutschland zu wenig überzeugte Demokraten gab, konnte Ebert nicht ahnen. Aber die Grundlage für ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen war gelegt. Und Deutschland ging einigermaßen geschlossen in das schwere Jahr 1919. Dem ersten Reichskanzler, Fürst Bismarck, wird der Satz zugeschrieben, man müsse Deutschland in den Sattel setzen, reiten könne es alleine. Es war der gelernte Sattler Friedrich Ebert, der 1918/19 dafür sorgte, dass Deutschland nicht zusammenbrach. Ich meine, dass diese Leistung so manchen Fehler aus jenen kritischen Tagen aufwiegen dürfte.

 

 

Lizenz Bild Rat der Volksbeauftragten (Titelbild): Bundesarchiv, Bild 146-1977-074-08 / Sennecke, Robert / CC-BY-SA

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