
Sitzung des Volkshauses des Erfurter Unionsparlaments im Jahr 1850 im Schiff der Augustinerkirche – Bild: Gemeinfrei
Mit den politischen Ereignissen der Jahre um 1848 verbinden die meisten Menschen wohl eher Frankfurt am Main und die Paulskirche, die geradezu zum Inbegriff dieser bewegten Zeit in der Neueren Deutschen Geschichte geworden ist.
Bekanntlich „scheiterte“ die Revolution von 1848/1849 und auch die Paulskirchenverfassung hat in ihrer Zeit keine nachhaltige Wirkung entfaltet, wenngleich sich später die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland demonstrativ in ihre Tradition stellten.
Wenig bekannt ist dagegen, dass es bereits 1849/1850 eine weitere Initiative zur Schaffung eines kleindeutschen Nationalstaates gab – wenn auch nicht aus bürgerlichen Kreisen, sondern obrigkeitlich getragen vom Königreich Preußen und den Fürsten kleinerer Staaten des Deutschen Bundes. Diese Bemühungen um eine „Deutsche Union“ gipfelten im sogenannten Erfurter Unionsparlament, das vom 20. März 1850 bis zum 29. April 1850 im Erfurter Augustinerkloster tagte.
Anlässlich des 175. Jahrestages dieses Ereignisses zeigt das Stadtmuseum Erfurt eine kleine Sonderausstellung mit dem Titel „Das vergessene Parlament“, was auf den geringen Bekanntheitsgrad dieses Ereignisses der deutschen Demokratiegeschichte hinweist. Der vorliegende kleine Beitrag möchte die Bemühungen, dem Erfurter Unionsparlament zu größerer Bekanntheit zu verhelfen, unterstützen, indem er in knapper Form wichtige Eckdaten und Hintergrundinformationen zum Geschehen bereitstellt.
Die Initiative

Am 28. März 1849 verabschiedete die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main die sogenannte Paulskirchenverfassung, die einen kleindeutschen Nationalstaat ohne die Einbeziehung des Kaisertums Österreich vorsah. An dessen Spitze sollte ein erblicher Kaiser stehen. Jene Würde bot die Nationalversammlung dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. [*1795; +1861] an, der sie am 28. April 1849 jedoch definitiv ablehnte. Im Mai 1849 löste sich die Frankfurter Nationalversammlung faktisch selbst auf; lediglich das sogenannte „Rumpfparlament“, also ein Teil der Abgeordneten, verlegte sich nach Stuttgart, wo es vom 6. bis zum 18. Juni 1849 tagte. Begleitet wurde das Geschehen von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, die von den Fürsten blutig niedergeschlagen wurden (Vgl. Lengemann 2000, S. 85–87).
Während diese Unruhen andauerten, ergriff das Königreich Preußen bereits die Initiative. Die Fürsten der Klein- und Mittelstaaten des Deutschen Bundes und die freien Städte wurden eingeladen, an der Gründung eines kleindeutschen Nationalstaates mitzuwirken. Grundlage des Vorhabens sollte eine abgeänderte Version der Paulskirchenverfassung sein, in der das föderale Element und besonders die monarchische Regierungsform stärker hervortreten sollten. Damit wollte man zum einen dem Wunsch nach der Herstellung der Deutschen Einheit entgegenkommen und gleichzeitig revolutionäre Bestrebungen schwächen. Zugleich sah Preußen hierin eine Chance, um das rivalisierende Kaisertum Österreich als deutsche Hegemonialmacht abzulösen und den Deutschen Bund, den es als bloßes Machtinstrument Österreichs betrachtete, zu zerschlagen. Treibende Kraft bei diesem Vorhaben war Joseph Maria von Radowitz [*1797; +1853], ein Berater König Friedrich Wilhelms IV. (Vgl. Ebd., S. 86–88; vgl. Mann 1961, S. 223–228).
Zur Grundlage dieses Unternehmens wurde ein am 26. Mai 1849 zwischen den Königreichen Preußen, Hannover und Sachsen geschlossener Vertrag, das sogenannte Dreikönigsbündnis. Zwei Tage später lag der Verfassungsentwurf für eine „Deutsche Union“ vor, der die Basis für das kleindeutsche Einigungsprojekt bilden sollte und von den drei verbündeten Regierungen als provisorische verfassungsrechtliche Grundlage eines kleindeutschen Staatenbundes angenommen wurde. Um den Entwurf an die sich dynamisch wandelnden politischen Erfordernisse anzupassen, wurde am 26. Februar 1850 die sogenannte Additionalakte vorgelegt, die einige Änderungen vorsah (Vgl. Schmidt 1992, S. 526).
Mit Ausnahme Bayerns, Württembergs, Hessen-Homburgs, Liechtensteins, Luxemburg-Limburgs, der unter dänischer Herrschaft stehenden Herzogtümer Schleswig und Holstein, der Freien Stadt Frankfurt am Main sowie des nicht eingeladenen Kaisertums Österreich folgten alle deutschen Staaten der Aufforderung Preußens, sich am Unionsprojekt zu beteiligen (Vgl. Lengemann 2000, S. 88).
Während die Demokraten das Unionsprojekt unter preußischer Führung ablehnten und später auch die Wahlen zum Unionsparlament boykottierten, einigten sich die Liberalen auf einer Tagung vom 26. bis 28. Juni 1849 in Gotha, dem sogenannten Gothaer Nachparlament, darauf, auf die Initiative Preußens einzugehen und das Unionsprojekt zu unterstützen (Vgl. Raßloff 2023, S. 16–17).
Erfurt als Tagungsort
Aufgabe des Erfurter Unionsparlaments war die Beratung und Beschlussfassung über die zukünftige Verfassung der „Deutschen Union“. Die Grundlage der Beratungen bildete der unter preußischer Federführung entstandene Verfassungsentwurf vom Mai 1849.
Dass die Tagung in die „heimliche Hauptstadt Thüringens“ einberufen wurde, hat folgende wesentliche Gründe:
- Erfurt war seit 1802/1815 preußisch, war aber nicht derart eng mit der Hohenzollernmonarchie verbunden wie etwa Berlin (Vgl. Raßloff 2023, S. 25).
- Gegen Frankfurt am Main gab es – aufgrund der Rolle der Stadt als Tagungsort der Nationalversammlung 1848/1849 – starke Vorbehalte in konservativen Kreisen. Zudem hatte die Stadt die Teilnahme an der Union abgelehnt (Vgl. Raßloff 2025, S. 25).
- Erfurt war seit 1847 an das Eisenbahnnetz angeschlossen und überdies aus allen Richtungen für die Abgeordneten relativ gut zu erreichen (Vgl. Raßloff 2023, S. 25).
- Die Erfurter selbst bzw. der von bürgerlichen Honoratiorenkreisen um Stadtrat Karl Hermann [*1797; +1874] getragene „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt“ setzten sich engagiert für die Verlegung des künftigen Deutschen Parlaments und seiner Regierung an die Gera ein (Vgl. Schmidt 1995).
Zum Tagungsort hatte König Friedrich Wilhelm IV. selbst das Erfurter Augustinerkloster bestimmt. Besonders die Bedeutung des Ortes als Lutherstätte entsprach dem Selbstverständnis und dem stark auf das Mittelalter rekurrierenden, romantisch-idealisierten Geschichtsbild des Monarchen. Zur Instandsetzung der Anlage stellte der König bedeutende finanzielle Mittel zur Verfügung, denn Kirche und Kloster waren seinerzeit stark baufällig. Die Instandsetzung, die Herrichtung für den Parlamentsbetrieb sowie der Rückbau der Einbauten in der Kirche nach der Parlamentstagung kosteten insgesamt ca. 65.000 Taler (Vgl. Raßloff 2025, S. 29–31).
Eröffnet wurde das Erfurter Unionsparlament am 20. März 1850 mit konfessionell getrennten Gottesdiensten. Die evangelischen Abgeordneten versammelten sich in der Barfüßerkirche, die Katholiken hörten die Heilige Messe in der Wigbertikirche. Um 11:30 Uhr kamen die Abgeordneten zur weltlichen Eröffnungsfeier der Tagung im Barocksaal der Kurmainzischen Statthalterei (heute Thüringer Staatskanzlei), dem damaligen Sitz der Preußischen Regierung in Erfurt, zusammen. Die Eröffnungsrede hielt Joseph Maria von Radowitz als erster Kommissar des Verwaltungsrates (Provisorische Regierung) (Vgl. Schmidt 2000, S. 535).

Das Parlament
Das Unionsparlament war ein Zwei-Kammern-Parlament.
- Das Staatenhaus, dessen Mitglieder zur einen Hälfte durch die Landesparlamente gewählt und zur anderen Hälfte von den Regierungen der am Parlament teilnehmenden Staaten ernannt wurden, tagte im Chor der Augustinerkirche. Jedem Unionsstaat stand mindestens ein Abgeordneter zu; die meisten Mandate (40) entfielen auf das Königreich Preußen. Von de iure 120 vorgesehenen Mandaten wurden lediglich 91 besetzt (Vgl. Lengemann 2000, S. 97).
- Das Volkshaus, dessen Mitglieder durch die wahlberechtigten Männer aus den Einzelstaaten in einem mittelbaren Verfahren gewählt wurden, tagte im Langhaus der Augustinerkirche. De iure gehörten ihm 261 Abgeordnete an; de facto wurden jedoch nur 223 Mandate besetzt bzw. tatsächlich ausgeübt (Vgl. Ebd., S. 99).
Die Wahlen zum Volkshaus hatten Ende Januar 1850 stattgefunden. Gewählt wurde nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht. Wahlberechtigt waren demnach nur unbescholtene Männer, die Steuern zahlten und über 25 Jahre alt waren. Das System, das die Wähler nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in drei Klassen einteilte, begünstigte vermögende Wähler und benachteiligte die wirtschaftlich schwächere Bevölkerungsmehrheit. Jeder der drei Klassen stand ein Drittel am Stimmenanteil zu, was der recht kleinen Schicht der Vermögenden einen unverhältnismäßig großen, der unvermögenden Bevölkerungsmehrheit (über 80 %) einen im Verhältnis viel zu geringen politischen Einfluss brachte. Die Abgeordneten des Volkshauses wurden in einem mittelbaren Verfahren gewählt, was bedeutet, dass die Urwähler am 20. Januar 1850 zunächst Wahlmänner bestimmten. Gewählt wurde dabei mündlich und öffentlich, nicht schriftlich und geheim, wie heute in der Bundesrepublik Deutschland üblich. Die Wahlmänner kürten wiederum in regionalen Wahlversammlungen Ende Januar 1850 die eigentlichen Wahlkreisabgeordneten (Vgl. Schmidt 1992, S. 534).
Für den Wahlkreis Erfurt wurde der Erste Kommissar des Verwaltungsrates, der frisch nach Erfurt gezogene Joseph Maria von Radowitz, zum Abgeordneten des Volkshauses gewählt (Vgl. Ebd.).
Die Fraktionen
Neben kleineren Gruppen und fraktionslosen Abgeordneten bestimmten vor allem drei Zusammenschlüsse von Abgeordneten das parlamentarische Geschehen. Diese erhielten ihre Namen nach den jeweiligen Lokalen, in denen sie ihre Fraktionssitzungen und Besprechungen abhielten.
- Fraktion „Bahnhofspartei“: Die Bahnhofspartei war die liberale Fraktion um Heinrich von Gagern [*1799; +1880] und Eduard Simson [*1810; +1899]. Wie der Name sagt, trafen sie sich im neuen Bahnhofsgebäude („Reichsbahndirektion“) am heutigen Willy-Brandt-Platz (Vgl. Raßloff 2025, S. 31).
- Fraktion „Schlehendorn“: Die konservative Fraktion traf sich im Gasthaus „Zum Schlehendorn“ an der Ecke Regierungsstraße/Lange Brücke. Ihr gehörte unter anderem der spätere Preußische Ministerpräsident und Deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck [*1815; +1898] an (Vgl. Ebd.).
- Fraktion „Klemme“: Die Fraktion „Klemme“ traf sich in „Klemms Restauration“ am Anger 23. Ihre Positionen bewegten sich zwischen der Bahnhofspartei und dem Schlehendorn (Vgl. Ebd., S. 32).
Die Fraktionen hatten sich vor allem zu zwei inhaltlichen Grundsatzfragen zu positionieren:
- Soll die Union ein Staatenbund oder ein Bundesstaat werden?
- Wird zukünftig das Parlament oder aber der König von Preußen die Vorherrschaft in der Union ausüben (Vgl. Moritz 2024, S. 13)?
Ferner war die Verfahrensweise im Verfassungsgebungsprozess strittig. Es gab zwei Alternativen:
- Die Verfassung wird zuerst als Ganzes en bloc angenommen und sodann wird über Änderungen im Verfassungstext beschlossen, die den bereits bestätigten Verfassungstext modifizieren (Vgl. Ebd.).
- Der Verfassungstext wird erst revidiert und anschließend wird er inklusive der beschlossenen Änderungen verabschiedet (Vgl. Ebd.).
Die liberale Bahnhofspartei stellte die größte Parlamentsfraktion (111 Mitglieder im Volkshaus, 48 Mitglieder im Staatenhaus). Sie forderte einen Bundesstaat, in dem das Parlament die Vorherrschaft ausüben sollte. Ferner verlangte sie, die Verfassung zunächst als Ganzes en bloc anzunehmen und sodann über Änderungen am Verfassungswerk zu beraten und abzustimmen. Dies sollte die beteiligten Territorien zeitnah an das Unionsprojekt binden (Vgl. Ebd.; vgl. Lengemann 2000, S. 105).
Von Seiten der konservativen Schlehendorn-Fraktion wurde dagegen grundsätzlich ein Bundesstaat unter der Vorherrschaft eines starken Preußischen Königs favorisiert (Vgl. Moritz 2024, S. 13).
Der Standpunkt der Klemme-Fraktion bewegte sich, wie gesagt, zwischen den beiden Polen (Vgl. Lengemann 2000, S. 113–116).
Radowitz und der Verwaltungsrat plädierten für die Schaffung eines Bundesstaates unter Preußischer Leitung (Vgl. Moritz 2024, S. 13).
Inhalt und Verlauf der Beratungen
Die erste Sitzungsphase nach der Eröffnung dauerte bis zum 27. März 1850, danach folgte eine Pause aufgrund der Osterferien. In dieser Zeit wurden vor allem formale Fragen und Fragen der Geschäftsordnung behandelt. Die Fraktionen formierten sich, die Mitglieder der Ausschüsse wurden bestellt, die Ausschüsse konstituierten sich und eine Geschäftsordnung wurde beschlossen. Überdies waren die Präsidenten der beiden Parlamentskammern zu wählen (Vgl. Moritz 2024, S. 12).
Zum Präsidenten des Staatenhauses wurde der liberale Politiker Eduard Simson gewählt, der bereits von Dezember 1848 bis Mai 1849 als Präsident der Nationalversammlung gewirkt hatte. Als Präsident des Staatenhauses fungierte der liberal gesinnte preußische Adelige Rudolf von Auerswald [*1795; +1866] (Vgl. Lengemann 2000, S. 99 und S. 101).
Nach der Osterpause hatte Radowitz gegenüber den Abgeordneten eine neue politische Linie zu vertreten. Friedrich Wilhelm IV. blieb bei seinem Vorhaben, einen Bundesstaat zu errichten, verlangte jetzt aber, dass der Verfassungstext zunächst modifiziert werden sollte, bevor über dessen Annahme als Ganzes abzustimmen sei. Diese Forderung Friedrich Wilhelms IV. wurde durch die Abgeordneten zwar zur Kenntnis genommen; Liberale und Konservative verblieben jedoch bei ihren bislang vertretenen Standpunkten (Vgl. Moritz 2024, S. 13).
Letztendlich setzte sich die liberale Parlamentsmehrheit durch und die beiden Kammern stimmten zuerst über den Verfassungsentwurf als Ganzes en bloc ab, bevor die Änderungsvorschläge zum Verfassungswerk beraten und abgestimmt wurden. Nach engagierter und emotional geführter zweitägiger Debatte nahm das Volkshaus die Unionsverfassung, die Additionalakte, das Wahlgesetz und die Juni-Denkschrift (Interpretationspapier zur Unionsverfassung) am 13. April 1850 an. 125 Abgeordnete votierten für die Vorlagen, 89 Parlamentarier stimmten dagegen. Das Staatenhaus stimmte am 17. April für die Vorlagen, wobei hier 62 Abgeordnete mit „Ja“ und 29 mit „Nein“ stimmten (Vgl. Schmidt 1992, S. 540–541).
In den letzten Sitzungstagen bis zum 29. April 1850, der dritten Sitzungsphase, wurde die Beschlussfassung noch durch zahlreiche Änderungsvorschläge, welche das Parlament beschloss, ergänzt. Jene Anträge waren in den Parlamentsausschüssen bereits ausführlich vorberaten worden. Während dieser Zeit traten die Konservativen dem Unionsprojekt mit scharf gehaltenen Reden entgegen. Die Liberalen stimmten dagegen den konservativen Änderungswünschen König Friedrich Wilhelms IV. zu. Demnach sollte zukünftig nicht das Parlament, sondern der Preußische König und die Fürsten die Vorherrschaft innerhalb der Union ausüben. Auch akzeptierten sie die Festschreibung des Dreiklassenwahlrechts nach preußischem Vorbild anstelle des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts sowie eine Zurückdrängung der Grundrechte, die im Text der Paulskirchenverfassung noch eine wesentliche Rolle gespielt hatten (Vgl. Moritz 2024, S. 13; vgl. Schmidt 1992, S. 542).
Der Text der Unionsverfassung in der Fassung der Additionalakte vom Februar 1850 sah vor, dass selbstständige, unbescholtene deutsche Männer die Parlamente in den Einzelstaaten sowie das Volkshaus des Unionsparlamentes in einem mittelbaren Verfahren wählen sollten. Die Legislaturperiode des Volkshauses sollte vier Jahre betragen. Eine Hälfte des Staatenhauses sollte von den Landesparlamenten gewählt werden, während die Regierungen die andere Hälfte der Abgeordneten ernennen sollten. Die Wahl des Staatenhauses sollte alle sechs Jahre erfolgen. Staatenhaus und Volkshaus sollten als Zwei-Kammern-Parlament die gesetzgebende Körperschaft der deutschen Union bilden. Der Unionsvorstand sollte wiederum ein absolutes Vetorecht gegen die Beschlüsse des Parlaments erhalten. Darüber hinaus sollte er das Parlament auflösen können. Das Präsidium im Unionsvorstand, der aus einem sechsstimmigen Fürstenkollegium bestanden hätte, hätte der König von Preußen geführt. Entscheidungen des Unionsvorstands hätten zu ihrer Gültigkeit der Mitzeichnung der Unionsminister bedurft, deren Ernennung wiederum in die Kompetenz des Unionsvorstands gefallen wäre. Dem Unionsvorstand wäre ferner die Gesetzesinitiative zugefallen und er hätte den Vollzug von Gesetzen nach deren Beschlussfassung durch die gesetzgebende Körperschaft aussetzen können (Vgl. Mai 2000).
Am 29. April 1850 schloss Radowitz die Tagung des Unionsparlaments mit einer schlichten Erklärung. Ein Festakt zum Abschluss oder eine öffentliche Kundgebung fanden nicht statt. Im Vergleich zur Eröffnung des Parlaments am 20. März nahm sich das Ende also bemerkenswert glanzlos aus (Vgl. Schmidt 1992, S. 543).
Nach dem Unionsparlament
Bereits bei Eröffnung des Unionsparlaments wurde das Projekt zunehmend als Versuch Preußens wahrgenommen, die Hegemonie in einem kleindeutschen Nationalstaat zu erlangen. Von Beginn an hatten sich die süddeutschen Königreiche Bayern und Württemberg von dem Vorhaben einer „Deutschen Union“ distanziert. Die beiden noch am Dreikönigsbündnis beteiligten Königreiche Sachsen und Hannover waren noch vor der Parlamentseröffnung wieder von dem Projekt abgerückt. Gemeinsam hatten die vier Königreiche Bayern, Sachsen, Württemberg und Hannover am 27. Februar 1850 ein Vierkönigsbündnis gegründet. Das Kaisertum Österreich arbeitete seit 1849 überdies an einer Wiederherstellung des Deutschen Bundes, um seine Vormachtstellung in diesem losen Verbund weiterhin behaupten zu können. Es unterstützte daher auch den Vierkönigsbund, der sich die Reform und Wiederbelebung des Deutschen Bundes zum Ziel gesetzt hatte (Vgl. Raßloff 2025, S. 22).
Der auf das Parlament folgende Fürstenkongress der Staatsoberhäupter der Unionsstaaten im Mai 1850, der zu einer förmlichen Einigung der Mitgliedstaaten über die verbindliche Annahme des Verfassungswerkes führen sollte, blieb ergebnislos (Vgl. Schmidt 1992, S. 545).
Aufgrund des zunehmenden Gegensatzes zwischen dem Vierkönigsbündnis und dem Kaisertum Österreich auf der einen und dem Königreich Preußen auf der anderen Seite spitzte sich die politische Lage im Verlauf des Jahres 1850 zwischen beiden Parteien zu, was in der sogenannten Herbstkrise von 1850 gipfelte. Im Zuge der Auseinandersetzungen der Herbstkrise kam es zwar zu vereinzelten militärischen Scharmützeln, doch schreckte Preußen letztlich vor einem Krieg mit Österreich zurück. Preußen gab das Projekt einer kleindeutschen Lösung durch die Erfurter Union endgültig auf; die Herbstkrise wurde durch den Abschluss der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 diplomatisch beigelegt. Nach langwierigen Verhandlungen wurde 1851 der Deutsche Bund unter Einschluss Österreichs wiederhergestellt (Vgl. Lengemann 2000, S. 120–121).
1871 setzte Preußen die Gründung eines kleindeutschen Nationalstaates unter Ausschluss Österreichs unter seiner Vorherrschaft endgültig durch. Vorausgegangen waren die Reichseinigungskriege 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/1871 gegen Frankreich (Vgl. Moritz 2024, S. 14; vgl. Raßloff 2025, S. 23–24).
Schlusswort
Ich verzichte an dieser Stelle bewusst auf die sonst übliche Schlussbetrachtung am Ende eines historischen Beitrags, die bewertet und einordnet. Der Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen historischen Arbeit liegt in der Vormoderne, sodass ich mir aufgrund meiner geringeren Kenntnisse im Segment der Geschichte der Moderne ab 1800 hier keine Beurteilungen anmaße und weitreichende Wertungen erspare. Vielmehr empfehle ich allen Interessierten, sich intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen, um sich selbst ein Urteil über die Bedeutung des Erfurter Unionsparlaments zu bilden.
Die Bandbreite der Bewertungen des Unionsparlaments reicht von bedauernden Äußerungen über eine verpasste Chance zur deutschen Einheit über die Kritik an den identifizierten Versuchen Preußens, die anderen deutschen Staaten durch die Unionspolitik aus egoistischem Machtstreben zu dominieren, bis hin zur Würdigung des Ereignisses als Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte. Welche Position man in dieser Frage einnimmt, hängt wohl nicht zuletzt von der eigenen Einstellung zu Preußen, zur Rolle der Kleinstaaten und auch davon ab, ob man nach Würdigung des historischen Befunds geneigt ist, das Unionsparlament tatsächlich in eine Reihe mit der Paulskirchenversammlung, der Weimarer Nationalversammlung und dem Parlamentarischen Rat zu stellen.
Über diese und noch mehr Fragen lohnt es sich, mit Blick auf das Erfurter Unionsparlament nachzudenken, von dem hier nur ein Bruchteil dessen vermittelt werden konnte, was eigentlich mitzuteilen wäre. Anregungen für die weitere Beschäftigung liefert dabei das anschließende Verzeichnis der für diesen Kurzbeitrag ausgewerteten Literatur.
Über den Autor Christian Bürger
Christian Bürger (Jahrgang 1993) ist Historiker und Verwaltungswirt; er lebt in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Von 2020 bis 2023 studierte er, neben seiner Vollzeit-Berufstätigkeit in der öffentlichen Verwaltung, Geschichtswissenschaften, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften (Abschluss: B.A.) an der Fernuniversität in Hagen. Seit 2023 ist er im Masterstudiengang Geschichte Europas an der Fernuniversität in Hagen immatrikuliert. Christian Bürger ist u. a. Mitglied des Vereins für Thüringische Geschichte und des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Landes-, Regional- und Kulturgeschichte Thüringens in der Frühen Neuzeit und im Spätmittelalter. Überdies beschäftigt er sich mit der Alltags- und Kulturgeschichte der ehemaligen DDR.
Literaturverzeichnis
Lengemann 2000: Lengemann, Jochen: Das Deutsche Parlament von 1850. Orte, Männer, Entscheidungen. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 61 (2000), S. 85–122.
Mai 2000: Mai, Gunther: Erfurter Union und Erfurter Unionsparlament. In: Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln/Weimar/Wien 2000, S. 9–52
Mann 1961: Mann, Golo: Deutsche Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1961.
Moritz 2024: Moritz, Horst: 175 Jahre Erfurter Unionsparlament Teil I: Parlamentsbetrieb und Erfurter Resonanz. In: Stadt und Geschichte 85 (2024), S. 12–14.
Raßloff 2023: Raßloff, Steffen: Das Erfurter Unionsparlament 1850. Erfurt 2023 (= Schriften der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen).
Raßloff 2025: Raßloff, Steffen. Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850. Erfurt 2025.
Schmidt 1992: Schmidt, Walter: Erfurt und das deutsche Unionsparlament von 1850. In: Ulman Weiß (Hg.): Erfurt 742–1992. Stadtgeschichte, Universitätsgeschichte. Weimar 1992, S. 525–545.
Schmidt 1995: Schmidt, Walter: Erfurt in der deutschen Hauptstadt-Diskussion 1848–1850. Der Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt. In: Ulman Weiß (Hg.): Erfurt. Geschichte und Gegenwart. Weimar 1995, S. 115–150.