Erich Ludendorff am Schreibtisch sitzend, Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1992-0707-500 / CC-BY-SA 3.0
Erich Ludendorff am Schreibtisch sitzend, Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1992-0707-500 / CC-BY-SA 3.0

Wolfgang Venohr berichtete in seiner Biografie über Erich Ludendorff von einer Begebenheit aus dem Jahr 1936. Im Vorzimmer des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst von Fritsch, klingelte das Telefon. Der Adjutant nimmt den Hörer ab und teilte dem Anrufer mit, dass der Generaloberst nicht im Hause sei: „Sagen Sie ihm, hier spricht der Feldherr“, schnarrte es ihm aus dem Hörer entgegen. Der Anrufer war General a. D. Erich Ludendorff, von 1916 bis 1918 stellvertretender Chef des Generalstabes.

Ein Feldherr ist der oberste militärische Befehlshaber. Seine Führungsaufgabe verlangt aber auch Einsicht in die politischen Verhältnisse. Ein Feldherr wirkt an der Schnittstelle von Politik und Militär, erkennt aber den Primat der Politik an.

War Erich Ludendorff, gemessen an diesen Maßstäben, ein Feldherr?

1916 bis 1918: Der starke Mann in der Obersten Heeresleitung

Im August 1916 wechselte Wilhelm II. auf Drängen seiner Berater die militärische Führungsspitze des Heeres aus. Neuer Chef des Generalstabes wurde Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg; General Erich Ludendorff übernahm dessen Stellvertretung. Zusammen bildeten sie die „Oberste Heeresleitung“. Seit August 1914 wirkten Hindenburg und Ludendorff zusammen. An der Spitze der 8. Armee bereiteten sie den Russen kurz nach Kriegsbeginn bei Tannenberg in Ostpreußen eine vernichtende Niederlage. Nach außen hin schien Hindenburg die Operationen zu leiten, aber bald stellte sich heraus, dass Ludendorff der „eigentliche Kopf“ des triumphalen Sieges war.

1916/17 befand sich das deutsche Westheer in der Defensive. Unter der Führung von Ludendorff wurde die Front durch einen freiwilligen Rückzug stabilisiert. Gleichzeitig nahm der General großen Einfluss auf die Organisation der deutschen Kriegswirtschaft. Die Rüstungsproduktion wurde gesteigert. An der Front entwickelte auf seine Initiative hin das deutsche Heer neue taktische Verfahren, um trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit wieder angriffsfähig zu werden.

Die Oberste Heeresleitung setzte auf Sieg. Entschieden nahm sie gegen die sogenannte Friedensresolution des Reichstages im Juli 1917 Stellung, in der ein Friede ohne Gebietserwerbungen und Kriegsentschädigungen gefordert wurde. Ihr Einfluss reichte so weit, dass Reichskanzler von Bethmann-Hollweg im Sommer 1917 seinen Rücktritt erklärte, weil er sich beim Kaiser nicht gegen Hindenburg und Ludendorff durchsetzen konnte.

Dass die militärische Führung noch 1917 damit rechnete, den Krieg mit einem „Siegfrieden“ beenden zu können, zeigt eine Niederschrift über einen Vortrag von Erich Ludendorff im

Kronrat am 14. September 1917. Der General räumte Probleme im Innern ein, glaubte jedoch, dass die innenpolitischen Verhältnisse in England und Frankreich schwieriger wären. Russland ging in seinen Augen der „inneren Auflösung“ entgegen. Daraus zog er die Schlussfolgerung: „Unsere militärische Lage ist günstiger als die der Entente (das Bündnis der Gegner Deutschlands, die Verfasserin). Unser Bündnis ist fester. Die Schwierigkeiten im Innern sind bei uns geringer als bei der Entente“.

Ludendorff formulierte expansive Kriegsziele, die im Gegensatz zur Friedensresolution des Reichstages standen. Seine Motive waren wirtschaftlicher Natur. Deutschland, so seine These, bräuchte mehr Land, um seine Bevölkerung ernähren zu können. Im Osten sollten Teile des Baltikums annektiert werden. Russisches Gebiet, das an Oberschlesien grenzte, wäre im Falle eines Friedens ebenfalls Deutschland anzugliedern. Im Westen sei der Erwerb der französischen Erzvorkommen in Lothringen anzustreben; auch Teile Belgiens müssten zum Deutschen Reich gehören. Ludendorff wollte die Industriegebiete an Rhein und Ruhr und in Oberschlesien, die bis 1914 in Grenznähe lagen, durch ein strategisches Vorfeld schützen. Er dachte schon an den nächsten Krieg. Der General rechnete mit einem Entscheidungskampf zwischen England und Deutschland. Den konnte seiner Meinung nach das Kaiserreich nur bestehen, wenn es eine Vormachtstellung auf dem Kontinent einnahm.

Wie der Krieg zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden könne, sagte Ludendorff nicht. Wenn militärische Führungskunst darin besteht, eine Lage realistisch einzuschätzen und daraus eine Strategie abzuleiten, dann dokumentiert diese Niederschrift, dass Ludendorff kein Feldherr war. Die Gegner werden unterschätzt; die eigenen Möglichkeiten überbewertet.

Die weitreichenden Pläne dienten einem politischen Ziel: Der preußisch-deutsche Obrigkeitsstaat sollte erhalten bleiben. Der Kaiser hatte in der ersten Jahreshälfte 1917 halbherzige Zugeständnisse beim preußischen Wahlrecht gemacht, die Ludendorff zu weit gingen. Dass ein stellvertretender Chef des Generalstabes in einer politisch so wichtigen Frage Einfluss nehmen konnte, zeigt, dass es dem Deutschen Reich in dieser Phase des Krieges an einer politischen Führung fehlte.

Den Annexionsplänen Ludendorffs setzte der Monarch ebenfalls keinen Widerstand entgegen, weil auch er sich mit einer Parlamentarisierung des Kaiserreiches nicht abfinden wollte. Hätte die militärische Führung, also Ludendorff, ein Konzept ohne Landgewinne vorgeschlagen, hätte er dem Kaiser geraten, zu einer kräftesparenden Defensive überzugehen, dann wäre er damit – ohne es auszusprechen – der Friedensresolution der Reichstagsmehrheit gefolgt. Und dieser von den Sozialdemokraten, den Linksliberalen und dem katholischen Zentrum geforderte Frieden hing eng mit innenpolitischen Reformen zusammen, die auf eine Demokratisierung Preußens und Deutschlands hinausliefen.

Seit der Abdankung des Zaren im März 1917 galt das kaiserliche Deutschland als einer der letzten Obrigkeitsstaaten in Europa. Das Reich führte einen Massenkrieg, der auch das Leben der Menschen in der Heimat veränderte, billigte aber einem Teil der Bevölkerung, der Arbeiterschaft, nur eingeschränkte Rechte zu. Der Reichskanzler hing nicht vom Vertrauen der Mehrheit des Parlaments ab, sondern wurde vom Kaiser ernannt.

Der Historiker Wolfgang J. Mommsen spricht davon, dass Wilhelm II. 1917/18 „eigentlich nur noch ein Spielball in den Händen der Obersten Heeresleitung …“ war. Hindenburg und Ludendorff wollten die konstitutionelle Monarchie erhalten. Und das war – wenn überhaupt – nur mit einem „Siegfrieden“ möglich. Gelang es, wie 1871 nach dem Krieg gegen Frankreich als Sieger durch das Brandenburger Tor zu ziehen, so standen die Chancen gut, zumindest Teile der deutschen Bevölkerung, auch der Arbeiter, durch diesen Erfolg mit der Hohenzollernmonarchie auszusöhnen.

1917: Ludendorff sucht die militärische Lösung

Portrait Erich Ludendorff
Portrait Erich Ludendorff

Im Herbst 1917 planten Ludendorff und seine militärischen Berater deshalb eine Offensive im Westen. Der Krieg an der Ostfront war mittlerweile beendet worden, und Anfang März 1918 hatte das Deutsche Reich dem bolschewistischen Regime in Russland den äußerst harten Frieden von Brest-Litowsk aufgezwungen.

Das Kaiserreich musste nur noch an einer Front kämpfen. Zum ersten Mal in diesem Krieg besaßen die deutschen Truppen im Westen eine leichte Überlegenheit. Am 21. März 1918 begann die Großoffensive im Westen.

Die ersten Tage verliefen Erfolg versprechend. Die deutschen Truppen durchbrachen die gegnerischen Linien. Zum ersten Mal seit 1914 kam es im Westen wieder zu einem Bewegungskrieg. In taktisch-operativer Hinsicht war das Unternehmen ein voller Erfolg. Doch Ende März musste der Angriff eingestellt werden. Bis Anfang Juli 1918 versuchte Ludendorff mit weiteren Offensiven die Entscheidung zu erzwingen. Die deutschen Truppen erreichten Geländegewinne, aber ein durchschlagender Sieg blieb ihnen versagt.

Am 18. Juli 1918 begann die alliierte Gegenoffensive, die schließlich die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg besiegeln sollte. Ab August 1918 gaben sich immer mehr deutsche Soldaten gefangen. Historiker wie Wilhelm Deist und Benjamin Ziemann sprechen von einem Zusammenbruch der Moral des Westheeres; Deist stellte 1986 die These von einem „Militärstreik“ auf.

Ludendorff reagierte auf die Auflösungserscheinungen, indem er der Truppe befahl, jeden Fußbreit Boden zu halten. Teilweise verbrachte er Stunden am Telefon, um den Armeestäben seine Haltestrategie aufzudrängen. Im September 1918 spitzte sich die Lage so zu, dass die Oberste Heeresleitung mit einem Zusammenbruch der Westfront rechnete.

Im Angesicht der Niederlage: Der General verliert die Nerven

Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Gemälde von Professor Hugo Vogel.
Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Gemälde von Professor Hugo Vogel.

Am 29. September 1918 forderte Ludendorff schließlich den Reichskanzler auf, innerhalb von 48 Stunden ein Waffenstillstandsgesuch an die Westmächte zu richten. Gleichzeitig unterstützte er den Plan des Staatssekretärs des Äußeren, Admiral Paul Hintze, mit einer „Revolution von oben“ das Kaiserreich zu parlamentarisieren. Ein neuer Reichskanzler und Staatssekretäre aus den Reihen der Mehrheitsparteien im Reichstag sollten die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen führen. In den Augen Ludendorffs war dies nur konsequent, weil seiner Meinung nach Sozialdemokraten, Linksliberale und das Zentrum die Verantwortung für die Niederlage trügen. Seine eigene Verantwortung leugnete er.

Der neue Reichskanzler, der parteilose Prinz Max von Baden, warnte davor, überstürzt die Einstellung der Kampfhandlungen anzubieten, doch er hatte keine andere Wahl. Der befürchtete Zusammenbruch der Westfront blieb jedoch aus. Den ganzen Oktober hindurch versuchte Prinz Max vergeblich, in einem Notenwechsel mit dem amerikanischen Präsidenten die Folgen des voreiligen Waffenstillstandsangebotes abzumildern. Am 8. November 1918 mussten deutsche Parlamentäre an der Westfront die Bedingungen für die Einstellung der Kampfhandlungen entgegennehmen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich General Ludendorff nicht mehr im Amt. Am 26. Oktober 1918 hatte der Kaiser ihn auf Bitten der neuen Reichsregierung entlassen.

Ludendorff oder Glanz und Elend des deutschen Generalstabes

Erich Ludendorff trägt zweifellos eine Mitverantwortung für die deutsche Niederlage. Trotzdem halten nicht wenige Historiker ihn für den fähigsten General im Ersten Weltkrieg. Sein taktisches und operatives Können ermöglichte spektakuläre Erfolge wie den Sieg bei Tannenberg 1914 oder den Durchbruch in der ersten Frühjahrsoffensive 1918.

Als Stratege jedoch versagte er. Sein aggressiver Nationalismus, die Vorstellung, Deutschland müsse Großmacht sein oder würde seine Existenzberechtigung verlieren, machten ihn für seine Position als stellvertretender Chef des Generalstabes ungeeignet. Als der Reichskanzler Graf Hertling ihn im Februar 1918 fragte, was passieren würde, wenn die geplante Offensive scheitere, antwortete Ludendorff offen: „Dann muss Deutschland eben zugrunde gehen.“

27 Jahre später kam dieser Satz aus dem Munde eines Mannes, der im Ersten Weltkrieg als Gefreiter an der Westfront gekämpft hatte. Sein Name: Adolf Hitler. Mehrmals hatte er – noch 1942 – gegenüber seinen militärischen Ratgebern Ludendorff als den letzten innovativen Kopf des deutschen Generalstabes gelobt. Hitler und Ludendorff bekämpften in den ersten Jahren der Weimarer Republik gemeinsam die neue demokratische Ordnung, ehe sich ihre politischen Wege trennten. Ludendorffs Buch „Der totale Krieg“ aus dem Jahr 1935 gehörte trotzdem zur Standardlektüre des Diktators.

Es wäre zu einfach, Erich Ludendorff für die katastrophale Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verantwortlich zu machen. Aber der vielleicht fähigste Truppenführer des Ersten Weltkrieges verkörperte geradezu idealtypisch die Licht- und Schattenseiten des deutschen Generalstabes bis 1945.

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