Das Buch „Liebe Mama, ich lebe noch! Die Briefe des Frontsoldaten Leonhard Wohlschläger“ von Ernst Gelegs ist ein herausragendes zeitgeschichtliches Werk, das das Kriegsgeschehen aus der Sicht eines einfachen Soldaten schildert.
Zeitzeugenberichte machen Geschichte erleb- und greifbar, da man sich in die jeweilige Person versetzen und so die damalige Situation nachempfinden kann. Nicht umsonst sind gerade in der Schule unter anderem Filme und Besuche von Gedenkstätten ein fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts.
Vor diesem Hintergrund kann das Buch von Ernst Gelegs, einem Korrespondenten des Österreichischen Rundfunks (ORF), uneingeschränkt empfohlen werden.
Zum Hintergrund des Buchs: Fast 100 Briefe des Obergefreiten Leonhard Wohlschläger
Johanna Wohlschläger war die „Wahltante“ des Stiefvaters von Ernst Gelegs und Schwester von Leonhard Wohlschläger, der Hauptperson des Buchs. Als Johanna Wohlschläger starb, wurde auch die Familie des Autors bedacht. Im Nachlass der unverheirateten und kinderlosen Johanna Wohlschläger fand der Autor fast 100 Briefe von Leonhard Wohlschläger, die dieser während des II. Weltkriegs an seine Schwester und an seine Mutter geschrieben hatte.
Ernst Gelegs druckt eine Auswahl dieser Briefe im Originalwortlaut ab und ordnet diese in das damalige Geschehen ein. So entsteht ein unverstellter Einblick in den Alltag eines einfachen Soldaten der Wehrmacht.
Leonhard Wohlschläger und seine Familie
Johanna und Leonhard Wohlschläger waren die Kinder des Architekten Jakob Wohlschläger, der in Wien mehrere Mietshäuser und den Mariahilfer Zentralpalast (später Warenhaus Stafa) geplant hatte.
Leonhard entwickelte sich anders als seine Schwester Johanna zu einem Lebemann. Er lebte weit über seinen Verhältnissen und nahm Geld von Bekannten auf, indem er diese über angebliche wirtschaftliche Unternehmungen täuschte. Im klassischen Sinn war Leonhard Wohlschläger ein Aufschneider und Betrüger, der stets die Sonnenseite des Lebens suchte und meist auch fand.
Der Ausbruch des II. Weltkriegs muss dem künftigen Soldaten daher gerade recht gekommen sein, da er so vor seinen Gläubigern und Verpflichtungen fliehen konnte.
In der Wehrmacht entwickelte Leonhard Wohlschläger dann einen enormen Ehrgeiz, um in der strengen Hierarchie der Armee aufzusteigen, weil ihm schnell bewusst wurde, dass ihm in höheren Rängen ein angenehmeres Leben möglich war.
Das Glück, das der junge Leonhard Wohlschläger sprichwörtlich für sich gepachtet hatte, war ihm jedenfalls in den ersten Kriegsjahren hold, als er an der Westfront lediglich als Fahrer eingeteilt war und nicht an den unmittelbaren Kämpfen teilnehmen musste.
Mit der Abkommandierung an die Ostfront änderte sich dies jedoch für den Soldaten, der die Schrecken des Vernichtungskriegs erlebte und an den Entbehrungen der Ostfront litt.
Aus dem Leben eines einfachen Soldaten
Aus heutiger Sicht kann kaum beurteilt werden, wie offen der Frontsoldat Wohlschläger seiner Familie schrieb, da die Feldpost – was allgemein bekannt war – der Zensur unterlag.
Dennoch gewähren die Briefe interessante Einblicke in das Leben eines einfachen Soldaten.
Was wird noch alles kommen? Trotzdem, unsere Stimmung ist gut, obwohl nervös, so doch zuversichtlich. Man kann das hier nicht schildern mit Worten, ich glaube oft bald meinen Augen nicht mehr – aus einem Brief vom 10.08.1943, Seite 186
Leonhard Wohlschläger schildert den Alltag bei der Armee ebenso wie seine Eindrücke von den Ländern, in denen er eingesetzt ist. Immer wieder scheint so in den Briefen der damals alltägliche Rassismus gegenüber Juden und den slawischen Völkern durch. Insoweit war Leonhard Wohlschläger, wie seine gesamte Generation, von der Ideologie des Nationalsozialismus indoktriniert.
Über die Feldpost – dem damals allen zur Verfügung stehenden und trotz der Kriegswirren sehr zuverlässig funktionierendem Kommunikationsmittel – werden aber auch sehr alltägliche und beinahe banale Angelegenheiten geklärt: Die Familie Wohlschläger streitet über die Schulden des Leonhard, dieser beklagt sich über seine ausbleibende Beförderung (auch noch während der letzten Kriegsmonate, als bereits die Rückzugsgefechte tobten) und Luxusartikel werden geordert und verschickt.
Leonhard Wohlschläger war kein Mann, der in der Wehrmacht Einfluss hatte. Er war ein Zahnrad in einer riesigen Maschinerie, der wie eine Schachfigur nach Belieben verschoben wurde. Sein Blick war daher nicht auf Strategien, Kriegsverläufe und Politik gerichtet, sondern auf das Leben und Überleben in einem Krieg, der Millionen Menschen das Leben kostete. Das kommt in all den Briefen unausgesprochen und dennoch eindeutig zum Ausdruck.
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