von Bernhard Sauer, Historiker

Othmar Toifl als Agent der „Antibolschewistischen Liga“ und der Garde-Kavallerie-Schützendivision

 

Privatbesitz Felizitas Toifl
Toifl im Jahr 1919, Privatbesitz Felizitas Toifl

Aus Protest gegen die Absetzung des kommissarischen Polizeipräsidenten von Berlin Emil Eichhorn (USPD) kam es am 5. Januar 1919 in Berlin zu einer Massendemonstration von über hunderttausend Teilnehmern. Einige hundert Demonstranten, die bewaffnet waren, zogen daraufhin in Richtung Zeitungsviertel und besetzten die Druckerei des sozialdemokratischen „Vorwärts“, das „Berliner Tageblatt“, die großen Betriebe von Mosse, Ullstein, Scherl, Büxenstein und das Wolffsche Telegraphenbüro. Ein Teilnehmer erinnert sich: „Es ist niemals festgestellt worden, wer eigentlich die Losung ‚Auf zum Vorwärts!‘ ausgegeben hatte. Es wurde in den folgenden Jahren viel darüber diskutiert, ob es ein Provokateur gewesen sein könnte. Das ist möglich. Doch kann es ebensogut ein Demonstrant gewesen sein, der durch die ungeheure Menschenmenge in Wallung geraten war. So entstehen eben spontane Aktionen; irgendjemand gibt die Parole aus, die in der Luft liegt. Das gehört zur Atmosphäre erregter Zeiten. Unbestreitbare Wahrheit ist, daß der Zug zum ‚Vorwärts‘ nicht vorbereitet war.“1 Die Besetzung der Zeitungen führte zur Eskalation während der Januarunruhen. In der Nacht vom 10. zum 11. Januar begann der Angriff auf das von den Besetzern gehaltene „Vorwärts“-Gebäude. Das „Regiment Potsdam“ unter dem Kommando von Major Franz von Stephani war in der Dunkelheit von allen Seiten aufmarschiert und hatte schwere Maschinengewehre, Geschütze und Minenwerfer in Stellung gebracht. Der ungleiche Kampf währte nicht lange. Es gab Tote und Schwerverletzte vor allem auf Seiten der Besetzer. Einzeln und mit erhobenen Armen verließen die Vorwärts-Besetzer das Gebäude. Sie mussten sich in Viererreihen aufstellen und wurden mit erhobenen Armen gehend, unter Schlägen mit Gewehrkolben und Peitschen der Soldaten zur Dragonerkaserne eskortiert. Dort wurden die Gefangenen schwer misshandelt. Kurz darauf wurden auch die anderen Zeitungshäuser geräumt.

Es ist wiederholt der Verdacht geäußert worden, dass Agenten der „Antibolschewistischen Liga“ und der Garde-Kavallerie-Schützendivision bei der Besetzung der Zeitungshäuser ihre Hand im Spiel hatten. Die Besetzung der Zeitungshäuser war eine politisch und militärisch völlig unsinnige Aktion, die den Linken insgesamt schweren Schaden zugefügt hat; sie lieferte den Vorwand für das brutale Eingreifen der Freikorps. Sind die Besetzer des Zeitungsviertels bewusst in eine Falle gelockt worden? Um gegen die Arbeiterbewegung insgesamt vorgehen zu können? Othmar Toifl, der spätere berüchtigte Kommandant der SS-Mannschaft im Columbiahaus2, war Agent der „Antibolschewistischen Liga“ und des Stabes der Garde-Kavallerie-Schützendivision. In den Archiven hat sich umfangreiches Aktenmaterial zu seiner damaligen Tätigkeit gefunden, das bislang nicht oder nur kaum ausgewertet worden ist. Dieses Material gibt Einblick in die Agententätigkeit dieser beiden Organisationen und lieferten möglicherweise auch Aufschlüsse zu der Frage, ob Agenten an der Besetzung des Zeitungsviertels beteiligt waren.

Toifl, 1898 in Herzogenburg (Niederösterreich) geboren, war mit Kriegsende nach Deutschland gekommen. Er jobbte zunächst, war längere Zeit arbeitslos, bis er schließlich in die Dienste der „Antibolschewistischen Liga“ und des Stabes der Garde-Kavallerie-Schützendivision trat. Als deren Agent mischte er sich unter die Kommunisten, nach eigenen Angaben, um Verbrechen aufzuklären.3 Er gewann sehr schnell das Vertrauen der Genossen. Besonders soll er sich mit dem Genossen Max Fichtmann „angefreundet“ haben. Dieser besaß eine Schankwirtschaft in der Jüdenstraße. Dort verkehrten viele Genossen, darunter auch der angebliche Kommunist Toilf. Wiederholt wurde in der Schankwirtschaft darüber gesprochen, wie die Parteikasse „aufgefüllt“ werden könne. Zu diesem Zweck sollte eine geeignete Persönlichkeit „ausgehoben“ werden. Es wurde in Erfahrung gebracht, dass der Diamantenhändler Orlowsky Diamanten verschiebt und abends auf dem Heimwege von seiner Geschäftsstelle zu seiner Wohnung meist größere Geldbeträge und Diamanten mit sich führe. Es wurde der Plan entwickelt, Orlowsky am Molkenmarkt, den er zu passieren hatte, von einer als Reichswehrpatrouille verkleideten Schar Genossen zu stellen und dann an einer einsamen Stelle auszurauben. Zu der Patrouille gehörten Toifl, Fichtmann und der erst 17jährige Manske. Toifl wurde zum Führer des Unternehmens bestimmt, da er – so das spätere Urteil – „als früherer Fähnrich die nötigen Kenntnisse eines Patrouillenführers besaß.“4 Toifl war es nach Zeugenaussagen auch, der die Reichswehrverkleidung für den Überfall besorgt hat.5 Am Molkenmarkt stellte die Patrouille Orlowsky. Toifl verlangte die Herausgabe der Brieftasche. Orlowsky gab die Tasche heraus in der Annahme, dass es sich um echte Reichswehrtruppen handele, die zu diesem Vorgehen berechtigt seien. Die Tasche enthielt 1990 bis 2000 Mark. „Gleich darauf“, so das spätere Urteil, „versetzte ihm Fichtmann mit dem Gewehrkolben einen so heftigen Schlag über den Kopf, daß der Kolben teilweise zersplitterte. Orlowsky floh. Fichtmann jagte ihm noch einen Schuß nach, ohne ihn indessen zu treffen. Orlowsky erreichte glücklich ein Haus an der Chaussee und wurde dort verbunden.“6 Toifl erstattete am nächsten Tag durch seinen Verbindungsmann Anzeige bei der Reichswehr. Der Prozess fand vor dem außerordentlichen Kriegsgericht des Landgerichts II in Berlin im Oktober 1919 statt. Fichtmann bestritt jede Teilnahme und behauptete, am Abend des 31. Juli in seiner Wirtschaft gewesen zu sein und diese nicht verlassen zu haben. Dies sah das Gericht durch die Aussagen von Toifl und Manske für widerlegt. Manske hat zwar seine ursprüngliche Aussage in der Hauptverhandlung widerrufen und nun behauptet, dass er nicht genau wisse, ob Max Fichtmann oder sein ihm ähnlicher größerer Bruder Hugo bei dem Unternehmen beteiligt gewesen sei, doch mochte das Gericht diesen Angaben keinen Glauben schenken. Es hatte nicht den „geringsten Zweifel an der Täterschaft Max Fichtmanns“.7 Es verurteilte ihn wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren und wegen versuchten Mordes zu 10 Jahren; beide Strafen wurden auf eine Gesamtstrafe von 12 Jahren zurückgeführt. Das Gericht bezeichnete die Tat als versuchten Raub gefährlichster Art, wobei Fichtmann auch nicht davor zurückschreckte, ein Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Der Kolbenschlag sei so heftig gewesen, dass nach Überzeugung des Gerichts Fichtmann schon da die Absicht hatte, Orlowsky zu töten. Unzurechnungsfähigkeit liege – so der Gefängnisarzt – bei Fichtmann nicht vor, er sei „höchstens zu den minderwertigen Menschen zu rechnen“.8 Fichtmann war bereits am 9. April 1920 wegen Aufruhrs in Tateinheit mit Landfriedensbruch zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er hatte nach der Massendemonstration des 5.Januar 1919 sich am frühen Morgen des 6.Januar an der Besetzung des Mossehauses beteiligt. Dabei hat er einen Mann versteckt im Schrank gefunden und gemeint, der müsse sofort erschossen werden. Als die anderen Besetzer entgegneten, dass man doch nicht deshalb einen Mann erschießen könne, stürzte er zur Tür hinaus. Fichtmann wurde mehrere Male in der Charité in Berlin und in der Irrenanstalt Dahldorf auf seinen Geisteszustand beobachtet. Der Oberarzt dieser Anstalt hat in einem Gutachten Fichtmann für chronisch geisteskrank und für unzurechnungsfähig erklärt. Daraufhin hat der Gerichtshof Fichtmann durch einen Gerichtsarzt auf seinen Geisteszustand beobachten lassen. Dieser Sachverständige, der in der Hauptverhandlung gutachterlich gehört worden ist, kam abweichend zu der Überzeugung, dass Fichtmann wegen bei Blutsverwandten vorgekommene Geisteskrankheiten und Selbstmorde erblich schwer belastet sei, aber nur eine psychopathische Konstitution vorliege, in deren Folge es sich um einen geistig minderwertigen Menschen handelt.9

Manske wurde zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen Toifl wurde keine Anklage erhoben. Er behauptete, dass er von den „Kommunisten gezwungen wurde, bei dem Ueberfall dabei zu sein. (…).“10 Seine Aussagen blieben unbeeidigt. Das Gericht glaubte seinen Angaben, dass er „notgedrungen“ die Rolle bei dem Unternehmen übernehmen musste, um nicht Verdacht zu erregen und als Regierungsagent entlarvt zu werden.11

Kurz darauf, Anfang August 1919, wurde der Polizeiagent Karl Blau ermordet. Toifl wurde beschuldigt, an dieser Tat ebenfalls beteiligt gewesen zu sein. Gerade dieser Mord gibt eindrucksvolle Einblicke in das damalige Milieu des Agenten- und Spitzelsystems. Auf einem Gut in Schönfließ in Ostpreußen lernte der Landwirtschaftsinspektor Karl Blau im Januar 1915 seine spätere Ehefrau Marie kennen, die dort ebenfalls tätig war. Während des Krieges wurde Blau mehrmals eingezogen, befand sich aber auch wegen eines Lungenleidens längere Zeit in einem Lazarett. Im August 1918 ging das Ehepaar nach Berlin, bezog dort eine Wohnung in der Tauentzienstraße 7a und mietete die Küche im Simplizissimus in der Potsdamer Straße 4. Nach Aussage der Frau hat Blau sich bei Ausbruch der Revolutionsunruhen auch politisch betätigt.12 So soll er während der Januarkämpfe 1919 in Berlin Kommandant der revolutionären Besatzung der Büxenstein’schen Druckerei gewesen sein und die Arbeiter aufgefordert haben, „bis zum letzten Blutstropfen gegen die Regierungstruppen zu kämpfen“.13 Der Kellner des Simplizissimus, der mit Blau fast täglich zusammentraf, sagte aus, dass er den Eindruck hatte, dass Blau im „spartakistischen Dienste stand“.14 Er sah auch einen Mitgliedsausweis des Spartakusbunds auf seinem Namen. Eines Tages wurde Blau in seinem Geschäft verhaftet. Der Kellner erinnert sich: „Eines Tages, es mag im Januar d. J. gewesen sein, wurde er auch im Geschäft von einem Oberleutnant Bachmann und einem Leutnant Fiebig verhaftet. Die beiden Offiziere sind in Berlin in Militärkreisen gut bekannt. Sie haben sich besonders bei den damaligen Revolutionswirren betätigt. (…) Erst später erfuhr ich, dass Blau wegen spartakistischer Umtriebe verhaftet worden war. Allgemein war bekannt, dass die beiden Offiziere sich dahin geäußert haben sollten, dass sie am liebsten den Blau an die Wand gestellt hätten, da die Beweisgründe für seine spartakistische Gesinnung klar auf der Hand lagen.“15 Blau wurde jedoch alsbald wieder aus der Haft entlassen. Dazu der Oberleutnant Gert Rudolf Bachmann: „Ich kenne Blau aus den Januartagen d. Jrs., als ich ihn auf eine Mitteilung eines verhafteten Kommunisten hin ebenfalls in Haft nehmen liess. Er besass damals Papiere der kommunistischen Partei und Legitimationen des Roten Soldatenbundes, zugleich aber auch Angehörigkeitsausweise von bürgerlichen Parteien. Seine Vernehmung ergab nichts Belastendes und er wurde daher wieder aus der Haft entlassen.“16

Tatsächlich war Blau zu diesem Zeitpunkt bereits Agent der „Antibolschewistischen Liga“. Sein Verbindungsmann war dort der Leutnant Fritz Siebel. Dieser sagte aus: „Während der Januarkämpfe in Berlin, hauptsächlich in der Gegend Wilhelmstrasse, Unter den Linden, war ich Angehöriger der republikanischen Soldatenwehr, Depot III. Lützowstrasse 108. Während meiner dortigen Tätigkeit lernte ich den Inspektor Karl Blau kennen, der sich mir anbot, Berichte über das Treiben und Vorhaben der kommunistischen Führer zu liefern. Als Mitglied der damaligen antibolschewistischen Liga, Lützowstr. 107, nahm ich sein Anerbieten gern an. Er lieferte mir wiederholt teilweise auch sehr brauchbare Berichte, für die er eine jeweilige Entschädigung erhielt. Auch unternahm er auf meine Veranlassung mehrfach Reisen, so nach Braunschweig, München, Weimar und zwei Reisen nach der Schweiz. Seine Aufträge gingen dahin, mir über die internationalen kommunistischen Vereinigungen und Versammlungen Berichte zu erstatten (…). Die Aufträge hat Blau zu meiner vollsten Zufriedenheit gelöst.“ Auf sein Anraten hin habe Blau den Namen Dr. Michael zugelegt, „damit er bei den Kommunisten leichter Zutritt hätte.“17

Auf einer seiner Reisen traf er im Zug von Berlin nach München den Oberleutnant Bachmann wieder. Er beklagte sich, dass die antibolschewistische Liga ihn für seine Nachrichten in letzter Zeit nur noch schlecht bezahle und bot ihm seine Dienste an. Da das Bayerische Schützenkorps, dem Bachmann als Adjutant angehörte, eine sehr ausgebildete Fahnungsabteilung hatte, nahm dieser das Angebot an. Blau lieferte ihm dann auch Berichte „über den angeblichen Aufenthalt von Levin, gab mir auch dessen angebliche Adresse und eine Personalbeschreibung über sein jetzt verändertes Aeussere“.18

Diese Berichte gab Bachmann der Fahndungsabteilung der Polizeidirektion München, dem Ersten Staatsanwalt in München und der Fahndungsabteilung des 1. Bayerischen Schützenregiments. In einem Anschreiben teilte er den betreffenden Dienststellen mit, woher diese Nachrichten stammten und empfahl ihnen Blau. Die Mehrzahl der Behörden – so Bachmann – hielt seine Berichte für wichtig, vor allen Dingen das bayerische Ministerium des Innern, das sogar von Bamberg her einen Beamten ihretwegen nach München sandte. „Auf Veranlassung des Schützenkorps habe ich ihn dann zur Spionage-Zentrale des Generalkommandos Oven München (…) gebracht. Er hat dort zunächst mit Lt. Alweier verhandelt, hat für einen Bericht sofort einen Geldbetrag ausgezahlt erhalten und es wurde ihm versprochen, dass er in das Spionage-Detachement Aufnahme finden solle.“19

Am 2. Juli 1919 wurde Blau jedoch überraschend verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, dass er einen Tagesbefehl der Regierungstruppen in die Hände der Kommunisten gespielt habe. Am 19. Juli 1919 stellte der Anwalt von Blau einen Antrag auf Haftentlassung und Aufhebung der Schutzhaft mit der Begründung, dass Blau lungenkrank und syphilitisch sei. Er wurde auch am 22. Juli aus der Haft entlassen allerdings mit der Auflage, dass er Bayern zu verlassen habe. Blau begab sich unmittelbar nach seiner Entlassung zur Rechtsschutzstelle der USPD und zur Frauenhilfe der USPD, um dort Unterstützungen zu erhalten. Von dort wurde er an einen gewissen Franz Herm verwiesen. Die Nacht zum 23. Juli verbrachte Blau in einem Hotel und am 24. Juli begab er sich in das Städtische Krankenhaus München. Die Rechnung bezahlte Herm. Am 29. Juli schrieb Herm an das Krankenhaus, dass er für die Krankenhauskosten des Blau nicht länger aufkomme.20 Am Abend des 29. Juli 1919 fuhren Herm und Blau sowie zwei weitere Personen von München ab: Walter Schreiber und ein gewisser Schuster. „Schuster“ – der Name war angenommen, die eigentliche Identität konnte nie ermittelt werden – musste aus München verschwinden; wegen politischer Umtriebe war Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Herm war KPD-Mitglied; seine Aufgabe soll es gewesen sein, Häftlinge oder Flüchtlinge nach Ungarn zur „Roten Armee“ zu bringen.21

Schreiber war ebenfalls eine schillernde Figur. 1900 in Zürich geboren und von Beruf Mechaniker, fuhr Schreiber im Dezember 1918 nach München, weil er glaubte, dass in Deutschland mehr Geld zu verdienen sei. Das Arbeitsamt wies ihn aber ab und so schlug er sich zunächst als Hausdiener durch. Als „im April ds. Js. die Herrschaft der roten Armee begann“, so Schreiber, „trat ich bei dieser als Sanitäter ein. Als solcher habe ich während der Räteherrschaft Dienst in Dachau im Lazarett getan. Als später die Regierungstruppen München erobert hatten, trat ich zu den Regierungstruppen als Sanitäter über.“22 Am 29. Mai wurde er jedoch verhaftet – wegen Zugehörigkeit zur roten Armee. Er wurde zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt. Während seiner Haft lernte er den Kommunisten Erich Reiss kennen, der während der Januarunruhen sich an der Besetzung des Vorwärtsgebäudes beteiligt hatte und deshalb am 17. März 1919 zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurde.23 Nach seiner Haftentlassung traf er Reiss zufällig in München wieder. Auf seine Frage, ob er nicht Arbeit für ihn hätte, machte Reiss den Vorschlag, „dass ich mich auf politischem Gebiet für die Interessen der Kommunisten betätigen soll“. Er wurde schließlich dem Möbelzeichner Franz Herm vorgestellt, und es wurde ihm erklärt, „dass von jetzt ab Herm mein ständiger Auftraggeber sei, ich solle nur auf die Befehle Herm’s hören.“ Ihre Aufgabe sollte es sein, Leute für die Rote Armee in Ungarn zu werben, sie nach Wien zu bringen, wo dann das weitere veranlaßt würde. Dafür erhielt Schreiber ein Tagesgeld von 55 M.24

Die Reise der vier Männer ging zunächst nach Magdeburg. Kurz vor Antritt der Reise erklärte Herm dem Schreiber – so dessen Aussage -, dass Blau ein Spitzel sei, der nach Berlin und von da nach Wien gebracht werden soll, wo er dann ermordet werden sollte. Er solle gut auf Blau aufpassen. Während der gemeinsamen Fahrt hat Schreiber – nach seinen eigenen Angaben – Blau gewarnt. „Als ich trotz der scharfen Beobachtung des Herrn im Zuge Gelegenheit fand, mit Blau einen Augenblick allein zu sprechen, erzählte ich ihm von seiner geplanten Ermordung in Wien. Gleichzeitig teilte ich ihm mit, dass ich selber ein Spitzel wäre. Blau war hierüber sehr erstaunt und wurde sehr bleich. Er dankte mir und wollte für die Zukunft sehr vorsichtig sein.25 Zumindest die Behauptung, dass Schreiber ein Polizeispitzel sei, ist zutreffend. Wahrscheinlich hat er sich in der Haft oder kurz danach als Polizeispitzel anwerben lassen. Seine Berichte hat er an den Münchner Polizeikommissar Golwitzer geschickt, sie sind erhalten geblieben.

In Magdeburg trennte sich die Truppe. Herm fuhr mit Schuster nach Schöning, Schreiber nach Hötensleben zu den Eltern des Herm, wo er dessen Rückkehr aus Berlin abwarten sollte. Blau begab sich nach Halle, wo er auf Herm warten sollte. Zuvor war Blau wahrscheinlich noch in Sangerhausen. Der Zeuge Mahlig bekundete jedenfalls, dass Blau ihn dort aufgesucht und von seinen politischen Reisen und Taten erzählt habe. Es ginge bei ihm um Leben und Tod, doch jetzt habe er wieder eine große Sache vor und wenn die glücke sei er ein gemachter Mann.26

Laut Anklageschrift fuhren Herm und Blau zu zweit dann nach Berlin. Am Abend des 1. August 1919 besuchte Blau eine kommunistische Versammlung in der Aula des Friedrichs-Realgymnasiums in der Mittenwalder Straße 34, die von dem Lederarbeiter Max Leuschner geleitet wurde. Ob Herm mit dabei war, konnte nicht einwandfrei festgestellt werden, doch ging die Anklageschrift davon aus, dass Blau zumindest auf Veranlassung des Herm dort erschien. Jedenfalls besaß Blau eine gültige Einlasskarte. Schon auf der Versammlung wurde Blau von einem Teil der anwesenden Genossen zur Rede gestellt. Dies setzte sich nach Schluss der Versammlung fort. Die Genossen bezichtigten Blau der Spitzelei. Dieser bestritt und verlangte, dass Genosse Stolz oder Strolz geholt werde; dieser könne ihn legitimieren.

Dies war nun ausgesprochen interessant. Franz Stolz sagte später aus, dass er Mitglied der KPD sei und Blau auf einer Versammlung kennen gelernt habe, als dieser verschiedene Nachrichten über die Regierung verriet. Zugleich habe Blau versprochen, vollständige Berichte über die Nachrichtenorganisation in Berlin und im Ruhrgebiet geben zu können. Er habe dann Blau in seiner Wohnung in der Bayreuther Str. 10 aufgesucht, sich aber Strolz genannt. Dort erklärte ihm Blau, dass er für die Berichte ungefähr 300 Mark verlangen müsse. Später habe Blau ihn auch antelefoniert und gesagt, dass er auch Berichte über die Nachrichtenorganisation in Mannheim, Konstanz geben könne. Er wolle nach Berlin kommen und sie dort übergeben. Zugleich wollte er die Namen und Adressen der kommunistischen Führer in München haben. Durch Kreuz- und Querfragen habe Stolz aber herausbekommen, dass Blau ein Polizeispitzel war.27 Was aber Blau nicht wusste: Stolz war selber ein Polizeispitzel, und es war Stolz – so die Aussage von Leuschner -, der dann Blau an die Kommunisten verriet.28

Erwin Hoppe und ein weiterer Genosse, den Hoppe nicht kannte und der sich später ebenfalls als Spitzel entpuppte, machten sich auf, den Stolz zu holen. Als sie den nicht finden konnten, kehrten sie zu der Truppe zurück, die sich inzwischen mit Blau in Richtung Kreuzberg bewegt hatte. Laut Hoppe soll einer den Vorschlag gemacht haben, den Blau sofort auf dem Tempelhofer Feld zu erschießen, was aber von den übrigen abgelehnt wurde.29 Da es nun schon spät war, wurde beschlossen, in der Wohnung des anwesenden Genossen Pohl in der Gneisenaustraße 7 a zu übernachten. Blau war einverstanden. „Am anderen Tag kam ein Mann“, so Hoppe, „der sich als Genosse vorstellte; dieser sagte, dass man den Strolz noch nicht erreicht hätte und deshalb noch warten solle. Als ich mit ihm allein auf dem Flur stand, sagte er zu mir, indem er mir ein gefülltes Fläschchen in die Hand drückte: Blau sei doch ein Spitzel und es habe keinen Sinn, mit ihm soviel Federlesen zu machen; in dem Fläschchen sei Morphium und er rate mir, möglichst gleich Schluß zu machen.“ Er habe jedoch den Gedanken an Mord entschieden abgelehnt.30 Dieser Mann soll Toifl gewesen sein. Der bestritt jedoch: „Unwahr ist, dass ich der geheimnisvolle Mann war, der das Morphium brachte, mit dem Blau betäubt werden sollte.“31

Laut Anklageschrift sollte Blau schon in der Pohlschen Wohnung umgebracht werden, dies scheiterte jedoch am Widerstand der anwesenden Eltern des Pohl, die aus Angst nicht dulden wollten, dass die Tat bei ihnen ausgeführt werde. Hoppe ging zu seinem Jugendfreund Winkler, der bei seinen Eltern in der Großbeerenstraße 20 wohnte. Dieser stellte ihm die Wohnung zur Verfügung; die Eltern hielten sich während dieser Zeit außerhalb auf ihrem Laubengrundstück am Teltowkanal auf. Blau wurde in die Großbeerenstraße gebracht. Anwesend waren eine Reihe Genossen. Hoppe, Blau und eine dritte Person betraten die Wohnung. Einige Zeit später gingen zwei weitere Mann, darunter Fichtmann, in die Wohnung. Fichtmann soll später eine Flasche Wein geholt haben, was dieser aber bestriet. Pohl, der mit bis zum Hause gegangen war, blieb zunächst in unmittelbarer Nähe des Hauses auf der anderen Straßenseite stehen. Er bemerkte Acosta und Winkler, die auf der Hausseite auf und ab gingen. Nach einiger Zeit kamen beide zu ihm herüber und unterhielten sich mit ihm. Beide wussten, dass mit Blau etwas vor sich gehen sollte und fragten Pohl, was in seiner Wohnung passiert sei. Pohl erzählte, dass man von Blau verschiedenes herausbekommen habe, „insbesondere, dass er den Abgeordneten Eichhorn für 50000 Mark ermorden sollte (…)“.32 Wie sich später herausstellte, war Acosta ebenfalls ein Polizeispitzel und hieß in Wirklichkeit Mendelsohn.

Laut Hoppe erschienen eine Stunde später drei Männer. „Die drei Leute benahmen sich ziemlich grob“, so Hoppe, „und besonders der größte von ihnen machte mir beinahe Vorwürfe, dass wir den Blau noch nicht erledigt hätten. Er bot mir einen Strick und dasselbe Fläschchen Morphium an, das mir der andere Unbekannte schon am Vormittag geben wollte. Ich nehme also an, dass diese Leute miteinander in Beziehung standen. Ich lehnte abermals auf das Entschiedendste ab und verlangte die Gegenüberstellung mit Stolz; aber die Leute machten sich in der Wohnung breit und schienen mit der Absicht gekommen, die Tat auszuführen. Da ich keine Möglichkeit sah, mich ihnen zu widersetzen und andererseits mit ihnen nichts zu tun haben wollte, zog ich es vor, die Wohnung zu verlassen.“33 Einer von ihnen, der größte, soll Schreiber gewesen sein. War Schreiber ebenfalls nach Berlin gereist?

Die Frage, ob Hoppe tatsächlich die Winklersche Wohnung verlassen hat, konnte nicht geklärt werden. Fest steht nur, dass Blau dort ermordet wurde. Man hatte ihm Wein mit Morphium zu trinken gegeben. Als Blau eingeschlafen war, wurde ihm eine Schlinge um den Hals gelegt und zugezogen. Die Leiche wurde in eine Decke gehüllt, aus dem Haus gebracht und in den Landwehrkanal geworfen, aus dem sie dann am 7. August 1919 geborgen wurde. Die Leiche war mit einem Hanfstrick derart zusammengebunden, dass der Hals in einer Schlinge lag und die Knie bis zur Brust heraufgezogen waren. Die fortgesetzten Ermittlungen erbrachten die Gewissheit, dass Blau ermordet wurde.34 Es wurde eine Mordkommission im Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebildet, der die Kriminalkommissare Dr. Riesmann und Trettin angehörten. Die Ermittlungen richteten sich gegen eine Anzahl von Personen, die im Verdacht standen, in irgendeiner Weise an dem Mord an Blau beteiligt gewesen zu sein: Herm, Leuschner, Fichtmann, Hoppe, Winkler u. a.

Herm, den die Ermittlungsbeamten als die hauptbeteiligte Person bezeichneten, war untergetaucht. Trotz intensiver Fahndung konnte er nicht gefunden werden. Schließlich meldete er sich schriftlich bei der Berliner Polizei. „Bei den Erfahrungen, die ich in München mit der deutschen Rechtspflege gemacht habe, und auf Grund der augenblicklichen politischen Situation kann ich mich leider nicht persönlich bei Ihnen stellen.“35 Er stellte in Abrede, überhaupt in Berlin gewesen zu sein. Er habe zwar Blau in München kennen gelernt, der behauptete von der Schweizer Heerespolizei verfolgt zu werden und deshalb nach Berlin wolle. Er habe ihm seine Unterstützung angeboten und da er selber beabsichtige, zu seinen Eltern nach Hötensleben zu fahren, fuhren sie einen Teil der Strecke gemeinsam. Er habe aber keine Kenntnis darüber, was dann mit Blau in Berlin geschehen sei. Erst später habe er dies aus den Zeitungen erfahren.36 Belastet wurde dagegen Herm durch eine anonyme Zeugenaussage. Dieser Zeuge sagte aus, dass Herm ihm mit großer Freude eine Zeitung gezeigt habe, in der der Mord an Blau stand und sich dabei gerühmt habe, den Spitzel in München erkannt zu haben, „der nur durch seine Hilfe für immer in Berlin stumm gemacht sei“. Zum Schluss bat der Zeuge: „Meine Herren ich möchte sie bitten, die Verhaftung von Herm vorsichtig vorzunehmen, daß kein Verdacht auf mich fällt, sonst wäre ich verloren.“37 Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass dieser Zeuge Schreiber war. Später sagte Schreiber aus, dass Herm sehr aufgeregt und bleich von Berlin in Hötensleben zurückgekehrt sei und auf sein Fragen erklärte, dass für Blau bereits gesorgt sei. Er habe ihm noch einen Brief an die Genossin Kaltenhauser in München mitgegeben mit der Bitte, ihn als Eilbrief und unterschrieben zur Post nach Hötensleben zu bringen. Da er geahnt habe, dass in dem Brief etwas Wichtiges stünde, unterschlug er ihn, indem er ein leeres Kuvert aufgab und die Einschreibequittung dem Herm als Beleg vorzeigte. Den Brief selber sandte er an die Fahndungsabteilung München. In dem Brief stand: „Den Spitzel Blau habe ich, da ich nicht anders konnte, von München mit fortgenommen und unterwegs besorgt. Er wird sobald nicht wieder in München auftauchen.“38

Beeinträchtigt wurde die Glaubwürdigkeit von Schreiber wiederum durch die Aussage des Maschinenschlossers Georg Schöll vor der Münchner Polizei, die dieser allerdings erst im Januar 1923, also nach der Urteilssprechung im Fall Blau, machte. Schöll sagte aus, dass Schreiber ihn in seiner Wohnung in München aufgesucht und ihm dabei einiges über die Ermordung Blaus erzählt habe. Dabei stellte er in Aussicht, die 5000 Mark Belohnung zu erhalten, welche vom Polizeipräsidium Berlin für die Aufdeckung des Mordfalles ausgesetzt worden sind. Schreiber erzählte – so Schöll -, dass er selber auf der Eisenbahnfahrt andauernd auf Herm eingewirkt habe, dass „Blau auf die Seite beschafft werden müsse“ und er es auch gewesen sei, der auf der kommunistischen Versammlung als erster gesagt habe, „dass Blau ein Polizeispitzel sei“.39

Leuschner war ebenfalls gleich, nachdem die Leiche Blaus im Landwehrkanal gefunden wurde, geflüchtet. Gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen. Ein Vertrauensmann erkannte ihn im Gewerkschaftshaus in Begleitung einer Lettin mit Vornamen Elly. Der Vertrauensmann vermutete, dass Leuschner sich nach Tilsit begeben wird, um von dort aus über Tauroggen die Grenze zu passieren.40 In Königsberg wurde Leuschner jedoch verhaftet und nach Berlin gebracht. In den Vernehmungen bestritt Leuschner, an der Tat beteiligt gewesen zu sein oder etwas von der Tat oder von den Tätern zu wissen. Nach der Versammlung sei er allein nach Hause gegangen. Die ermittelnden Beamten fanden, dass Leuschner sich durch seine Flucht stark verdächtig gemacht habe und mit der Wahrheit stark zurückhalte. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch keine Anklage gegen ihn erhoben.

Nach zehn Monaten Voruntersuchung wurde am 7. Juni 1920 auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Hauptverfahren vor dem Schwurgericht des Landgerichts II in Berlin eröffnet. Der Prozess selber dauerte vom 24. Juni bis zum 5. Juli und fand in der Öffentlichkeit reges Interesse. Angeklagt waren Fichtmann und Hoppe, gemeinschaftlich mit anderen den Inspektor Karl Blau vorsätzlich getötet und diese Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben sowie Winkler, den Angeschuldigten bei der Begehung des Verbrechens wissentlich Hilfe geleistet zu haben. Die Verteidigung des Angeklagten lag in den Händen der Rechtsanwälte Theodor Liebknecht, Dr. Kurt Rosenfeld und Dr. Siegfried Weinberg.

Toifl im Jahr 1922, Privatbesitz Felizitas Toifl
Toifl im Jahr 1922, Privatbesitz Felizitas Toifl

Hoppe suchte die Sache so darzustellen, dass er die Wohnung des Winkler verlassen habe, als er merkte, dass man Blau umbringen wollte. Verdächtig hatte sich Hoppe allerdings dadurch gemacht, indem er in der Untersuchungshaft versuchte, dem Winkler ein Kassiber zuzustecken. Winkler kam aber nicht zum Lesen desselben, da es ihm vorher
von einem Gefängnisbeamten abgenommen wurde. In dem Kassiber wurde Winkler gebeten zu bezeugen, dass Hoppe zwar in die Wohnung mit raufgegangen, aber nach einer halben Stunde wieder runtergekommen sei, als er merkte, was für Absichten die drei hinzugekommenen Leute hatten und er damit nicht einverstanden sei. Das Gericht sah darin einen Versuch, den Winkler zu falschen Angaben zu verleiten. Hoppe sagte dagegen aus, dass es ihm fern gelegen habe, den Winkler zu beeinflussen, die nervöse Spannung der Haft habe ihn zu diesem Mittel getrieben.41

Fichtmann stellte in Abrede, mit in der Winklerschen Wohnung gewesen zu sein. Pohl hatte demgegenüber ausgesagt, dass Fichtmann hinter Hoppe und Blau in das Mordhaus hineingegangen sei und später Wein geholt habe. Auch soll Fichtmann beim Transport der Leiche zum Kanal vorangegangen sein. Belastet wurde Fichtmann auch durch die Aussage von Toifl, der behauptete, am 2. August – dem Mordtag – in dem Lokal von Fichtmann gewesen zu sein. Fichtmann sei am Abend von einem Kurier abgeholt worden und war, als er gegen 2 Uhr nachts das Lokal verließ, noch nicht zurückgekehrt. Am nächsten Montag sei Fichtmann dann sehr blass und unruhig gewesen. Darüber hat Toifl einen siebenseitigen handschriftlichen Bericht mit dem Titel ‚Meine Erinnerungen im Fall Blau‘ verfasst, den er durch einen Mittelsmann dem Kriminalwachtmeister Helmka zukommen ließ, der dann an Dr. Riemann weitergeleitet wurde. Fichtmann bestritt, dass Toifl am 2. August überhaupt in seinem Lokal gewesen sei und bezüglich der Aussagen des Pohl meinte er, dass da eine Personenverwechslung vorliegen müsse.42

Winkler gab an, dass er sich mit 14 Jahren der Arbeiterjugend angeschlossen und dort auch seinen Freund Hoppe kennen gelernt habe. Wegen Teilnahme an den Unruhen im Januar 1919 wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Winkler war am 11. Januar 1919 in der Wilhelmstraße festgenommen worden, als er für seinen Vater hatte Zeitungen kaufen wollen. Dabei will er gesehen haben, dass Soldaten und Zivilisten, die zur Besatzung der Druckerei Büxenstein gehörten, fortgeführt und misshandelt worden sind. Er habe sich darüber empört und sei infolgedessen selber festgenommen und misshandelt worden. Das Verfahren gegen Winkler wurde jedoch eingestellt.43 Zur Sache selber sagte Winkler aus: Er habe seinem Freund Hoppe die Wohnung seiner Eltern zu einer Sitzung zur Verfügung gestellt, weil er annahm, dass es sich um eine Besprechung handele, an der Führer teilnähmen, die illegal lebten und gezwungen seien, sich zu verbergen. Infolgedessen hatte er nicht weiter nach Details gefragt, sondern lediglich die Schlüssel übergeben und sei dann für die Nacht zu einem Bekannten gegangen.44

Von Seiten der Verteidigung wurde die Behauptung aufgestellt, dass die Lockspitzel der Polizei die eigentlichen Täter seien. Toifl stehe im Verdacht, an der Tat beteiligt gewesen zu sein, Schreiber sei eventuell der Täter, der die Beseitigung des unbequem gewordenen Blau übernommen habe, im Auftrage seiner Auftraggeber. „Man inszenierte ein Kesseltreiben; schob den Kommunisten den lästigen Blau hin, als Beute; man wollte ihnen die Ausführung eines Urteils überlassen, das man selbst gefällt hat. Dann hatte man zwei auf einen Schlag: man war den Blau los und hatte neue kommunistische Greuel!“ – so Rechtsanwalt Dr. Siegfried Weinberg in seinem Plädoyer.45 Die Verteidiger von Hoppe stellten Anträge, dass Schreiber vor Gericht vernommen werden sollte. Daraufhin wurde nach Schreiber gesucht, dieser war aber zunächst nicht auffindbar. Schließlich konnte Folgendes ermittelt werden: Schreiber befand sich in München wegen einer Mordsache in Schutzhaft, wurde dann Ende Februar 1920 von der Münchner Polizei an die Schweizer Grenze abgeschoben.46 Über den deutschen Generalkonsul in Zürich ließ nun Schreiber verlautbaren, dass er unter bestimmten Voraussetzungen bereit sei, vor Gericht zu erscheinen; er verlange 4000 Mark, ferner für jeden Tag Aufenthalt 20 Schweizer Franken Entschädigung sowie freie Fahrt und freie Verpflegung. „Schreiber behauptete, die Münchner Polizei sei ihm die 4000 M. noch schuldig und erst, wenn diese Schuld beglichen sei, sei er zu weiteren Diensten bereit.“47

Tatsächlich erschien Schreiber nie vor einem deutschen Gericht, so konnte die Frage, ob er an der Tat beteiligt war – oder gar der Haupttäter war, wie dies die Verteidigung von Hoppe behauptete – nicht geklärt werden. Auch wurde nicht geklärt, weshalb Schreiber in München in Schutzhaft genommen und weshalb er dann abgeschoben wurde. Auch Stolz, Acosta-Mendelsohn und die zahlreichen anderen Agenten erschienen ebenfalls nicht vor Gericht, so dass deren Rolle in diesem Mordfall nicht weiter aufgeklärt werden konnte. Dagegen wurde Toifl vor Gericht eingehend vernommen. Er beantragte Personenschutz, bestritt aber ansonsten jedwede Tatbeteiligung. Zahlreiche Kommunisten behaupteten dagegen in den Verhandlungen, dass Toifl es gerade gewesen sei, der immer wieder versucht habe, die Genossen zu strafbaren Handlungen zu animieren. Eine Zeugin sagte aus, „er habe sich immer an die jungen Leute herangemacht und sie zu Gewalttaten aufgefordert“.48 Andere Zeugen gaben an, dass Toifl Mitglieder der KPD zu terroristischen Gewalttaten aufzureizen versucht habe, um Material gegen die KPD zu beschaffen. So soll er Kommunisten aufgefordert haben, Druckereien zu überfallen, und mit vorgehaltenen Waffen den Druck von Flugblättern zu erzwingen.49 Ferner soll er zum Diebstahl von Linoleum für ein kommunistisches Parteiorgan und zu terroristischen Raubüberfällen zwecks Füllung der Parteikasse aufgefordert haben.50 Im Verlauf der Verhandlung kam auch zur Sprache, dass die Garde-Kavallerie-Schützendivision insgesamt 110 Agenten unterhielt.51 Toifl war nur einer von ihnen. Seine Rolle im Mordfall Blau sowie sein Wirken in den Reihen der Kommunisten insgesamt konnte im Einzelnen nicht aufgeklärt werden. Es blieb bei den gegensätzlichen Aussagen. Gegen Toifl wurde keine Anklage erhoben.

Das Schwurgericht beim Landgericht II in Berlin verurteilte am 30. Juli 1920 Erwin Hoppe wegen Beihilfe zum Totschlag zu sechs Jahren Zuchthaus, Willi Winkler wegen Beihilfe zum Totschlag zu drei Jahren Gefängnis, Max Fichtmann wurde freigesprochen.52 In einer Denkschrift des Reichsjustizministeriums über die politischen Morde, die am 4.Dezember 1923 auf der 394. Sitzung des Reichstages verkündet wurde, ist noch einmal Bezug zu dem Urteil genommen worden. „In der Strafsache gegen Fichtmann und Genossen wegen Ermordung des Inspektors Blau sind in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht beim Landgericht I in Berlin vom 24. Juni bis 5. Juli 1920 die Zeugen Schreiber und Toifl, von denen der erstere sich in der Schweiz aufhält und zur Verhandlung nicht erschien, letzterer eidlich vernommen wurde, der Teilnahme an der Ermordung verdächtigt worden. Die Verdächtigungen entbehren aber jeder Grundlage. Wegen des Raubüberfalles auf den Diamantenhändler Orlowsky hat vor dem außerordentlichen Kriegsgericht beim Landgericht II in Berlin ein Strafverfahren geschwebt, in dem nur Fichtmann und Manske verurteilt wurden. Toifl wurde in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen. Wie die Urteilsgründe ergeben, hat Toifl allerdings an dem Unternehmen als „Regierungsagent“ teilgenommen. Das Gericht betonte aber ausdrücklich, dass Toifl notgedrungen die Rolle des Führers übernehmen musste, um nicht Verdacht zu erregen und als Regierungsagent entlarvt zu werden. Und, dass es seinen, wenn auch uneidlichen Angaben, vollen Glauben geschenkt habe. Bei dieser Sachlage ist mangels begründeten Verdachtes einer strafbaren Teilnahme von der Strafverfolgung des Toifl und Schreiber Abstand genommen worden.“53

Die Erklärung des Reichsjustizministeriums ist problematisch. Sie stützt sich auf die Aussagen des Urteils des außerordentlichen Kriegsgerichts vom 25.Oktober 1919 zum Überfall auf den Diamantenhändler Orlowsky. Das Kriegsgericht hatte es aber damals unterlassen, die Rolle, die Toifl bei diesem Unternehmen gespielt hat, eingehender zu untersuchen. Stattdessen gab es sich mit dessen Angaben zufrieden, die nicht beeidet wurden. Doch gerade bei diesem Überfall gab es eine Reihe von Ungereimtheiten, die näher hätten untersucht werden müssen. Warum musste Toifl ausgerechnet die Rolle des Führers bei diesem Unternehmen übernehmen, um nicht entlarvt zu werden? Wenn es tatsächlich seine Aufgabe gewesen sein soll, Verbrechen aufzuklären, warum hat er nicht im Vorfeld versucht, diesen Überfall zu verhindern? Möglichkeiten dazu hätte er gehabt. Die Behauptungen der Kommunisten, dass es gerade Toifl gewesen sei, der immer wieder zu strafbaren Handlungen aufrief, um so die Kommunisten in eine Falle zu locken, sind im einzelnen nicht belegbar. Sie hätten aber näher überprüft werden müssen. So blieb die Rolle, die Toifl als Agent in den Reihen der Kommunisten spielte, undurchsichtig.

Toifl im Jahr 1933, Privatbesitz Felizitas Toifl
Toifl im Jahr 1933, Privatbesitz Felizitas Toifl

Die Rolle von Toifl in dem Mordfall Blau blieb ebenfalls weitgehend unklar. Belastet wurde er im Wesentlichen durch die Aussage von Hoppe. Hatte Hoppe diese Verdächtigungen ausgesprochen, um von der eigenen Tatbeteiligung abzulenken? Möglich ist dies. Mit dem Urteil im Blau-Prozess bleiben allerdings wesentliche Zusammenhänge ungeklärt, insbesondere die Frage, wer nun Blau tatsächlich umgebracht hat, denn nach Ansicht des Gerichts hatten Hoppe und Winkler nur „Beihilfe zum Totschlag“ geleistet. Auffällig ist in diesem Mordfall das massive Auftreten von Polizeispitzeln. Die Behauptung von kommunistischer Seite, dass sie den Mord inszeniert hätten, ist wiederum nicht belegbar. Aber diese Spitzel haben doch unbedingt mitbekommen müssen, dass da was „im Gange“ war. Warum haben sie nicht mit vereinten Kräften versucht, diesen Mord zu verhindern? In diesem Mordfall gibt es ebenfalls viele Ungereimtheiten. Welche Rolle spielte der Polizeiagent Stolz? Hatte er Blau an die Kommunisten verraten, damit diese gegen ihn vorgingen? Stolz erschien nicht vor Gericht und so konnte seine Funktion in diesem Mordfall nicht weiter geklärt werden. Ebenso Schreiber. Möglich, dass die Beschuldigungen gegen Schreiber nur vorgeschoben waren. Aber es verwundert schon, dass das Gericht keine Möglichkeiten sah, Schreiber über seine Rolle in diesem Mordfall eingehend zu vernehmen. Auch die Rolle von Acosta-Mendelsohn sowie die der zahlreichen anderen Agenten blieben völlig im Dunkeln. Die Staatsanwaltschaft hielt Acosta an der Teilhabe an der Mordtat für dringend verdächtig und forderte die Kriminalpolizei auf, nach ihm zu suchen und ihn sofort zu verhaften.54 Doch auch Acosta konnte nicht ermittelt werden. So blieben eine Vielzahl von Fragen ungeklärt, die unbedingt von dem Gericht weiter untersucht hätten werden müssen. Die Frage, ob Toifl und die anderen Polizeiagenten an der Ermordung von Blau beteiligt waren, lässt sich im Nachhinein nicht eindeutig beantworten. Es gibt aber eine Reihe von Hinweisen, die darauf hindeuten, dass sie zumindest von der beabsichtigten Tat wussten und es unterlassen haben, dagegen vorzugehen.

Auch wenn zahlreiche Fragen offen blieben, sehr deutlich wird das Milieu, in dem dieser Mord geschah. Charakteristische Gemeinsamkeiten lassen sich bei den Polizeiagenten Toifl, Blau und Schreiber feststellen. Sie waren zwiespältige Charaktere, die ein Doppelspiel betrieben. Alle drei kamen aus desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen. Toifl kam nach Deutschland mittellos, ohne festen Beruf, jobbte zunächst bis er in die Dienste der „Antibolschewistischen Liga“ und des Stabes der Garde-Kavallerie-Schützendivision trat. Ähnlich auch Schreiber. Er kam nach Deutschland, weil er glaubte, hier mehr Geld verdienen zu können. Auch er jobbte zunächst, betätigte sich dann als Sanitäter „während der Räteherrschaft“. Als die Regierungstruppen München besetzten, wechselte er die Fronten. Er betrieb ein undurchsichtiges Doppelspiel. Er schloss sich abermals den Kommunisten an, war aber gleichzeitig als Polizeiagent tätig. Anonym zeigte er Herm an, ganz offensichtlich hatte er es auf die ausgesetzte Belohnung im Mordfall Blau abgesehen. Völlig undurchsichtig verlief sein weiteres Leben. In München war er in einen weiteren Mordfall verwickelt und wurde schließlich von der Münchener Polizei an die Schweizer Grenze abgeschoben.

Ein Doppelspiel betrieb auch Blau. Ein Zeuge sagte aus: „Ich habe ihn einmal auch danach gefragt, welcher Gesinnung er eigentlich wäre. Er antwortete mir darauf, ihm käme es hierbei nur darauf an, wer ihn am meisten entschädige.“55 Ohne festen Beruf und ohne innere Überzeugung pendelte er zwischen den politischen Lagern hin und her und hielt sich offenbar für so schlau, dass er glaubte, die eine Seite gegen die andere ausspielen zu können. Als er nach Berlin fuhr, hätte er rechtzeitig flüchten können. Er tat dies aber nicht. Offenbar fühlte er sich einigermaßen sicher. Hoppe sagte aus, dass Blau offen zugegeben habe, „dass er von der Antibolschewistischen Liga den Auftrag hatte, in München die Kommunisten zu bespitzeln; aber er erzählte, er habe die Liga betrogen und nur im Interesse der Kommunisten gearbeitet; (…) Stolz könne dies bestätigen.“56 Auch Leuschner vermutete, dass Stolz bestätigen sollte, dass Blau sich nur deshalb als Polizeispitzel betätige, um so besser für die Kommunisten arbeiten zu können.57 Diese beiden Aussagen sind durchaus glaubwürdig, denn Blau hat dem „Genossen“ Stolz umfangreiches Material über verschiedene Nachrichtenorganisationen angeboten, was Stolz nun bestätigen sollte. Bedauerlicherweise war aber Stolz selber ein Polizeiagent. Blau betrieb ein gewagtes Spiel. Er wurde schließlich das Opfer seiner eigenen Ränke.

Toifl im Jahr 1934, Privatbesitz Felizitas Toifl
Toifl im Jahr 1934, Privatbesitz Felizitas Toifl

Das Blau-Verfahren hat offenbart, dass allein die Garde-Kavellerie-Schützendivision 110 Agenten unterhielt, und die umfangreichen Ermittlungen in dem Mord-Prozess haben gezeigt, in welch starkem Maße diese Agenten in den Reihen der Kommunisten und deren Umgebung präsent waren. Blau und Toifl waren nur zwei von ihnen. Gegen Toifl ist wiederholt der Vorwurf erhoben worden, dass er versucht habe, die Kommunisten zu strafbaren Handlungen zu verleiten, um so besser gegen sie vorgehen zu können. Auch wenn diese Vorwürfe im einzelnen nicht bewiesen werden können, so spricht doch eine  Reihe von Indizien dafür, dass er sich in eben dieser Weise betätigt hat. Haben Agenten in den Reihen der Zeitungsbesetzer in ähnlicher Weise agiert? Was war die Aufgabe der zahlreichen Agenten? Theodor Liebknecht, der langjährige Vorsitzende er USPD und Rechtsanwalt in zahlreichen Prozessen, hat wiederholt behauptet, dass Agenten der Garde-Kavallerie-Schützendivision sich in den Reihen derjenigen befanden, die im Anschluss an die große Protestdemonstration vom 5. Januar 1919 die Druckerei des „Vorwärts“ und die großen Betriebe von Mosse, Ullstein, Scherl, Büxenstein und das Wolffsche Telegraphenbüro besetzten. Mit Hilfe von Lockspitzeln sollten „Putsche und Aufstände“ provoziert werden, um diese dann blutig niederzuwerfen. Auf dem USPD-Parteitag in Halle 1920 führte Liebknecht aus: „Wir haben, der Kollege Rosenfeld und ich, viele der Prozesse durchgeführt, die aus Anlaß dieser Kämpfe entstanden sind, von dem ersten bis zum letzten. Und wir haben überall die Finger dieser Agenten gefunden, die ihrerseits die Massen gegen den Rest ihrer Führer dazu trieben, vorwärts zu gehen, Putsche zu versuchen, zum Teil natürlich unterstützt von unruhigen Elementen, die unklar, nicht übersehen konnten, wie die Zusammenhänge waren.“58 Der Fall Blau bestätigt diese Angaben. Blau besaß als Agent der Garde-Kavallerie-Schützendivision einen gültigen Ausweis des Spartakusbundes und war nach den Ermittlungen im Blau-Prozess führend an der Besetzung der Büxenstein-Druckerei beteiligt. Es spricht vieles dafür, dass Blau nicht der einzige politische Agent in den Reihen der Zeitungsbesetzer war.

 

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1. Karl Retzlaw, Spartakus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters. Frankfurt 1976, S. 116.

2. Zu der späteren Tätigkeit von Toifl siehe: Bernhard Sauer, Othmar Toifl (1898-1934) – Kurt Dalueges geheimnisvoller Nachrichtenmann, in:Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) 64 (2016), Heft 10.

3. Schriftliche Erklärung von Toifl, in: Bundesarchiv (BArch), ZfB 7131 A. 5 Bl. 151.

4. Vgl. Urteil des außerordentlichen Kriegsgerichts vom 25.Oktober 1919 zum Überfall auf den Diamantenhändler Orlowsky, in: Landesarchiv Berlin (LAB), A Rep. 358-01, Nr. 386, Bd. 12 (Die Seitenzahl ist bei den Gerichturteilen teilweise nicht lesbar).

5. Vgl. Eduard Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, Berlin 1924, S. 85.

6. Urteil des außerordentlichen Kriegsgerichts vom 25.Oktober 1919,in: LAB,A Rep. 358-01,Nr. 386, Bd.12

7. Ebd.

8. Ebd.

9. Vgl. LAB, A Rep. 358-01, Nr. 500 a. Das weitere Schicksal von Fichtmann war tragisch. Nach seiner Haftentlassung hatte er die erst 17-jährige Lydia Laube geheiratet. Es war keine Liebesheirat, sondern erfolgte auf Drängen der Eltern des Mädchens, die mit der Familie Fichtmann befreundet waren. Die Ehe verlief sehr bald unglücklich. Eine auf angeblichen Ehebruch der Frau gestützte Ehescheidungsklage des Mannes endete jedoch mit einer Einigung im Sühnetermin. Im Herbst 1932 erhob die Frau eine neue Eheschließungsklage wegen angeblicher Misshandlungen ihres Ehemannes. Die Ehe wurde 1934 rechtskräftig geschieden. Während des Scheidungsverfahrens hatte die Frau eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe der beiden Kinder erwirkt. Im Januar 1933 wurde die einstweilige Verfügung mit der Begründung aufgehoben, dass die Ehefrau geschlechtskrank sei. Die Frau fragte ihren Anwalt, was sie gegen ihren Ehemann wegen seiner angeblichen Bedrohungen unternehmen könne. Dieser verwies sie an die Polizei. Diese lehnte jedoch den Antrag der Frau, in diesem Falle einzuschreiten, ab. Die Frau beriet sich mit einem Bekannten, der Mitglied der NSDAP war. Dieser gab ihr den Rat, zur Ortsgruppe Lietzensee zu gehen. Dort wies sie darauf hin, dass ihr Mann Jude und Kommunist sei und berichtete von den angeblichen Misshandlungen. Auch habe ihr Mann gedroht, die beiden Kinder demnächst nach Russland zu verbringen. Die Frau trat im Februar 1933 selber der NSDAP bei. Die Parteigruppe lehnte es zunächst ab, sich in diese Angelegenheit einzumischen, später wurde jedoch der Frau die Gestellung von zwei SA-Leuten zugesagt. Diese begleiteten die Frau zum Gerichtsgebäude. Vor diesem blieben sie stehen, während die Frau zum Beweistermin ging. Als nach Beendigung derselben zunächst die Frau und bald hinter ihr Fichtmann das Gerichtsgebäude verließ, verhafteten die SA-Männer ihn. Angeblich soll die Frau gerufen haben, „das ist ein Kommunistenführer mit Waffengewalt, nehmen sie ihn fest“. Kurz darauf erwirkte sie eine einstweilige Verfügung, durch die ihr das Sorgerecht für die beiden Kinder übertragen wurde, da der Ehemann in Schutzhaft genommen worden war. Gegen Frau Lydia Fichtmann wurde am 22. Juni 1948 Haftbefehl erlassen. Die Anklage lautete: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In dem Haftbefehl wird dazu ausgeführt: „Sie sind beschuldigt, im März 1933 die Verhaftung ihres geschiedenen jüdischen Ehemannes Max Fichtmann durch die SA-Hilfspolizei veranlasst zu haben. Max Fichtmann wurde dadurch fast 10 Jahre lang durch verschiedene Zuchthäuser und KZ-Lager geschleift. Seit dem Jahre 1943 ist er verschollen und anscheinend vergast worden.“ Am 3. Mai 1949 verurteilte die 10. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin die Frau zu 9 Monaten Gefängnis. Zu dem Fall siehe: LAB, B Rep. 058, Nr. 4273, Strafsache gegen Lydia Fichtmann, geb. Laube wegen der Denunziation ihres Ehemanns Max Fichtmann wegen seiner Tätigkeit als kommunistischer Funktionär.

10. Schriftliche Erklärung von Othmar Toifl, in: BArch, ZfB 7131 A.5, Bl. 152.

11. Urteil des außerordentlichen Kriegsgerichts vom 25.10.1919 zum Überfall auf den Diamantenhändler Orlowsky. In: LAB, A Rep 358-01, Nr. 386, Bd. 12.

12. Aussage von Marie Blau vom August 1919 (das genaue Datum ist nicht lesbar), in: LAB, A Rep. 358-01, Nr. 386 Bd. 2.

13. Siehe: Trautner, Der Mord am Polizeiagenten Blau, S. 102.

14. Aussage von Gustav Krüger vom 11. August 1919, in: LAB, A Rep. 358-01, Nr. 386 Bd. 2.

15. Ebd.

16. Aussage von Gert Rudolf Bachmann vom 15. August 1919, in: ebd., Bd. 2.

17. Aussage von Fritz Siebel vom 14. August 1919, in: ebd., Bd. 2.

18. Aussage von R. Bachmann vom 15. August 1919, in: ebd.,Bd.2.Gemeint ist wohl der Mitbegründer des Spartakusbundes und KPD-Funktionär Eugen Leviné. In dem Beitrag: Bernhard Sauer, Othmar Toifl (1898-1934) – Kurt Dalueges geheimnisvoller Nachrichtenmann, S. 841, wird irrtümlich der Gewerkschaftsfunktionär Carl Legien angegeben.

19. Ebd.

20. Vgl. Bericht von Kriminalkommissar Trettin vom 16.9.1919, in: ebd., Bd. 1.

21. Vgl. Aussage von Walter Schreiber vom 2.9.1919, in: ebd., Bd. 3.

22. Ebd.

23. Bericht des Staatsanwalts an das Landgericht vom 23.1.1920, in: ebd., Bd. 6.

24. Aussage von W. Schreiber vom 2.9.1919,in:ebd.,Bd.3

25. Ebd.

26. Vgl. Urteil des Schwurgerichts beim Landgericht II in Berlin vom 30.Juli1920 im Blau-Prozess, in: LAB, A. Rep. 358-01, Nr. 386, Bd. 9.

27. Vgl. Aussage von Franz Stolz vom September 1919 (das genaue Datum ist nicht lesbar), in: ebd., Bd. 2.

28. Vgl. Aussage von Max Leuschner, 29. August 1919, in: ebd., Bd. 2.

29. Vgl. Urteil im Blau-Prozess vom 30.Juli 1920, in: ebd., Bd. 9.

30. Aussage von Erwin Hoppe, in: Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 90.

31. Erklärung von Toifl, in: BArch, ZfB, 7131 A. 5, Bl. 154.

32. Vgl. Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Landgericht II in Berlin im Blau-Prozess vom 25. Mai 1920 , in: LAB, A Rep. 358-1, Nr. 386, Bd. 7.

33. Aussage von Hoppe, in: Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 93.

34. Vgl. Anklageschrift im Blau-Prozess vom 25.Mai1920, in: LAB, A Rep. 358-01, Nr. 386, Bd. 7

35. Schreiben von Franz Herm vom 26.8.1919, in: Ebd., Bd. 3.

36. Ebd.

37. Einschreiben eines anonymen Zeugen vom 8.8.1919, in: ebd., Bd. 3.

38. Vgl. Anklageschrift im Blau-Prozess vom 25.5.1920, in: ebd., Bd. 7

39. Aussage von Georg Schöll vom 15.1.1923, in: ebd., Bd. 9.

40. Vgl. Bericht von Kriminalkommissar Riemann vom 18.8.1919, in: Bd. 2.

41. Vgl. Trautner,Der Mord an den Polizeiagenten Blau,S.95

42. Vgl.ebd,S.153,82. Der siebenseitige Bericht von Toifl in:LAB,A Rep.385-01,Nr.386,Bd.12

43. Vgl. Bericht des Staatsanwalts an das Landgericht vom 23.1.1920, in: ebd., Bd. 6.

44. Vgl. Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 100 f.

45. Plädoyer von Dr. Weinberg, in: Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 174 f.

46. Feststellung von Staatsanwaltschaftsrat Dr. Ortmann, in: ebd., S. 77.

47. Ebd.

48. Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 162.

49. Vor Gericht sagte Toifl aus, dass er solch einen Befehl nicht erteilt habe, es sei aber „möglich“, dass er ihn weitergegeben habe. Vgl. ebd.

50. Vgl. ebd., S. 164.

51. Vgl. Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 130.

52. Vgl. Urteil im Blau-Prozess vom 30.Juli1920 , in: LAB, A Rep. 358-01, Nr. 386, Bd. 9.

53. Denkschrift des Reichsjustizministers über die politischen Morde, in: Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 193.

54. Vgl. Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 129.

55. Aussage des Friseurs Ernst Rügauer vom 14.8.1919, in: LAB, A Rep. 358-01, Nr. 2.

56. Trautner, Der Mord an dem Polizeiagenten Blau, S. 92.

57. Ebd., S. 138.

58. Zit. nach: Annelies Laschitza, Die Liebknechts. Karl und Sophie – Politik und Familie, Berlin 2009, S. 434 f.

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