Das der Kalif Al-Hakim von Ägypten, der sechste Herrscher aus der Dynastie der Fatimiden, ein Monster gewesen sein soll, darüber sind sich islamische und christliche Chronisten ausnahmsweise einmal einig. Ein blutrünstiger Tyrann sei er gewesen, der seine Untertanen mit zahlreichen Erlassen tyrannisierte, ein Psychopath, ein Schlächter, der einen schönen Knaben umgebracht und ausgeweidet haben soll. Er soll sich sieben Jahre nicht gewaschen haben, ließ sich die Haare zu einer Löwenmähne wachsen, schnitt sich nicht die Fingernägel, bis sie lang waren wie Adlerklauen, hauste in einem finsteren Verließ bei Kerzenlicht (H. Halm, München 2003,S.169) Die Christen haben ihn gehasst, weil er die Grabeskirche in Jerusalem zerstören ließ, die Pilger ins Heilige Land einer hohen Steuer unterwarf und überhaupt alle Christen verfolgen ließ wie einst die römischen Kaiser. Seine Untaten dienten später den Kreuzrittern als Vorwand für den Heiligen Krieg gegen die Araber. Aber auch die Moslems können nichts Gutes über ihn sagen, war Hakim doch Schiit und alle Sunniten wurden Opfer einer brutalen Repression. Viele Menschen fürchteten ihn, da er angeblich über Zauberkräfte verfügte und behauptete, allwissend zu sein. Auch die Archäologen ärgern sich über ihn, ließ er doch auf der Suche nach Schätzen die Cheos-Pyramide öffnen und entwendete möglicherweise dort vorgefundene Gegenstände. Nachdem er viele Jahre hindurch die Menschen am Nil gequält hatte, verschwand er eines Tages nach einem nächtlichen Ausritt spurlos in der Wüste.

Was hatte es mit diesem merkwürdigen islamischen Herrscher auf sich, der die Nachfolge im Reich der Pharaonen angetreten hatte?

Die Fatimiden führten ihren Stammbaum auf Fatima, die Tochter des Propheten Mohammed zurück. Deren Mann Ali, also der Schwiegersohn des Propheten, beanspruchte nach dem Tode Mohammeds das Amt des Kalifen, des Herrschers aller Gläubigen, für sich. Doch im Kampf um die Nachfolge unterlag er dreimal, stets wurde ein anderer Kandidat vorgezogen. Erst danach schaffte er es und wurde zum vierten Kalifen gewählt. Doch ein mächtiger Clan, die Familie der Umaiyaden, die den dritten Kalifen gestellt hatte, akzeptierte diese Wahl nicht und riefen ihren Anführer Muawiya zum Gegenkalifen aus. In einem blutigen Bürgerkrieg wurde Ali, der seine Anhänger hauptsächlich im Süden des Irak hatte, geschlagen und von Abtrünnigen ermordet. Auch seine beiden Söhne, Hasan und Husain, unterlagen den Umaiyaden und Husain wurde bei Kerbela im Irak getötet, zusammen mit seinen Anhängern. In seinem und seines Vaters Namen sammelten sich daraufhin viele Unzufriedene und Unterdrückte und bildeten die Partei Alis, die „Schiat Ali“, die jedoch vorerst wenig gegen die Kalifen in Damaskus ausrichten konnte. Imame nannten sich die Anführer dieser Gruppe. Sie vertraten die Meinung, dass nur die direkten Nachkommen des Propheten, damit dachten sie an sich selbst, bestimmt seien, als Herrscher über die Gläubigen zu regieren. Denn sie vermittelten zwischen Gott und den Menschen.

Die ersten Imame waren Ali und seine beiden Söhnen gewesen, doch diese Linie pflanzte sich über die nächsten Generationen weiter fort. Der sechste Imam besaß einen erstgeborenen Sohn namens Ismail, der allerdings schon als Kleinkind verstarb. Also musste ein neuer Sohn gekürt werden, der nun als siebter Imam die Schiiten anführte. Doch nicht alle akzeptierten diese Wahl. Ihrer Ansicht nach war Ismail nicht gestorben, sondern wurde nur von Allah entrückt und lebt seitdem unsichtbar zwischen den Menschen, bis er eines Tages wieder sichtbar werden würde. Nicht alle waren von dieser Entrückung Ismails überzeugt und also spaltete sich die Partei Alis in zwei Gruppen auf. Einige akzeptierten den nicht gestorbenen Sohn als neuen Anführer. Dessen Linie pflanzte sich nun weiter fort, bis zum zwölften Imam, der dann als Kleinkind aus dem Haus seines Onkels spurlos verschwand und seitdem, ähnlich wie Ismail, unsichtbar weiterlebt. Somit gab es zwei entrückte Imame, einmal Ismail, der als siebenter Imam verschwand und von seinen Anhängern, der 7er Schia, verehrt wurde. Diese erkennen die späteren Imame nicht an.

Die anderen hingegen glaubten an den Tod von Ismail und verneinten seine Entrückung. Sie bildeten die Gruppe der 12er Schia, die heute im Iran vorherrscht. Ihrer Auffassung nach wurde erst der zwölfte Imam von Allah entrückt, Ismail sei aber wirklich gestorben und wird von ihnen nicht anerkannt.

Die Anhänger Ismails bildeten überall im arabischen Reich konspirative Gruppen und ihre Anführer hofften, eines Tages vielleicht einmal die Herrschaft übernehmen zu können. Dieser Zeitpunkt schien in greifbare Nähe zu rücken, als im 10. Jahrhundert das Kalifat in Bagdad immer mehr an Macht verlor und das arabische Weltreich sich aufzulösen begann. Die verschiedenen Provinzen machten sich selbständig, der Herrscher am Tigris regierte in Wahrheit nur noch über den heutigen Irak.

Die Ismailiten wühlten überall im Untergrund. Ihrer Meinung nach hatte der Herrscher in Bagdad kein Recht dazu, das Amt des Kalifen zu bekleiden, da seine Sippe nur ganz weitläufig mit dem Propheten verwandt war. Einer der ihren sollte diese Position bekleiden. Dieser Mann fand sich auch bald, Abdallah-al-Mahdi hieß er und behauptete, ein Nachkomme von Fatima zu sein. Überprüfen ließ sich dies nicht und mit hoher Wahrscheinlichkeit stimmen die Angaben auch nicht, doch seine Anhänger glaubten ihm nur zu gerne. Stolz nannte er sich nun selbst Kalif. Da in Spanien sich zu dieser Zeit ein anderer arabischer Herrscher ebenfalls zum Kalifen ausrief, gab es nun drei davon, die sich erbittert bekämpften. Abdallah-al-Mahdi benötigte nun nur noch eine Streitmacht, um seine Ansprüche durchzusetzen. Diese fand er in Nordafrika bei den Berbern in der Kabylei, in den Bergen im Nordosten des heutigen Algerien. Der Stamm der Kutama erwies sich gegenüber den Ismaeliten als besonders aufgeschlossen. Mit ihrer Hilfe beherrschte dieser neue Kalif das heutige Tunesien und seine Nachkommen regierten später von Kairouan aus das Land. Die Berber hatten sich zwar einst zum Islam bekehren lassen, doch eine arabische Vorherrschaft wollten sie nicht akzeptieren. So blieb dieses kriegerische Volk ein ständiger Unsicherheitsfaktor. In Gestalt des ersten Fatimidenherrschers hatten sie einen fähigen Anführer gefunden. Doch eine Expansion über Tunesien hinaus Richtung Osten blieb zunächst aus.

Erst sechzig Jahre später gelang es dem vierten Herrscher der Fatimiden sein Gebiet über ganz Nordafrika auszudehnen und er krönte seine Taten mit der Eroberung von Ägypten. 972 eroberte er damit eine der wertvollsten und reichsten Regionen der islamischen Welt und gründete am Nil eine prachtvolle Palaststadt, Al Qahira, die „Siegreiche“, das heutige Kairo. Im Süden des Palastes wurde das spätere Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit erbaut, die Al-Azhar-Moschee, die „Strahlende“.

Ägypten besaß zum Zeitpunkt der Besetzung durch die Fatimiden eine blühende Landwirtschaft und eine produktive Textilproduktion. Wie schon zur Zeit der Pharaonen gehörte das Land zu den reichsten Regionen im Mittelmeerraum.

Die Araber hatten 641 n.u.Z. mit nur 4.000 Reitern dieses christliche, zu Byzanz gehörende Land erobert. Sie waren nicht an einer Bekehrung der dort lebenden Bevölkerung interessiert, sondern nur an deren Abgaben. Sie errichteten ihr Heerlager neben einem römischen Kastell und nannten den Ort Fustat, das Zelt. Jahrhunderte später errichteten die Fatimiden nicht weit davon entfernt ihren Palast. Im Laufe der Zeit verschmolzen diese beiden Siedlungen zu dem heutigen Kairo.

Viele Ägypter arrangierten sich mit den arabischen Eroberern und taten dies, indem sie deren Glauben annahmen. Aber zur Zeit der Fatimiden waren noch immer die meisten Bewohner koptische Christen, die anderen sunnitische Moslems, in den Augen der Fatimiden beides Irrlehren.

Bereits aus der Zeit der Pharaonen stammte eine effektive Verwaltung, die sich mit Fragen der Bewässerung befasste, in erster Linie aber mit der Eintreibung von Steuergeldern beschäftigt war. Jeder Herrscher tat gut daran, auf diesen Beamtenapparat zurückzugreifen. Die Bürokratie gehörte zu Ägypten genauso wie der Nil.

Eroberungen gingen immer vom Land aus mit Hilfe von Nomaden oder Bergvölkern. Sie bildeten kleine, aber effektive Streitkräfte. Regieren konnte man aber nur von der Stadt aus mit der eingespielten Bürokratie und in Allianz mit den reichen Oberschichten. Dies führte oftmals zu Spannungen zwischen den wilden, beutegierigen Eroberern und den Stadtbewohnern, die häufig Opfer von deren Willkürakten wurden. Auch konnte ein Kalif, wie etwa der in Bagdad, schon bald zum Gefangenen seiner eigenen Truppen werden. Deshalb versuchten die Fatimiden sich aus der Umklammerung der Kutama-Berber zu lösen, die sich in Ägypten durch ihre Brutalität schnell verhasst gemacht hatten und gründeten weitere Regimenter, bestehend aus Militärsklaven, die aus Nubiern bestanden, Türken, Tscherkessen und iranischen Dailamiten. Die Kampfeinheiten wurden nach Ethnien aufgeteilt und ihre gegenseitigen Rivalitäten sollten ihre Machtgelüste im Zaum halten. Unter Al-Hakim kam es oft zu blutigen Kämpfen zwischen den verschiedenen Regimentern und der Kalif konnte die Rolle eines Schiedsrichters spielen. Solange das fragile Gleichgewicht zwischen den Truppenteilen erhalten blieb, konnte sich der Herrscher einigermaßen sicher fühlen.

Bereits im Alter von nur 11 Jahren wurde Al Hakim nach dem Tode seines Vaters zum neuen Kalifen ausgerufen und kam wie üblich unter die Vormundschaft der Hofkamarilla, die in seinem Namen die Macht ausübte. Glücklicherweise gab es keine ernstzunehmende Konkurrenz und so wurde seiner Ernennung zum Nachfolger als Herrscher aller Gläubigen nicht widersprochen. Die ersten Jahre verliefen für ihn ziemlich freudlos, er war Gefangener in der Festung und durfte nur an wenigen offiziellen Anlässen öffentlich auftreten.

Mit 15 Jahren ermordete der junge Kalif seinen Vormund, um sich aus seiner Gefangenschaft zu befreien und damit begann der Beginn einer langen Blutspur, die seine ganze Regentschaft auszeichnen sollte. Dies war indes nicht außergewöhnlich und in den orientalischen Despotien durchaus üblich. Der Herrscher regierte absolut und dies machte ihn aber auch einsam. Er konnte niemandem trauen, denn potentielle Putschisten lauerten überall. In der eigenen Familie, im Hofstaat, bei den Militärs, jeder konnte sich plötzlich als Feind erweisen. Da ein normaler Herrschaftswechsel nicht möglich war und auch keine offizielle, wie auch immer organisierte Form von legaler Opposition erlaubt war, konnte man einen ungeliebten Monarchen eigentlich nur töten. Die ungeheure Furcht der Herrscher vor Intrigen und Verschwörer Gruppen, vor Vergiftungen oder Mordanschlägen war durchaus nicht unbegründet. Oppositionelle konnten nur auf konspirative Weise arbeiten und der Monarch musste versuchen, ihnen auf die Spur zu kommen. Da jeder jeden misstraute, herrschte auf den Königshöfen oftmals ein Klima der Angst und des Terrors. Dieser Terror des Herrschers war oft zweckrational, er sollte wirkliche, gefährliche Konkurrenten vernichten. Doch sehr häufig entwickelte sich in späterer Zeit bei den Regierenden eine Paranoia und dann wurde der Terror zunehmend irrationaler und traf immer mehr Unschuldige, Menschen, die zufällig in Verdacht gerieten, die aber nichts getan hatten.

Diese Entwicklung durchlief auch Al Hakim. Den ersten Hinrichtungen fielen korrupte Beamte zum Opfer. Höflinge hatten ihr Amt ausgenutzt, um sich durch Unterschlagungen zu bereichern. Korruption und Betrügereien gehörten an den Sitzen der Monarchien zum alltäglichen Erscheinungsbild und schienen unausrottbar zu sein. El Hakim legte hier lediglich die Spitze eines Eisberges frei. Waren seine ersten Exekutionen noch als ein Versuch zu begreifen, die verschiedenen Hofcliquen einzuschüchtern, um sich den notwenigen Respekt zu verschaffen, die er als Kalif benötigte, so wurden später die zahlreichen Tötungen zunehmend irrationaler. Hinrichtungskommandos begleiteten den Kalifen überall hin, um jederzeit sofort Exekutionen zu vollstrecken. In seinen späteren Jahren nahm die Zahl der Hinrichtungen offenbar ständig zu.

All dies war an sich noch nicht außergewöhnlich. Doch ab dem Jahre 1003 begann er mit einer ganzen Reihe von Erlassen, die aus den Ägyptern bessere Menschen machen sollten. Lagen diesen Anordnungen religiöse Erweckungserlebnisse zugrunde, wie einige Autoren meinen, oder störten ihn einfach nur einige Sitten und Gebräuche, die seiner Meinung nach nicht mit dem Islam zu vereinbaren gewesen waren oder hatte es ganz persönliche Gründe? Wie dem auch sei, in den ersten Jahren seiner Regentschaft vergnügte er sich häufig in Fustat unter den einfachen Leuten und nahm an deren turbulenten Festen teil. Die Christen, die dort wohnten, tranken oft große Mengen Alkohol und es kam zu zahlreichen Exzessen.

Aber dann ärgerte Al Hakim sich an der Teilnahme von Frauen an den Festen und erließ Januar 1003 ein nächtliches Ausgehverbot für Frauen. Auch sollten sie tagsüber nicht mehr in den Straßen sitzen oder von den Balkonen auf das Treiben in den Gassen herunterschauen. Sie sollten sich nicht mehr ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit bewegen und sich verschleiern. Die Badehäuser für Frauen wurden geschlossen. Bootsfahrten mit Männern und Frauen untersagt, ebenso der gemeinsame Besuch von Vergnügungsstätten. Später dehnte er das nächtliche Ausgehverbot auch auf die Männer aus, der nächtliche Handel kam zum Stillstand.

Es folgte ein zäher Kampf gegen den Genuss von Alkohol in jeder Form, ein Versuch, den Konsum von Bier und Wein zu unterbinden. Gaststätten wurden geschlossen, Wein öffentlich vernichtet und sein Verkauf verboten. Um dies auch konsequent durchzusetzen, wurde der Vertrieb von Rosinen reduziert, Weinkrüge verboten, der Verkauf von Honig reglementiert, um die Herstellung von Honigbier zu unterbinden.

Auch andere Unterhaltungen wurden untersagt, Schachspiele und Musikinstrumente verbrannt sowie Musik und Gesang geächtet, Vergnügungsfahrten auf dem Wasser verboten, ebenso wie Ausflüge in die Wüste.

Berüchtigt sind seine Erlasse gegen Christen und Juden. Sie sollten in Zukunft einen schwarzen Turban und einen schwarzen Gürtel zur Erkennung tragen. In den Badehäusern mussten Christen ein Holzkreuz um den Hals tragen, die Juden eine Glocke. Der Kalif ließ mehrere Kirchen zerstören, als schändlichen Höhepunkt unter anderem die Grabeskirche in Jerusalem.

Heute würde man Al Hakim als einen Fundamentalisten bezeichnen und es gibt ohne Zweifel Ähnlichkeiten mit heutigen islamischen Fanatikern.

Auch die moslemischen Sunniten begannen unter seiner Herrschaft zu leiden. Da Al Hakim zu den Schiiten gehörte, mussten sie nun erfahren, dass sie die ganze Zeit über einer Irrlehre angehangen hatten und sie sich nun zum wahren Islam bekennen sollten. Speisen, die so ähnlich hießen, wie Personen, die den Schiiten feindlich gesonnen waren, wurden verboten. Fische ohne Schuppen durften nicht mehr verkauft werden aufgrund einer schiitischen Speiseverordnung.

Der Kalif galt jetzt als die oberste Instanz in allen Glaubensfragen, und ihm durfte nicht widersprochen werden. Einige Gebetstexte sollten nicht mehr aufgesagt werden, verschiedene Gebete zu bestimmten Tages- und Nachtzeiten nicht länger durchgeführt werden. Wie bei Schiiten üblich, wurden die ersten drei Kalifen, die auf Mohammed gefolgt waren und dadurch die Herrschaft von Ali, dem Begründer der Schiat Ali verhindert hatten, öffentlich beschimpft.

Ob die Erlasse wirklich Erfolg hatten und vielleicht nur teilweise und kurzfristig befolgt wurden, ist strittig. Auch wurden Anordnungen manchmal zurückgenommen, dann nach einiger Zeit wieder neu verfügt. Al Hakims Politik war widersprüchlich und besaß einen unsteten Charakter. Wenn er auf zu viel Widerstand stieß, wich er meist vorübergehend zurück, um es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu versuchen.

Man hätte annehmen können, das er versucht haben würde, aus sunnitischen Moslems Schiiten zu machen, aber seine Bekehrungsversuche hielten sich in engen Grenzen. Dies hing einerseits mit der ismailitischen Lehre zusammen, die eine Geheimlehre war und in ihrer vollen Auslegung und Bedeutung nur einem kleinen Kreis eingeweihter Personen bekannt gemacht werden durfte. Schon aus diesem Grunde eignete sie sich nicht für eine Missionierung großen Stils. Anderseits stieß sie bei den Sunniten zumeist auf offene Ablehnung und es bestand daher die Gefahr von Aufständen. Die Anhänger der Fatimiden entwickelten zudem die Lehre zu einem abstrakten, philosophischem Gebäude weiter, welche ohnehin von der Masse der einfachen Bevölkerung nicht verstanden werden konnte.

Im Umkreis von Al-Hakim wurden verschiedene Lehrer aktiv, die versuchten, den Islam mit der Person des Kalifen zu verbinden und ihm einen gottähnlichen Status zuzuschreiben. Sie kamen zu unterschiedlichen Auffassungen und bekämpften sich gegenseitig. Ihre Überlegungen bildeten die Grundlage für die spätere Religion der Drusen. Sie gingen davon aus, dass Gott als erstes einen All-Intellekt geschaffen hätte. Da dieser Intellekt im Laufe der Zeit überheblich wurde, schuf Gott noch einen Widersacher. Beide bekämpfen sich seit der Schöpfung unaufhörlich, materialisieren in immer neuen Erscheinungsformen. So der All-Intellekt z.B. in Adam, sein Widersacher in Gestalt des Satans. Nur wenige, eigentlich nur die Ismailiten, erkennen die wahren Zusammenhänge. Am Ende aller Tage werden sämtliche Religionen aufgehoben werden, das Christentum, das Judentum, auch der Islam. Nach Meinung einiger Vertreter dieser neuen Weltanschauung, stünde das Ende in Kürze bevor. Gott hätte sich in der Gestalt von Al-Hakim inkarniert und dieser würde in Kürze Gericht halten. Ein besonders eifriger Anhänger ließ die Menschen im Niltal Verpflichtungsscheine „duruz“ genannt, unterzeichnen, mit denen sie bestätigten, diese neue Interpretation des Islam zu unterstützen. So entstand der Name einer religiösen Gruppe, der Drusen, die bis heute in einigen Gebieten des Nahen Ostens existieren.

Al Hakim mochte sich nicht so richtig anfreunden mit dieser Weiterentwicklung der schiitischen Religionsrichtung. Zu abstrakt erschien den Menschen diese Lehre, ihre Komplexität mit den zahllosen Details und Neuinterpretationen bekannter Vorgänge aus dem Koran konnte nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Vielen erschien sie vermutlich als Irrlehre, als große Ketzerei. Als sich die Anhänger von Al Hakim zunehmend fanatisch verhielten und die Bevölkerung bedrängten, ließ der Kalif viele von ihnen hinrichten.

Während seiner letzten Lebensjahre veränderte Al-Hakim auf dramatische Weise seine Lebensweise, ließ sich die Haare lang wachsen, trug nur noch ein schlichtes, weißes Gewand und einfache Sandalen, unternahm lange einsame Ausritte auf einem einfachen Esel, verkleinerte drastisch seinen Hofstaat, wurde außerordentlich freigiebig, verschenkte staatliches Eigentum an zahlreiche Bittsteller. Gerne blieb er nun allein und mied die Gesellschaft anderer, ganz anders, als in seiner Jugendzeit. Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit wurden laut. In der Bevölkerung machte er sich durch die vielen Geschenke wieder beliebt.

In der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1021 unternahm er allein einen nächtlichen Ausritt, von dem er nicht mehr wiederkehrte. Am nächsten Tag fand man seine blutgetränkten Kleider mit Einstichlöchern, sein Leichnam wurde nicht gefunden. Vermutlich hatte man ihn ermordet. Mehrere Beduinen wurden der Tat verdächtigt und hingerichtet. Ob sie aus eigenem Antrieb gehandelt hatten oder ob es Hintermänner gegeben hatte, ließ sich nicht ermitteln.

Mit Al Hakim endet eine bizarre Episode in der Geschichte des Islam, an die sich nur ungern erinnert wird. War der Kalif verrückt gewesen? Wenn, dann allenfalls vielleicht in seinen letzten Lebensjahren, als er sich zum einsiedlerischen Weltentsager entwickelte. Aber ohne Zweifel entwickelte er im Laufe seiner Regierungszeit die bei Despoten übliche Paranoia an Verfolgungswahn. Mit seinen zahlreichen Erlassen zeigt er sich aus heutiger Sicht als ein Fundamentalist, aber dies hat nichts mit Irrsinn zu tun. Al Hakim war ein orientalischer Despot, der alles auf die Spitze trieb und später krankhafte Züge aufwies. Mit seiner Politik störte er das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Konfessionen in Ägypten, aber vermutlich nur vorübergehend. Da er gegen alle großen Glaubensrichtungen vorging, war jeder von seiner Repression betroffen und er stieß überall auf Ablehnung. Niemand wurde bevorzugt und konnte deshalb später mit ihm sympathisieren. Nach seinem Tod wurde er von allen verdammt und der Friede zwischen den Konfessionen wieder hergestellt.

(Die Informationen zu diesem Bericht stammen zu einem großen Teil aus dem Buch von Heinz Halm, Die Kalifen von Kairo, München 2003)

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