Das Wappen wurde im Mittelalter zu dem Medium der Repräsentation! Zunächst nur Kennzeichen des Adels durchdrang es im ausgehenden Mittelalter sämtliche soziale Schichten. Was waren die Ursachen, die die Entstehung des Wappenwesens im europäischen Adel veranlassten? Welchen Regeln folgte der heraldische Formenkanon? Und welche Bedeutung hatte das Wappenwesen in der mittelalterlich-feudalen Gesellschaft?

Die Wappen der Stände des Heiligen Römischen Reichs; oben die Wappen der Kurfürsten

Die Wappen der Stände des Heiligen Römischen Reichs; oben die Wappen der Kurfürsten

 

Ein historischer Überblick – Die Entstehung des Wappenwesens und seine soziale Ausdehnung

Der Begriff „Wappen“ leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „wâpen“ her und war ursprünglich mit dem Wort Waffen identisch. Aufschluss gibt hier die geschichtliche Entwicklung: Die Anfänge des Wappenwesens fallen in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts, als bedeutende Angehörige des nordwesteuropäischen Hochadels begannen, ihre Waffen – insbesondere den Schild – mit einem persönlichen und für sie charakteristischen Kennzeichen zu schmücken. Diese Art von Verzierung war neu. Zwar waren bereits in der griechisch-römischen Antike und bei den germanischen Stämmen Kampschilde bemalt oder mit Metall beschlagen, doch waren diese Verzierungen stets willkürlich gewesen: Sie folgten keinem System bestimmter Regeln und repräsentierten keine bestimmte Person – zwei der Hauptmerkmale der Heraldik! Die wohl wichtigsten Quellen für die Entstehungszeit des Wappenwesens bilden die sogenannten Reitersiegel. Ganz dem neuen adligen Selbstverständnis als Ritter folgend repräsentierten sich die Fürsten auf ihnen hoch zu Ross, in voller Kampfmontur – in ihrer Hand der Schild, den seit Mitte des 12. Jahrhunderts vermehrt das Wappen als zusätzliches Attribut schmückte.

Die weitere Entwicklung des Wappens verlief rasant; bereits hundert Jahre später war sein Gebrauch im gesamten europäischen Adel allgemein. Grafen, Edelfreie und schließlich auch Ministerialen führten ihr eigenes Symbol. Aus dem persönlichen Abzeichen des Hochadels hatte sich das erbliche und unveränderbare Familien- und Geschlechterwappen entwickelt.

War die Wappenfähigkeit ursprünglich auf die waffenfähige Bevölkerung, d. h. den Adel, beschränkt, dehnte sie sich im Laufe des Spätmittelalters auf nichtmilitärische Personenkreise aus: Frauen, Geistliche, Bürger und Handwerker aber auch Städte, Zünfte, Gilden Gesellschaften, geistliche und weltliche Orden und sogar vereinzelt freie Bauern übernahmen (eigene) heraldische Symbole. Die wahrscheinlich bedeutendste Rolle hinsichtlich der ständeübergreifenden Ausdehnung des Wappens spielte das Siegel, welches als Rechtssymbol bzw. als Erkennungs- und Beglaubigungsmittel juristischer Handlungen für jede rechtsfähige Person unbedingt notwendig war. Im Spätmittelalter umfasste die Wappenfähigkeit damit die gesamte kulturell und sozial führende sowie rechtsfähig handelnde Bevölkerung. Als nicht-religiöses Zeichen spiegelte es die säkulare Ordnung der spätmittelalterlichen Gesellschaft wider.

 

Ursprung und Ursachen des Wappenwesens – Militärische Veränderungen im Hochmittelalter

Zwar ist sich die Forschung über den zeitlichen Beginn des Wappenwesens weitestgehend einig, doch differieren die Meinungen hinsichtlich der vorheraldischen Ursprünge. Es ist vor allem der Mangel an klaren Quellen, welcher es so erschwert, Herkunft und Grund für die Entstehung des Wappenwesens im 12. Jahrhundert eindeutig zu bestimmen.

Was kennzeichnete das ritterliche Kriegswesen im ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhundert? Welche militärischen Veränderungen veranlassten die Entstehung der Wappen?

Aufschluss kann hier der berühmte Teppich von Bayeux (um 1080) geben. Die über siebzig Meter lange Stickereiarbeit auf Leinen, welche in Bild und Text die normannische Eroberung Englands in der Schlacht bei Hastings im Jahre 1066 schildert, gibt eine Vorstellung von der Ritterrüstung, wie sie auch noch im beginnenden 12. Jahrhundert üblich war. Der Ritter trug ein Panzerhemd (Haubert), und eine Ringelpanzerbeinbekleidung. Als Kopfschutz dienten eine Kapuze aus Ringlein und ein konisch geformter Helm, der sogenannte Normannische Helm, welcher aufgrund seiner Nasenschiene auch Nasalhelm genannt wurde. Zusätzliche Deckung bot der hohe, den Ritter verdeckende Normannische Schild. Zu beobachten ist, dass ein Großteil der Schilde geometrische Muster (Kreuze, Kreise, Umrandungen u. a.) aufweist oder zusätzlich mit Drachen bemalt ist. Dass diese Verzierungen allerdings an noch keine bestimmten Personen gebunden waren, also noch nicht dem heraldischen Prinzip folgten, geht aus der Tatsache hervor, dass das gleiche Muster von verschiedenen Personen geführt wurde.

Deutlich wird, dass der Nasalhelm und die Kapuze einen Großteil des Gesichtes verbargen und den Träger somit „anonymisierten“. Es war aber vor allem im unübersichtlichen und hektischen Gefecht notwendig, schnell zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Die Forschung führt deswegen stets das Argument an, dass der Beginn der Heraldik unmittelbar mit dem praktischen Bedürfnis der Kenntlichmachung des Ritters während der Schlacht verbunden war. Es sei vor allem der Schild gewesen, der sich durch seine Großflächigkeit für eine farbige Gestaltung auszeichnete.

Andere Historiker betonen wiederum die Bedeutung der Kreuzzüge und den Einfluss der byzantinischen und muselmanischen Feldzeichen, Fahnen und Stoffe, mit denen die Ritter im Heiligen Land in Kontakt gekommen waren. Beide Argumente – die Notwendigkeit der Kenntlichmachung in der Schlacht und der Einfluss der arabischen Welt – können eine Rolle gespielt haben; sie als alleinige, unmittelbare Auslöser für den Wappengebrauch im europäischen Adel zu interpretieren, schlägt jedoch fehl. So ist von der gegenwärtigen Forschung im Allgemeinen die These anerkannt, dass die Heraldik aus verschiedenen europäischen Phänomenen heraus entstanden ist, welche sich in Kombination miteinander zum späteren Wappen zusammensetzten: Diese heraldischen Vorformen waren 1. die Embleme der Feldzeichen, 2. die Siegel und 3. die Schilde.

Viele der späteren Wappenbilder knüpften an Darstellungen der bunten landesherrlichen Feldzeichen aus Stoff (Gonfanon und Banner) an, unter denen sich die Krieger in der Schlacht sammelten. Auch die Siegel lieferten die Grundlage zahlreicher späterer Wappenbilder. Einige Geschlechter führten bereits im 11. Jahrhundert bildliche Anspielungen auf ihren Namen in ihrem Siegel (redende Figuren), die sich in ihren späteren Familienwappen wiederfanden. Der Schild wiederum wurde zum Hauptträger des Wappens in heraldischer Zeit; er gab ihm damit seine äußere Form. Aber auch hinsichtlich der Motivik wirkte er auf spätere Wappeninhalte ein. So war in einigen Fällen der metallene Schildbeschlag, welcher neben dem schmückenden Aspekt vor allem der Verstärkung diente, bestimmend für die Entstehung des späteren Wappenbildes.

 

Strukturgeschichtliche Voraussetzungen im Hochmittelalter

Die Entstehung des Wappenwesens fällt in eine Zeitspanne, in der weitgreifende Strukturveränderungen der feudalen Welt stattfanden: Mit der Festigung des Lehnswesens wurde die Burg seit dem 11. Jahrhundert zunehmend zum festen Mittelpunkt des Herrschaftsraums. Unmittelbar mit diesem Prozess verknüpft wandelte sich das Verwandtschaftsverständnis des Adels. Die diffusen Sippenzusammenhänge des früheren Mittelalters wurden zugunsten eines neuen genealogischen, patrilinear ausgerichteten Verwandtschaftsempfinden aufgegeben: Die agnatisch orientierte Familie definierte sich als Geschlecht. Ausdruck fand dieser Mentalitäts- und Identitätswandel u. a. in der Namensgebung. Existierte vor dem 11. Jahrhundert nur die Einnamigkeit, entwickelte sich nun der – auf die Stammburg des Geschlechts bezogene – Zweitname. Der alte Name wurde zum „Vor“-Namen. Diese Ausprägung neuer Herrschaftsformen und Familienstrukturen bildete die Voraussetzung zur Entstehung des geschlechtsspezifischen, vererbbaren Wappens. Es wurde neben dem Siegel zum bildlichen Ausdruck des neuen adligen Selbstverständnisses.

Hinsichtlich der Ausdehnung der Wappen kommt außerdem der Struktur und Hierarchie des Lehnswesens selbst eine entscheidende Rolle zu. Vor allem während der Anfangsphase des Wappenwesens übernahmen viele Vasallen das Wappen ihres Herrn. Ihr Wappen war ursprünglich also noch kein Ausdruck von Familienzugehörigkeit, sondern kennzeichnete vielmehr das Dienstverhältnis des Vasallen zu seinem Herrn sowie seine territoriale Bindung. Erst im Laufe des Jahrhunderts entwickelte sich ihr Wappen zunehmend zum geschlechtsspezifischen Abzeichen, indem es durch Differenzierungen (z. B. der Tinkturen) vom Wappen des Lehnsherrn abgewandelt und an nachfolgende Generationen weitervererbt wurde. Die zunehmende Erblichkeit der Lehen dürfte diese Entwicklung begünstigt haben.

 

Die heraldische Bildersprache – Formen und Symbolik

Seit dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts erfuhr das Wappenwesen im Reichsgebiet seine volle Entfaltung. Waren die Schildbilder des 12. Jahrhunderts auf wenige Motive begrenzt, vervielfältigte und perfektionierte sich nun das Bildrepertoire. Zusätzlich wurde der Schild durch Helm, Helmzier und Helmdecke zum Vollwappen erweitert. Dieser Prozess war inhaltlich mit der ritterlich-höfischen Kultur unmittelbar verbunden: Das Wappen wurde zum Instrument der ritterlich-höfischen Selbstinszenierung, zum Spiegel des ritterlich-höfischen Selbstverständnisses.

Was stellten die Wappen dar? Welchen Regeln folgten sie?

Der ursprüngliche heraldische Grundsatz lag im Wiedererkennungswert der Wappen, ihrer Klarheit und Übersichtlichkeit. Besonders der Schild unterlag als Hauptelement des Wappens dabei heraldischen Gestaltungskriterien: Farben wurden beschränkt, Motive stilisiert, die Komposition stereotypisiert. (Diese klare Gliederung spiegelt sich im Übrigen auch in dem spezifischen Fachvokabular wider, welches die Heraldik im Laufe der Zeit hervorgebracht hat: Jede Form und jedes Bild kann genau bezeichnet werden. Ziel dieses Blasonierens ist eine möglichst knappe aber sehr genaue Darstellung des Wappens.)

Die Tinkturen, d. h. die Farben, beschränkten sich primär auf Rot, Blau, Schwarz, Grün, später auch Purpur. Erweitert wurden diese durch die Metalle Gold und Silber, welche gelegentlich auch als Gelb und Weiß bezeichnet wurden. Außerdem konnte ein Schild mit Pelzwerk verziert sein.

Die Zeichen und Formenelemente, mit denen der Schild gestaltet werden konnte, waren äußerst vielfältig. Grundsätzlich ist dabei zwischen zwei Kategorien zu unterscheiden: 1. den Heroldsbildern und 2. den Gemeinen Figuren.

1. Die Heroldsbilder entstehen durch regelmäßige, geometrische Teilungen der Schildfläche, d. h. durch einen Wechsel der Tinkturen bzw. durch zusätzlich verwendete gerade oder gebogene Linien. Die einfachsten Heroldsbilder resultieren aus einer gewöhnlichen waagerechten bzw. senkrechten Schildteilung, so dass der Schild entweder geteilt oder gespalten ist. Vereint man beide Varianten miteinander entsteht eine Quadrierung, zieht man eine Diagonale eine Schrägteilung. Diese Schildteilungen können wiederholt oder miteinander kombiniert werden, so dass eine Vielzahl unterschiedlicher Kompositionsmöglichkeiten entstehen. Die Hauptformen haben spezielle Namen: Pfahl, Stab, Faden, Balken, Leiste, Keil, Spitze, Sparren, Deichsel, Göpel, Schildhaupt und –fuß, Flanke, Bord. Kleinere Strukturierungen der Schildfläche heißen – je nach den durch die Linien erzeugten Grundmustern (Quadrate, Rhomben, Dreiecke u. a.) – u. a. geschacht, gerautet oder gespickelt.

2. Die Gemeinen Figuren sind jene Schildbilder, die nicht durch Schildteilungen entstanden sind. Die Motive stammen aus dem Bereich der unbelebten Natur (Himmelskörper und Naturerscheinungen), der Anthropologie, der Pflanzen- und Tierwelt (Säugetiere, Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien, Insekten) und aus davon abgeleiteten Fantasiegestalten (Ungeheuer, Fabelwesen). Ergänzt wird dieses Repertoire durch eine Fülle von menschlichen Gegenständen, Gerätschaften, Handwerkszeug und Bauwerken. Allen Figuren gemeinsam ist ihre starke Stilisierung, die im Extremfall ornamentales Aussehen annehmen kann.

Prominente Figurenbeispiele sind Adler und Löwe, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts zusammen rund 80 Prozent der Tierdarstellungen ausmachten, Ende des Mittelalters immerhin noch rund 60 Prozent. An ihnen lässt sich auch die symbolisch-politische Dimension der heraldischen Bildersprache ablesen: Führte die Mehrzahl der Reichsfürsten zu Beginn noch einen Adler in ihren Wappen, um ihre Nähe zum Reich demonstrierten, änderte sich dies im Laufe des 13. Jahrhunderts: Mit dem Erstarken ihrer Territorialherrschaft entledigten sich die Fürsten zunehmend dieses Symbols und übernahmen andere Wappenbilder. Der Löwe wiederum avancierte im Laufe der Zeit zum antikaiserlichen Symbol. Der provokative Wappenwechsel des Grafen von Flandern 1160, der den Adler durch einen Löwen austauschte, um gegenüber Kaiser Friedrich Barbarossa seine päpstliche Haltung im Schisma jener Jahre zu signalisieren, ist hierfür ein frühes Beispiel.

 

Wappenveränderung und -vereinigung

Zwar bestanden die heraldischen Grundprinzipien in ihrer Dauerhaftigkeit und Erblichkeit, doch wurde das Wappen seit dem 13. Jahrhundert aus rechtlichen oder politischen Gründen abgeändert. Sozialer Rang konnte durch die heraldische Bildersprache konstituiert, dynastische Verbindungen demonstriert werden. Dabei bestanden in der Regel drei Optionen: 1. Die Wappenbesserung, 2. die Wappenminderung und 3. die Wappenvereinigung.

1. Die Wappenbesserung trat zum einen infolge einer Besitzvermehrung auf. Gründe konnten eine Heirat, ein Kauf, eine Erbschaft oder eine Belehnung sein. Zum anderen drückte eine Wappenbesserung ein erhöhtes gesellschaftliches Prestige oder die Beseitigung eines sozialen Mangels aus, zeigte also einen sozialen Aufstieg, z. B. die Aufnahme in den Adel oder eine Erhöhung innerhalb diesem.

2. Das Pendant stellt die Wappenminderung dar. Sie zeigte den Verlust eines Besitzes oder eines gewissen Status an, sei er gesellschaftlich-sozialer, rechtlicher oder politischer Natur.

Die Möglichkeiten der Wappenänderung waren vielfältig: Zum einen konnten die Tinkturen gewechselt (z. B. Inversion) zum anderen die Zahl und Art der vorhandenen Figuren verfremdet, reduziert oder erhöht werden. Sehr häufig war die Beifügung eines sogenannten Beizeichens, d. h. eine zusätzliche heraldische Figur, die das neue Wappen vom ursprünglichen differenzieren sollte. Diese Praxis, die sich seit dem 13. Jahrhundert ausbildete, diente der Individualisierung des Familienwappens. So kennzeichnete z. B. der Turnierkragen den Erstgeborenen, der Bastardbalken bzw. –faden dagegen, welcher schräglinks über das Stammwappenbild gelegt wurde, die Geschlechtsferne eines unehelichen Sohnes. Ein Beizeichen signalisierte also einen rechtlichen Zustand, nämlich das Verhältnis der Wappenträger zueinander innerhalb der Verwandtschaft.

3. Wappen konnten miteinander vereinigt werden. Dabei lassen sich zwei Arten unterscheiden: Zum einen die Vereinigung durch eine Nebeneinanderstellung zweier Wappen in Form eines Allianzwappens oder zum anderen die Vereinigung zweier oder mehrerer Schildbilder in einem einzigen. Ein Beispiel des Allianzwappens ist das Ehewappen. Dabei befindet sich das Wappen des Mannes heraldisch rechts, das der Frau heraldisch links, die Schildfiguren und Helmzierden sind einander zugewandt. Gelegentlich sind beide Wappen zusätzlich von einem geknoteten Liebesseil umrahmt. Das zusammengesetzte Wappen wiederum konnte, z. B. infolge eines Besitz- und Ländererwerbs, die (bildliche) Geltendmachung eines Anspruchs oder aber Ausdruck eines Abhängigkeitsverhältnisses sein. Die Möglichkeiten einer solchen Wappenvereinigung heißen: Einfassung, Verschränkung, Einpfropfung und Auflegung (Einverleihung) der Wappen.

Bereits Ende des Mittelalters und vor allem in der frühen Neuzeit hatten die ständigen Wappenwandlungen zu einem Gewirr von Darstellungen geführt: Eine Vielzahl von Wappen war in einem vereinigt.

 

Der Herold, das Turnierwesen und die Erweiterung der heraldischen Elemente

Der Begriff Heraldik leitet sich von Herold, auf althochdeutsch hari(o)-vald („der im Heer Waltende“) ab. Die Herolde – zunächst wohl nur spontane Beauftragte, ab Ende des 13. Jahrhunderts dann feste Amtsträger eines Herrn – identifizierten Ritter anhand ihrer Wappen im Krieg und Turnier. Ihrem Wirken verdankt das Wappenwesen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts seine Fixierung und Systematisierung der gestalterischen Grundregeln. Zudem sind durch die Herolde zahlreiche Wappenillustrationen überliefert. In sogenannten Wappenrollen und –büchern, also in systematischen, regionalen oder überregionalen Wappenzusammenstellungen, verewigten sie –oftmals wohl nach jahrelanger Recherche und ausgedehnten Reisen – die heraldische Vielfalt. Einige hundert dieser Art sind aus dem Mittelalter erhalten; die frühesten stammen aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts.

Als geschulte Kenner der Symbolik der Farben und Gegenstände kam den Herolden eine herausragende Bedeutung in der höfischen Kultur zu. Neben höfischen Festen waren sie vor allem während des Turniers anwesend und steigerten das Zeremoniell in seiner Pracht und seinem Prunk: Sie riefen die Teilnehmer aus, beschrieben, inspizierten und deuteten ihre Wappen. In Liedern und Gedichten lobten sie den Ritter, seine Rüstung, Wappen und Taten.

Das Wappen war im Turnierwesen, welches im Spätmittelalter seinen glanzvollen Höhepunkt erlangte, allgegenwärtig: Denn die Teilnahme am Turnier setzte ein Wappen als individuelles Zeichen voraus. Gleichzeitig diente das Wappen als Schmuckelement dem ritterlich-höfischen Bedürfnis der Selbstdarstellung und repräsentativen Inszenierung. Erhaltene Miniaturen zeigen, dass Pferdedecke, Waffenrock, Helm, Lanzenfahne bzw. Banner häufig das Wappenbild des Schildes wiederholten. Vom Turnierwesen am stärksten beeinflusst war wohl die Helmzier, welche schnell zur unerlässlichen Komponente der ritterlichen Rüstung wurde und sich damit zum heraldischen Symbol sowie festen Bestandteil des Wappens ausprägte. Frühe Helmzierden waren Hörner, Geweihe, Federn oder Laubzweige, später wurden diese durch Hüte, Tier- oder menschliche Köpfe und Rümpfe, bestehend aus Holz, Leder oder Stoff, ergänzt. Die Helmzier war zwar als Schmuckelement der wohl funktional entbehrlichste Teil der ritterlichen Rüstung, steigerte aber die Repräsentation. Sie ermöglichte die Identifizierung des Kämpfers über sein Wappenschild hinaus und hob ihn zusätzlich als individuelles, markantes Zeichen von seinen Konkurrenten ab.

Ab dem 14. Jahrhundert wurde das Wappen zunehmend durch Bilddevisen, Wahl- oder Sinnsprüche, ab der Renaissance aber vor allem im Barock durch allerlei verschlungene, rokokohafte Details und zusätzliche Prunkstücke erweitert: Schildhalter, Wappenzelte bzw. -mäntel und Amtszeichen brachen endgültig mit dem strengen Formenkanon des Mittelalters. Der Schild nahm fantastische, für den militärischen Gebrauch völlig ungeeignete Formen an und war damit nur noch rein auf die Anbringung ausgerichtet. Das Schildbild selbst setzte sich aus einer Vielzahl von Wappen zusammen. Diese stilistische Entwicklung vom ursprünglich zweifarbigen Wappen im 12. und 13. Jahrhundert zum überladenen Vollwappen des Barocks im 17. Jahrhundert wurde sicherlich durch die jeweilige künstlerische Epoche sowie militärische Veränderungen beeinflusst, doch dokumentiert sie auch deutlich das sich wandelnde Selbstverständnis sowie ein sich stetig steigerndes heraldisches Repräsentationsbedürfnis des Adels.

 

Die heraldische Omnipräsenz und Multifunktionalität im zivilen Bereich

Neben dem ursprünglichen militärischen Bereich erschien das Wappen sehr schnell auch im zivilen Bereich. Dabei war sein Gebrauch sehr vielfältig: Es diente der Kennzeichnung von Besitz, Berechtigung, Schutz, Gegenwart und Reise, von Rang, Amt und Herrschaft sowie von Stiftung und Gedächtnis. Ihm kam also neben einer schmückenden sowohl eine rechts- und herrschaftssymbolische als auch eine erinnernde Funktion zu. Meist trat das Wappen dabei im Verbund mit anderen Mitteln der Repräsentation oder aber im Verlauf von Handlungen auf.

Die rechtssymbolische Verwendung der Wappen in Form der Siegel wurde bereits erwähnt. Äußerst häufig erschien das Wappen auch in architektonischer Verbindung, so zum Beispiel an Wappenportalen oder als Innendekor in Wappensälen der Burgen oder Schlösser. Herrschaftliche Präsenz wurde demonstriert und für jedermann – je nach Positionierung der Wappen mal mehr, mal weniger – sichtbar gemacht. Als Markierung eines Herrschaftsraumes traten Wappen außerdem in Verbindung mit Grenzsteinen auf. Desweiteren wurde das Wappen als Schmuckelement aber vor allem auch als Eigentumszeichen auf kostbaren Gegenständen angebracht. Aufgemalt zierte es unter anderem Mobiliar oder Töpferwaren, wurde auf Silbergeschirr graviert, in Holzgefäße eingebrannt oder gar in die Kleidung eingearbeitet. Weitere Träger von Wappen stellten Münzen dar.

Schließlich dienten Wappen auf Grabsteinen oder -platten sowie die über dem Grab hängenden Totenschilde der Memoria, d. h. der Vergegenwärtigung bzw. Erinnerung und dem Gedenken an den Verstorbenen. Ebenso fungierten die vielen Stifterwappen in Bildern, auf Kirchenfenstern oder Kirchenwänden. In einem anderen Kontext wiederum konnte das Wappen an einen Aufenthalt oder eine Teilnahme erinnern, so zum Beispiel in den verschiedenen heraldischen Handschriften, welche aus politischem oder repräsentativem Anlass (Herrscherbesuch, Verhandlungen, Turnier etc.) hergestellt wurden.

Höchste heraldische Präsenz herrschte schließlich im höfischen Zeremoniell, bei dem sämtliche Vertreter des Adels zusammen kamen. Neben dem Turnier war besonders die Hochzeit Anlass, sich zu selbst möglichst prunkvoll darzustellen. Bei Leichenbegängnissen bzw. -feiern wiederum kam dem Wappen memoriale Funktion zu.

 

Zusammenfassung und Fazit

Das neue adlige Selbstverständnis fand im Wappen seinen sprechendsten Ausdruck. Es visualisierte das neue Identitätsbewusstsein des Adels, welches auf der seit dem 11. Jahrhundert europaweiten Neustrukturierung der herrschaftlichen Organisations- und Familienstrukturen basierte und in unmittelbarer Verbindung mit der Festigung des Lehnswesens sowie der Entstehung fester Herrschaftssitze, den Burgen, stand. Als dauerhaftes und vererbbares Abzeichen manifestierte es das neue Zusammengehörigkeitsempfinden der sich agnatisch definierenden Geschlechter, wirkte nach innen konstituierend und nach außen abgrenzend. Wie mit dem Namen identifizierte sich das Geschlecht auch mit seinem Wappen. Starb ein Geschlecht aus, war es oft Brauch, dessen Wappen über dem Grabe des Letzten symbolisch zu zerbrechen: Denn mit dem Hinscheiden eines Geschlechts erlosch zugleich auch dessen Wappenbild.

Gleichzeitig dokumentierte die Entwicklung des Wappenwesens einen allmählich aufkommenden Individualismus. Das geschlechtsspezifische Schildbild wurde seit dem 13. Jahrhundert spezifiziert und differenziert, der Einzelne durch Brisuren oder Helmzier hervorgehoben. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass ein Individualitätsbewusstsein im modernen Sinne im Hoch- und Spätmittelalter noch nicht existierte: Das Individuum verstand sich immer noch als Teil des Kollektivs und ordnete sein existenzielles Bewusstsein diesem unter. So versinnbildlichte auch das Wappen eher eine durch Gruppenzugehörigkeit definierte individuelle Identität. Der Einzelne vertrat sein Geschlecht und zeigte dies in seinem Wappen an.

Dennoch ist eine deutliche Tendenz zu einem repräsentativen, individuellen Selbstdarstellungs- und Abgrenzungsbedürfnis zu beobachten, welches mit dem Aufkommen des Rittertums als neue soziale Gruppe aufgekommen war. Der Krieger war nicht nur mehr Teil einer Gefolgschaft, sondern trat als Einzelkämpfer, als Ritter hervor. Dieses neue Selbstverständnis durchdrang die gesamte ritterlich-höfische Kultur: Der überragende Held als Individuum wurde – durch die literarische Stilisierung noch erhöht – zum gesellschaftlichen Modell, dem es nachzueifern galt. Der Adel – vom Herzog bis zum Ministerialen – identifizierte sich mit diesem neuen Mannesideal und repräsentierte sich als reitender und gepanzerter Krieger, sei es stilisiert auf den Reitersiegeln oder aber im Verlauf von Festen, Zeremonien, Turnieren oder im Krieg. Dem Wappen kam dabei als Schildschmuck und Statusabzeichen die entscheidende Rolle zu, es war das Instrument, diesem neuen Bedürfnis Ausdruck zu verleihen: Es kennzeichnete nicht nur seinen Träger, sondern repräsentierte, inszenierte und glorifizierte ihn, seine Fähigkeiten und Taten. Das Wappen war zugleich Manifest und Garantie seiner sozialen Anerkennung, seiner Würde und Ehre. Dieser durch die Wappen ausgetragene Prestigewettbewerb fand im Abreißen oder Schänden des gegnerischen Wappens seinen Höhepunkt.

Das Bedürfnis, Herrschaft, Macht und Anspruch durch das Wappen zu demonstrieren, weitete sich schnell auf den zivilen Bereich aus. Losgelöst von der ritterlichen Kampfausrüstung durchdrang das Wappen zunehmend die gesamte materielle Kultur des Adels: Es erschien auf Schmuck und Kleidung aber auch auf Gebrauchsgegenständen, in der Architektur und in den verschiedene Bereichen der darstellenden Kunst. Als Medium der Repräsentation vertrat es damit seinen Träger auch in dessen Abwesenheit.

Als Zeichen zielte das Wappen auf die visuelle Wahrnehmung des Gegenübers. Indem es für jedermann sichtbar positioniert wurde, funktionierte es: Es übermittelte dem Betrachter die vom Wappeninhaber gewollte Botschaft, welchen Inhalt diese auch haben oder in welchen Kontext diese stehen mochte. Vor allem für die mittelalterliche Welt, welche durch den vorherrschenden Analphabetismus stark auf das Visuelle ausgerichtet war, ist die Bedeutung dieser sichtbaren Bildersprache kaum hoch genug einzuordnen.

 

Literatur

BRANDT, Ahasver von/ FUCHS, Franz [Bearb.] Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 17. Aufl., Stuttgart 2007.

FILIP, Václaf Vok: Einführung in die Heraldik, Stuttgart 2000.

GALBREATH, D. L./ JÉQUIER, Léon: Handbuch der Heraldik, München 1989.

HILDEBRANDT, Adolf Matthias [Begr.]/ BIEWER, Ludwig [Bearb.]/ Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften [Hrsg.]: Handbuch der Heraldik. Wappenfibel, 19. Aufl., Neustadt a. d. Aisch 1998.

SCHEIBELREITER, Georg: Heraldik, Wien/München 2006.

SCHEIBELREITER, Georg: Wappenbild und Verwandtschaftsgeflecht. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Forschungen zur Heraldik und Genealogie, Wien/ Köln/ Weimar 2009.

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