
In den letzten 12 Kriegsmonaten starben mehr Menschen als im ersten Weltkrieg. Dennoch war bereits nach der Niederlage in Stalingrad sehr deutlich erkennbar, dass das deutsche Reich den Krieg nicht mehr gewinnen konnte. Ian Kershaw wirft die Frage auf, warum die Deutschen bis zum Ende kämpften und zu Adolf Hitler standen.
Üblicherweise – das zeigt die Geschichte – ist ein totaler Krieg unüblich. Wenn deutlich wird, dass ein Krieg verloren ist, kommt es innerhalb des Landes zu Revolutionen oder Machtwechseln innerhalb der Führungselite. In Deutschland hat sich dies am Ende des Ersten Weltkrieges ereignet. Deutsche Matrosen sollten zu einer letzten hoffnungslosen Schlacht auslaufen und meuterten. Es entwickelte sich eine Revolution von unten, die dem Krieg ein Ende bereitete und neue politische Verhältnisse schuf. Im 2. Weltkrieg war in Deutschland jedoch keine Revolution und kein Putsch absehbar. Kershaw führt dies auch auf das Attentat vom 20. Juli 1944 zurück. Nach diesem stieg die Popularität Hitlers enorm an – zudem wurden in der Wehrmacht Offiziere durch absolut ideologietreue Parteimitglieder ausgetauscht. Die gesamte Wehrmacht wurde nationalsozialistischer.
Desweiteren wurde in Deutschland die Normalität des Alltags gewahrt. Bis zuletzt wurden Opernaufführungen und Fußballspiele abgehalten, die Post wurde verschickt, die Rüstung produzierte und die Menschen gingen ihrer Arbeit nach. Die Popularität Hitlers sank erst gegen Ende des Krieges enorm. Die intakte Bürokratie wirkte zudem gegen einen Aufstand der Bevölkerung. All dies erklärt die Durchhaltefähigkeit der deutschen Bevölkerung – und des nationalsozialistischen Regimes.
Ein interessantes Interview, das von Jan Fleischhauer mit Ian Kershaw geführt wurde, ist im aktuellen SPIEGEL (Nr. 46) auf Seite 50 erschienen.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-B06275A / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons