Über das Thema habe ich schon häufiger nachgedacht und komme immer wieder zum gleichen Ergebnis. Ich würde die Sache mit dem Separatismus längerfristig und umfassender betrachten.
Im Laufe der europäischen Geschichte haben sich schon häufig neue Nationen gebildet. Um 1500 erlangten die Niederländer ihre Unabhängigkeit – im Westfälischen Frieden von 1648 endgültig bestätigt. Auch Länder wie Österreich und Luxemburg sind historisch gesehen noch recht junge Nationen und sie verstehen sich heute auch als eigene Nation. Wer will ihnen das heute noch absprechen? Noch jünger ist die Ukraine – auch sie versteht sich heute als eigene Nation. Das wird aber nicht von allen Seiten vorbehaltlos akzeptiert, wie man sieht. Wie die Teilung einer Föderation, in der eben nicht mehr alle Volksgruppen bleiben möchten, so richtig schief gehen kann, hat man am Beispiel Jugoslawiens in den 1990er Jahren gesehen. Blutiger konnte das wohl kaum noch ablaufen.
Fragen, die sich mir angesichts der aktuellen Ereignisse (Stichwort: Katalonien, Schottland, Venetien und Lombardei) aufdrängen sind:
Wie könnte eine Landkarte Europas in Zukunft aussehen? Werden die Nationen letztlich zerfallen und wird sich Europa regionalisieren?
Und hat die EU eine Zukunft (Stichwort: Brexid, EU-Skepsis in Ungarn, Polen usw.)?
Neue Nationen werden nach meiner Auffassung immer wieder entstehen. Die Gründe etwa im Fall von Jugoslawien, wie auch im Fall von Katalonien sind zum einen natürlich Geld (wirtschaftlich starke Regionen wollen nicht permanent für wirtschaftlich schwächere zahlen), aber auch eine Entfremdung von bestimmten Volksgruppen. Diese Entfremdung sehe ich auch in einer sprachlichen Entwicklung – z. B. Entstehung von Sprachbarrieren: Durch Lautverschiebungen entwickeln sich Dialekte langsam zu eigenständigen Sprachen auseinander. Und irgendwann will so eine Volksgruppe vielleicht auch einen eigenen Staat – wie gesagt, das hat es in der Vergangenheit schon immer gegeben und wird es möglicherweise auch in der Zukunft geben. Verwehrt man solch einer Volksgruppe selbst die Möglichkeit, in einem Referendum über die Unabhängigkeit abstimmen zu dürfen, wie im Fall von Spanien/Katalonien, wird dieses Volk die weitere Zugehörigkeit zu Spanien als erzwungene Fremdherrschaft betrachten.
Demokratie soll namentlich die ,,Herrschaft des Volkes“ sein. Aber was, wenn sich eine Volksgruppe gar nicht mehr zum Gesamt-,,Volk“ zugehörig fühlt und diesem ein Autonomiestatus nicht mehr genügt? Und wie demokratisch ist ein Vorgehen, wie in Spanien?
Gegenargumente sind ja: Europa braucht keine weitere ,,Kleinstaaterei“. Abspaltungen waren fast immer unerwünscht. Aber trotzdem hat es sie immer gegeben und man wird wohl eine rechtstaatliche Regelung für die Zukunft finden müssen, denke ich.
100%ige Zustimmung wird sowieso nie jemand erreichen. Referenden sind immer Mehrheitsentscheidungen. In Katalonien war bspw. aber noch nicht einmal die ungestörte Durchführung eines Referendums möglich, weil die spanische Verfassung dies verbietet. Separatisten wurden (und werden) in Spanien kriminalisiert – Wahllokale wurden besetzt, Wahlurnen beschlagnahmt und Bürgermeister der Separatistenbewegung festgenommen.
Das wurde in Großbritannien besser gelöst und es führte nicht zur Abspaltung Schottlands, weil eine öffentliche Diskussion stattfinden konnte, in der jeder Bürger sich seine Meinung bilden konnte. Das alles war in Spanien nicht möglich. Und obwohl die Durchführung des Referendums in Katalonien gestört wurde, erreichten die Separatisten bei einer Wahlbeteiligung von etwa 42% eine Zustimmung von 90%. Ich würde nicht davon ausgehen, dass die Nichtwähler alle mit Nein gestimmt hätten.
Das Problem ist, je restriktiver eine eigentlich friedliche Bewegung bekämpft wird, um so mehr Zustimmung erhält die Bewegung voraussichtlich. Letztlich erreicht ein Staat bei der Anwendung von Gewalt das Gegenteil davon, was er erreichen will.
Mehr noch: Mit zunehmender Gewalt, die vom Staat ausgeht, erhöht sich die Gefahr, dass sich auch in der Separatistenbewegung radikalere und gewaltbereitere Stömungen durchsetzen – was in Katalonien bisher noch als undenkbar angesehen wird.
Übrigens hat sich eine Voraussage von mir vom 09.04.2014 klar bestätigt, als ich in unserem Forum schrieb:
,,Das wird auf jeden Fall noch großen Ärger geben. Das steht für mich jetzt schon fest.“
Meine Vorstellung zum Thema wäre, dass eine per Referendum nach Unabhängigkeit strebende Region die UNO anrufen können müsste. Danach müsste ein internationales, rechtstaatliches Verfahren in Gang gesetzt werden, in dem der entstandene Konflikt auf eine Art gelöst wird, der alle Parteien zufriedenstellt. Es muss auch nicht immer zur Unahängigkeit der betreffenden Region führen – vielleicht genügt auch eine Stärkung des Autonomiestatus und eine Reform der Staatsfinanzen. Führen solche Verhandlungen aber doch zur Abspalung, muss diese in das rechtstaatliche Verfahren unter dem Schirm der UNO eingebettet werden. Nur so werden in Zukunft Eskalationen und im Extremfall sogar bürgerkriegsähnliche Situationen oder Terrorismus vermieden werden können.
Selbst für Letzteres gibt es mit dem Baskenland in Spanien oder Südtirol in Italien sehr negative Beipiele, die letztlich befriedet werden konnten. Wenn man früher einvernehmlich handelt, kann sinnlose Gewalt verhindert und Menschenleben geschützt werden.
Und auch in der EU wird man sich in dieser Frage Gedanken darüber machen müssen, wie ein Prozess, wie in Katalonien, in den europäischen Rahmen eingebettet werden kann, wenn sich die EU als Zukunftsprojekt verstehen will.