Priester, Priesterinnen und Seherinnen – spirituelle Praktiken

Priester, Priesterinnen und Seherinnen spielten in der religiösen Welt der Germanen, wie auch in der Politik des jeweiligen Stammes oder Stammesverbandes eine bedeutende Rolle. Obwohl die Quellenlage hierzu eher dürftig ist – hauptsächlich können wir und nur auf die Überlieferungen des Römers Tacitus stützen, wird angenommen, daß hier keine so ausgesprochene Priester-Hierarchie, wie durch die keltischen Druiden errichtet worden war. Vielmehr scheinen sich Rangstufen unter den Priestern der Germanen lediglich durch die Bedeutung des Dingplatzes ergeben zu haben (s. Tacitus, Germ. 12). Priester hatten auf dem Ding Befehlsgewalt, auch das Recht der Bestrafung stand ihnen zu (Germ. 11). So war es in Kriegszeiten nur dem Priester, nicht aber einem anderen Anführer erlaubt, jemanden zu fesseln, auszupeitschen oder gar hinzurichten, gleichsam auf Befehl der Gottheit, an deren hilfreiche Anwesenheit im Kampfe sie glauben (Tacitus, Germ. 7). Der sacerdos civitatis nahm offenbar die Kulthandlungen im Namen der gesamten civitas als rex sacrorum vor. Ein Priester ist jeweils für das Nerthus- und das Alcisheiligtum überliefert. Die beim Priester der Alcis überlieferte weibliche Kleidung (muliebris ornatus) wird als Phänomen des Transvestismus und als Nachklang des weiblichen Schamanentums gedeutet (S. A. Tokarev, 1968, S. 286).

Vorzeichen und Loswerfen waren wichtige Voraussetzungen sowohl für das offizielle, wie für das private Orakel. Die Losstäbe waren aus dem Zweig eines fruchttragenden Baumes und trug eingeritzte Zeichen, die verschiedene Aussagen ermöglichten (Tacitus, Germ. 10). Fiel die Antwort günstig aus, wurde durch andere Vorzeichen, die sich z. B. aus den Stimmen und der Flugrichtung der Vögel ergaben, eine Bestätigung gesucht. War die Antwort negativ, so verzichtete man auf eine Fortsetzung des Losorakels.

Im privaten Bereich betete der Familienvater beim Staborakel als Hauspriester zu den Göttern. Als Vorsteher eines Gau- oder Stammesheiligtums (sacerdos civitates) handhabte der Priester das offizielle Losorakel in Friedenszeiten in gleicher Weise wie der Familienvater.

Für Oberdorla (Thüringen – siehe Weblink unten) konnte auf Grund von schriftlichen Überlieferungen und archäologischen Untersuchungen eine solche Opferzeremonie nachgestellt werden (aus PM in Zusammenarbeit mit dem Thüringischen Landesamt für Archäologische Denkmalpflege Weimar, vertreten durch Frau Dr. Sigrid Dušek):

>Eingehüllt in einen weißen wollenen Umhang, steht ein Hermunduren-Priester in dem kleinen Heiligtum, das von einem Flechtwerkzaun umschlossen ist. Innerhalb des abgegrenzten Bezirks überragt die Einfriedung ein langer Stab aus Eichenholz, auf den der Schädel eines Rindes aufgespießt ist. Im Zentrum des Allerheiligsten steht ein Holzidol in Menschenform – Stellvertreter der Fruchtbarkeitsgöttin, der die Opferzeremonie gilt. Davor: ein rechteckiger Altar, etwa einen Meter hoch; er besteht wie der Zaun aus Weidengeflecht und ist mit Grassoden abgedeckt. Nur der Priester hat Zugang zu diesem heiligen Ort – mit seinem Kultstab weiht er den Pferdekopf auf dem Altar. Der Göttin wird ein Pferd geopfert, »damit das Leben draußen in den Dörfern und Fluren pulsieren kann«, schrieb Günter Behm-Blancke vom Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar, der zu Lebzeiten einer der angesehensten Archäologen der DDR war. »Denn wehe, wenn zur rechten, festgesetzten Zeit nicht geopfert wird und die Göttin zürnt! Dann hält der Mond, ihr Gestirn, den Regen zurück, die Quellen aus dem Reich der Unterwelt versiegen, die Felder trocknen aus, die Saat verdorrt, die dürren Weiden können das Vieh nicht ernähren. Schreckliche Hungersnot bricht aus, Seuchen verwüsten das Land, das Strafgericht der Götter lastet schwer auf Mensch und Tier, die sie in Scharen in ihr Totenreich holt. Die Göttin muss also gnädig gestimmt werden. Es muss gesühnt, es muss gedankt werden.

Bevor ein Priester im Rundheiligtum seines Amtes waltete, wurde das Opfertier erst einer rituellen Handlung unterzogen: Man tränkte es und wusch es mit Wasser aus dem See. Dann traten die Fackeln tragenden Opferdiener in Aktion: Sie führten das Pferd um den Altar und dann dreimal um das ganze Rundheiligtum. Danach berührte der Priester das Tier mit einem frischen Zweig, bevor der Schlachter es mit einer Schlinge strangulierte – begleitet von den Gebeten der Stammesgemeinde. Das Pferd wurde mit dem Kopf nach Westen auf den Boden gelegt, und der Schlachter verkündete den Tod des Tieres. Nach einem strengen Ritual zerlegen nun die Opferdiener den Kadaver – zuerst grob mit dem Beil, dann mit einem zweischneidigen Messer, wobei der Schlachter nur eine Seite benutzen durfte; die andere war geweiht und allein dem Priester vorbehalten. Nur bestimmte Teile des Tieres galten als »opferfähig«; dazu gehörten Herz, Zunge, das Bruststück, sorgfältig herausgelöste ganze Knochen und der Kopf als Träger der Lebenskraft. Der Pferdekopf war dazu bestimmt, auf dem Altar den Göttern geweiht zu werden; die makellosen Knochen wurden in Gefäßen vor der hölzernen Götterfigur und der langen Holzstange mit dem Rinderkopf niedergelegt.

…Die Stammesmitglieder sind zur Opferzeremonie versammelt. In gebührendem Abstand vom Heiligtum haben sie sich auf dem Kultplatz am Ufer des Sees im Halbkreis aufgestellt. Ein Opferdiener hält eine Fackel; vor einigen Stammesmitgliedern stehen Schalen, Körbe und Tröge. Ehrfürchtig blicken alle auf den Priester, der am Altar steht und das abgerundete Ende eines von der Rinde befreiten Haselnussstocks über den Kopf des Opfertieres hält. Dieser Stab ist das Zeichen der Würde und Macht des Priesters – nur er darf ihn verwenden, um damit die Verbindung zwischen dem Opfertier und den höheren Mächten herzustellen. Der Höhepunkt der Opferhandlung steht jetzt unmittelbar bevor: das »heilige Mahl«.
Diese Zeremonie fand üblicherweise außerhalb des Heiligtums auf dem umliegenden Kultplatz statt: Ein Teil des Fleisches wurde auf Feuerstellen gebraten; aus dem anderen Teil kochte man in einem Behälter Opferbrühe. Mit dem gemeinsamen kultischen Verzehren des Tieres verbanden die Germanen tiefe religiöse Überzeugungen. Sie glaubten, dass dadurch die besonderen Kräfte des geweihten Opfertieres auch auf sie übergingen – und damit die göttliche Kraft. Gleichzeitig wurde aber auch die Gottheit durch dieses gemeinsame Essen gestärkt. Denn in der Vorstellung der Germanen – so, wie wir sie aus den antiken Überlieferungen kennen – brauchten ihre Götter ständig neue Nahrung, um ihre Kraft zu bewahren und zu steigern.<

Was die Wissenschaftler heute über die Tieropferzeremonien und das heilige Mahl der Germanen in Thüringen um Christi Geburt aussagen, ist keine Spekulation, sondern das Ergebnis der Auswertung historischer Quellen und der Ausgrabungen.

In Kriegszeiten bestimmten bzw. beeinflußten laut Cäsar (Bell. Gall. 1, 30-54) der Orakelspruch der Familienmütter, ob man in eine Schlacht ziehen sollte oder nicht. Wie eine bevorstehende schwere Schlacht ausgehen würde, erforschte man dadurch, daß man einen Kriegsgefangenen mit einem ihrer auserlesenen Männer kämpfen ließ und zwar jeden mit den Waffen seiner Heimat (Tacitus, Germ. 10).

Sogenannte Blut- und Eingeweideorakel in Verbindung mit Menschenopfern sind von den Kimbern bezeugt (Strabon, Geographica 7, 294). Priesterinnen gingen barhäuptig, mit einem Schwert in der Hand, in das Lager der Kriegsgefangenen, bekränzten die für das Opfer Vorgesehenen, führten sie zu einem ehernen Mischkessel und weissagten aus dem in diesem Kessel strömenden Blut der geopferten Gefangenen.

Andere wiederum weissagten aus den Eingeweiden der Toten. Durch diese Schau sollte vor einer Schlacht der Ausgang vorhergesagt werden und das Töten eines Gefangenen stellvertretend für alle Gegner sein. Das Menschenblut-Orakel der Kimbern dürfte den gleichen Sinn gehabt haben.

Der Glaube an die seherische Gabe bewirkte eine göttliche Verehrung einiger Schicksalsverkünderinnen und deren bedeutenden Einfluß auf die Politik. Die berümteste Seherin war wohl Veleda aus dem Stamm der Brukterer. Sie wohnte in einem Turm und ein von ihr Bevollmächtigter übermittelte wie ein Dolmetscher einer Gottheit sowohl die an sie gerichteten Fragen, als auch ihre Antworten. Als Zeichen der Verehrung erhielt sie während des Bataveraufstandes viele kostbare Geschenke (Tacitus, Hist. 4, 54-79, 5, 14-26). Ihr Wort galt bei Verträgen und bei Entscheidungen über Krieg und Frieden (Tacitus, Hist. 4, 54-79, 5, 14-26).

Zu den Seherinnen gehörten auch Albruna (Tacitus, Germ. 8) und Ganna. Diese begleitete den Semnonenkönig Masyos auf einer Reise nach Rom zum Besuch des Kaisers Domitian (Dio Cassius 67, 5, 3).

Nur einmal erwähnt die Überlieferung einen Seher, den der römische Kaiser Domitian aus Germanien an seinen Hof kommen ließ. Dieser Seher wurde vom Kaiser zum Tode verurteilt, weil er – wegen eines Blitzschlags befragt – einen Umschwung der Dinge prophezeit hatte. Domitian soll am gleichen Tage der Weissagung gestorben sein (Suetonius, Domitian 16).

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