Die Dorische Wanderung

 
„Der Ursprung des Dorischen Stammes liegt in den Gegenden, wo gegen Norden die Griechische Nation an ganz verschiedene, weit verbreitete Stämme der Barbaren gränzt. […] Das Hauptgesetz dieser Bewegungen war ein stetiges Vordringen der barbarischen Stämme, besonders der Illyrier, gegen welches sich auffallender Weise Griechenland, obgleich dadurch fortwährend gedrückt, beschränkt und selbst Theile seines Ganzes dadurch verlierend, doch nie zu einmüthiger Gegenwehr vereinigte: wohl deswegen, weil das Gesicht von Griechenland durchaus nach Süden gekehrt, alles Augenmerk dahin gerichtet war.“
Der mythische Hintergrund dieser Annahmen besteht in der Sage von der „Rückkehr der Herakleiden“. Herakles, der größte griechische Held, wohl noch aus mykenischer Zeit, hatte von Geburt wegen das Erbe von Mykene und Tyrins erhalten. Doch auf Drängen der Hera hatte der der Göttervater einen Schwur abzulegen, dass derjenige Prinz, der vor Anbruch der Natur geboren würde, König werden sollte. Mit List erreichte die Göttergattin die frühe Geburt des Eurystheus, der daraufhin das Erbe antreten konnte, und Herakles hatte ihm zu Diensten zu sein. Nach vielen Abenteuern zeugt der Held einen Sohn namens Hyllos, den er aber wegen anderweitiger Heldentaten dem König der Peloponnes, Aegimios, zur Adoption übergibt. Aus Dankbarkeit schenkt dieser dem Hyllos ein Drittel seines Königreichs, so hatte dieser und seine Gefolgsleute Platz zum Leben. Als nun Herakles in den Götterhimmel aufgestiegen war, fasst sein alter Widersacher Eurystheus Mut und vertreibt die Nachfahren des Herakles aus der Peloponnes, woraufhin sie nach Athen fliehen und dort trotz der Drohungen des Eurystheus gastfreundlich aufgenommen werden. Nun kommt es zum Kampf: unvermeidlich greift König Eurystheus die Athener an – doch die versammalten Heere unter Iolaos und Hyllos auf der Seite der Herakliden, Theseus auf der Seite der Athener schlagen die Angreifer zurück, Eurystheus muss in seinem Wagen fliehen, wird von Hyllos verfolgt und schließlich am Skironischen Felsen erschlagen. Nun hätten die Enkel des Herakles ihr angestammtes Erbe antreten können und sich wieder an der alten Stätte niederlassen. Doch es kommt anders: Nach einem Jahr bricht eine entsetzliche Pest aus, und ein Orakel verkündet, die Herakliden seien „vor der bestimmten Zeit“ zurückgekehrt. Einem Orakel muss man folgen, und so setzen sich die Leidgeprüften erneut in Bewegung, diesmal bis nach Marathon hinauf. Doch wollte Hyllos wissen, wann denn nun die „bestimmte“ Zeit angebrochen sei, befragte das Orakel zu Delphi und bekam zur Antwort: „Nach der dritten Frucht.“ Die Verbannten dachten, damit seien drei Jahre gemeint, in guter Hoffnung brach das Heraklidenvolk demnach nach drei Jahren erneut auf. Doch bei einem Zweikampf am Isthmus kam ihr Führer ums Leben. Wie so oft hatte man sich in der Deutung des Orakelspruchs getäuscht: nicht das dritte Jahr, sondern die dritte Generation war gemeint, und so dauerte die Verbannung weitere hundert Jahre. Endlich aber war es soweit: unter der Führung des Enkels von Hyllos, dem Temenos, nahmen die Herakliden endlich wieder das Land ihrer Vorväter in Besitz. In drei Lose teilte man das Land: Lakedaimon, Argos und Messenien standen von nun an unter der Herrschaft der Urenkel des Herakles.
Nach der alten Theorie sollen um 1200 v.Chr. barbarische Stämme aus dem Nordwesten – dem Gebiet der ungarischen Tiefebene – gen Süden gezogen sein. Es ist klar, dass man diese Wanderung mit dem Seevölkerstrum in Verbindung brachte. Diese Dorier also drangen unter Auslassung von Attika in den Peloponnes vor, zerstörten die mykenischen Paläste, unterwarfen die einheimische Bevölkerung – die sogenannten Achaier, aber auch Pelasgier und Ionier – und siedelten sich dort an. Teile der Achaier, insbesondere den ionischen Stämmen zugehörige Achaier, entzogen sich der Unterdrückung durch Flucht auf die ägäischen Inseln. Wie die Vorstellung vom Seevölkersturm wird auch diese Landnahme als Sturm verstanden, doch alle Zeugnisse deuten auf einen allmählichen Zustrom von Einwanderen aus dem Nordwesten. Insbesondere die These von der Zerschlagung der mykenischen Kultur durch dorische Krieger hält man heute nicht mehr aufrecht, da ja diese Kultur auch nach der Zerstörung der Paläste noch 150 Jahre weiterbestand – ohne dass man in dieser Zeit Anzeichen dorischer Artefakte gefunden hätte. Man wird daher die sogenannte Dorische Wanderung auf die Zeit um oder nach 1050 datieren, und es ist noch nicht einmal klar, ob sich dahinter kriegerische Konflikte verbergen oder nicht vielmehr das Bevölkerungsvakuum in Griechenland durch fremde Zuwanderer ausgefüllt wurde.
Was auch immer geschehen sein mag beim Untergang Mykenes – ab der sogenannten protogeometrische Zeit, die um 1050 beginnt, krempelte sich Bevölkerung, Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft – einfach alles, was menschliches Zusammenleben ausmacht, grundlegend um.
Indessen endeten die Wanderungsbewegungen mit dem Einmarsch der Dorier nicht. Einerseits wurden Festlandgriechen (vor allem Aioler) durch den Druck der eindringenden Völkerscharen auf die Ägäis getrieben, im Verlauf dieser ersten Inselbesiedlung wurden die Inseln Lesbos und der nördliche Teil der anatolischen Küste griechisch. Andererseits widersetzte sich die einheimische Bevölkerung den Doriern.
In diesen Jahrhunderten also entsteht Hellas.

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