Stasis

Eine erste, wesentliche Einteilung, die Christian Meier vertikal nennt, existiert zwischen Unfreien, Frauen und Periöken auf der einen, und den männlichen freien Bürger auf der anderen Seite – die letzten bilden die eigentliche Klasse der Herrschenden, wenn sie auch diese Herrschaft nicht kollektiv und institutionell verankert ausüben. Doch unterscheiden sich dagegen die eigentlichen Adelsfamilien nicht grundlegend von den Bauern: zwischen Großbauern und Aristokraten stand meist nur eine konstruierte Traditionslinie, die Herleitung des genos auf einen eponymen Heroen oder gar Gott. In gewisser Weise unterscheiden sich zunächst sich zumindest in den frühesten Zeiten Bauer und Adel vor allem in der Eigenart der Selbstarbeit (autourgos): Ein Adliger ließ arbeiten und beschäftigte sich lieber mit Sport, Reisen und damit einhergehend Raubzügen und Handel. Viele Adelshäuser hatten eine bestimmtes Priesteramt inne, brachten es jedoch nicht dahin, eine Priesterkaste auszubilden, die – wie in anderen Kulturen, etwa des Orients – religiöse, erzieherische und sonstige kulturellen Aufgaben übernehmen konnten: sie blieben Weihepriester und Mysterienvorsteher, hatten jedoch keinen bevorzugten Zugang zu den Göttern, sondern spielten lediglich eine von der Tradition festgesetzte Rolle; darüber hinaus hatte jeder Vorstand eines Hauses durch die Verehrung des Herdes eine priesterliche Funktion inne. Insbesondere gab es keine wirtschaftliche Abhängigkeit wie im Klientelsystem in Rom. „Nie sind die Bauern gegenüber den Adligen abgabepflichtig geworden.“ Die Folge davon war ein Streben nach weitgehender Autarkie sowohl innerhalb der adligen Schicht als auch innerhalb der Bauernschaft. Dieses Autarkiestreben bedeutete aber zugleich einen teilweisen Verzicht des Adels auf Politik im engeren Sinne, und das hieß Machtsicherung und -ausbau.

Trotz allem: mit dem Autarkiestreben der Aristokratie musste zwangsläufig auch eine Differenzierung stattfinden. Einige betrieben größere Handelsgeschäfte, an der kleinasiatischen Küste besonders ausgeprägt, auch die Korinthischen Bakchiaden, dort herrschende Adelsdynastie investierte nicht nur in In- und Export, sondern errichtete auch kleine Manufakturen zur Herstellung von Töpferware. Somit erzeugte dieser „mittelständische“ Reichtum einen Druck auf zwei Seiten dieser bislang starren Gesellschaft: die kleinen Bauern verarmten, und die politischen Ansprüche der aufstrebenden Großgrundbesitzer wuchsen.
Ein weiteres Moment kommt hinzu. Seit 750 hatte der Bevölkerungsdruck zu einer beispiellosen Kolonisation geführt. Zwar stand diesen Expeditionen üblicherweise ein Aristokrat als Oikist vor. Doch konnte er Mitstreiter nur gewinnen, wenn er den ärmeren Bevölkerungsschichten gleiche Landlose versprach, und so formten die Erstsiedler in den Apoikien eine gleichartige Gemeinschaft, was sich in den nachfolgenden Siedlergenerationen ändern sollte. Solche Gleichstellung erweckte jedoch Begehrlichkeiten in den Mutterstädten: man konnte an den Verfassungen der Kolonien ersehen, was politisch möglich war. So kamen eine Menge miteinander verflochtener Ursachen zusammen, welche die alte soziale Harmonie und Behäbigkeit Schritt für Schritt auflöste: innerhalb des Adels bildeten sich verschiedene Teilinteressen aus, zwischen den Bevölkerungsschichten vertieften sich die Vermögensunterschiede, und neue Eliten, die von er aufkommenden Geldwirtschaft profitierten, schoben sich in das gesellschaftliche Gefüge und fügten ihm Risse zu.
Bürgerkrieg brach vieler Orten aus, oder er schwelte. Die Lösungen, die man sich einfallen ließ, teilten sich im wesentlichen in zwei Lager: Tyrannis oder Verfassung.

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