Universität —-
Sommersemester 2003
Fachbereich: Geschichte und Soziologie
Proseminar: Medien und Kommunikation in der Frühen Neuzeit
Zeitungen und Zeitschriften im 18. Jahrhundert
Ch. St.
—–
Studienfächer: ——-; 4. Fachsemester.
—–
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Historische Zeitungsforschung heute
1.1. Forschungsstand und Forschungsproblematik
1.2. Begriffsbestimmung
2. Geschichte
2.1. Entstehung von Zeitung und Zeitschrift
2.2. Zeitung in der Tradition von Flugblätter und Flugschriften
3. Zeitgenössische Exemplare
3.1. Zeitung: Die Vossische Zeitung
3.2. Zeitschrift: Die Moralische Wochenschrift – Der Patriot
4. Öffentlichkeit und Aufklärung
4.1. Entwicklung einer bürgerlichen Öffentlichkeit
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit soll im Rahmen des Proseminars „Medien und Kommunikation in der Frühen Neuzeit“ folgende These bestätigen: Im Zuge der Aufklärung entwickelte sich im 18. Jahrhundert in Ansätzen eine bürgerliche Öffentlichkeit. Wichtigstes Medium dieser Zeit waren die frühen Zeitungen und Zeitschriften. Um eine Strukturierung zu erreichen ist die Arbeit in vier Teile untergliedert. Beginnend wird auf den aktuellen Forschungsstand und die Probleme, die sich hierbei ergeben, eingegangen. Des Weiteren wird in diesem Kontext eine Begriffsbestimmung von Zeitung und Zeitschrift vorgenommen. In Gliederungspunkt 2 setzt sich diese Arbeit mit der Entstehungsgeschichte und der Entwicklung des Pressewesens auseinander. Anhand der historischen Entwicklung, die zur massenhaften Verbreitung des Mediums Zeitung führte, soll gezeigt werden, dass sich die Medien im Laufe der Frühen Neuzeit rasant zu verändern begannen und weiterentwickelten. Anschließend soll geklärt werden, ob und wie stark die Zeitungen des 18. Jahrhunderts in der Tradition der Flugblätter und Flugschriften standen. Da es aufgrund zahlreicher Neugründungen von Zeitungen und Zeitschriften zu einer allmählichen Ausdifferenzierung kam und die Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft eine große Vielfalt aufwies, fällt es schwer, allgemein gültige Aussagen zu treffen. Deswegen wird in Abschnitt 3 für beide Gattungen jeweils ein zeitgenössisches Exemplar vorgestellt. Im letzten Gliederungspunkt soll auf die Entwicklung einer Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der fortschreitenden Zeitungsentwicklung eingegangen werden. Die leitende Fragestellung ist dabei die folgende: Wie und was veränderte sich gesellschaftlich wegen oder mit Hilfe der Presse und wie veränderte sich damit auch die Presse selbst?
Zum Pressewesen gibt es eine immense Fülle von Veröffentlichungen. Die der Hausarbeit zugrundeliegende Forschungsliteratur spiegelt deshalb ausschließlich einen kleinen Teil der Literatur wieder, die sich mit der Zeitungsforschung beschäftigt.
1. Historische Presseforschung heute
1.2. Forschungsstand und Forschungsproblematik
Insgesamt sind die Vorläufer der Zeitschrift recht gut erforscht. Zu einigen Zeitschriftengruppen ist die Forschung jedoch noch nicht weit vorgedrungen, denn die Erforschung erfolgt nur schwerpunktmäßig. Von einigen Nachbarwissenschaften wurden aber immer wieder Teilergebnisse zur Zeitschriftenforschung vorgelegt. Nicht anders schaut es bei den Zeitungen aus. Gründe für die unterentwickelte Forschungslage liegen zum einen darin, dass den Zeitungen keine historische Bedeutung zugesprochen wurde, und so bereits in frühester Zeit viele Zeitungen der Vernichtung zum Opfer fielen. Am ehesten fanden Zeitungen, die in größerer Auflage erschienen oder sich besonders lange auf dem Markt halten konnten und bestimmte Zeitschriftengattungen, wie wissenschaftliche Zeitschriften, Eingang in Archiven. Erst in den letzten Jahrzehnten entwickelten die Archive Interesse für die frühe Presse. Folgende Gründe sprechen für die besondere Relevanz der historischen Zeitschriftenforschung: Gerade Zeitschriftengründungen spiegeln das Interesse einer bestimmten Zeit wieder. Werte- und sozialer Wandel lassen sich an den Zeitschriften und ihrer Geschichte ablesen. Ohne sie wäre der öffentliche Diskurs nicht nachvollziehbar, denn sie sind „wesentliche Träger der Kulturkommunikation“. Es fällt jedoch schwer, die wahre Größe des Zeitschriften- und Zeitungsmarktes zu beurteilen, da sich viele Zeitschriften und Zeitungen nicht lange auf dem Markt halten konnten oder unter anderem Namen fortgesetzt wurden. Aus der großen Vielfalt in der Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ergibt sich, wie im nächsten Punkt gezeigt werden soll, das Problem, dass sich eine einheitliche Gattungssystematik kaum aufstellen lässt.
1.3. Begriffsbestimmung
Während des 17. Jahrhunderts entwickelten sich die Zeitungen und die Zeitschriften als neue Gattungen der periodischen Publizistik. Jedoch ist bisher eine wissenschaftlich befriedigende Abgrenzung der Medien Zeitung, Zeitschrift und anderer periodischer Druckwerke nicht gelungen.
Die Zeitung bildete sich im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts heraus. Emil Dovifat, ein Publizist, definierte die Zeitung wie folgt: „Die Zeitung vermittelt jüngstes Gegenwartsgeschehen in kürzerster regelmäßiger Folge der breitesten Öffentlichkeit“. Die Merkmale der Zeitung sind demnach: Publizität, Aktualität, Universalität und Periodizität. Diese waren jedoch den Vor- und Frühformen dieses Mediums nicht oder nur in eingeschränktem Maße zu eigen, sie bildeten sich vielmehr erst im Laufe der Frühen Neuzeit heraus. Auf die um 1600 entstandenen Wochenblätter trifft diese Definition bereits zu. Denn erst seitdem 1609 die ersten Wochenzeitungen erschienen, „Avisa“ oder „Relationen“ genannt, nahm der Ausdruck „Zeitung“, wenn auch nur allmählich, den uns geläufigen spezialisierten Sinn an. Zwar erschienen im 16. Jahrhundert die sogenannten „Neue Zeitungen“, die Bezeichnung „Zeitung“ war aber noch kein verbindlicher Terminus und wurde noch nicht im heutigen Sinn verwendet. Vielmehr bedeutete es Antwort, Botschaft, Nachricht oder Bericht von einem Ereignis. Es wäre deshalb falsch, nur die Schriften als „Zeitung“ zu berücksichtigen, welche das Wort „Zeitung“ im Title führten. Neben der Zeitung entwickelte sich noch im 17. Jahrhundert die Zeitschrift. Das Wort „Zeitschrift“ tauchte erstmals im Jahr 1751 auf. Bis zum Anfang des
19. Jahrhunderts wurden Bezeichnungen wie Journal, Monatsschriften oder Tagebuch anstelle des heutigen Sammelbegriffs „Zeitschrift“ verwendet.
Dovifat definiert die „Zeitschrift“ folgendermaßen: Sie ist ein
fortlaufend und in regelmäßiger Folge erscheinendes Druckwerk, das einem umgrenzten Aufgabenbereich oder einer gesonderten Stoffdarbietung dient. Danach bestimmt sich ihre Öffentlichkeit, ihre Tagensbindung, […] die Mannigfaltigkeit ihres Inhalts und die Häufigkeit ihres Erscheinens.
Die Zeitschrift hat laut dieser Definition mit der Zeitung die Merkmale Publizität und Periodizität gemeinsam. Dagegen ist eins oder beide der Merkmale Aktualität und Universalität nur abgeschwächt oder gar nicht vorhanden. Diese Begriffsumschreibung nach Dovifat fasst das Zeitschriftenwesen insgesamt. Jedoch bleibt es dahingestellt, ob es sinnvoll ist, eine so breit angelegte Zeitschriftenvielfalt, die von der Illustrierten bis zur wissenschaftlichen Fachzeitschrift reicht, in einen Begriff zu fassen und zu definieren. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass in der Geschichte zahlreiche Zeitschriftentypen hervorgebracht wurden, die heute wieder verschwunden sind (z. B. die Moralischen Wochenschriften, die in Abschnitt 3.2. behandelt werden). Eine befriedigende Definition wird sich wohl nie finden lassen, da Zeitschriften sowie Zeitungen von der Vergangenheit bis in die Zukunft reichen und so ständig wandelnden Rahmenbedingungen unterliegen. Joachim Kirchner hat bereits 1928 vorgeschlagen „den Begriff der Zeitschrift nur relativ zur Zeitschriftenentwicklung einer bestimmten Epoche zu formulieren“.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Zeitung sich mittels den oben angeführten Merkmale recht genau bestimmen lässt. Schwerer gestaltet sich dagegen ein Definitionsversuch für die Gattung „Zeitschrift“. Wegen der größeren Variationsbreite, die durch eine allmähliche Ausdifferenzierung zustande kam, ist keine universal gültige Definition möglich. Zudem gelten definitorische Annäherungen nur in einem begrenzten Zeitraum. Gewonnene Definitionen können deshalb nicht sowohl für die Vergangenheit, als auch für die Zukunft gelten.
2. Geschichte
2.1. Entstehung von Zeitung und Zeitschrift
Der Nachrichtenhandel war bereits im 14. Jahrhundert in italienischen Städten, mit Venedig als Hauptzentrum des Nachrichtenumschlags, aufgekommen. Durch den Fernhandel und die damit verbundene Verbesserung der Verkehrssituation entstand ein ausgeprägtes Botensystem, welches eine umfassende briefliche Korrespondenz zwischen Gelehrten, Wissenschaftlern, Kaufleuten, Fürstentümern usw. ermöglichte. Die Korrespondenz diente zwar in erster Linie geschäftlichen Interessen, aber dennoch enthielten die Briefe Zusätze (sog. „Zeytung“ ,„Novitates“ u. ä.), welche darüber hinaus über politische und soziale Neuigkeiten berichteten. Außerdem unterhielten Fürsten und Handelshäuser bezahlte Korrespondenten, welche aus verschiedenen Nachrichtenzentren Europas Neuigkeiten sammelten und in Briefform (Briefzeitungen) verschickten. So wurden ab dem 16. Jahrhundert Neuigkeiten handschriftlich notiert und zu Privat- und Geschäftsbriefen als Anhang hinzugefügt. Die Poststation bildete im 17. Jahrhundert in den Handelszentren Rom, Venedig oder Antwerpen den Sammelplatz und Ausgangspunkt solcher Nachrichten. Mit steigendem Interesse am Zeitgeschehen sahen die Postmeister, die den besten Zugang zum aktuellen Nachrichtenstoff hatten und die Postwege kostenlos zur Verbreitung von Nachrichten nutzen konnten, die Möglichkeit, mit dem (zuerst handschriftlichen) Vervielfältigen der Nachrichten einen lukrativen Nebenverdienst zu erlangen. Aus den „Brief-Zeitungen“ wurden „geschriebene Zeitungen“. Diese wurden nun nicht mehr nur bestimmten Briefadressaten, sondern in Form geschriebener oder gedruckter „Zeitungen“ Abonnementen zugestellt. Der Bezug war aufgrund der geringen Auflage (fünfzehn bis zwanzig Exemplare pro Woche) sehr teuer und somit nur einem exklusiven Abnehmehrkreis wie dem Kaiser, Herzögen oder Kaufleuten möglich. So entstand eine Art internes Nachrichtensystem, da geschriebene Zeitungen der Öffentlichkeit im allgemeinen nicht zugänglich waren. Erst durch den Druck konnte eine wesentlich höhere Auflage von mehreren Hundert Stück erreicht werden die es ermöglichte, Zeitungen zu einem geringeren Preis anzubieten. Drucker und Buchhändler machten den Postmeistern bald Konkurrenz, da das zunehmend periodische Erscheinen der Blätter eine stete Einnahmequelle sicherte. So entwickelte sich Ende des 17. Jahrhunderts aus den „geschriebenen Zeitungen“ die periodische Presse. Den ersten titellosen Serienzeitungen mit Nummerierung folgten Wochenblätter: In Straßburg erschien 1605 in der Buchdruckerei des Johannes Carolus das erste Mal die „Relation“, vier Jahre später folgte der „Aviso“ in Wolfenbüttel von dem Drucker Julius Adolph von Söhne. Weitere erschienen in den wichtigsten Kommunikations- und Handelszentren wie Amsterdam, Frankfurt oder Hamburg. Seitdem nahm die Zahl der Zeitungen rasch zu, was durch das erhöhte Informationsbedürfnis währen bzw. infolge des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) bedingt war. Zwischen1605 und 1700 können etwa 200 Zeitungsunternehmen in rund achtzig Druckorten im Reich nachgewiesen werden. Zudem erschienen immer mehr Zeitungen zwei- oder dreimal pro Woche an festgelegten Tagen. Die erste Tageszeitung gab der Leipziger Drucker Timotheus Ritzsch in Leipzig im Jahre 1660, als Fortsetzung seiner 1650 gegründeten mehrmals wöchentlich erscheinenden „Einkommenden Zeitungen“, heraus. Ein besonderer Anstieg der Zeitungen ist im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu bemerken. Gründe hierfür liegen in einem Informationsbedürfnis einer breiten Bevölkerungsschicht, hervorgerufen durch Ereignissen von herausragender Bedeutung wie der Siebenjährige Krieg (1756-1763), die Amerikanische Revolution mit dem Unabhängigkeitskrieg (1776-1783) und die Französische Revolution (1789).
Im 18. Jahrhundert entstand zusätzlich zum Zeitungswesen eine vielfältige Zeitschriftenlandschaft. Die ersten direkten Vorläufer der Zeitschriften waren die „Messrelationen“. Dies waren halbjährlich erscheinende Chroniken der neuesten politischen Begebenheiten, die auf Verkaufsmessen angeboten wurden. Auch wenn die Anzahl der Zeitschriften stark anstieg, war sie dennoch kein Massenmedium. Die Auflagenzahl war gegenüber der Zeitung gering, aber die Themenvielfalt dafür umso größer. Polenz geht von 50 verschiedenen Zeitschriften bereits um 1700 aus. 1682 erschien in Leipzig erstmals die in Latein verfasste wissenschaftlich-gelehrte Monatsschrift „Acta Eruditorium“, mit der das deutsche Zeitschriftenwesen gegründet wurde. Die Aufgaben der Zeitschriften lagen weniger in der Informationsvermittlung, sondern mehr in der Meinungsbildung und der Diskussion von moralischen und sozialen Problemen.
Anhand der geschichtlichen Entwicklung der Zeitung und der Zeitschrift wurde in diesem Abschnitt gezeigt, wie es zu einer massenhaften Verbreitung des Mediums Zeitung kam. Erst durch den Druck sanken die Stückkosten der Zeitungsherstellung, so dass es zu einer Vergrößerung des Lesepublikums um Wissbegierige aus allen Bevölkerungsschichten führte. Gleichzeitig stieg das Informationsbedürfnis, was zu einer Zunahme von Druckerzeugnissen und einer größeren Ausgabenfrequenz beitrug. Des weiteren wurde dargestellt, wie sich die rasante Veränderung und Weiterentwicklung der beiden Pressegattungen vollzog.
2.2. Zeitung in der Tradition von Flugblättern und Flugschriften
Es herrscht ein fortdauernder Streit um den Begriff der Zeitung. Die einen gehen von dem aus, was man heute unter dem Begriff der Zeitung versteht, d.h. von der Tageszeitung, deren Entstehung sie nur bis zu den ersten Wochenblättern des Jahres 1609 („Avisio“ und „Ralation“) zurückverfolgen und als Zeitungsgeschichte gelten lassen. Andere lassen als Zeitungen auch die geschichtlichen Vorläufer, gedruckte Einzelzeitungen und die „geschriebenen Zeitungen“, gelten. Ich lehne mich der zweiten Ansicht an und berufe mich im Folgenden auf Adolf Dresler, der bereits 1929 die gedruckten Einzelzeitungen und „geschriebenen Zeitungen“ zu den Zeitungen rechnete. Er untersuchte gedruckten Einzelzeitungen des 15. bis 18. Jahrhunderts, die Nachrichten bekannt machten oder zu den Tagesfragen Stellung nahmen. Folgende Argumente, die er aus der Untersuchung zog, sollten seine Haltung bestätigen:
Zwischen den untersuchten Drucken und den ersten Wochenblättern bestünde „außer dem Fehlen der Periodizität kein wesentlicher Unterschied […], kein größerer jedenfalls als zwischen den ersten Wochenblättern und der heutigen Tagespresse“. Otto Julius Opel, der Verfasser des Werkes „Die Anfänge der deutschen Zeitungspresse 1609-1650“ (1875), sprach damals den gedruckten Einzelzeitungen wegen Mangels der Periodizität den Zeitungscharakter ab. Nach Dresler ist nicht Periodizität das Kriterium, nach dem zur Gattung „Zeitung“ zugeordnet werden sollte, sondern der Zweck, aktuelle Nachrichten zu verbreiten. Dieser Zweck sei das Hauptmerkmal der Wochenzeitung, welcher auch von den Einzeldrucken verfolgt werde. Durch die Tatsache, dass „sich zahlreiche Einzelzeitungen in ihrem Titel selbst als ‚Zeitung’ bezeichnen“, fühlte er sich in seiner Behauptung bestätigt. Weiterhin stellte er fest, dass die ersten deutschen Wochenblätter, das Straßburger „Avisio“ und die Augsburger „Relation“ von 1609, sich in nichts von ihnen unterschieden. „Beide [behielten] zunächst den individuellen Buchcharakter bei, [nahmen] im Titel Bezug auf den jeweiligen Inhalt, [und hatten] weiter ein Titelblatt, dessen Rückseite leer blieb“.
Dresler zog folgenden Schluss: „Da in den gedruckten Einzelzeitungen die äußere Form und alles Wesentliche der Wochenblätter bereits vorgebildet [war], so darf man sie zweifellos als die erste Stufe der Zeitungspresse ansprechen“. Dresler zählt die gedruckten Einzelzeitungen („Relationen“ oder „Neue Zeitungen“ genannt) nicht, wie manche andere, zu den Flugblättern und Flugschriften, sondern hält diese für ein eigenständiges Medium.
Nun stellt sich die Frage ob die Flugschriften und Flugblätter ebenfalls zu den Vorläufern der Zeitung gezählt werden dürfen. Polenz behauptete 1994, Zeitungen seien „einerseits Popularisierungen der exklusiven Gattung ‚geschriebene Zeitungen’ und knüpf[ten] andererseits an die Tradition der‚ auf Sensationsbedürfnisse eingestellten Flugblätter und Flugschriften an“. Nachdem der erste Teil dieser These in Abschnitt 2.1. in Ansätzen Zustimmung erhalten hat, möchte ich im Folgenden dem zweiten Teil der Aussage, Zeitungen ständen in der Tradition der Flugblätter und Flugschriften, widersprechen. Es lassen sich einige Unterschiede zwischen den verschiedenen
Nachrichtenmedien erkennen. Während des 30-jährigen Krieges (1618-1648) wurde eine Vielzahl von Flugblättern veröffentlicht, in denen mit Hilfe von Allegorien (bildhafte Darstellung eines Begriffs oder Vorgangs) bestimmte Sachverhalte verdeutlicht werden sollten, um die Bevölkerung meinungspolitisch zu bearbeiten. Solche Illustrationen waren in Zeitungen in nicht annäherndem Umfang zu finden. Dies bildet den ersten grundlegenden Unterschied zwischen Flugblättern und Zeitungen. Weiterhin hatten beide Gattungen unterschiedliche Themenschwerpunkte. In den Flugblättern wurden Meldungen bevorzugt, die sich überzeugend in eine graphische Darstellung umsetzen ließen. Des weitern wurden Dinge publiziert, „deren Nachrichtenwert […] in ihrer ungewöhnlichen äußeren Erscheinung lag, also etwa Wunderzeichen“ oder Vorgänge „die sich zu einem bildfähigen Höhepunkt verdichten ließen wie Katastrophen, Schlachten“ usw. In den Zeitungen hingegen erschienen eher „nüchterne“ Meldungen und Beschreibungen von Friedensschlüssen, Kriegserklärungen o. ä. Schilling sieht prinzipielle Abweichungen in der Vertriebsform und in der periodischen Erscheinungsweise der frühen Zeitungen. Flugblätter erschienen hingegen nicht periodisch sondern nur zu bestimmten Ereignissen. Zudem sei die Zeitung laut Schilling auch schlichter in der Aufmachung und durch einen sachlicheren Sprachstil gekennzeichnet. Er verweist auf Jürgen Wilke, der die Nachrichtenauswahl in den frühen Zeitungen untersucht hatte und festgestellt hatte, dass rein statistische Sensationsmeldungen nur einen geringen Teil in der Berichterstattung ausmachten. Abschließend stellt Schilling fest:
Trotz vielfacher Berührungspunkte und Überschneidungen, die auf eine gewisse Konkurrenz untereinander hindeuten, nahm Flugblatt, Flugschrift und Zeitung unterschiedliche Aufgaben wahr und erbrachte je spezifische Leistungen im Nachrichtenbereich.
Schilling ist der Ansicht, dass die drei Nachrichtenmedien Flugblatt, Flugschrift und Zeitung von ihren Abnehmern eher als eine Art „Medienverbund“ gebraucht wurde, d.h. Flugblätter Zeitungen ergänzten u. ä.
Die Frage, ob Zeitungen in der Tradition der Flugschriften und Flugblätter stehen, ist mit der Auflistung der Unterschiede sicher noch nicht vollständig beantwortet, aber ich möchte Polenz widersprechen, wenn er diese Tradition und die damit unterstellte Sensationsgier besonders hervorhebt. Der Traditionsfrage nachzugehen gestaltet sich sicher schwierig. Man kann festhalten, dass die gedruckten Einzelzeitungen und geschriebenen Zeitungen als Vorläufer der Zeitung gelten.
3. Zeitgenössische Exemplare
Wie in Punkt 1.1. bereits erwähnt, erwecken populäre Gattungsbeispiele oder solche, die sich besonders lange auf dem Markt halten konnten, am ehesten das Interesse der Forschung. An den weitbekannten Exemplaren lassen sich einige Charakteristika vertiefend herausarbeiten. In dieser Arbeit ist es nicht anders möglich, als etliche Beispiele der Presse des 18. Jahrhundert gar nicht erst zu erwähnen. Statt dessen werden im folgenden jeweils ein Beispiel für die beiden Gattungen „Zeitung“ und „Zeitschrift“ herausgegriffen.
3.1. Die Vossische Zeitung
Die „Vossische Zeitung“ war die erste und älteste Zeitung Berlins. Die Vorläufer der Berliner Zeitung lassen sich bis 1617 zurückverfolgen. Zunächst erschien das Blatt ganz ohne Namen, wechselte dann aber im späteren Zeitablauf ständig seinen Titel oder erschien nebeneinander unter mehreren Bezeichnungen. Erster Herausgeber der damals wöchentlich erscheinenden Zeitung war der kurbrandenburgische Postmeister Christoph Frischmann. Im Jahre 1704 erwarb der Buchdrucker Johann Lorentz den Betrieb und gab das Blatt unter dem Titel „Berlinische Ordinaire Zeitung“ heraus. König Friedrich I. erteilte Lorentz ein Zeitungsprivileg, welches ihm das besondere Recht verlieh, allein und ungehindert die wöchentlichen Zeitungen zu drucken. Von 1721 an führte es der Drucker Johann Andreas Rüdiger als „Berlinische Privilegirte Zeitung“ dreimal wöchentlich fort. Der König hatte dem Buchdrucker Johann Lorentz das Berliner Zeitungsmonopol entzogen und gegen Bezahlung auf Rüdiger und dessen Erben übertragen. 1751 übernahm die Zeitung der Buchhändler Christian Friedrich Voss, der das Blatt bis 1795 besaß. Der umgangssprachlich verwendete Namen „Vossische Zeitung“ rückte aber erst zwischen 1910 und 1911 zum Haupttitel auf. Von 1785 an bis 1911 nannte sich die Zeitung „Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“. Die Redaktion konnte 1751 Gotthold Ephraim Lessing für die Sparte „Von gelehrten Sachen“, sowie „Das Neueste aus dem Reiche des Witzes“ und 1870 Theodor Fontane als Theaterkritiker gewinnen. 1910 wurde sie offiziell in „Vossische Zeitung“ umbenannt. Auf Druck der Nationalsozialisten, die nach der Machtergreifung über die meisten Redakteure der linksliberalen Zeitung ein Berufsverbot verhängen, musste sie 1934 ihr Erscheinen einstellen. Im folgenden werden zwei Ausgaben der „Berlinische[n] privilegierte[n] Zeitung“ (1721-1751 und 1754-1779) dargestellt.
Die Ausgabe vom 23. Januar 1748 zeigt über der Titelzeile Jahreszahl und fortlaufende Ausgabenummer. Unter der Kopfzeile ist ein Adler abgebildet, der auf den „Schwarzen Adlerorden“ hindeutet. Auf dem einen Spruchband steht „suum cuique“, der Wahlspruch Friedrichs des I. von Preußen („jedem das Seine“) und auf dem zweiten Spruchband steht der Titel der Zeitung geschrieben. Der Titel „Berlinische Privilegirte Zeitung“ den das Blatt 1721 erhalten hatte, weist auf das durch den König verliehene Zeitungsprivileg hin. Zudem wird auf dem Titelblatt Wochentag und Datum angegeben. Im Jahre 1748 war das Blatt in den Händen von Johann Andreas Rüdiger und bestand wöchentlich aus drei Ausgaben von je acht Seiten in Oktavformat, die jeweils Dienstags, Donnerstags und „Sonnabends“ erschienen. Mit Regierungsantritt Friedrich Wilhelm II. im Jahre 1740 erlaubte dieser dem Buchdrucker Rüdiger zeitweise das Verfassen und Drucken von Beiträgen nach eigenem Ermessen und ohne staatliche Zensur. In der Ausgabe vom 23. Januar 1748 wird aus Berlin, Schlesien, Holland, und Frankreich berichtet. In friedlichen Jahren wurden unpolitische Gesellschaftsnachrichten und seit etwa 1748 Nachrichten aus dem kulturellen Leben veröffentlicht (z. B. Neuigkeiten aus dem Königshause, Neubesetzung von Ämtern oder Todesfälle bekannter Persönlichkeiten u.a.). Dennoch überwog auch in diesen Jahren der politische Teil (Kriegseinsätze in Holland und einen Auszug eines Schreibens des Königs an den Großadmiral von Frankreich). Der letzte Teil dieser Ausgabe enthält eine Buchbesprechung des sechsten Stücks des ersten Bandes der Berlinischen Bibliothek. Außerdem werden am Schluss Neuerscheinungen mit Angabe von Titel, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr und Preis genannt (z.B. „Der reisende Avanturier, oder sehr merckwürdiges Leben und Begebenheiten eines Flamändischen Ritters etc. 8vo Bremen, 748. 5 Gr.“) In dieser Ausgabe sind keine Informationen zu den Verfassern der einzelnen Artikel und kein Impressum erhalten.
Die Ausgabe vom 1. Januar 1761 enthält drei, oben nummerierte Seiten, und zusätzlich ein Titelblatt. Die Zeitung erschien in dieser Zeit ebenfalls dreimal wöchentlich in Quartformat. Da es sich um die erste Ausgabe des Jahres 1761 handelt, ist auf dem Titelblatt ein Neujahrsgedicht abgedruckt, das von Krieg und dem Wunsch nach Frieden handelt. Während des Siebenjährigen Krieges (1756/1763) wurden strenge Zensurbestimmungen eingeführt. Da 1761 Krieg herrschte sind in der vorliegenden Ausgabe vom 01.01.1761 politische Ereignisse und militärische Aktionen, vor allem im europäischen Ausland überwiegende Themen in der Berichterstattung. (z. B. Heeresnachrichten, Truppenbewegungen, Feldzugberichte und Belagerungen). Friedrich Wilhelm II. benutzte zu dieser Zeit die „Berlinische Privilegirte Zeitung“ zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, indem er vom Hof verfasste Nachrichten und von ihm selbst geschriebene Feldzugberichte drucken ließ. Regionalnachrichten wurden kaum gedruckt; so wird in dieser Ausgabe den Neuigkeiten aus Berlin lediglich drei Zeilen gewidmet. Weitere Themen sind Unglücksfälle, Naturkatastrophen oder Krankheiten. Seit 1748 enthielt die Zeitung die Sparte „Von gelehrten Sachen“, für die der Herausgeber Voss den jungen Lessing als Rezensenten engagierte. In dieser Ausgabe vom 01.01.1761 wird über ein „Oeconomisches Wörterbuch“ rezensiert. Neben Buchbesprechungen werden auch Mitteilungen über bedeutende Persönlichkeiten und Gedichte veröffentlicht. Lessings Veröffentlichungen sollten dem Leser Unterhaltung und Belehrung bieten. Zum Schluss bringt die Zeitung Buchanzeigen und nennt Inhalt, Interessentenkreis und Preis des gerade im Druck erschienenen und kommentierten Werkes. Darauf folgen ein bis zwei Seiten mit privaten Kleinanzeigen und Wirtschaftsanzeigen (z. B. Verpachtungen oder Holzverkauf). Die Zeitung enthält nun auch ein Impressum: „Diese Zeitung ist wöchentlich dreymal, Dienstags, Donnerstags und Sonnabends, in der Vossischen Buchhandlung unter dem Berlinischen Rathhause, und auf allen Postämtern zu haben “, heißt es am Schluss des Blattes.
Die beiden vorgestellten Ausgaben der Berlinischen Privilegirten Zeitung weisen Merkmale auf, die für die Zeitungen im 18. Jahrhundert typisch waren:
Anfangs trugen nur wenige Zeitungen einen Titel und Angaben zu Autoren und Druckern fehlten. Lokale Nachrichten waren im 18. Jahrhundert nur knapp zu finden. Auf Überschriften oder Schlagzeilen wurde verzichtet, lediglich der Herkunftsort der Meldungen ist genannt. Die Berichterstattung aus dem Ausland stand vor allem in Kriegszeiten im Vordergrund. Sie erfolgte nüchtern und sachlich. Das Ziel der Zeitung war die Leser über die neuen Weltereignisse zu informieren.
3.2. Die Zeitschrift: Die Moralische Wochenschrift – Der Patriot
Die Moralischen Wochenschriften spielten beim Strukturwandel der Öffentlichkeit eine entscheidende Rolle. Vorbild der deutschen moralischen Wochenschriften waren die englischen Wochenschriften, darunter der „Spectator“ und der „Tatler“. Mit der Wochenschrift „Der Zuschauer“, die sich stark an ihr englisches Vorbild anlehnte, verbreitete sich dieser Zeitschriftentyp ab 1713 auch in Deutschland. Im 18. Jahrhundert erschienen mehr als 500 solcher Schriften, die sich aber sehr selten länger als zwei Jahre halten konnten. Die Blütezeit der Moralischen Wochenschrift lag in der erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hierbei handelte es sich weder um politische, noch wissenschaftliche Journale. Neben Beiträgen zu verschiedenen Wissensgebieten – wie etwa der Religion, Ästhetik, Sprache oder Dichtung – enthielten die Wochenschriften Ratschläge zur Lebensgestaltung und erstmals frauenemanzipatorische Diskurse. Sie standen für neues Denken, das mit alten Vorurteilen aufräumt und gingen von der Gleichheit aller Menschen aus. Diese Zeitschriften appellierten an die Vernunft des Menschen, deren Streben nach Glück, und hatten sich die Erziehung zu Moral, Tugend und Sittlichkeit zum Ziel gesetzt. Gesellschaftskritik, Adelskritik, Kritik an den Mängeln des Erziehungs- und Bildungswesen und die notwendige Verbesserung der Stellung der Frau nahmen einen breiten Raum ein. Es wurde aber keine grundsätzlich neue Gesellschaftsordnung gefordert, sondern die ständische Ordnung wurde hingenommen. Beliebte Darbietungsformen waren das Gespräch, der Traum, fiktive Briefe, Lieder, Tagebücher, Gedichte, Fabeln, Satiren oder Beispielgeschichten. Die Beiträge wurden stets anonym oder unter einem fiktiven Verfasser veröffentlicht. Obwohl die Blätter wöchentlich erschienen spielte Aktualität eine untergeordnete Rolle. So erschienen manche Ausgaben in mehrfacher Auflage. „Um mit einer Stimme sprechen zu können“ trugen die Blätter „personalisierte Titel“ wie „Der Patriot“, „Der Vernünfftler“ oder „Der Freydenker“. Die Moralischen Wochenschriften wandten sich an das Bildungsbürgertum: Pfarrer, Gelehrte, Ärzte, gebildete Kaufleute oder Juristen. Mit Journalen wie „Die Patriotin“, Die Zuschauerin“ oder „Das Mädchen“ wurden erstmals auch (bürgerliche) Frauen angesprochen. Leserbriefe machen durch Anreden wie „An den Herren Patrioten“ deutlich, dass die damalige Leserschaft die Zeitschriften als Personen sah.
„Der Patriot“ (1724-1726) war eines der populärsten Aufklärungsjournale, das mehrfach nachgeahmt wurde. Herausgeber war die „Patriotische Gesellschaft“ in Hamburg. Begonnen hatte das Blatt mit der Aufzeichnung und Veröffentlichung von Gesprächen der Mitglieder (Dichter, Wissenschaftler, Juristen, u.a.) untereinander. Die Leserschaft des „Patrioten“ wird auf 30.000 mit zeitweise knapp 6000 Exemplare geschätzt. Themen wie „Die Sorgfalt des Kaufmanns mit seinem Vermögen, Warnungen vor einem verschwenderischen Lebensstil [oder] das Idealbild des Bürgers standen im Vordergrund“. Die Leserschaft wurde dazu aufgefordert Leserbriefe, die dann abgedruckt wurden, einzusenden, um so am Diskurs teilzunehmen. Außerdem berücksichtigten die Herausgeber Wünsche der Leser und nahmen Stellung zu kritischen Zuschriften. Jörg Scheibe beschriebt dies als einen „Durchbruch zur zweiseitigen Kommunikation“.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Moralischen Wochenschriften einen „Ort [darstellten, ] an dem das Gespräch unter den Aufklärern [stattfand]“. „Sie [dienten] der Selbstaufklärung und Selbstverständigung des neuen Lesepublikums“. Ziel der Moralischen Wochenschriften war Belehrung und Bildung durch Unterhaltung. Sie verbanden das Angenehme mit dem Nützlichen. Dies wurde durch neue Darbietungsformen und zeitbewegende Themen erreicht. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Zeitschriftentyp von einem wissenschaftlichen Organ zur beherrschenden Form der Unterhaltungspresse.
4. Öffentlichkeit und Aufklärung
4.1. Entwicklung einer bürgerlichen Öffentlichkeit
Der Ausgangsthese, welche besagt, dass im Zuge der Aufklärung sich im 18. Jahrhundert in Ansätzen eine bürgerliche Öffentlichkeit entwickelt habe, soll im folgenden zugestimmt werden.
Die Diskussion um den Begriff der Öffentlichkeit geht zurück auf die Habilitationsschrift zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ von Jürgen Habermas. Der Wandel in der Öffentlichkeitsstruktur führt Habermas darauf zurück, dass sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts die feudalen Gewalten und die Kirche, an denen die repräsentative Öffentlichkeit haftete, zersetzten. In diesem Zusammenhang entstand, neben der Herausbildung eines modernen Staates, eine neue bürgerliche Gesellschaft als „Pendant zur Obrigkeit“. Zum Kern dieser neuen Schicht der „Bürgerlichen“ gehörten Verwaltungsbeamte, Juristen, Ärzte, Pfarrer, Offiziere, Professoren und Gelehrte sowie Manufakturunternehmer, Bankiers und auch Kleinbürger. Diese „Bürgerlichen“ waren das Publikum, das „von Anbeginn ein Lesepublikum“ war. Die eigentlichen „Bürger“, Handwerker u.a., waren bereits sozial abgestiegen. Das zu „öffentlich“ gehörende Substantiv „Öffentlichkeit“ bildete sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts heraus. Habermas schließt daraus, dass sich in Deutschland erst im 18. Jahrhundert, parallel zu der Entstehung einer „bürgerlichen Gesellschaft“, eine kritisch diskutierende „Öffentlichkeit“ herausbildete. Mit einem vor allem aus Stadtbürgern und Bürgerlichen zusammengesetzten Lesepublikum, das nicht mehr nur wenige Standardwerke intensiv las, sondern sich auf laufende Neuerscheinungen wie Zeitungen und Zeitschriften einstellte, entstand ein Netz der öffentlichen Kommunikation. Der ansteigenden Leserschaft folgten zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenneugründungen, eine stärkere Auflagenhöhe, sowie Gründungen von Leihbibliotheken und vor allem Lesegesellschaften. Auf diese Weise institutionalisierte sich in der bürgerlichen Schicht seit der Mitte des Jahrhunderts eine Sphäre des öffentlichen Austausches. An dieser Stelle ist ein deutlicher Wandel in den bisherigen Lesegewohnheiten zu sehen:
Zusätzlich zur gemeinsamen Lektüre fanden Diskussionen über die Lektüre statt, intensives Lesen wandelte sich zu extensivem Lesen und anstelle von Auswendiglernen trat ein Weiterentwickeln der von den Zeitschriften dargelegten Anregungen. Mit dem Übergang von „geschriebenen Zeitungen“ zu „gedruckten Zeitungen“ standen die Informationen nicht mehr nur einem besonderen Abnehmerkreis zu, sondern wurden öffentlich gemacht (siehe Abschnitt 2.1.). Der starke Anstieg von Zeitungen und Zeitschriften weist auf eine neue Gestalt der Öffentlichkeit hin. Mit der Zahl der Zeitungen und Zeitschriften wuchs auch das Lesepublikum. Um 1789 kann man bereits von 300.000 abgesetzten Exemplaren pro Woche ausgehen. Da im Durchschnitt mit mindestens zehn Leser pro Exemplar gerechnet werden muss, lag die tatsächliche Reichweite bei 3 Millionen Lesern. Im Jahre 1750 betrug die Leserzahl noch ungefähr eine Millionen. Diese Zahlen zeigen, dass die periodische Presse quantitativ explodierte. Aufgrund der vielen Zeitschriftenneugründungen und der späteren Ausdifferenzierung in einzelne Fachgebiete wird das 18. Jahrhundert oft als das Zeitschriftenjahrhundert bezeichnet. Die Zeitschrift, wichtigstes Medium des Bürgertums, war in diesem Jahrhundert „der Ort, an dem das Gespräch unter den Aufklärern“ stattfand. Vor allem die Moralischen Wochenschriften waren „Foren der weltlichen Debatte [und] Kennzeichen des Säkularisierungsprozesses“ . Erst durch die Presse konnten die großen Debatten und das Gedankengut der Aufklärung popularisiert werden.
Es lässt sich folgender Schluss ziehen: Die Zeitung und Zeitschrift waren das zentrale Medium der Aufklärung; ihnen kam öffentlichkeitskonstituierende Bedeutung zu. Werner Faulstich zieht folgende Bilanz:
Der Wandel von einer repräsentativen Öffentlichkeit zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit verdankte sich dem Niedergang der ‚alten’ feudalen Mensch- und Gestaltungsmedien (Herold, Schloss usw.) und dem Aufschwung ‚neuer’ Druckmedien (Zeitschrift, Zeitung, Buch etc.).
Die Zeitung als Massenmedium ermöglichte eine gesamtgesellschaftliche Leserevolution und trug zur Entwicklung einer gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit bei, da sie auch die unteren Stände erreichte. Die Zeitschriften, vor allem die Moralischen Wochenschriften, trugen eher zur Leserevolution der bürgerlichen Mediengesellschaft bei.
5. Fazit
Da nach jedem einzelnen Gliederungspunkt eine Schlussfolgerung gezogen wurde und die Ausgangsthese im letzten Abschnitt Bestätigung fand, bleibt für ein abschließendes Fazit nur noch eine kurze Zusammenfassung.
Im 18. Jahrhundert veränderte sich die Mediengesellschaft in Deutschland fundamental. Die Lesegewohnheiten der Menschen änderten dich dahingehend, dass sie sich auf laufende Neuerscheinungen, wie Zeitungen und Zeitschriften einstellen konnten. Diese verbreiteten die Ideen der Aufklärung und trugen so seit ihrer Entstehung entscheidend zur geistigen, kulturellen und sozialen Entwicklung bei. Die Zeitungen und Zeitschriften machten eine verstärkte Meinungsbildung im Volk möglich. Im Rahmen dieser Hausarbeit sollte deutlich geworden sein, dass das 18. Jahrhundert für die Entwicklung der Presse eine bedeutende Rolle gespielt hatte und dass sich durch diese Entwicklung eine Öffentlichkeit herausbildete in der Meinungsbildung möglich wurde.
Literaturverzeichnis
Quellen:
Buchner, Eberhard: Das Neueste von gestern. Kulturgeschichtlich interessante Dokumente aus alten deutschen Zeitungen. Bd 2. 1700-1750. München 1912
Kraus Reprint: Der Patriot. Heft 1 –12. Nendeln/Lichtenstein 1972.
Internetquellen:
http://www.fh-Augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/18Jh/BPZ/bpz_4810.html
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/18Jh/BPZ/bpz_6101.html
file://A:\Forum Medien- & Kommunikationsgeschichte – Server Frühe Neuzeit. html.
http://www.geschenkzeitung.de/deutsch/wissen/geschi1.htm.
http://www.preussenweb.de/prorden.htm.
Sekundärliteratur:
Bender, Klaus: Die Vossische Zeitung. In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts. Pullach 1972, S. 25-41.
Böning, Holger: Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert. In: Jäger, Hans-Wolf (Hg.): Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997.
Brandes, Helga: Moralische Wochenschriften. In: Fischer, Haefer, Mix (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700-1800. München 1999.
Dresler, Adolf: Neue Zeitungen: Relationen, Flugschriften, Flugblätter, Einblattdrucke von 1470 bis 1820. München 1929.
Faulstich, Werner: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700-1830). Göttingen 2002.
Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/Main 1990.
Kieslich, Günter: Die Zeitschrift: Begriff. In: Dovifat, Emil (Hg.): Handbuch der Publizistik, Bd.3, Berlin 1969, S. 370–384.
Kirchner, Joachim: Geschichte der Zeitschrift. Von den Anfängen bis 1900. In: Dovifat, Emil (Hg.): Handbuch der Publizistik, Bd.3, Berlin 1969, S. 384-393.
Koszyk, Kurt: Die Zeitung: 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. In: Dovifat, Emil (Hg.): Handbuch der Publizistik, Bd.3, Berlin 1969, S. 76-97.
Koszyk, Kurt: Wörterbuch der Publizistik, München 1979.
Kühner, Anja; Sturm, Thilo: Das Medien-Lexikon. Fachbegriffe von A – Z aus Print, Radio, TV und Internet. Landsberg 2001.
Scheibe, Jörg: Der „Patriot“ (1724-1726) und sein Publikum. Untersuchungen über die Verfassergesellschaft der frühen Aufklärung. Göppingen 1973.
Schilling, Michael: Bildpublizistik der Frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblattes in Deutschland bis um 1700. Tübingen 1990.
Schmidt, Wieland: Die Zeitung: Die Anfänge: 15. und 16. Jahrhundert. In: Dovifat, Emil (Hg.): Handbuch der Publizistik, Bd.3, Berlin 1969, S. 63-77.
Siegert, Reinhart: Medien der Volksaufklärung. In: Fischer, Haefer, Mix (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700-1800. München 1999.
Stöber, Rudolf: Historische Zeitschriftenforschung heute. In: Zeitschriftenforschung. Wiesbaden 2002.
v. Polenz, Peter: Deutsche Sprachgeschichte Bd.2. 17. und 18. Jahrhundert. Berlin, New York 1994.
Wilke, Jürgen: Die Zeitung. In: Fischer, Haefer, Mix (Hrsg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700-1800. München 1999.