Roddie Edmonds war erst 25 Jahre alt, als er als ranghöchster US-Soldat in einem deutschen Kriegsgefangenenlager die Verantwortung für fast 1.300 Männer übernahm. Durch seinen mutigen Einsatz rettete er 200 jüdische Mitgefangene vor der Verfolgung. Nach dem Krieg schwieg er über das Geschehene. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde er für seinen Mut geehrt.
Januar 1945 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Hessen: Über die Lautsprecher erklärt der Lagerkommandant, dass die jüdischen Kriegsgefangenen am nächsten Morgen separat von den übrigen Gefangenen vorzutreten haben. Roddie Edmonds, der ranghöchste Gefangene, ahnt, was das bedeutet. Er weist seine fast 1.300 US-amerikanischen Mitgefangenen an, sich dem Befehl zu widersetzen. Am nächsten Morgen treten alle Gefangenen geschlossen vor. Edmonds erklärt dem Kommandanten: “Wir alle hier sind Juden.”
Biographie von Roddie Edmonds
Roderick, genannt “Roddie”, Edmonds wurde am 20. August 1919 in Knoxville, Tennessee geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er zur US Army. Schnell stieg er in den Rang des Master Sergeant auf.
Im Dezember 1944 wurde seine junge, unerfahrene Einheit nach Europa verlegt. Wenige Tage vor Beginn der Ardennenoffensive, dem letzten deutschen Großangriff des Zweiten Weltkriegs, kamen die Männer in Belgien an.
Während der Schlacht geriet Roddie am 19. Dezember 1944 in Kriegsgefangenschaft. Er wurde in das Kriegsgefangenenlager “Stalag IX A” bei Ziegenhain in Hessen gebracht.
Kriegsgefangenschaft und Heldentat
Als ranghöchster Soldat der amerikanischen Gefangenen war der 25-jährige Edmonds für seine fast 1.300 Kameraden verantwortlich. Die Bedingungen in den Lagern waren schlecht: Bei eisigen Temperaturen mussten die Gefangenen frieren und es gab nicht genug zu essen.
Am 27. Januar 1945 befahl der deutsche Lagerkommandant Siegmann den jüdischen Gefangenen, beim morgendlichen Appell gesondert von den anderen Gefangenen vorzutreten. Dass die Deutschen Juden verfolgten, war Edmonds bewusst. Er wusste außerdem, dass Kriegsgefangene gemäß den Genfer Konventionen ihren Namen, ihre Dienstnummer und ihren Rang anzugeben hatten, nicht jedoch ihre Religionszugehörigkeit.
Auf Edmonds Hinweis widersetzten sich die amerikanischen Gefangenen dem Befehl: Sie traten geschlossen vor. Erneut forderte der Lagerkommandant Siegmann die Juden auf, sich zu erkennen zu geben. Edmonds wies den Kommandanten auf die Regelungen der Genfer Konventionen hin. Daraufhin zückte Siegmann seine Pistole und drückte sie an Edmonds’ Stirn:
“Ihre jüdischen Männer werden vortreten oder ich werde Sie auf der Stelle erschießen.”
Ruhig entgegnete Edmonds:
“Wenn Sie mich erschießen, müssen Sie uns alle töten, und Sie werden sich wegen Kriegsverbrechen verantworten müssen, nachdem wir diesen Krieg gewonnen haben.”
Siegmann senkte seine Pistole schließlich und lief wutentbrannt davon.
Roddie Edmonds hatte rund 200 jüdische Gefangene vor der Verfolgung und womöglich dem Tod bewahrt. Lester Tanner war einer von ihnen. In diesem Video berichtet er mit 92 Jahren von dem Tag im Januar 1945.
Als die Alliierten einige Wochen später immer näher an das Gefangenenlager rückten, forderten die Deutschen Edmonds auf, seine Männer auf eine Evakuierung des Lagers vorzubereiten. Mit dem Verweis darauf, dass die Gefangenen zu schwach für eine Evakuierung seien, widersetzte sich Edmonds auch diesem Befehl. Mehrmals versuchten die Lageraufseher, die Gefangenen anzutreiben, bis sie schließlich aufgaben und alleine davon zogen.
Nach mehr als drei Monaten in Kriegsgefangenschaft wurden die Männer befreit. Edmonds kehrte in die USA zurück. Anfang der 1950er Jahre kämpfte er im Koreakrieg. Später arbeitete er als Journalist und im Vertrieb.
Zu Lebzeiten erhielt Edmonds nie eine Form der Anerkennung für seinen mutigen Einsatz während der Kriegsgefangenschaft – wohl auch deshalb, weil er nie über das Geschehene gesprochen hatte. Nicht mal seiner Familie hatte er davon erzählt. Roddie Edmonds starb am 8. August 1985, kurz vor seinem 66. Geburtstag. Erst Jahre nach Edmonds’ Tod begann sein Sohn, Chris, die Geschichte seines Vaters zu rekonstruieren. Roddie Edmonds’ Tagebücher enthielten die Namen und Adressen ehemaliger Mitgefangener. Chris machte einige von ihnen ausfindig. Sie berichteten ihm von den Ereignissen während der Kriegsgefangenschaft.
Als bislang einziger US-Soldat wurde Roddie Edmonds schließlich 2015 als “Gerechter unter den Völkern” ausgezeichnet.
Diese kurze (englische) Doku mit Zeitzeugenaussagen beleuchtet die Geschichte von Edmonds.
Zum Autor
Jeden Sonntag schreibt Leo Dihlmann den historischen Newsletter „Zeitsprung“. Darin widmet er sich historischen Persönlichkeiten, an die sich nur wenige Menschen erinnern. Dieser Text ist zuerst dort erschienen.