Rainer Rilling
Empire
In: Wissenschaftl. Beirat von attac (Hg.): ABC der Globalisierung. Ham-burg 2005 S. 42-43
Von einem Empire (Imperium, Reich) zu sprechen, blieb in neuerer Zeit bis Anfang der 90er Jahre Historikern überlassen, die sich mit den Impe-rien des Landeigentums mit starkem Staat (Rom, China), des Handels (a-rabische Reiche, Venedig, Genua, Holland, Spanien) und des imperialisti-schen Kapitalismus (britisches Imperium, französisches Kolonialimperi-um oder das „Kontinentalreich“ des deutschen Faschismus) befassten. Hier spielte seit jeher das Merkmal der Ausdehnung direkter und zudem gewaltförmiger politisch-militärischer und rechtlich formalisierter wie auch ökonomischer Herrschaft im Raum eine so wesentliche Rolle, dass von einem Imperium gesprochen wurde, dessen Souveränität begründen-des Kraftzentrum im Staat lag. Seit jeher umstritten ist, ob komplexere Einflußordnungen, die ihre Herrschaft im Raum auch oder vorrangig informell und indirekt ausüben bzw. das Mittel der Gewaltausübung weit-gehend zurückhalten zugunsten der Mobilisierung von Zustimmung als Empire bezeichnet werden können. Ebenso kontrovers ist die Frage, ob die expliziten Zielsetzungen wie z.B. „Wohlfahrt“, „Freiheit“, „Demo-kratie“, „Sicherung von Privateigentum“ und die tatsächlichen Praxen imperialer Politik - die auf Strukturen ökonomischer Ausbeutung zielen - und deren Eingriffstiefe bei einer Beurteilung solcher Ordnungen heran-gezogen werden sollten. Vor allem die USA gelten als Streitfall. Häufig wurde hier statt vom Empire von Hegemonie oder Dominanz im interna-tionalen System gesprochen. Demgegenüber steht die Ansicht, dass gera-de die USA das Muster indirekter Einflußnahme und informeller Durch-dringung anderer Staaten und Mächte zum zentralen Merkmal einer mo-dernen imperialen Ordnung eines American Empire entwickelt hätten, welchem in diesem Fall die Länder des Westens und zahlreiche Periphe-rienstaaten in Lateinamerika, Afrika und Asien zugerechnet werden müssten.
Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus wurde die Frage nach dem „Empire“ neu auf die politische und wissenschaftliche Tagesordnung gesetzt. Es steht zur Debatte, ob sich in dieser geschichtlich neuartigen Situation eines Globalkapitalismus ein neues planetares politisches Sub-jekt (z.B. eine „transnationale Bourgeoisie“) und eine neuartige globale politische Ordnung („Empire“) etablieren können oder ob ein einzelner traditioneller Akteur aufgrund seiner hegemonialen Position im histo-risch gewachsenen Machtfeld diese globale Rolle zu übernehmen vermag („American Empire“). Bemerkenswerterweise verbreitete sich zwischen 2001 und 2004 in den USA die Rede vom American Empire weit hinein in die Massenmedien und den politischen Mainstream; imperiale Politik ist seit „Nineleven“ weitgehend Konsens in der Administration Bush.
Ein gegenwartsbezogener Begriff muss davon ausgehen, dass Imperien heute immer eine große territoriale Basis voraussetzen. Da sie seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch eine globale Reichweite ausgezeichnet sind, wird die Geopolitik einer „grenzenlosen“ (Hannah Arendt) Expansion von Macht und Eigentum das zwingende Thema aller imperialen Projekte („producing world order“). Imperien besitzen die Fä-higkeit zur Raumgestaltung vom Zentrum aus und können ungleiche Verteilungen von Ressourcen, ob Kapital, Recht, Kultur oder Gewalt, und Aktivitäten im Raum schaffen und halten. Mit den Mitteln außer-ökonomischen Zwangs erstellen und sichern sie die Bedingungen und den Prozess der ökonomischen Aneignung - aktuell mit dem Gewicht auf Ak-kumulation durch Enteignung. So finanzieren sie sich übrigens auch zu-meist. Sie können hierzu direkte / formelle als auch indirekte / informelle („Penetration“) Mittel einsetzen, was sie notfalls in „cäsaristischer“ (un-demokratischer) Manier und mit einem signifikanten, allerdings nicht unbegrenzten Einsatz von Zwang auch tun. Die Beziehung zwischen dem Raum der Kapitalakkumulation selbst ( „space of capital“) und dem Raum der Reproduktion ihrer Bedingungen („space of state“) steht im Mittelpunkt des imperialen Gebäudes. Die Fähigkeit und Ambition, Welt-ordnung zu bilden unterscheidet heute Imperien von anderen Ordnungen.
Im übrigen setzen Imperien immer deutliche moralpolitische Unterschei-dungen: für ihre Protagonisten sind sie „gute“ Unternehmungen gegen-über dem „Außen“ oder dem „Bösen“, dessen Entstehung oder Entwick-lung etwa zum Hegemonialkonkurrenten es ggf. auch durch massive In-tervention zu verhindern gelte. Dabei machen sie eine Kultur der eigenen Superiorität, der Aberkennungspolitiken und der Respektversagung stark, bieten aber zugleich als eigene Leistung das Management der glo-balen Akkumulation, Zugang zu ihr und deren politisch-militärische Si-cherung, zu stabilen Zukunftsperspektiven, endlich auch zu einer be-stimmten zivilisatorischen Moral und einer zumeist differenzierten Kul-tur. Der Begriff des Empire ist daher keineswegs überholt – doch wer nach dem letzten „amerikanischen Jahrhundert“ nunmehr Subjekt und Formgeber sein wird, ist offen.
http://www.rainer-rilling.de/texte/Empire-ABC.pdf