Kohlhaas hat geschrieben:
Erstens: In den einschlägigen Wissenschaften gibt es keine ernstzunehmenden Vertreter, die bestreiten würden, dass sich sowohl die Hallstatt-Kultur als auch die Jastorf-Kultur aus der "umgebenden" Urnenfelder-Kultur heraus entwickelt hat. Es gibt heute niemanden mehr, der die Erscheinungen von Hallstatt oder Jastorf mit Zuwanderung/Eroberung durch auswärtige Gruppen - etwa aus Asien oder Skandinavien - erklären würde. Die ÄLTESTEn Hinterlassenschaften der Hallstatt-Kultur werden datiert auf etwa 800 v.Chr.. Die ÄLTESTEN Hinterlassenschaften der Jastorf-Kultur werden datiert auf etwa 600 v.Chr. Das ERSTE Indiz für die Herausbildung einer germanischen Sprache (erste germanische Lautverschiebung) wird datiert auf einen Zeitpunkt "in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends". Also frühestens: 500 v. Chr.
Archäologen und Historiker sind sich einig, dass es in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. Menschen gab, die keltisch sprachen, und dass diese Kelten Träger der Latène-Kultur waren, die etwa 500 v. Chr. einsetzt. Im Kerngebiet der keltischen Latène-Kultur gibt es eine Fülle archäologischer Hinterlassenschaften, die diese Kultur exakt charakterisieren.
Das Zentrum von Latène liegt in Ostfrankreich und Süddeutschland und das ist der Bereich, wo man mit Kelten rechnen kann. Keltische Namen für Flüsse, Berge, zuweilen auch Siedlungen, begegnen in einem Gebiet, dessen Nordgrenze vom Niederrhein über das keltische "Eisenach" bis nach Böhmen verläuft. Keltisch sind die Namen vieler deutscher Flüsse, so die von Rhein, Lippe, Ruhr, Lahn, Main, Nidda, Neckar und Tauber. Auch Donau, Isar und Lech tragen keltische Namen. Der Gesamtraum keltischer Orts- und Gewässernamen greift später aus über ganz Frankreich, nach Mittelspanien (Keltiberer) und Britannien.
Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich in Norddeutschland die Jastorf-Kultur. Archäologen und Historiker sind sich ziemlich sicher, dass wir damit die früheste Kultur vorfinden, die von Germanen getragen wurde. Seit mindestens der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. setzte der lang andauernde Abspaltungsprozess der germanischen Sprachkultur ein. Er war zunächst auf ein kleines Areal begrenzt, neuere Forchungen zu Orts- und Gewässernamen weisen auf das südliche Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Das Gemeingermanische war spätestens um 500 v. Chr. ausgegliedert.
Wenn es rund 500 Jahre später keine Kelten mehr bis zur Donau gibt, sondern dieser Raum allein von germanischen Stämmen eingenommen wird, dann muss eine Südwanderung der Germanen von ihrem kleinen Ausgangsareal in Norddeutschland erfolgt sein. Es ist kaum vorstellbar, dass es dabei lediglich um eine germanische Kulurtrift geht. Die keltische Bevölkerung in diesem Raum wurde vermutlich sowohl assimiliert als auch verdrängt und verlor ihre Identität. Aus dieser germanisch-keltischen Verschmelzung gingen ethnisch gemischte Nachkommen hervor, die Germanisch sprachen, und eine große Affinität zur keltischen Latène-Kultur entwickelten. Wo derartige ethnische Fusionsprozesse abliefen und wo nicht, lässt sich heute nicht mehr sagen.
Sicher ist, dass die Germanen der vorrömischen Eisenzeit im Schatten der keltischen Kultur standen. Der zivilisatorischen Abhängigkeit auf der einen Seite steht die sich ständig steigernde politische Wirksamkeit germanischer Gruppen auf der anderen Seite gegenüber. Aufnahmebereitschaft und Anpassungsfähigkeit in der Lebenshaltung, wachsender Abstand im politischen und militärischen Bereich: das sind die Pole, die das Verhältnis der germanischen Stämme zu ihren Nachbarn während der drei Jahrhunderte vor der Zeitenwende bestimmen. Die Eroberungen Roms an Oberrhein und oberer Donau beendeten das Zeitalter der Kelten in Mitteleuropa. Ferner erfolgte ein elbgermanischer Vorstoß nach der Mitte des 1. Jh. v. Chr., der über den Rhein und bis zum Main und Neckar ausgriff.
Am Ende dieser Entwicklung verschwanden sowohl die keltisch Latène-Kultur als auch ihre keltische Träger - zumindest in Mitteleuropa. Den einst keltisch bestimmten Raum nördlich der Doaau nahmen germanische Stämme wie Markomannen, Hermunduren, Sueben oder Chatten ein. Der keltische Raum südlich der Donau wurde von Rom besetzt, während die keltischen Bevölkerungsreste rasch romanisiert wurden. Archäologen finden schon bald keine Spuren mehr, die auf eine keltische Identität hindeuten.