Kelten und Germanen

Moderator: Barbarossa

Cherusker
Mitglied
Beiträge: 2074
Registriert: 02.04.2014, 21:51
Wohnort: Weserbergland im ehemaligen Gebiet der Cherusker

Kohlhaas hat geschrieben:
Dietrich hat geschrieben:Als früheste germanische Kultur gilt die Jastorf-Kultur, die etwa um 600 v. Chr. in Norddeutschland entstand. Während sich die Kelten bis zur Linie der deutschen Mittelgebirge ausbreiteten, rückten die Germanen ab etwa 200 v. Chr. nach Süden und Westen vor.

Die keltische La-Tène-Kultur und die eisenzeitlichen germanischen Kulturen sind archäologisch gut voneinander unterscheidbar. Lediglich dort, wo sich beide Kulturen berühren, gibt es eine kulturelle Übergangszone. Und da Keltisch und Germanisch zwei durchaus unterschiedliche Sprachen sind, gelten Kelten und Germanen selbstvertsäbdlich als zwei verschiedene Ethnien.
Das war lange Zeit herrschende Meinung. Dazu fand ich folgendes interessantes Interview:
http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelge ... 05309.html
Da befaßt sich ein Althistoriker mit dem Thema. Natürlich weiß kein Mensch, wie sich die Germanen selbst genannt haben und woher der Name überhaupt kam? Ebenso die Kelten, die in Frankreich als Gallier bezeichnet wurden.
Die Griechen haben es sich einfacher gemacht. Alle Nicht-Griechen sind Barbaren ! Und diese Barbaren waren aus griechischer Sicht mutig und nicht intelligent. Cicero kam dann zur Erkenntnis, daß die Griechen so barbarisch wie die Römer seien. Schließlich wollte man sich als Römer nicht barbarisch beschimpfen lassen.
Archäologisch gibt es z.Zt. keine Unterscheidung der germanischen Stämme. Man kann keine Elb-/Rhein-Weser-/Nordsee-Germanen als homogene Gruppe zusammenfassen. Sondern nur als eine römische Bedrohung durch verschiedene Gruppen.
Die Struktur der Germanen war die Römer ein Problem, das sie mit ihrer Verwaltung die Gebiete, anders wie im keltischen Raum nicht beherrschen konnte. Es gab zuviele Einzelsiedlungen und keine Städte. In Gallien brauchte Cäsar nur die Städte erobern und schon konnte er das Gebiet verwalten.
Aber es gab eine Gemeinsamkeit aller germanischen Stämme von Skandinavien, England, Niederlande bis Deutschland und zwar durch die gemeinsame Kunst, d.h. der Stil der Tierbilder. Diese Tierbilder stellten die germanische Weltanschauung dar. Diese germanische Kunst fand nach strengen Regeln statt und es gab keine künstlerische Freiheit. Diese Tierbilder wurden von Spezialisten hergestellt und waren z.B. auch im gesamten Ostseeraum verbreitet. Sie galten bis in die Wikingerzeit. Auch wenn die einzelnen germanischen Stämme untereinander verfeindet waren, so gab es hier eine Identität. Über die Aussage bzw. Bedeutung kann man heutzutage nur spekulieren. Aber in einer Kultur, in der gewöhnlich alles mündlich überliefert wurde, hatten diese Tierbilder Symbole und jeder Germane kannte die Bedeutung. Daher auch die Vereinheitlichung.
Cherusker
Mitglied
Beiträge: 2074
Registriert: 02.04.2014, 21:51
Wohnort: Weserbergland im ehemaligen Gebiet der Cherusker

Ich habe nochmals ein wenig rumgesucht und einen Vortrag von Dr. Sebastian Möllers wiedergefunden. Dort hatte er die größte Ausdehnung des Keltenlandes mit einer Fläche 1/4 Europas dargestellt. Herodot sah im 5./6.Jh. die Kelten im gesamten mitteleuropäischen Raum, aber besonders an der Donau. Poseidonius kennt 80v.Chr. schon die Germanen, die Milch und ungemischten Wein verkonsumieren. Strabon sieht jenseits des Rheins Germanen, während die Griechen auch dort Kelten vermuten (was auch für den südlichen Teil Deutschlands stimmt). Erst die Kimbern und Teutonen hatten zu einem intensiven Kontakt mit diesen südlichen Ländern geführt. Vorher war der Norden eigentlich völlig uninteressant. Kelten, Germanen und Skythen waren bekannt. Cäsar sah dann die Rheingrenze als Teilung der Kelten und Germanen an. Die Kelten (Gallien) sind kulturell wesentlich weiter als die Germanen, aber früher seien auch sie wesentlich kriegerischer gewesen. Die Germanen kann man in 3 Gruppen unterscheiden:
1. Elb-Germanen (Jastorf-Kultur)
2. Nordseegermanen (bis in den Osnabrücker Raum)
3. Nordische Gruppe (Skandinavier)

Die Nienburger- und Jastorfer-Gruppe fallen durch ihre Brandbestattungen auf. Dagegen gibt es bei den Kelten Flachgräber mit Skelettbestattungen. Weiterhin führt er die Schnippenburg auf, die dort eine Sachkultur darstellt, die es vorher in der Gegend nicht gab. Fund z.B. keltische Schwertkette. Viele Gruben mit Gegenständen (z.B.aus Böhmen den Zentrum der keltischen Kultur) sind in der Befestigung zu finden. Es gab ein ausgebautes Wegenetz zwischen Manching, Prag, Gallien und der Schnippenburg). Von Manching zur Schnippenburg brauchte man ca. 3 Wochen. Dr. Möllers sieht einen Nord-West-Block für nicht existent. Und es gibt keine Völker zwischen Germanen und Kelten.
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Cherusker hat geschrieben:Ich habe nochmals ein wenig rumgesucht und einen Vortrag von Dr. Sebastian Möllers wiedergefunden. Dort hatte er die größte Ausdehnung des Keltenlandes mit einer Fläche 1/4 Europas dargestellt. Herodot sah im 5./6.Jh. die Kelten im gesamten mitteleuropäischen Raum, aber besonders an der Donau. Poseidonius kennt 80v.Chr. schon die Germanen, die Milch und ungemischten Wein verkonsumieren. Strabon sieht jenseits des Rheins Germanen, während die Griechen auch dort Kelten vermuten (was auch für den südlichen Teil Deutschlands stimmt). Erst die Kimbern und Teutonen hatten zu einem intensiven Kontakt mit diesen südlichen Ländern geführt. Vorher war der Norden eigentlich völlig uninteressant. Kelten, Germanen und Skythen waren bekannt. Cäsar sah dann die Rheingrenze als Teilung der Kelten und Germanen an. Die Kelten (Gallien) sind kulturell wesentlich weiter als die Germanen, aber früher seien auch sie wesentlich kriegerischer gewesen. Die Germanen kann man in 3 Gruppen unterscheiden:
1. Elb-Germanen (Jastorf-Kultur)
2. Nordseegermanen (bis in den Osnabrücker Raum)
3. Nordische Gruppe (Skandinavier)

Die Nienburger- und Jastorfer-Gruppe fallen durch ihre Brandbestattungen auf. Dagegen gibt es bei den Kelten Flachgräber mit Skelettbestattungen. Weiterhin führt er die Schnippenburg auf, die dort eine Sachkultur darstellt, die es vorher in der Gegend nicht gab. Fund z.B. keltische Schwertkette. Viele Gruben mit Gegenständen (z.B.aus Böhmen den Zentrum der keltischen Kultur) sind in der Befestigung zu finden. Es gab ein ausgebautes Wegenetz zwischen Manching, Prag, Gallien und der Schnippenburg). Von Manching zur Schnippenburg brauchte man ca. 3 Wochen. Dr. Möllers sieht einen Nord-West-Block für nicht existent. Und es gibt keine Völker zwischen Germanen und Kelten.
Völlig unverständlich fehlt die große Gruppe der Latene-Germannen im Süden zumindest von den Ubiern bis zu den Lugiern/Vandalen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Cherusker
Mitglied
Beiträge: 2074
Registriert: 02.04.2014, 21:51
Wohnort: Weserbergland im ehemaligen Gebiet der Cherusker

Paul hat geschrieben:
Völlig unverständlich fehlt die große Gruppe der Latene-Germannen im Süden zumindest von den Ubiern bis zu den Lugiern/Vandalen.
Tja, Paul, nach heutigem Stand der Wissenschaft hat es Deine "hochentwickelten" Latene-Germanen nicht gegeben. Nach Dr. Th. Maurer gab es im Rhein-Main-Gebiet keltische Oppida, die 50v.Chr. größtenteils aufgegeben worden sind. Weiterhin existierte u.a. in Bad Nauheim ein Oppidum. Die Kelten saßen in der Wetterau und weniger im Hessischen Ried. Es kamen noch Siedler aus dem heutigen Polen (Oder) dazu und danach die Elbgermanen (Ariovist Sueben). Diese suebischen Wanderungen zerstörten wohl den größten Teil der keltischen Oppida.
Um die Zeitenwende lassen sich in der Wetterau kaum Funde tätigen, weiterhin gibt es eine fundleere in der Untermainlinie und im Hessischen Ried, obwohl sie schriftlich erwähnt wird. Südlich des Mains gibt es nach 50v.Chr. eine relativ menschenleere Gegend (Siedlungsverbot seitens Cäsar?) und nur die Kelten nutzen die Tiefebene als Weideland. Es folgen die Elbgermanen (Sueben) in das Hessische Ried. 20-10v.Chr. sind auch dänische Germanen anwesend. 15-70n.Chr. kommt es wahrscheinlich zu germanischen Ansiedlungen. Diese Siedlungskammern strecken sich bis Basel. 69/70n.Chr. lassen sich keine Germanen mehr nachweisen. Es wird vermutet, daß sie im Römischen Reich assimiliert wurden, einfach weggezogen sind bzw. sich dem Bataveraufstand anschlossen.
In der Wetterau gab es eine Mischbevölkerung, die teilweise aus wenigen Ost- und Westgermanen, aber größtenteils aus Kelten bestand. Die Chatten saßen größtenteils in Südniedersachsen und Nordhessen (15n.Chr.), waren aber zum Teil auch bis an den Rhein. 11v.Chr. errichtet Drusus ein Rheinlager in der Nähe der Chatten im ehemaligen Ubiergebiet (die nach Köln abgewandert waren). Die verbleibenden Chatten heißen jetzt Mattiaker (47n.Chr. erstmals erwähnt) und dienen mit Truppen den Römern. Es gibt die These, daß die Römer bei der Eroberung von Mattium die chattischen Jungmannschaften gefangen genommen und assimiliert haben, um sie dann bei Mainz anzusiedeln. Tacitus hat die Mattiaker als ziemlich römisch assimiliert beschrieben. Es gibt geringe Funde der Mattiaker und bisher keine Funde von ihnen im Rheingau. Bei Flörsheim wurden Mattiaker Gräber mit einheimischer Bewaffnung gefunden.
13 v.Chr. wurde das Kastell Mainz gegründet. Somit versuchten die Römer in dem Gebiet Macht auszuüben. Nach Neros Tod belagern Usipeter, Mattiaker und Chatten Mainz und zerstören alles im rechtsrheinischen Raum.


Im heutigen Hessen im Rhein-Main-Gebiet lassen sich Germanen (Sueben, Chatten/Mattiaker, sowie diverse germanische Einzelgruppen), Kelten, Römer und "polnische" Siedler nachweisen. Aber von "Latene"-Germanen gibt es keine Spuren. Auf welche Quellen beziehst Du Dich? Höchstwahrscheinlich waren Deine "Latene"-Germanen nur verbliebene Kelten ? :eh:
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15546
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Kohlhaas hat geschrieben:...
Zu den archäologischen und historischen Bezügen in der Arbeit kann ich nur Laienmeinungen abgeben. Ich kann allerdings sagen, dass all dies aus Sicht der Soziologie (mein Fachgebiet) durchaus plausibel ist.

Und eine These des Werks lautet: Zu Zeiten des Arminius gab es keinen Stammesadel! Stammesgesellschaften sind "egalitäre" Gesellschaften. Das heißt nicht, dass alle Menschen gleich sind. Sicher gab es Personen, die reicher, angesehener und sogar mächtiger waren als andere Personen. Die Stellung dieser Personen war aber nicht in der Gesellschaftsstruktur begründet. Sie konnten die Position nicht "vererben". Wir reden über eine Gesellschaft, in der jedes Individuum sich sein Recht selbst verschaffen musste - bevorzugt mit Gewalt, denn Gesetze gab es ja nicht.
Aber es gab die erwähnten Zusammenkünfte.
Und "egalitär" lebten die Germanen auch nicht, da es sogar auch Sklaven und Unfreie gab.
Zum Stammesadel zitire ich mal meine Quelle: Die Germanen, Band 1, S. 537 - 539 vom Akademie-Verlag Berlin (1983 - nicht mehr ganz neu zugegeben)

"Die politische Führung des Stammes hatte der Gentiladel (nobiles, principes, reges, duces, proceres, praepositi) inne, aus dem der Stammesführer (rex) als Repräsentant der Gemeinschaft und der Kriegsführer (dux) gewählt wurden. Beide waren oft personengleich. Aus dem Gentiladel kamen sicher auch die Priester (sacerdotes) ; z. B. war der Sohn des Segestes, Segimund, römischer Priester (Tacitus, Ann. 1, 57). Damit versuchten die Römer, den germanischen Adel über den Kult an sich zu binden. In der Struktur des Gentiladels und seiner Macht bestanden sicher Unterschiede zwischen den Stämmen. Tacitus betont jedoch nachdrücklich, daß die "reges" keine unbegrenzte oder willkürliche Macht besaßen und daß die "duces" nur durch ihr Vorbild wirken mußten (Germ. 7).
Diese soziale Schicht erweiterte in den letzten Jahrzehnten [v. Chr.] ihre Macht zunächst bei kriegerischen Ereignissen. Raub und Tributerhebungen führten über eine ungleichmäßige Verteilung zu ihrer Bereicherung. (...)
Der Stammes- und Kriegsführer wurde bereits zu Beginn u. Z. im Rhein-Weser-Gebiet aus bestimmten Sippen (stirps regia der Bataver und Cherusker: Tacitus, Ann. 11, 16 u. Hist. 4, 13; Markomannen: Germ. 42) gewählt. Besonders ausgeprägt war nach Angaben des Tacitus das "Königtum" im östlichen Germanien (Germ. 44). Die wirtschaftliche Kraft des Gentiladels und ähnlicher Schichten gründete sich u. a. auf Abgaben der eigenen und fremden Stammesbevölkerung (Tribute, Ehrengeschenke), auf Ausbeutung Unfreier in Verbindung mit einer ungleichen Bodenverteilung und auf die mögliche Bindung eines Teiles der handwerklichen Produktion an seinen Hof. Das bedingte, daß sich diese immer mehr von der manuellen Tätigkeit lösen konnte und in Raub, Krieg und Verwaltung ihre Aufgabe sahen (W. Sellnow 1963), S. 835; dazu auch Tacitus, Germ. 14-15).
(...)
Seine politische Stellung, aber auch die des Stammes, versuchte der Gentiladel durch Heiraten mit Angehörigen fremder Stämme zu festigen. Jagt zu Pferde, Trinkgelage und Würfelspiel gehörten zur Lebensweise des Adels, die sich der römischen anlehnte. (...)
Der Stammesführer geriet in seinem Streben nach Machterweiterung sehr oft in Widerspruch zum übrigen Adel und zur Stammesbevölkerung (W. Sellnow 1963, S. 802). Diese Entwicklung kommt in den zahlreichen Sippenfehden innerhalb der Stämme zum Ausdruck, die sich die Römer zunutze machten."

Das soll dazu erst einmal reichen.
Ich denke, das, was du als Herausbildung von Gefolgschaften interpretierst, war nichts weiter, als eine Macht- und Besitzerweiterung des bereits bestehenden Stammesadles (also bestimmter Sippen innerhalb des Stammes, was die Position des Adels auch erblich machte), der sich zudem Stück für Stück auch Privilegien aneignete. Das führte natürlich auch zu Streitigkeiten und sogar Fehden...
Kohlhaas hat geschrieben:Das lässt sich übrigens auch an den römischen Quellen ablesen. Tacitus sagt unmissverständlich, dass germanische "Adelige" und "Könige" nicht das Recht hatten, Befehle zu erteilen. Wichtige Entscheidungen wurden in der Volksversammlung getroffen, und da hatte jeder kleine Kleinbauer, der Waffen tragen konnte, das gleiche Stimmrecht wie jeder Mächtige.
Das ist richtig. Der Heerführer musste mit gutem Beispiel vorangehen, wenn er seine Position halten wollte. Gelang diesem das nicht, folgt logischerweise daraus, dass ein anderer Heerführer gewählt wurde - aber auch wieder aus dem Stammesadel.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Kohlhaas
Mitglied
Beiträge: 155
Registriert: 19.06.2015, 17:29

Barbarossa hat geschrieben:Aber es gab die erwähnten Zusammenkünfte.


Und "egalitär" lebten die Germanen auch nicht, da es sogar auch Sklaven und Unfreie gab.
Zum Stammesadel zitire ich mal meine Quelle: Die Germanen, Band 1, S. 537 - 539 vom Akademie-Verlag Berlin (1983 - nicht mehr ganz neu zugegeben)
Tja, so ist das Leben. Wenn alle gleich sind, gibt es immer welche, die gleicher sind als andere.

Aber Scherz beiseite. Ich denke, hier verwirren sich Begriffe aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Der Begriff "egalitär" bedeutet nicht, dass alle gleich waren. Natürlich gab es Menschen, die stärker, reicher, tapferer, klüger, besser vernetzt, glücklicher (...fast beliebig fortsetzbar...) waren als andere. Diese Menschen hatten in ihrer Gesellschaft faktisch größeren Einfluss als die breite Masse (vielleicht sogar "Macht"). Diese Vorteile ergaben sich aber aus den persönlichen "Vorzügen" dieser Menschen. Sie waren nicht (oder nur sehr bedingt) vererbbar. Irgendwann wird auch der stärkste Krieger alt, irgendwann stirbt auch der reichste Bauer, irgendwann wird der weiseste Mensch vergesslich. Und jeder junge Mann, der stark, tapfer, klug (...beliebig erweiterbar...) wurde, hatte potenziell die Möglichkeit, in die Schicht der "Mächtigen" aufzusteigen. Die gesellschaftlichen Unterschiede, die in der Stammesgesellschaft zu beobachten sind, haben ihre Ursache in der Person, nicht in gesellschaftlichen Strukturen. Deswegen definiert die Soziologie "soziale Ungleichheit" als "unterschiedliche Zugangschancen zu gesellschaftlichen Positionen unterschiedlichen Vorteils". Ein Beispiel aus heutiger Zeit: Mein Nachbar ist Rentner, ich bin es nicht. Ich muss arbeiten, er nicht. Wir sind nicht gleich. Es ist trotzdem keine Ungleichheit im soziologischen Sinne, denn irgendwann werde auch in Rentner. Wenn ich mich nicht vorher totarbeite. :wink:

Zudem hatte ich ja schon darauf hingewiesen, dass man die Bedeutung des Begriffs "egalitär" im Zusammenhang mit Stammesgesellschaft nicht romantisch verklären darf. Das war keine Gesellschaft, in der alle sich lieb hatten weil aufgrund göttlicher Fügung oder per Naturrecht oder niedergeschriebener Verfassung jeder verpflichtet war, allen anderen gleiche Rechte zuzugestehen. "Egalitär" war die Gesellschaft, weil potenziell Jeder seinen Willen mit Gewalt durchsetzen konnte (denn anders als mit Gewalt ging es im Zweifel nicht).

Dabei war dieses "Jeder" von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis - nämlich auf die Bewaffneten - beschränkt. Besiegte, Kriegsgefangene oder auch "fremde Zuwanderer" ohne hinreichend große Sippe hatten gar keine Möglichkeit, Interessen durchzusetzen. Die hatten folglich auch gar keine Rechte. Das fing doch sogar schon in der Familie an. Die Stellung der Frau in solchen Gesellschaften könnte von "egalitär" gar nicht weiter entfernt sein.

"Egalitär" heißt im Grunde nur, dass in der Gesellschaftsstruktur keine Faktoren existieren, die bestimmten Personen/Gruppen dauerhaften Anspruch auf Gehorsam sichern.

Was die Zitate aus dem Band "Die Germanen" betrifft, haben wir ein ähnliches "Definitionsproblem". Da ist die Rede von "Gentiladel". Im Rahmen der impliziten Definitionen ist die Bezeichnung auch durchaus treffend. Sie meint die Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Vorzüge herausragende Stellungen erlangt haben. Und wenn in einer Gesellschaft immer wieder Personen aus einer ganz bestimmten Sippe besondere Vorzüge aufweisen und zu "Ruhm" gelangen, dann überträgt sich die besondere Stellung sogar auf die Sippe (strips regia). All das ist aber immer noch weit entfernt von dem, was "Adel" innerhalb einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft ist.

Der Begriff "Adel" definiert sich aus dem Zustand der feudalen hochmittelalterlichen Gesellschaft. Wenn man versucht, diesen Begriff inhaltlich unverändert (oder auch nur "undefiniert anders") auf "gentile Gesellschaften" (Stammesgesellschaften) anzuwenden, dann kann das nur zu Irrtümern führen. Das, was wir aufgrund der Entwicklung unserer Gesellschaft unter "Adel" verstehen, hat genau gar nichts zu tun mit dem, was der "Adel" in Stammesgesellschaften war.

Auch diese "Verwirrung" verdanken wir übrigens den Römern. Die hatten nämlich die Angewohnheit, ihre spezifische Gesellschaftsform für gottgewollt richtig - moderne Vokabel dafür: "alternativlos" - zu halten. Deshalb haben sie Erscheinungsformen anderer Gesellschaften gern mit "römisch geprägten" Begriffen beschrieben. Beispiel: Ariovist konnte für alle Germanen unter seinem Kommando sprechen, er konnte anordnen, wann die Verbände wohin weiterzogen. Folglich musste er ein "König" sein. Die Idee, dass Ariovist nur ein "auf Zeit" gewählter Heerführer war, der nach (erfolgreichem) Abschluss des Krieges wieder zu einem "normalen" (wenngleich hochgeachteten) Krieger herabsinken würde, ist den Römern gar nicht gekommen. So eine Gesellschaftsstruktur lag völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft.
Ich denke, das, was du als Herausbildung von Gefolgschaften interpretierst, war nichts weiter, als eine Macht- und Besitzerweiterung des bereits bestehenden Stammesadles (also bestimmter Sippen innerhalb des Stammes, was die Position des Adels auch erblich machte), der sich zudem Stück für Stück auch Privilegien aneignete. Das führte natürlich auch zu Streitigkeiten und sogar Fehden...
Ja, genau das kommt dabei heraus, wenn Begrifflichkeiten mit unklaren oder gar gegensätzlichen Definitionen verwendet werden. Und das meine ich jetzt nicht als Vorwurf gegen Deine Argumentation.

In der Geschichtswissenschaft ist es unumstritten, dass es während und nach der römischen Kaiserzeit in Germanien zu einem Zusammenbruch der Stammesstrukturen und zu einer Überlagerung durch Gefolgschaftsstrukturen gekommen ist. Längere Zeit haben Stämme und gefolgschaftliche Verbände nebeneinander und sogar miteinander operiert. Aber irgendwann gewannen die gefolgschaftlichen Strukturen ein Übergewicht. Sie wurden dominierend. Ausdruck dessen war die Völkerwanderung. Besser: Die Völkerwanderungen. Das Ergebnis war die Erscheinung des Heerkönigtums.

Schon gegen Ende des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wird dieser Umbruch (wahrscheinlich!) archäologisch fassbar. Wir haben da reich (germanisch) ausgestattete Gräber von Menschen, die offensichtlich eine besondere Rolle innerhalb der Stammeskultur gespielt haben. Gleicher Bestattungsritus (Verbrennung) mit sehr reichen Beigaben. Parallel dazu finden sich zunehmend Bestattungen, die ebenfalls sehr reich (allerdings stark römisch beeinflusst) ausgestattet waren, aber einem völlig anderen Ritus folgten: Körperbestattungen. Und das tief in Germanien!

Einige Historiker verbinden das mit einem Umschwung in der Jenseitsvorstellung. Demnach war Tiwaz (Tiu, Ziu) der Gott der Stammeskultur und der Volksversammlung (Thing). Odin/Wotan hingegen war der Gott der Gefolgschaftskultur.

All das ist aufgearbeitet in einer Arbeit von Reinhard Wenskus (Titel: Stammesbildung und Verfassung), das ich leider auch nur auszugsweise kenne.

Übrigens: Was ich hier die ganze Zeit beschreibe, ist der "Idealtyp" der Stammesgesellschaft. Die realen Stämme der Zeit um das Jahr Null werden diesem Idealtyp schon nicht mehr entsprochen haben. Die römischen Quellen lassen darauf schließen, dass die "Genese" der Stämme unter römischem Einfluss sehr rasant verlaufen ist. Innerhalb von wenigen Jahren waren nicht nur Stämme voll formiert, sie bildeten auch schon Koalitionen untereinander. So brüchig die damals auch noch waren. Außerdem kann man davon ausgehen, dass die stark "keltisch" beeinflussten Stämme in der Kontaktzone (Mittelgebirge und entlang des Rheins) sehr viel vertrauter mit gesellschaftlichen Hierarchien waren als die nördlich und östlich der Main-Linie siedelnden Gruppen. Die Existenz von Oppida jedenfalls setzt hierarchische Strukturen geradezu voraus. Ob die Gesellschaftsstruktur z.B. im Umfeld von Dünsberg der Struktur im Umkreis von Manching oder gar der von Heidengraben geähnelt hat, ist wieder eine andere Frage. Wahrscheinlich nicht. Aber da landen wir wieder bei der Erkenntnis, dass die archäologische Sachkultur nichts über deren Träger aussagt.
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Cherusker hat geschrieben:
Paul hat geschrieben:
Völlig unverständlich fehlt die große Gruppe der Latene-Germannen im Süden zumindest von den Ubiern bis zu den Lugiern/Vandalen.
Tja, Paul, nach heutigem Stand der Wissenschaft hat es Deine "hochentwickelten" Latene-Germanen nicht gegeben. Nach Dr. Th. Maurer gab es im Rhein-Main-Gebiet keltische Oppida, die 50v.Chr. größtenteils aufgegeben worden sind. Weiterhin existierte u.a. in Bad Nauheim ein Oppidum. Die Kelten saßen in der Wetterau und weniger im Hessischen Ried. Es kamen noch Siedler aus dem heutigen Polen (Oder) dazu und danach die Elbgermanen (Ariovist Sueben). Diese suebischen Wanderungen zerstörten wohl den größten Teil der keltischen Oppida.
Um die Zeitenwende lassen sich in der Wetterau kaum Funde tätigen, weiterhin gibt es eine fundleere in der Untermainlinie und im Hessischen Ried, obwohl sie schriftlich erwähnt wird. Südlich des Mains gibt es nach 50v.Chr. eine relativ menschenleere Gegend (Siedlungsverbot seitens Cäsar?) und nur die Kelten nutzen die Tiefebene als Weideland. Es folgen die Elbgermanen (Sueben) in das Hessische Ried. 20-10v.Chr. sind auch dänische Germanen anwesend. 15-70n.Chr. kommt es wahrscheinlich zu germanischen Ansiedlungen. Diese Siedlungskammern strecken sich bis Basel. 69/70n.Chr. lassen sich keine Germanen mehr nachweisen. Es wird vermutet, daß sie im Römischen Reich assimiliert wurden, einfach weggezogen sind bzw. sich dem Bataveraufstand anschlossen.
In der Wetterau gab es eine Mischbevölkerung, die teilweise aus wenigen Ost- und Westgermanen, aber größtenteils aus Kelten bestand. Die Chatten saßen größtenteils in Südniedersachsen und Nordhessen (15n.Chr.), waren aber zum Teil auch bis an den Rhein. 11v.Chr. errichtet Drusus ein Rheinlager in der Nähe der Chatten im ehemaligen Ubiergebiet (die nach Köln abgewandert waren). Die verbleibenden Chatten heißen jetzt Mattiaker (47n.Chr. erstmals erwähnt) und dienen mit Truppen den Römern. Es gibt die These, daß die Römer bei der Eroberung von Mattium die chattischen Jungmannschaften gefangen genommen und assimiliert haben, um sie dann bei Mainz anzusiedeln. Tacitus hat die Mattiaker als ziemlich römisch assimiliert beschrieben. Es gibt geringe Funde der Mattiaker und bisher keine Funde von ihnen im Rheingau. Bei Flörsheim wurden Mattiaker Gräber mit einheimischer Bewaffnung gefunden.
13 v.Chr. wurde das Kastell Mainz gegründet. Somit versuchten die Römer in dem Gebiet Macht auszuüben. Nach Neros Tod belagern Usipeter, Mattiaker und Chatten Mainz und zerstören alles im rechtsrheinischen Raum.


Im heutigen Hessen im Rhein-Main-Gebiet lassen sich Germanen (Sueben, Chatten/Mattiaker, sowie diverse germanische Einzelgruppen), Kelten, Römer und "polnische" Siedler nachweisen. Aber von "Latene"-Germanen gibt es keine Spuren. Auf welche Quellen beziehst Du Dich? Höchstwahrscheinlich waren Deine "Latene"-Germanen nur verbliebene Kelten ? :eh:
Die Ubier haben ihre Wohnsitze nicht verlasssen. Bis auf die von den Römern zerstörte Dünsbergstadt blieben alle Städte des ubischen Unterstammes der Cubi erhalten und erfreuen sich bis heute eines regen Lebens. Der Geburtenüberschuß ist zum Teil in römische Gebiete, teils nach Ostmittelhessen gegangen. Bei den Matthiakern handelt es sich wahrscheinlich wie bei den Cubi und Usipeter und anderen um ubische Unterstämme. Als "Chatten" in die Gebiete südlich der Adrana wanderten, vermischten sie sich mit der ubischen Mehrheitsbevölkerung und lebten dann auch in der Latene Kultur, wie die Tenkterer, Hermunduren und Lugier/Vandalen.
"Chatten" war wahrscheinlich kein echter Stammesname. Die Römer nannten ihre Gegner in Hessen nach ihrer Partisanenkampfweise nach den Katzen. Der Stammesname der Bevölkerung nördlich der Adrana hies wahrscheinlich Matthis.
Bad Nauheim war eine Stadt des ubischen Unterstammes der Usipeter. Es war keine Bergsiedlung. Nach dem Sieg der Ubier gegen die Sueben zogen diese sich hinter die Fulda zurück. Bad Nauheim, Büdingen, Lauterbach... blühten wieder auf.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Cherusker hat geschrieben:Ich habe nicht in Zweifel gezogen, dass an der Stelle gekämpft wurde. Und nicht nur dort. Auch auf dem Dünsberg ist eine Schlacht ausgetragen worden. Trotzdem gibt es keine Belege für ein großflächiges "Verdrängen" keltischer Gruppen durch Germanen ab 200 v.Chr. Hätte es so eine Verdrängung gegeben, müssten die Archäologen im Fundgut Hinweise auf einen "Zerstörungshorizont" finden. Sowas gibt es aber nur punktuell und ohne dass klar wäre, wer da gegen wen gekämpft hat.

Nach der Zerstörung gab es keine weiteren Funde für diese "keltische" Kultur, d.h. es wurden keine neuen Wallanlagen gebaut bzw. wieder aufgebaut. Die Germanen kannten keine großen Wallanlagen, weil sie sich meist bei Gefahr in die Wälder zurückzogen. Einzelne Adlige hatten "Burgen", aber das waren wohl eher befestigte Höfe.
Ab 200v.Chr. endet die keltische Kultur in dem Gebiet.....was soll denn noch als Beweis herhalten? :wink:
Die ubische Dünsberg Stadt wurde in ihrer Blüte durch die Römer zerstört. Weiter westlich blieben die ubischen Städte erhalten. Wir wissen auch nicht, welche Befestigungen sie hatten. Da sie weiter prosperierten gibt es keine Schuttkreise.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15546
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Kohlhaas hat geschrieben:...
Was die Zitate aus dem Band "Die Germanen" betrifft, haben wir ein ähnliches "Definitionsproblem". Da ist die Rede von "Gentiladel". Im Rahmen der impliziten Definitionen ist die Bezeichnung auch durchaus treffend. Sie meint die Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Vorzüge herausragende Stellungen erlangt haben. Und wenn in einer Gesellschaft immer wieder Personen aus einer ganz bestimmten Sippe besondere Vorzüge aufweisen und zu "Ruhm" gelangen, dann überträgt sich die besondere Stellung sogar auf die Sippe (strips regia). All das ist aber immer noch weit entfernt von dem, was "Adel" innerhalb einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft ist.

Der Begriff "Adel" definiert sich aus dem Zustand der feudalen hochmittelalterlichen Gesellschaft...
Ich denke, ich weiß was du meinst. Es geht beim sog. Stammesadel vor allem um persönliche Privilegien und nicht um einen feudalen Adelsstand. Das ist soweit klar. Aber es ging dabei ja auch um Vorzüge durch relativ großen Besitz, der aber auch auf die Nachfahren vererbt wurde. Insofern wurden auch die Privilegien mitvererbt. Im Grunde ist hier zumindest ein roter Faden erkennbar: Durch die stetige Vergrößerung von Besitztümern erlangten die Privilegierten im Laufe von Generationen eine immer größere herausragende Stellung. Die Entwicklung zum Feudalismus war insofern ein fließender Vorgang.
Wahrscheinlich ist das ähnlich, wie bei den sehr Wohlhabenden von heute, die man ja auch umgangssprachlich als "Geldadel" bezeichnet. Und obwohl alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, haben sie durch ihren Besitz eine herausragende Stellung. Und da dieser Besitz auch vererbt wird, ist diese gesellschaftliche Stellung ebenfalls vererbbar. Nur ist es schwer vorstellbar, dass daraus wieder eine Art von echtem Adel wird, denn im Gegensatz zu damals haben wir heute geschriebene Gesetze und nicht mehr nur mündlich überlieferte.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Kohlhaas
Mitglied
Beiträge: 155
Registriert: 19.06.2015, 17:29

Barbarossa hat geschrieben:Ich denke, ich weiß was du meinst. Es geht beim sog. Stammesadel vor allem um persönliche Privilegien und nicht um einen feudalen Adelsstand. Das ist soweit klar. Aber es ging dabei ja auch um Vorzüge durch relativ großen Besitz, der aber auch auf die Nachfahren vererbt wurde. Insofern wurden auch die Privilegien mitvererbt. Im Grunde ist hier zumindest ein roter Faden erkennbar: Durch die stetige Vergrößerung von Besitztümern erlangten die Privilegierten im Laufe von Generationen eine immer größere herausragende Stellung. Die Entwicklung zum Feudalismus war insofern ein fließender Vorgang.
Wahrscheinlich ist das ähnlich, wie bei den sehr Wohlhabenden von heute, die man ja auch umgangssprachlich als "Geldadel" bezeichnet. Und obwohl alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, haben sie durch ihren Besitz eine herausragende Stellung. Und da dieser Besitz auch vererbt wird, ist diese gesellschaftliche Stellung ebenfalls vererbbar. Nur ist es schwer vorstellbar, dass daraus wieder eine Art von echtem Adel wird, denn im Gegensatz zu damals haben wir heute geschriebene Gesetze und nicht mehr nur mündlich überlieferte.
Der Hinweis auf den Geldadel ist gut. In der Tat bietet der Reichtum den Leuten eine herausragende Stellung und unter Umständen sogar großen Einfluss in der Gesellschaft. Allein daraus entsteht aber keine "Herrschaft". Ich denke, das war in den Stämmen genauso. Vor allem erscheint es mir aber fraglich, dass der Stammesadel innerhalb der Stammesstruktur großartig weitere Besitztümer anhäufen konnte. Die Anhäufung von Besitz war eigentlich nur durch Krieg möglich, durch Raubzüge und - insbesondere - durch Landnahmekriege, wie z.B. Ariovist sie geführt hat. Hierbei wurde die Beute dann nach einem System verteilt, das es in der Stammesstruktur nicht gab: Hierarchie. Der Heerführer konnte die schönste Beute für sich selbst und seine Günstlinge/Offiziere reservieren.

Solche Raub- und Landnahmekriege wurden nach Festigung der germanischen Stämme dann zunehmend von gefolgschaftlich organisierten Verbänden geführt. Ariovists Sueben erscheinen wie solch ein Gefolgschaftsheer. Es handelte sich offenbar nicht um einen kompletten Stamm, sondern um "Freiwillige" aus verschiedenen Gruppen.

Sicher haben sich die Gefolgsherren (von den Römern "Princeps" genannt) anfangs aus dem Gentiladel rekrutiert. Sie haben sich mit der Festigung ihrer Gefolgschaften aber zunehmend von den Stämmen "abgelöst": Im Gegensatz zur Stammesgesellschaft kannten die Gefolgschaften keinen Friedenszustand. Krieg war die Grundlage ihrer Existenz. Nur durch Raub und Krieg konnten die Gefolgschaften die Ressourcen heranschaffen, von denen sie lebten. Sie haben damit den Krieg zu einem Dauerzustand gemacht. Das wiederum festigte das Gefolgschaftswesen und etablierte neben der "egalitären" Stammesstruktur eine neue "hierarchische" Struktur, die auf militärischer Befehlsgewalt beruhte.

In dem Maße, wie die Gefolgschaften militärisch leistungsfähiger wurden, nahm die Bedeutung der Stämme ab. Sie wurden zerschlagen, lösten sich letzlich fast vollständig auf und wurden überlagert/ersetzt durch neue "Stammesverbände", die dann auffälligerweise unter neuen Namen wie Franken, Alemannen, Vandalen etc. in Erscheinung traten. Hierbei handelte es sich nicht mehr um "egalitäre" Stammesgesellschaften. Es waren gefolgschaftlich strukturierte Gruppen.

Jedenfalls halte ich es für wahrscheinlich, dass sich der spätere Adel aus den militärischen Kommandostrukturen der Gefolgschaften heraus entwickelt hat.
Dietrich
Mitglied
Beiträge: 1755
Registriert: 04.05.2012, 18:42
Wohnort: Ostfalen

Kohlhaas hat geschrieben: Nein, das sind keine Spekulationen. Wir haben handfeste Belege dafür, dass Gruppen, die von Caesar später als germanisch bezeichnet wurden, keine Berührungsängste gegenüber Gruppen hatten, die Caesar den Galliern zurechnet.
Ich halte es für etwas grotesk darüber zu spekulieren, ob Kelten und Germanen die besten Freunde werden konnten.

Sicher ist, dass Germanen und Deutsche die Gallier und (romanisierten) Kelten als "Welsche" bezeichneten und sich durchaus von ihnen abgrenzten. Im übrigen geht es bei diesem Thema nicht um die zeit Caesars, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Kelten im Raum des heutigen Deutschlands längst von der Bildfläche verschwunden. Germanische Stämme standen an der Donau und hatten die Römer in Süddeutschland als Nachbarn. Die keltischen Bevölkerungsreste zwischen Donau und Alpen wurden von den Römern rasch romanisiert und bereits lange vor ihrem Abzug gab es keine keltische Identität mehr. Wohl aber eine römische Identität noch etwa 200 Jahre über den Abzug der Römer hinaus, die vermutlich von romanisierten Kelten und im Land gebliebenen Romanen getragen wurde.
Kohlhaas hat geschrieben:Noch ein Nachsatz zur Sprache: Sprachen die Leute denn wirklich fremde Sprachen? Ich hatte ja schon gesagt, dass in der Jastorf-Kultur sicherlich eine ganz andere Sprache/Dialekt gesprochen wurde als am Oberrhein. Nur: Wo verlief die Sprachgrenze? Gab es eine solche Grenze überhaupt oder war das ein langsamer und fließender Übergang? Ich halte es für plausibel, dass benachbart lebende "Stämme" sich problemlos miteinander verständigen konnten.
Die Indogermanisten versichern uns, dass sich zur Zeit der Jastorf-Kultur um 600 v. Chr. längst alle indoeuropäischen Sprachen aus dem indoeuropäischen Kontinuum ausgegliedert hatten. Somit gab es um 600 v. Chr. einen keltischen Sprachraum in Ostfrankreich und Süddeutschland und einen germanischen in Norddeutschland. Welche Sprachen andere Völker zwischen Atlantik und Weser sprachen, wissen wir nicht. Es ist ein beliebtes Spiel der Sprachwissenschaftler hier Hypothesen und Spekulationn anzuknüpfen wie z.B. die bereits erwähnte Theorie vom "Nord-West-Block". Der Sprachwissenschaftler Theo Vennemann vermutet eine so genannte "vasconische Sprache" die von den Indoeuropäern zurückgedrängt wurde. Man kann auch über illyrische oder venetische Sprachinseln spekulieren, aber konkrtes kann niemand sagen.
Kohlhaas hat geschrieben:
Widerspruch. Ob man von "Kulturgemeinschaft" oder von "antiker Volksgruppe" spricht, ist von entscheidender Bedeutung. Es ist in unserer Diskussion sogar "des Pudels Kern". Betrachtet man Kelten und Germanen als unterschiedliche antike Volksgruppen, dann verleitet es zu der Deutung, die im 19. Jahrhundert entstanden ist und sich bis heute hält - nämlich dass von Norden eine neue Gruppe nach Mitteleuropa eingewandert ist und dank ihrer größeren kriegerischen Tugenden die ansässigen Völker verdrängt/vertrieben habe. Die These eines großen germanisch-keltischen Krieges ist aber archäologisch nicht zu belegen.
Niemand spricht hier von einem germanisch-keltischem Krieg. Fakt ist aber, dass die keltische Latène-Kultur noch um 400 v. Chr. bis an die Mittelgebirge reichte und die Archäologie dort keine germanischen Stämme verortet. Ganz anders sieht das Bild zur Zeitenwende aus. Germanische Stämme wie Hermunduren, Markomannen, Sueben, Chatten u.a. sind bis zur Donau vorgedrungen, wo ihnen die Römer gegenüberstehen. Diese Stämme sind eindeutig germanisch.

Was mir den Kelten zwischen Donau und den Mittelgebirgen geschah, ist eine andere Frage. Sie wurden von den germanischen Stämmen aufgesogen bzw. assimiliert und verloren ihre Identität. Man muss sich allerdings klar machen, dss dieser Prozess rund 300-400 Jahre währte, also durchaus auch friedliche Fusionen denkbar sind. Wir haben es hier mit lang andauernden Entwicklungen zu tun.

Die Nachbarschaft zwischen Kelten und Germanen bestand nicht von Anfang an. Im 5./4. Jh. v. Chr. begannen fremde Bevölkerungsteile, die die Jastorf-Kultur an Niederelbe und Havel markieren, allmählich vom Mittelgebirgsraum Besitz zu ergreifen. Sie überdeckten die hier ansässigen Gruppen, darunter keltische oder den Kelten sprachlich und kulturell nahestehende Einheiten. Die Kelten, die anfänglich noch Landstriche am Nordrand des Mittelgebirgszuges besiedelt hatten, zogen sich allmählich hinter das Gebierge zurück. An die Stelle politisch-militärischer Auseinandersetzung trat der Einfluss der überlegenen keltischen Kultur, wobei die Germanen nicht zu Kelten wurden.
Kohlhaas hat geschrieben: Moderne Archäologen vertreten auch nicht mehr die These, dass die Sachkultur mit einer Ethnie verknüpft werden kann. Dies tun Historiker, die sich bemühen, die Sachkultur mit Informationen aus alten Schriftquellen in Einklang zu bringen. Was immer wieder zu der Erkenntnis führt, dass Befunde der Geschichtswissenschaften und der Archäologie in Widerspruch geraten.
Ich habe schon mehrdach darauf hingewisen, dass sich die Sachkultur nicht unbedingt mit Ethnien deckt. Allerdings gibt es Fakten, die sowohl bei Archäologen als auch Historikern auf Zustimmung stoßen. Dazu gehört die Überzeugung, dass die Latène-Kultur maßgeblich von Kelten getragen wurde und somit ihr Kerngebiet keltisch ist. Dazu gehört ferner die Überzeugung, dass die Jastorf-Kultur in Norddeutschland die früheste germanische Kultur ist
Kohlhaas hat geschrieben: Ich bin bloß der Auffassung, dass dieser Formenkreis in dem benannten Gebiet nicht dadurch dominant wurde, dass germanische Zuwanderer die keltische Vorbevölkerung verdrängt hätten. Das ist eine These, die der Denkstruktur des 19. Jahrhunderts entstammt. Diese Entwicklung hat sich eingestellt, ohne dass ein einziger Mensch gewandert sein muss.
Diese Meinung teilen weder Archäologen noch Historiker. Wenn keltische Bevölkerungsgruppen bis an den Rand der Mittelgebirge saßen, so können sie sich nicht in Luft aufgelöst haben. Und wenn an ihrer Stelle später germanische Stämme auftauchen, so müssen sich Assimiöations- und Fusionsprozesse zwischen Kelten und Germanen ereignet haben. Hermunduren oder Markomannn sind aus keiner Black Box aufgtaucht, sondern haben wie auch andere germanische Stämme Wanderungen und Verschiebungen durchgemacht.
Kohlhaas hat geschrieben:
Wie weiter oben dargelegt, sieht es eher so aus als wären sie nicht verdrängt worden, sondern als hätten sie aufgrund des Zusammenbruchs der Oppida-Kultur eine neue Wirtschaftsweise entwickeln müssen. Allerdings wollte ich mit meiner Anmerkung darauf nicht hinaus. Ich wollte deutlich machen, dass die "germanischen" Gruppen gar kein Interesse daran haben konnten, "keltische" Gruppen zu "verdrängen". Sie lebten in der Nachbarschaft zu "Reichtumszentren" und haben - genau wie später in der Nachbarschaft zum römischen Reich - ein hohes Interesse daran gehabt, mit den reichen Nachbarn zu kooperieren und so an deren Reichtum teilzuhaben.
Wenn es um 600 v. Chr. nur einen kleinen germanischen Raum in Norddeutschland gab, zur Zeitenwende aber germanische Stämme bis zur Donau vorgerückt sind, muss es Wanderungen und Stammesverlagerungn gegeben haben. Dass ist schon logisch gar nicht anders möglich.
Cherusker
Mitglied
Beiträge: 2074
Registriert: 02.04.2014, 21:51
Wohnort: Weserbergland im ehemaligen Gebiet der Cherusker

Kohlhaas hat geschrieben:
Solche Raub- und Landnahmekriege wurden nach Festigung der germanischen Stämme dann zunehmend von gefolgschaftlich organisierten Verbänden geführt. Ariovists Sueben erscheinen wie solch ein Gefolgschaftsheer. Es handelte sich offenbar nicht um einen kompletten Stamm, sondern um "Freiwillige" aus verschiedenen Gruppen.

Sicher haben sich die Gefolgsherren (von den Römern "Princeps" genannt) anfangs aus dem Gentiladel rekrutiert. Sie haben sich mit der Festigung ihrer Gefolgschaften aber zunehmend von den Stämmen "abgelöst": Im Gegensatz zur Stammesgesellschaft kannten die Gefolgschaften keinen Friedenszustand. Krieg war die Grundlage ihrer Existenz. Nur durch Raub und Krieg konnten die Gefolgschaften die Ressourcen heranschaffen, von denen sie lebten. Sie haben damit den Krieg zu einem Dauerzustand gemacht. Das wiederum festigte das Gefolgschaftswesen und etablierte neben der "egalitären" Stammesstruktur eine neue "hierarchische" Struktur, die auf militärischer Befehlsgewalt beruhte.

In dem Maße, wie die Gefolgschaften militärisch leistungsfähiger wurden, nahm die Bedeutung der Stämme ab. Sie wurden zerschlagen, lösten sich letzlich fast vollständig auf und wurden überlagert/ersetzt durch neue "Stammesverbände", die dann auffälligerweise unter neuen Namen wie Franken, Alemannen, Vandalen etc. in Erscheinung traten. Hierbei handelte es sich nicht mehr um "egalitäre" Stammesgesellschaften. Es waren gefolgschaftlich strukturierte Gruppen.

Jedenfalls halte ich es für wahrscheinlich, dass sich der spätere Adel aus den militärischen Kommandostrukturen der Gefolgschaften heraus entwickelt hat.


Irgendwie schießt Du am Ziel vorbei. Nach Prof. Dr. Wolfram sind die SUEBEN eine Völkergemeinschaft, an die sich andere Stämme anschließen können. Die Haartracht "Suebenknoten" war das Zeichen der Freien. Der Suebe Ariovist ("Anführer des Heeres") hatte sich mit einem großen Heer (auch jütländische Völker kommen dazu) gen Gallien begeben, um dort die Sequaner im Kampf gegen die stärkeren Häduer zu unterstützen. Als Ariovist erkennt, daß die Germanen den Galliern in der Kampfkraft überlegen sind, holt er mehr Germanen (auch Frauen) nach Gallien. Ursprünglich war keine Landnahmen in Gallien geplant. Die Sueben waren, lt. Tacitus, anfangs östlich der Elbe angesiedelt und setzten sich wohl aus Angehörigen verschiedener Stämme zusammen, die nicht mehr, aus welchen Gründen auch immer, zu ihrem Stamm gehörten.

Und es entschied immer noch der Stamm gegen wen Krieg geführt wurde. Dazu bedurfte es einer Versammlung (Thing), die darüber entschied, wer der Anführer (Herzog) der Unternehmung wurde. Dieser Herzog war nur für diesen Kriegszug ausgewählt. Natürlich stammte der Anführer aus einer Führungsfamilie des Stammes. Sollte es wiedererwartend keinen Kriegszug geben, so hatten die Stammesangehörigen (Hundertschaft) auch die Möglichkeit sich anderen Stämmen auf deren Kriegszügen anzuschließen. Für größere Unternehmungen bedurfte es auch mehrerer Stämme (siehe auch Bündnisse zwischen Cheruskern und Sugambern und später auch bei den Wikingerraubzügen). Tacitus berichtet, daß es bei den Chatten Krieger gab, die keinen eigenen Besitz (Haus und Hof, sowie Familie) hatten und nur für den Kampf lebten.
Alleinentscheidend war der Stamm und nicht die einzelnen Führungsmitglieder der Sippen, z.B. bei den Cheruskern Inguimero, Segestes, Segimer, .....

Das kann man auch bei den Wikingern entdecken. Dort entscheidet sich auf dem Thing, welcher Jarl zu Beutezüge aufruft. Unfreie und Sklaven müssen Landwirtschaft betreiben und die Rinderzucht dient als Statussymbol. Der Stamm ruft zum Krieg auf und mehrere Stämme schließen sich zu größeren Kriegszügen zusammen. Sind die Kriegsanführer erfolgreich, so haben sie das Heil und die Zustimmung des Stammes. Bleibt der Erfolg aus, so war der Anführer sogar mit dem Tode bedroht. Also kein über den stammgestellte Kriegerherrschaft.

Letztendlich sind die Sachsen, Franken und Alemannen auch nur germanische Stämme, die sich aus mehreren Stämmen zusammenschlossen. Die Cherusker hatten auch einen "Unterstamm" Foser.
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

Das kann man auch bei den Wikingern entdecken. Dort entscheidet sich auf dem Thing, welcher Jarl zu Beutezüge aufruft. Unfreie und Sklaven müssen Landwirtschaft betreiben und die Rinderzucht dient als Statussymbol. Der Stamm ruft zum Krieg auf und mehrere Stämme schließen sich zu größeren Kriegszügen zusammen. Sind die Kriegsanführer erfolgreich, so haben sie das Heil und die Zustimmung des Stammes. Bleibt der Erfolg aus, so war der Anführer sogar mit dem Tode bedroht. Also kein über den stammgestellte Kriegerherrschaft.
Das ist so nicht richtig, auf die Wikinger bezogen.
Hatte ich Dir schonmal erklärt, dass die Stammes-Organisation,bzw. der Aufruf zum Wikingzug in Skandinavien absolut nicht so funktionierte wie Du es für Germanien beschreibst.
Es gab Stammesverbände und Things, aber der Aufruf, auf Raubzug zu gehen, hing nicht notwendig von Jarlen und der Zustimmung des Things ab, sondern war oft genug Privatunernehmung Gleichgesinnter.
(Der Begriff Jarl gehört sowieso in spätere Zeiten.)
Gab es einen Thing-Beschluss, gegen andere kriegerisch vorzugehen, etwa im Falle der Blutrache, zogen alle mit, die konnten. Wohlgemerkt, auf Thing-Beschluss, und das ein Thing konnte von allen freien Stammesangehörigen einberufen werden.
Das sind aber andere Voraussetzungen als für sonstige wikingische Fahrten, die eben lange nicht alle als Kriegs- oder Kaperfahrten
stattfanden.
Ob zur Raubfahrt oder kombinierter Handels/ Raubfahrt, man wusste ja nie, was so vor den Drachensteven kam,
taten sich sinnvollerweise am ehesten Stammesgenossen zusammen, aber nicht obligatorisch.
Sowohl zur Handelsfahrt als auch zum Beutezug konnte jeder, der es sich leisten konnte, ein Schiff zu bauen und auszurüsten und zu bemannen, bitten.
Ganz ohne Thingbeschluss und über jede Stammesgrenzen und Stammesorgane konnte man sich auch zusammentun, weil man gemeinsam stärker war.
Mit der Verfestigung von Herrschermacht und Herrschaftsgebieten, bis hin zur Königsmacht in der zu Ende gehenden Wikinger-Zeit und unter west- und mitteleuropäischen Einfluss beim Ausbau der Königsmacht wurden Kriegsfahrten so etwas wie Staatsangelegenheit.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Kohlhaas
Mitglied
Beiträge: 155
Registriert: 19.06.2015, 17:29

Dietrich hat geschrieben:Ich halte es für etwas grotesk darüber zu spekulieren, ob Kelten und Germanen die besten Freunde werden konnten.
Und weiter drehen wir uns im Kreis...

Ich erinnere daran, dass ich den starken Verdacht geäußert habe, dass es "Kelten" und "Germanen" außerhalb der römischen Geschichtsschreibung und der neuzeitlich-imperialistischen Adaption römischer Quellen gar nicht gegeben hat!

Wie soll ich da behauptet haben, dass die mutmaßlich nichtexistenten Kelten und die mutmaßlich nichtexistenten Germanen "beste Freunde" werden konnten? Tatsächlich habe ich die Meinung geäußert, dass in unserer Diskussion ein Unterschied zwischen Germanen und Kelten postuliert wird, den die Germanen und Kelten damals gar nicht bemerkt haben.

Lieber Dietrich, wir müssen diese Diskussion nicht endlos mit Variationen bereits vorgebrachter Argumente weiterführen. Deshalb weise ich jetzt nur nochmal auf einige zentrale Punkte und auf sich daraus ergebende Fragen hin:

Erstens: In den einschlägigen Wissenschaften gibt es keine ernstzunehmenden Vertreter, die bestreiten würden, dass sich sowohl die Hallstatt-Kultur als auch die Jastorf-Kultur aus der "umgebenden" Urnenfelder-Kultur heraus entwickelt hat. Es gibt heute niemanden mehr, der die Erscheinungen von Hallstatt oder Jastorf mit Zuwanderung/Eroberung durch auswärtige Gruppen - etwa aus Asien oder Skandinavien - erklären würde. Die ÄLTESTEn Hinterlassenschaften der Hallstatt-Kultur werden datiert auf etwa 800 v.Chr.. Die ÄLTESTEN Hinterlassenschaften der Jastorf-Kultur werden datiert auf etwa 600 v.Chr. Das ERSTE Indiz für die Herausbildung einer germanischen Sprache (erste germanische Lautverschiebung) wird datiert auf einen Zeitpunkt "in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends". Also frühestens: 500 v. Chr.

Mir bleibt schleierhaft, wie Du angesichts dieser Erkenntnisse darauf kommst, dass ab spätestens 600 v.Chr. eine scharfe Sprach- und Kulturgrenze zwischen Germanen und Kelten bestanden haben soll. Wo soll denn diese Sprachgrenze gelegen haben?


Zweitens: Es gibt keinerlei archäologische oder historiographische Hinweise darauf oder gar Belege dafür, dass sich "keltische" Gruppen aus dem Kerngebiet der Hallstatt- oder Latène-Kultur nach Norden ausgebreitet und das Gebiet bis zu den deutschen Mittelgebirgen besiedelt hätten - vielleicht sogar unter "Verdrängung" der bis dahin ansässigen Bevölkerung. Belege für "Eroberungskriege" nach Süden und Südosten (Norditalien, Balkan, Griechenland) gibt es dagegen durchaus. Vielleicht sogar Hinweise für die Besiedelung Spaniens und der britischen Inseln. Aber da wird es schon zweifelhaft. Z.B. hinsichtlich der "keltiberischen" Gruppen. Da sieht es so aus, als wäre die ansässige Bevölkerung nicht besiegt/unterworfen/verdrängt worden, sondern als hätte die ansässige Bevölkerung "keltische" Kultur nach und nach übernommen. Es gibt aber genau gar keinen Hinweis darauf, dass keltische Gruppen vom Voralpengebiet aus Deutschland bis zu den Mittelgebirgen hin "erobert" und vorher dort ansässige Gruppen verdrängt hätten.

Mir bleibt schleierhaft, wieso die Ausdehnung "keltischer" Lebens- und Wirtschaftsweise zwanghaft mit einer Wanderung von Menschengruppen/Heeren erklärt wird.

Drittens: Ihre größte Ausdehnung (innerhalb Mitteleuropas!) hatte die "keltische" Latène-Kulur ungefähr 200 v. Chr. Kurz vor der Zeitenwende war die Latène-Kultur dann fast völlig verschwunden. Daraus wird in unserer Diskussion offenbar der Schluss gezogen, dass "germanische" Gruppen die "Kelten" verdrängt hätten.

Mir bleibt schleierhaft, wie jemand auf so eine Verdrängungstheorie kommen kann. Es gibt keine archäologischen Indiziene (geschweigen denn Beweise!), die dafür sprechen würden. Keinerlei Hinweis, auf organisierte Verdrängung. Stattdessen gibt es sogar Hinweise, dass Gruppen, die ziemlich sicher in den Kontext der Latène-Kultur gehörten, nahtlos in den Kontext der germanischen Kultur überwechselten. Die Region zwischen Lippe und Sieg, Rhein und Lippequellgebiet ist ein Beispiel dafür. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass dort Bevölkerungsgruppen "verdrängt" worden sein könnten! Archäologisch lässt sich die Siedlungskontinuität bis in die Bronzezeit hinein nachweisen. Und das war kein "Randgebiet". Das war das HAUPTKAMPFGEBIET beim Versuch Roms, Germanien zu unterwerfen!

Ich wende mich hier gegen die Behauptung, Germanen hätten die Kelten verdrängt oder vertrieben. Ich sage nochmal: Für die Verdrängungs-/Vertreibungsthese sind mir keine archäologischen Belege bekannt (Einzelereignisse wie Schnippenburg sind nicht relevant). Wer anderer Meinung ist, sollte dafür jetzt bitte endlich mal wissenschaftlich nachprüfbare Belege nennen.
Kohlhaas
Mitglied
Beiträge: 155
Registriert: 19.06.2015, 17:29

Cherusker hat geschrieben:Irgendwie schießt Du am Ziel vorbei. Nach Prof. Dr. Wolfram sind die SUEBEN eine Völkergemeinschaft, an die sich andere Stämme anschließen können. Die Haartracht "Suebenknoten" war das Zeichen der Freien. Der Suebe Ariovist ("Anführer des Heeres") hatte sich mit einem großen Heer (auch jütländische Völker kommen dazu) gen Gallien begeben, um dort die Sequaner im Kampf gegen die stärkeren Häduer zu unterstützen. ....
Woher hast Du dieses Wissen? Woher weißt Du, dass Ariovist ein "Suebe" war? In der römischen Literatur wird nie ein "Stamm" genannt, der den Namen "Sueben" getragen hätte. Woher weißt Du, dass der Haarknoten den Status des "Freien" belegt hat? Nichts von dem, was Du schreibst, lässt sich wissenschaftlich belegen. Du rezitierst ein Weltbild, das dem 19. Jahrhundert entstammt.

Lieber Cherusker, es gab im 19. Jahrhundert in Deutschland ein großes Bedürfnis nach "nationaler Einigung". In dieser Phase der kollektiven Gefühlsaufwallung wuchs der Wunsch, das Volk der Deutschen als Nachfolger der ach so kriegstüchtigen Germanen anzusehen. In dieser Phase wurden die Wurzeln gelegt für die Einstellung, dass "die Germanen" - und damit mittelbar wir Deutsche - ein "ganz besonderes" Volk seien. Wo das endete, wissen wir alle. Das sollten wir alle auch in Erinnerung behalten.

Leider Gottes ist auch heute noch jede Diskussion über die "Germanen" von den Deutungen geprägt, die im 19. Jahrhundert ersonnen wurden. Das ist aber alles Blödsinn gewesen! Nach Ende der Völkerwanderung GAB ES KEINE GERMANEN MEHR! Die Völkerwanderung hat ALLE Völker Europas so nachhaltig durcheinandergemischt, dass von einer "Kontinuität" bis heute überhaupt keine Rede mehr sein kann. Die Zeit der Völkerwanderung hat Europa zu einem riesigen Schmelztigel gemacht.

Was Du zu Stämmen, Gefolgschaften und "Wikingern" schreibst, ist ein Beleg für die unkritische Vermischung von Begriffen und deren Bedeutung.

Wenn zu Zeiten der Wikinger ein "Jarl" in der "Volksversammlung" um Kämpfer für einen Kriegszug geworben hat, dann hat er nicht den Stamm aufgefordert, in den Krieg zu ziehen! Er hat angekündigt, dass ER SELBST in den Krieg ziehen will und dass er dafür Krieger braucht. Er hat sogar versprochen, dass er die Krieger mit Waffen ausstattet und dass er ihnen nach (erfolgreichem) Ende des Kriegszugs Beute zuteilt. Dieses von Dir benannte Beispiel kennzeichnet einen GRUNDLEGENDEN UNTERSCHIED zwischen der Stammesgesellschaft und der Gefolgschaft: In der Stammesgesellschaft wählt das Volk seinen Heerführer. In einem Gefolgschaftssystem definiert ein Heerführer seine Ziele und sucht sich danach ein Heer! Und dieses System tritt nicht erst bei den Wikingern in Erscheinung. Das beschreibt schon Tacitus! Schon vorher wird genau dieses System bei den Galliern geschildert!

Jetzt noch eine Anmerkung, die sehr ähnlich klingt, was ich auf einen Beitrag von Dietrich geantwortet habe:

Es gibt in den betroffenen Wissenschaften eigentlich keinen Wissenschaftler, der bestreiten würde, dass Gefolgschaftsstrukturen die Stammesstrukturen zerschlagen hätten. Es gibt eigentlich keinen ernsthaften Wissenschaftler, der bestreiten würden, dass auf diese Weise die Stammestrukturen in gesellschaftliche Verhältnisse umgeleitet worden wären, die die Entwicklung von Herrschaftsstrukturen (Adel) möglich gemacht haben.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Die Germanen“