Barbarossa hat geschrieben:Aber es gab die erwähnten Zusammenkünfte.
Und "egalitär" lebten die Germanen auch nicht, da es sogar auch Sklaven und Unfreie gab.
Zum Stammesadel zitire ich mal meine Quelle: Die Germanen, Band 1, S. 537 - 539 vom Akademie-Verlag Berlin (1983 - nicht mehr ganz neu zugegeben)
Tja, so ist das Leben. Wenn alle gleich sind, gibt es immer welche, die gleicher sind als andere.
Aber Scherz beiseite. Ich denke, hier verwirren sich Begriffe aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Der Begriff "egalitär" bedeutet nicht, dass alle gleich waren. Natürlich gab es Menschen, die stärker, reicher, tapferer, klüger, besser vernetzt, glücklicher (...fast beliebig fortsetzbar...) waren als andere. Diese Menschen hatten in ihrer Gesellschaft faktisch größeren Einfluss als die breite Masse (vielleicht sogar "Macht"). Diese Vorteile ergaben sich aber aus den persönlichen "Vorzügen" dieser Menschen. Sie waren nicht (oder nur sehr bedingt) vererbbar. Irgendwann wird auch der stärkste Krieger alt, irgendwann stirbt auch der reichste Bauer, irgendwann wird der weiseste Mensch vergesslich. Und jeder junge Mann, der stark, tapfer, klug (...beliebig erweiterbar...) wurde, hatte potenziell die Möglichkeit, in die Schicht der "Mächtigen" aufzusteigen. Die gesellschaftlichen Unterschiede, die in der Stammesgesellschaft zu beobachten sind, haben ihre Ursache in der Person, nicht in gesellschaftlichen Strukturen. Deswegen definiert die Soziologie "soziale Ungleichheit" als "unterschiedliche Zugangschancen zu gesellschaftlichen Positionen unterschiedlichen Vorteils". Ein Beispiel aus heutiger Zeit: Mein Nachbar ist Rentner, ich bin es nicht. Ich muss arbeiten, er nicht. Wir sind nicht gleich. Es ist trotzdem keine Ungleichheit im soziologischen Sinne, denn irgendwann werde auch in Rentner. Wenn ich mich nicht vorher totarbeite.
Zudem hatte ich ja schon darauf hingewiesen, dass man die Bedeutung des Begriffs "egalitär" im Zusammenhang mit Stammesgesellschaft nicht romantisch verklären darf. Das war keine Gesellschaft, in der alle sich lieb hatten weil aufgrund göttlicher Fügung oder per Naturrecht oder niedergeschriebener Verfassung jeder verpflichtet war, allen anderen gleiche Rechte zuzugestehen. "Egalitär" war die Gesellschaft, weil potenziell Jeder seinen Willen mit Gewalt durchsetzen konnte (denn anders als mit Gewalt ging es im Zweifel nicht).
Dabei war dieses "Jeder" von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis - nämlich auf die Bewaffneten - beschränkt. Besiegte, Kriegsgefangene oder auch "fremde Zuwanderer" ohne hinreichend große Sippe hatten gar keine Möglichkeit, Interessen durchzusetzen. Die hatten folglich auch gar keine Rechte. Das fing doch sogar schon in der Familie an. Die Stellung der Frau in solchen Gesellschaften könnte von "egalitär" gar nicht weiter entfernt sein.
"Egalitär" heißt im Grunde nur, dass in der Gesellschaftsstruktur keine Faktoren existieren, die bestimmten Personen/Gruppen dauerhaften Anspruch auf Gehorsam sichern.
Was die Zitate aus dem Band "Die Germanen" betrifft, haben wir ein ähnliches "Definitionsproblem". Da ist die Rede von "Gentiladel". Im Rahmen der impliziten Definitionen ist die Bezeichnung auch durchaus treffend. Sie meint die Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Vorzüge herausragende Stellungen erlangt haben. Und wenn in einer Gesellschaft immer wieder Personen aus einer ganz bestimmten Sippe besondere Vorzüge aufweisen und zu "Ruhm" gelangen, dann überträgt sich die besondere Stellung sogar auf die Sippe (strips regia). All das ist aber immer noch weit entfernt von dem, was "Adel" innerhalb einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft ist.
Der Begriff "Adel" definiert sich aus dem Zustand der feudalen hochmittelalterlichen Gesellschaft. Wenn man versucht, diesen Begriff inhaltlich unverändert (oder auch nur "undefiniert anders") auf "gentile Gesellschaften" (Stammesgesellschaften) anzuwenden, dann kann das nur zu Irrtümern führen. Das, was wir aufgrund der Entwicklung unserer Gesellschaft unter "Adel" verstehen, hat genau gar nichts zu tun mit dem, was der "Adel" in Stammesgesellschaften war.
Auch diese "Verwirrung" verdanken wir übrigens den Römern. Die hatten nämlich die Angewohnheit, ihre spezifische Gesellschaftsform für gottgewollt richtig - moderne Vokabel dafür: "alternativlos" - zu halten. Deshalb haben sie Erscheinungsformen anderer Gesellschaften gern mit "römisch geprägten" Begriffen beschrieben. Beispiel: Ariovist konnte für alle Germanen unter seinem Kommando sprechen, er konnte anordnen, wann die Verbände wohin weiterzogen. Folglich musste er ein "König" sein. Die Idee, dass Ariovist nur ein "auf Zeit" gewählter Heerführer war, der nach (erfolgreichem) Abschluss des Krieges wieder zu einem "normalen" (wenngleich hochgeachteten) Krieger herabsinken würde, ist den Römern gar nicht gekommen. So eine Gesellschaftsstruktur lag völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft.
Ich denke, das, was du als Herausbildung von Gefolgschaften interpretierst, war nichts weiter, als eine Macht- und Besitzerweiterung des bereits bestehenden Stammesadles (also bestimmter Sippen innerhalb des Stammes, was die Position des Adels auch erblich machte), der sich zudem Stück für Stück auch Privilegien aneignete. Das führte natürlich auch zu Streitigkeiten und sogar Fehden...
Ja, genau das kommt dabei heraus, wenn Begrifflichkeiten mit unklaren oder gar gegensätzlichen Definitionen verwendet werden. Und das meine ich jetzt nicht als Vorwurf gegen Deine Argumentation.
In der Geschichtswissenschaft ist es unumstritten, dass es während und nach der römischen Kaiserzeit in Germanien zu einem Zusammenbruch der Stammesstrukturen und zu einer Überlagerung durch Gefolgschaftsstrukturen gekommen ist. Längere Zeit haben Stämme und gefolgschaftliche Verbände nebeneinander und sogar miteinander operiert. Aber irgendwann gewannen die gefolgschaftlichen Strukturen ein Übergewicht. Sie wurden dominierend. Ausdruck dessen war die Völkerwanderung. Besser: Die Völkerwanderung
en. Das Ergebnis war die Erscheinung des Heerkönigtums.
Schon gegen Ende des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wird dieser Umbruch (wahrscheinlich!) archäologisch fassbar. Wir haben da reich (germanisch) ausgestattete Gräber von Menschen, die offensichtlich eine besondere Rolle innerhalb der Stammeskultur gespielt haben. Gleicher Bestattungsritus (Verbrennung) mit sehr reichen Beigaben. Parallel dazu finden sich zunehmend Bestattungen, die ebenfalls sehr reich (allerdings stark römisch beeinflusst) ausgestattet waren, aber einem völlig anderen Ritus folgten: Körperbestattungen. Und das tief in Germanien!
Einige Historiker verbinden das mit einem Umschwung in der Jenseitsvorstellung. Demnach war Tiwaz (Tiu, Ziu) der Gott der Stammeskultur und der Volksversammlung (Thing). Odin/Wotan hingegen war der Gott der Gefolgschaftskultur.
All das ist aufgearbeitet in einer Arbeit von Reinhard Wenskus (Titel: Stammesbildung und Verfassung), das ich leider auch nur auszugsweise kenne.
Übrigens: Was ich hier die ganze Zeit beschreibe, ist der "Idealtyp" der Stammesgesellschaft. Die realen Stämme der Zeit um das Jahr Null werden diesem Idealtyp schon nicht mehr entsprochen haben. Die römischen Quellen lassen darauf schließen, dass die "Genese" der Stämme unter römischem Einfluss sehr rasant verlaufen ist. Innerhalb von wenigen Jahren waren nicht nur Stämme voll formiert, sie bildeten auch schon Koalitionen untereinander. So brüchig die damals auch noch waren. Außerdem kann man davon ausgehen, dass die stark "keltisch" beeinflussten Stämme in der Kontaktzone (Mittelgebirge und entlang des Rheins) sehr viel vertrauter mit gesellschaftlichen Hierarchien waren als die nördlich und östlich der Main-Linie siedelnden Gruppen. Die Existenz von Oppida jedenfalls setzt hierarchische Strukturen geradezu voraus. Ob die Gesellschaftsstruktur z.B. im Umfeld von Dünsberg der Struktur im Umkreis von Manching oder gar der von Heidengraben geähnelt hat, ist wieder eine andere Frage. Wahrscheinlich nicht. Aber da landen wir wieder bei der Erkenntnis, dass die archäologische Sachkultur nichts über deren Träger aussagt.