es ging doch eigentlich darum, dass Deutschland nach dem WKI nicht auseinanderfiel. Das hat Ebert auch geschafft, dass es trotz der Gebietsabtretungen und den separatistischen Bestrebungen im Rheinland weiter ein einiges Deutschland gab.

Moderator: Barbarossa
Katarina Ke hat geschrieben:Die These, es wäre um die Alternative parlamentarische Demokratie oder Bolschewismus gegangen, wurde schon in den sechziger Jahren revidiert.
Historiker wie Eberhard Kolb konnten in ihren Forschungen nachweisen, dass die meisten Arbeiter- und Soldatenräte entweder von Mehrheitssozialdemokraten oder gemäßigten Unabhängigen beherrscht wurden.
Meines Wissens wurden in dieser Zeit keine Unternehmen verstaatlicht und keine bürgerlichen Parteien verboten. Mit der Sowjetunion ist die Situation daher nicht zu vergleichen.
Die Münchner Räterepublik wird gerne als Beispiel für kommunistische Machtbestrebungen angeführt. Der erste Ministerpräsident, Kurt Eisner, war ein Unabhängiger, der seine politische Laufbahn als Linksliberaler begonnen hatte. Nach seinem Tode eskalierte die Entwicklung. Beim "weißen Terror" kamen mehr Menschen ums Leben wie unter dem "roten Terror". Kurt Eisner hatte andere Ziele als Liebknecht - eindeutig.
Nach der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung bildeten Mehrheitssozialdemokraten, das Zentrum und die Linksliberalen eine Regierung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte es rechtsstaatliche Mittel zur Bekämpfung innerer Unruhen gegeben. In Deutschland gab es immerhin schon im Kaiserreich einen (einigermaßen) funktionierenden Rechtsstaat.
Die USPD radikalisierte sich - wie bereits erwähnt - im Frühjahr 1919, wurde aber immer noch nicht zu einer bolschewistischen Partei. Dass es zu dieser Eskalation kam, lag auch an den regierungsnahen Truppen, die in Landsknechtsmanier zur Rechten neigten.
Ich vermute, dass das Problem auch darin lag, dass auf beiden Seiten Menschen zu finden waren, die seit 1914 nur Krieg gekannt hatten. Gewalt schien eine legitime Lösung der Probleme zu sein.
Die Verhältnisse in Ungarn und der Slowakei kenne ich nicht.
Darum geht es in diesem Thread nicht eigentlich, sondern um ein Hinterfragen und Erlären der ordnungspolitischen Maßnahmen in dieser Zeit.Dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,
es ging doch eigentlich darum, dass Deutschland nach dem WKI nicht auseinanderfiel. Das hat Ebert auch geschafft, dass es trotz der Gebietsabtretungen und den separatistischen Bestrebungen im Rheinland weiter ein einiges Deutschland gab.
Lieber Schwabe,Suebe hat geschrieben:Und ich würde diese Verhältnisse im eigentlich ruhigen südlichen Württemberg ohne weiteres auf ganz Deutschland übertragen.
Es hat nicht nur in Kiel, Berlin, Hamburg, München und dem Ruhrgebiet gekracht. Der Staat lag zweifellos in Agonie, und der Eindruck dass er in voller Auflösung war, konnte schon entstehen.
Ok, Eisner mag noch kein Radikaler gewesen sein, doch es erfolgte nach seiner Ermordung eine Radikalisierung in München und es kam auch erst nach seinem Tod zur Ausrufung einer Räterepublik. Und darum geht es. Arbeiter- und Soldatenräte waren nicht von vornherein bolschewistisch. Diejenigen, die in der Weimarer Republik verblieben, kann man als demokratisch in unserem Sinne ansehen. Aber jene, die aus dieser Republik ausscherten und eine "Sozialistische Republik" bzw. eben eine Räterepublik offiziell proklamierten, wollten ganz eindeutig etwas anderes - dort hatte man das Beispiel Sowjetrusslands vor Augen.Katarina Ke hat geschrieben:...
Meines Wissens wurden in dieser Zeit keine Unternehmen verstaatlicht und keine bürgerlichen Parteien verboten. Mit der Sowjetunion ist die Situation daher nicht zu vergleichen.
Die Münchner Räterepublik wird gerne als Beispiel für kommunistische Machtbestrebungen angeführt. (...). Kurt Eisner hatte andere Ziele als Liebknecht - eindeutig.
In diesen Ländern kam es zur weiträumigen Machtübernahme durch die Kommunisten und nicht nur punktuell, wie in Deutschland und siehe da:Katarina Ke hat geschrieben:Die Verhältnisse in Ungarn und der Slowakei kenne ich nicht.
Quelle: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Ungarisc ... terepublikDie Ungarische Räterepublik unter Béla Kun wurde am 21. März 1919 ausgerufen und bestand bis zum 1. August 1919.
(...)
Am 25. Juni 1919 verkündete Kuns Regierung eine „Diktatur des Proletariats“, worauf Banken, Großindustrie, Mietshäuser und Betriebe mit mehr als zwanzig Angestellten verstaatlicht wurden. Grundbesitz über 100 Joch wurde enteignet und in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften organisiert. Etwa 590 Personen wurden von Revolutionstribunalen hingerichtet.
Die Räterepublik brach zusammen, als rumänische Truppen im Ungarisch-Rumänischen Krieg die ungarische Hauptstadt Budapest besetzten.
Quelle: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Slowakis ... terepublikDie Slowakische Räterepublik war ein kommunistischer Marionettenstaat im Osten und Süden der heutigen Slowakei. Er existierte vom 16. Juni bis zum 7. Juli 1919 und wurde durch den Vormarsch der Roten Armee der Ungarischen Räterepublik unter Béla Kun ermöglicht. (...) Die Behörden verboten Alkohol und enteigneten größere Besitztümer.[1] Ihr Ende fand sie im Rahmen des Vorstoßes tschechoslowakischer Truppen im Ungarisch-Rumänischen Krieg.
Sie besaß die weltweit dritte kommunistisch ausgerichtete Regierung.
Gut gut... wenn Du uns das plausibilisieren kannst werden wir uns freuen. Im Disput ist die Wahrheit.Katarina Ke hat geschrieben: Eines kann ich jetzt schon sagen: Barbarossas These, es wäre 1918/19 in Deutschland um die Alternative parlamentarische Demokratie oder bolschewistische Diktatur gegangen, gilt mittlerweile als überholt.
Der Historiker Ulrich Kluge geht davon aus, die Räte hätten linksdemokratische Positionen, "sozialistisch paraphrasiert", vertreten (Ulrich Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, Frankfurt/M. 1985, S. 62). Sie wollten ein demokratisches Deutschland, eine Republik, in der das Offizierkorps seine Privilegien verlieren sollte.
Finde ich eine sehr gute Aussage, denn oft genug- und oft sogar unbewusst, ist man, obwohl man sich objektiv wähnt, doch vom Zeitgeist und / oder eigenem Erleben geprägt.Barbarossa hat geschrieben:Ja ok, dann warte ich jetzt auch gespannt ab, was du uns da an Argumenten vorbringst, Katarina.
Ich muss zugeben, dass ich da doch stark vorbelastet bin, was Kommunisten und Linke angeht, weil ich den real-existierenden Sozialismus live miterleben musste und dieser ganzen Bewegung daher mit allerhöchstem Misstrauen begegne.
Aber ok, ich lerne auch gern dazu.
Nun ja, der sogenannte "Spartakusaufstand" im Januar 1919 war ganz offensichtlich ein solcher Versuch, die Proklamation von Liebknecht vom November 1918 umzusetzen. Das darf man m.E. auf keinen Fall unter den Tisch fallen lassen.Katarina Ke hat geschrieben:Dass es 1918/19 nicht um die vermeintliche Alternative Bolschewismus oder parlamentarische Demokratie ging, kann man in Forschungsberichten und Handbüchern nachlesen. Außerdem habe ich bis jetzt hier einen Beleg für meine Behauptung geliefert; du wiederholst nur immer, dass deiner Meinung nach im November 1918 eine bolschewistische Revolution drohte und die Münchner Räterepublik wohl zu einer kommunistischen Diktatur geworden wäre, wenn die vorläufige Reichswehr und rechte Freikorps nicht eingegriffen hätten.
Doch, die KPD war definitiv eine solche. Die haben das auch selbst so gesehen.Katarina Ke hat geschrieben:Karl-Dietrich Erdmann trat 1955 mit der Alternativ-These hervor. Sie gilt mittlerweile aus verschiedenen Gründen als widerlegt. Mit einer breiteren Quellenbasis wurde deutlich, dass es eine den Bolschewisten vergleichbare Partei in Deutschland 1918/19 nicht gab.
Und hier kann ich schon gar nicht folgen. Eine "sozialistische Demokratie" bzw. "demokratischen Sozialismus" kann es nicht geben. Das sollte sich jeder klar machen, dass sich Sozialismus und Demokratie - so wie wir sie verstehen - sich gegenseitig ausschließen.Katarina Ke hat geschrieben:Die Räte waren eine heterogene Bewegung, deren Ziele mit dem Stichwort "sozialistische Demokratie" umschrieben werden können.
Du hast recht, diese Regierungsbeteiligungen der Linkspartei - jetzt auch noch mit einem Ministerpräsidenten - erschrecken mich schon sehr. Wie gesagt, ich kann eine wie auch immer geartete Form von Sozialismus nicht mit Demokratie in Einklang bringen, weil die Umsetzung immer mit Einschränkungen der Bürgerrechte verbunden ist und dies folglich nur auf autoritäre Weise umgesetzt werden kann.Katarina Ke hat geschrieben:Ich hatte beim Lesen deiner Beiträge schon den Eindruck, dass die aktuellen Ereignisse in Thüringen deine Wahrnehmung der Revolution 1918/19 beeinflussen. Historische Ereignisse betrachten wir ja nie ganz objektiv und es überrascht nicht, dass die These von der bolschewistischen Bedrohung, die 1918/19 mit Mühe hätte abgewendet werden können, in den fünfziger Jahren - also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges - an westdeutschen Universitäten als herrschende Meinung galt.
Na ja, ich sag mal so - wenn radikale oder gar extremistische Gruppierungen auf gewaltsame Weise einen Umsturz versuchen, dann hat der Staat auf jeden Fall das Recht, diesen mit allen Mitteln zu verhindern. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie ist auch heute noch Konsens.Katarina Ke hat geschrieben:In deinen Beiträgen vermisse ich auch jede Kritik an der Gewalt, die 1918/19 von rechts ausgeübt wurde. Für dich ist das anscheinend eine Art "staatliche" Notwehr gewesen. Und noch einmal: Dass es vorher keinen Rechtsstaat in Deutschland gab, stimmt nicht.
Liebe Katarina,Katarina Ke hat geschrieben:
Oft wird Ebert ja vorgeworfen (siehe Sebastian Haffner), dass er die Regierungsübernahme im November 1918 nicht dazu genutzt hätte, grundlegende demokratische Reformen durchzuführen. Historiker wie Eberhard Kolb vertraten die Ansicht, dass Ebert die größtenteils mehrheitssozialdemokratischen Arbeiter- und Soldatenräte besser hätte einbinden können.
Historiker sind keine Richter. Doch bei aller Würdigung für die Verdienste des auch in der eigenen Partei verkannten Ebert: Hier hätte er eingreifen müssen.