Zurück zum Thema, an diesem Sonntagmorgen...
Natürlich ist die Bibel (ohne Anführungszeichen) die Grundlage für jeden christlichen Glauben. Dass es so viele christliche Glaubensrichtungen gibt, zeigt schon, dass die Bibel ein schwieriges Buch ist, sonst könnte man sie nicht auf so unterschiedliche Weisen interpretieren (und dann so viele unterschiedliche christliche Richtungen etablieren, die alle ihre Anhänger haben, und diese Anhänger können alle denken).
Nun muss man aber auseinanderhalten, was tatsächlich in der Bibel steht und was hineininterpretiert worden ist.
Die Katholiken (und NUR sie) haben seit etwas mehr als hundert Jahren das Dogma, Maria sei auch nach der Geburt Jesu Jungfrau im biologischen Sinn gewesen. In der Bibel steht aber lediglich, sie sei eine "junge Frau" gewesen. Demzufolge schiebe ich persönlich das Ganze auf die Ideologie der römischen Kirche des 19.Jhs. und nehme mir die Freiheit, den biologischen Interpretationsweg als historischen Irrtum zu verstehen.
Die Aufnahme Mariens in den Himmel dagegen steht so in der Bibel. Aber auch hier gilt es, erst einmal zu denken. Wer hat das geschrieben? Und wann?
Erstens wird Mariä Himmelfahrt (erst seit 1950 in der Katholischen Kirche ein Dogma) nur angedeutet, zweitens passiert dies in der Offenbarung - ein sehr schwer zu interpretierendes Buch der Bibel, von Grund auf mystisch angehaucht - und muss von da her durch die Brille der antiken Mystiker gelesen werden. Ums kurz zu machen: Nach weit verbreiteter Interpretation haben wir´s hier mit einem Bild zu tun. Keine Tatsache. Die Orthodoxen und Katholiken haben daraus durch lange Feiertradition (seit dem 5.Jh.) und katholischerseits per Dogma eine Tatsache gemacht.
So, und nun könnten wir ein Dogma nach dem anderen abklopfen, was dahinter steckt, warum es erlassen wurde und warum verschiedene andere Glaubensgrundlagen NICHT Gegenstand eines Dogmas wurden. Dann haben wir aber erst die katholische Seite abgeklopft. Bei den Evangelischen, Methodisten, Calvinisten, Orthodoxen usw.usf. gibt´s ähnliche Grundsätze, die man genauso abklopfen könnte.
Im Kern läuft´s auf eins hinaus: Der Mensch hat einen Glauben. Das kann sogar die Tatsache sein, dass man an nichts glaubt. Auch da muss man einfach darauf vertrauen, dass es stimmt. Und das heißt: Glauben. Denn beweisen kann man weder das eine noch das andere. Deswegen ist Religion keine Wissenschaft und umgekehrt.
Wer sagt dem Menschen, dass es richtig ist, was er glaubt? Sein Gewissen. Das trifft auf Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten, Juden oder Schamaisten genauso zu wie auf Agnostiker, Atheisten oder Esoteriker. Das ist die letzte Instanz des Menschen, kein Religionsstifter, kein Religionsoberhaupt, kein Guru, kein Ideologe. Jeder Mensch muss für sich selber entscheiden, was er glaubt und was nicht.
Als Rahmen für diese Gewissensentscheidung gibt es zwei Aspekte: Religiöse Überlieferungen und die aktuelle Lebenssituation des jeweiligen Gewissensbesitzers.
Aufgrund dieser Tatsache verändern sich Glaubensgrundsätze, wenn sich die Menschen im Lauf ihrer Entwicklung verändern, und zwar wenn sie sich persönlich verändern (im Laufe ihres Lebens) genauso wie wenn sich die Auffassung einer ganzen Menschengruppe an sich ändert (im Lauf von vielleicht mehreren Generationen). Dann verändert sich die Interpretation von Grundsätzen und es verändert sich dadurch die einzelne Religion oder die Religion erfährt eine neue Auslegungsweise und trennt sich von der bisherigen Auslegungsweise ab, die aber weiter existieren kann. Konservative und Progressive gabs schon immer.
DAS ist der Grund, warum man, wann immer man zwei verschiedene Individuen fragt, zwei unterschiedliche Antworten zum Thema Glauben bekommen wird, und zwar unabhängig davon, ob die zwei beanspruchen, derselben Glaubensrichtung anzugehören oder nicht. Glaubensentscheidungen sind immer Gewissensentscheidungen und daher individuell verschieden.
Speziell der Papst kann nun beanspruchen, sich als "Sprachrohr Gottes" zu äußern. Aber auch das war eine Entscheidung von Menschen, also eine Gewissensentscheidung. Mein Gewissen sagt mir, das war eine falsche Entscheidung. Aufgrund dessen KANN ich das gar nicht glauben, ich kann es als Grundsatz meiner Kirche anerkennen, ich muss ihm allerdings nicht blindlings folgen und kann mich dabei sogar auf Jesus höchstpersönlich berufen, der den Grundsatz geprägt hat, dass der Glaube für den Menschen da sein sollte und nicht umgekehrt.
Das war jetzt etwas langatmig, aber ich hoffe, ich konnte die Verwirrung, die sich hier zwischenzeitlich geoffenbart hat, zumindest teilweise aufhellen.
Beppe