http://www.morgenpost.de/brandenburg/ar ... ewalt.htmlAmt setzt Zwangsanschluss durch – mit Polizeigewalt
Mittwoch, 10. September 2008 13:12 - Von Georg-Stefan Russew
In Briesensee ist es am Mittwoch zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Einwohnern gekommen, die sich gegen den Zwangsanschluss ihrer Grundstücke an eine Nutzwasser-Rückgewinnungsanlage gekommen. Die Polizei nahm eine Grundstückseigentümerin und ihre Sympathisanten in Gewahrsam.
Der Abwasserstreit in Briesensee bei Lübben (Dahme-Spreewald) um eine Nutzwasser-Rückgewinnungsanlage ist am Mittwoch erneut eskaliert. „Die Polizei hat dem Amt Lieberose/ Oberspreewald Vollzugshilfe geleistet. Wir waren mit 24 Beamten im Einsatz", sagte ein Polizeisprecher Thomas Wilde Morgenpost Online. Da sich die Eigentümerin Doris Groger weigerte, Polizei und Amtsmitarbeiter auf ihr Grundstück zu lassen, wendeten die Beamten unmittelbaren Zwang an. Da Groger auch einen Platzverweis nicht befolgte, wurde die 56-Jährige vorübergehend festgenommen. Auch gegen vier weitere Personen, die mit Groger sympathisierten, wurden von der Polizei abgeführt.
Im Anschluss hat eine vom Amt Lieberose/Oberspreewald beauftragte Firma die Nutzwasserrückungsgewinnungsanlage der Familie Groger abgeklemmt und das Grundstück an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen. Alle Maßnahmen, mit Gesprächen und Gerichtsbeschlüssen, Frau Groger zu bewegen, ihr Grundstück anschließen zu lassen, sind fehlgeschlagen. Deshalb heute dieser Einsatz", so Amtsdirektor Bernd Boschan.
Nach Abschluss der Anschlussarbeiten sind alle fünf wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Gegen Doris Groger und ihren Sohn Peter wurde Anzeige wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte erstattet.
Es ist noch dunkel. Ins beschauliche Spreewald-Dorf Briesensee bei Lübben (Dahme-Spreewald) rollen mehrere Polizeiwagen ein. Straßen werden abgesperrt, Autos kontrolliert. Doris Groger hat sich mit ihren Söhnen Peter und Paul auf dem eigenen Grundstück verbarrikadiert.
Bretter, alte Autoteile und Hunderte Glasflaschen riegeln die Wege ab. Die Eingangstür ist zugeschweißt. Mit einem Grundgesetz in der Hand wartet Doris Groger am Mittwochmorgen auf den angekündigten Polizeieinsatz.
„Ich werde keinen Millimeter freiwillig von meinem Zuhause weichen“, gibt sich die 56-Jährige kämpferisch. Sie weigert sich seit Jahren, den Haushalt ans öffentliche Abwassernetz anzuschließen, weil sie eine biologische Kläranlage besitzt. Das Amt Lieberose/Oberspreewald besteht aber auf die Einhaltung der geltenden Verträge mit dem Abwasserzweckverband, wonach alle Haushalte verpflichtet sind, ihr Schmutzwasser an das kommunale Netz abzuführen. Klagen vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben diesen Zwang bestätigt. Das brandenburgische Verfassungsgericht lehnte die Beschwerde ab. Entscheidungen, die Doris Groger nicht nachvollziehen kann und akzeptieren will. „Ich habe Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.“
Drohungen, Bitten und Tränen
Doris Groger ist seit 1998 parteilose Ortsbürgermeisterin in Briesensee. In mehreren Gemeinderatsbeschlüssen hatte sich das Dorf gegen eine Kanalisierung ausgesprochen. Das Amt Lieberose nahm die Verträge aber nicht mehr zurück. Bereits am 20. Dezember vergangenen Jahres und am 19. Mai hatte die Verwaltung einen Zwangsanschluss angedroht, in letzter Minute aber jeweils von einer polizeilichen Durchsetzung abgesehen. Diesmal kennt Amtsleiter Bernd Boschan keine Gnade mehr. „Jeder muss sich an das geltende Recht halten.“ Auch die eindringliche Bitte der Landtagsabgeordneten Renate Adolph (Linke) lässt den Amtsdirektor kalt. „Frau Groger wird hier wie eine Schwerverbrecherin behandelt“, erregt sie sich. Um sechs Uhr bittet der Amtsleiter Doris Groger zum letzten Mal darum, ihren Haushalt freiwillig anzuschließen – sie lehnt ab. Bernd Boschan spricht daraufhin einen Platzverweis für alle Personen aus, die sich auf dem Grundstück befinden. „Ich gehe keinen Schritt“, sagt die 56-Jährige. Von nun an übernimmt die Polizei das Geschehen. „Die Rechtslage ist für uns eindeutig. Wenn sie das Grundstück nicht verlassen, sind wir gezwungen, Gewalt anzuwenden“, redet Lübbens Polizeichefin Annett Urban auf die Widerständler ein. „Von mir und meinem Zuhause geht keine Gefahr aus“, entgegnet die alleinerziehende Mutter unter Tränen. Das große Polizeiaufgebot, 25 Beamte sind im Einsatz, schockiere sie. „Haben Sie so viel Angst vor einer alten Frau?“
Vor den Straßensperren haben sich mittlerweile Einwohner, Sympathisanten und Umweltaktivisten versammelt, die der Ortsbürgermeisterin beipflichten wollen. Zum Wohnhaus gelangen sie nur über Umwege. Einige Demonstranten schleichen sich über eine Wiese zu Nachbargrundstücken, um die Geschehnisse zu beobachten.
Zutritt über den Hintereingang
Ein Deeskalationsteam der Polizei versucht nochmals, auf Doris Groger einzureden. Aber die 56-Jährige bleibt standhaft. „Es ist schlimm. Ich fühle mich wie eine Terroristin“, sagt die Briesenerin. Über den Hintereingang verschaffen sich die Polizisten Zutritt zum Gelände. Doris Groger klemmt ihren Körper zwischen mehreren Holzbalken und hält sich mit aller Kraft an ihnen fest. Drei weibliche Beamte versuchen, sie herauszuziehen – ohne Erfolg. Zwei starke Männer eilen zur Hilfe und lösen die Briesenerin langsam los. „Meine Rechte werden mit Füßen getreten“, schreit sie. „Sie dürfen das Grundgesetz nicht brechen.“ Die Sympathisanten skandieren „Wir sind das Volk. Wir sind das Volk“. Mit großer Kraftanstrengung gelingt es den Beamten nach rund 15-minütigem Kampf, Doris Groger in den Polizeiwagen zu tragen. „Halte durch Mama“, ruft ihr Sohn Peter, der wenig später ebenfalls in Gewahrsam genommen wird.
Fassungslosigkeit und düstere Mienen
Die Zaungäste sind vom rigorosen Vorgehen der Polizei schockiert. Einige haben Tränen in den Augen. „Ich bin fassungslos, wie hier mit einer umweltbewussten Frau umgegangen wird“, erregt sich Cornelia Heinrich aus Holzdorf (Teltow-Fläming). „So etwas wäre in anderen europäischen Ländern undenkbar“, sagt Gerald Rollett, der zur Unterstützung aus Stuttgart angereist war. Auch einigen Polizisten scheint an dem Morgen nicht ganz wohl zu sein. Mit düsterer Miene beobachten sie das Geschehen. „Leicht fällt es mir nicht“, sagt ein Beamter. „Aber wir müssen unsere Arbeit tun.“
„Die Bilder sind unschön und bedauerlich“, sagt Polizei-Sprecher Thomas Wilde. „Wir sind gesetzlich zur Vollzugshilfe verpflichtet und hatten keine andere Wahl.“ Die Polizei müsse den rechtsgültigen Gerichtsbeschluss durchsetzen. Verletzte gab es keine. „Hier wurde völlig unverhältnismäßig agiert“, kritisiert Renate Adolph. Für eine Frau, die ökologisch Wasser aufbereitet, sei der riesige Polizei-Einsatz nicht gerechtfertigt. Die Abgeordnete wolle den Fall im Landtag thematisieren.
Um 7.30 Uhr ist das Grundstück von allen Widerständlern befreit, bis auf Paul Groger. Der ältere Sohn hat sich mit einem Kissen auf den Dach stuhl des Wohnhauses gesetzt. Er bleibt unter Beobachtung, die Polizei sieht von weiteren Schritten ab. Unterdessen rücken die Kanalarbeiter an. Sie beginnen sofort mit den Grabungsarbeiten. Um elf Uhr ist der Haushalt ans öffentliche Abwassernetz angeschlossen. Praktisch zeitgleich wird Doris Groger in Lübben aus dem Gewahrsam entlassen. „Ich werde das nie akzeptieren“, sagt sie. Wenn sie nach Hause komme, wolle sie die Rohre mit ihren Söhnen wieder ausgraben. „Meine biologische Kläranlage produziert Bade- und teilweise sogar Trinkwasserqualität.“ Die Vorschriften für einen bedingungslosen Anschluss- und Benutzungszwang stammen aus der deutschen Gemeindeordnung von 1935, erklärt sie.
Anhörung im Schulamt
Die Englisch-Lehrerin bangt inzwischen um ihren Job. Für heute sei im Schulamt eine Anhörung angesetzt worden. „Auch wenn sie mich kündigen wollen, ich gebe nicht auf“, bleibt sie dennoch kämpferisch.
http://www.lr-online.de/regionen/spreew ... 31,2167670
Im Folgenden ein Hilferuf von Frau Groger, den ich im Netz gefunden habe und den ich hier noch dokumentieren möchte:
http://www.paul-aus-petershagen.de/asse ... lferuf.pdfDoris Groger
Ortsbürgermeisterin
Dorfstr. 70
OT Briesensee
15913 Neu Zauche
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie dringend um Hilfe bitten!
Das Amt Lieberose/Oberspreewald will am Montag den nächsten Zwangsanschlussversuch auf meinem Grundstück vornehmen. Damit zerstören sie meine vorbildlich funktionierende Nutzwassergewinnungsanlage, die Badewasserqualität bis hin zu teilweiser
Trinkwasserqualität produziert. Dabei hat das Brandenburger Verfassungsgericht in meinem Fall geschrieben, dass ich mein Wasser mehrfach nutzen kann, ohne zeitliche oder mengenmäßige Einschränkung, was ja auch dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz entspricht.
Die Gemeinde Briesensee hat von1998 bis 2000 mehrere Beschlüsse gegen eine Kanalisierung, für die Wiederverwertung der endlichen Ressource Wasser gefasst. Diese Beschlüsse sind nie veröffentlicht worden, nie vom Amt ausgeführt, nie in einem ordentlichen Beanstandungsverfahren behandelt worden. Das Amt hat sie einfach totgeschwiegen. Das ist Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung! Ich bin erschüttert, dass so etwas in Deutschland möglich ist.
Bitte verbreiten Sie meinen Hilferuf – eine andere Möglichkeit habe ich gegen diesen Behördenterror leider nicht mehr.
Die Polizei wird mich im Rahmen der Amtshilfe mit Gewalt von meinem eigenen Grundstück entfernen, damit das Amt meine Nutzwassergewinnungsanlage zerstören und mein Eigentum, mein Wasser, stehlen kann.
Doris Groger
Diesem Wunsch bin ich hiermit gerne nachgekommen.
Ich halte es für eine Katastrophe, daß eine derartige Amtswillkür in Deutschland möglich ist und ich muß sagen, als ich heute Morgen den Bericht im Fernsehen darüber gesehen habe, war ich außer mir.
Ich bin der Meinung, daß diese Maßnahme nicht nur rückgängig gemacht werden muß, sondern die für diesen unglaublichen Vorfall Verantwortlichen müssen auch bestraft und von ihren Ämtern entfernt werden.
Dies fordere ich hiermit!