Varus Schlacht

Moderator: Barbarossa

Harald
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Welchen Sinn hat es, einen 400m langen Wall zur Verteidigung zu bauen, der von Süden, vom Wald aus, mit Wurf- und Schußwaffen, gefahrlos angegriffen werden kann? Und das nach dreitägigen Märschen in strömendem Regen und Nächten ohne Schlaf? Wenn Varus dazu den Befehl gegeben hat, ist mir alles klar.
Wo kann man etwas nachlesen über die Sinnesänderungen von Prof. Schlüter? Mein Kenntnisstand vom 14.11.2008 ist, daß ein Manuskript über 20 Jahre Archäologische Forschung in Kalkriese in Druckvorbereitung ist. Spielt da auch die Besetzung von Planstellen in Kalkriese eine Rolle?

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Agrippa
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Dr. Wolfgang Schlüter möchte ich nicht unterstellen, dass er mit 73 Jahren noch seine akademische Laufbahn durch wiss. Beiträge vorantreiben will. Im übrigen hat er alles erreicht, was sich ein Archäologe wünschen kann. Er war in Fachkreisen zwar nicht unbekannt, aber lediglich Stadt-und Kreisarchäologe von Osnabrück, als Tony Clunn das Schlachtfeld in Kalkriese entdeckte. Danach ging es für ihn rasant voran. Durch seine Verdienste und Publikationen in und um das Projekt Kalkriese wurde ihm 1993 von der Universität Osnabrück eine Honorarprofessur verliehen.

Schlüter weiß auch um die heftige Kritik, der sich die Kalkrieser Wissenschaftler seit Jahren stellen müssen. Kalkriese als Ort der Varusschlacht ist in Fachkreisen nach wie vor umstritten.
Dabei bezweifeln die Kritiker insbesondere den Wall als germanisches Bauwerk.

Nun gibt Schlüter im Jahr 2011 zu, dass auch er den Wall für ein römisches Werk hält, obwohl er jahrelang einen anderen Standpunkt vertrat.
Es gehört Charakter dazu, einen solchen Irrtum öffentlich einzugestehen, da seine eigene berufliche Karriere vom Projekt sehr begünstigt wurde. Dennoch: sein Gewissen hat ihn wohl zu sehr gedrückt.
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Agrippa
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Nun zu zwei wesentlichen Auszügen aus Schlüters Beitrag (das ganze ist über 20 Seiten lang):


„Bei der Vorlage von Ergebnissen der archäologischen Forschungen zu dem römisch-germanischen Kampfgeschehen der frühen Kaiserzeit in der Kalkrieser-Niewedder-Senke zwischen 1991 und 2009 hat der Verfasser den „Wall“ auf dem Oberesch stets als Teil einer von Germanen parallel zur Marschrichtung der Römer am Fuß des Kalkrieser Berges erstellten Befestigungslinie angesprochen bzw. eine solche Funktion stillschweigend vorausgesetzt. (...)
Verfasser hat allerdings bereits 2000 wegen des sich damals abzeichnenden Einzugs der Wallenden nach Norden, also zur römischen Seite hin, nicht ausschließen wollen, dass als Erbauer der Rasensodenmauer auf dem Oberesch auch römische Truppen in Betracht kommen könnten. Wolters und Kehne halten ebenfalls eine Errichtung der Befestigung durch ein römisches Heer für möglich. Wilbers-Rost hat jedoch aufgrund des Gesamtbefundes eine solche Auffassung verneint."


Nach der Erläuterung fasst Schlüter seine Erkenntnisse zusammen und gesteht somit seinen anfangs genannten Irrtum ein.


„Keines der Elemente des Befestigungsbaus auf dem Oberesch lässt sich demnach als Beleg für die Auffassung anführen, dass der Wall germanischen Ursprungs sei. Dagegen sprechen verschiedene Merkmale der Wehrmauer trotz des Fehlens des für römische Anlagen charakteristischen Spitzgrabens - hier sind u.a. die Bauweise, das Drainagesystem, die Lage der Brustwehr und auch die Lienienführung zu nennen - für eine Errichtung durch römische Truppen."


Wolfgang Schlüter: War der Oberesch in Kalkriese Standort des letzten Varuslagers? In: Osnabrücker Mitteilungen, Bd.116, 2011
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Agrippa
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Harald hat geschrieben:Welchen Sinn hat es, einen 400m langen Wall zur Verteidigung zu bauen, der von Süden, vom Wald aus, mit Wurf- und Schußwaffen, gefahrlos angegriffen werden kann?
Noch schlimmer. Das "Lager" war nach Westen und Osten offen. Für die Germanen wäre es eine Einladung gewesen.
Harald hat geschrieben: Varus dazu den Befehl gegeben hat, ist mir alles klar.
Ich gebe Dir recht. Andererseits sagt Schlüter, gerade die Engstelle hätte in der Not die topographische Situation optimal ausgenutzt, da die Nordseite durch den Sumpf gesichert war, also weniger Männer zum Bau benötigt wurden.

Dagegen spricht allerdings die Schlangenform des Walls, die darauf hindeutet, dass die Römer auf einer relativ kurzen Strecke möglichst viele Legionäre auf dem Wall postieren wollten.
Harald
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Als römischer Wall wird mir die Sache immer schleierhafter. Warum soll eine Truppe, die auf der Flucht ist und das verdammte Gelände so schnell wie möglich verlassen will sich mit dem zeit- und kräfteraubenden Bau so eines unnützen Dingens aufhalten?
Das müßte mir der hoch zu verehrende Herr Prof. Schlüter mal erklären.

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Agrippa
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Ja, das ist in der Tat schwer zu sagen. Nach Schlüter suchten sich die entkräfteten Legionäre nach dreitägigem Kampf einen durch den Sumpf im Norden geschützten Platz, um ein letztes Lager zu errichten. Dort wollte man sich verschanzen und auf ein Wunder hoffen. Vielleicht hatte man gehofft, Lucius Asprenas würde mit zwei Legionen zu Hilfe eilen? Man weiß es nicht. Zumindest beschreibt Tacitus, dass sich die zusammen geschmolzenen Truppen des Varus hinter einem Wallmit flachem Graben verschanzt hatten.
Cherusker
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Harald hat geschrieben:Als römischer Wall wird mir die Sache immer schleierhafter. Warum soll eine Truppe, die auf der Flucht ist und das verdammte Gelände so schnell wie möglich verlassen will sich mit dem zeit- und kräfteraubenden Bau so eines unnützen Dingens aufhalten?
Das müßte mir der hoch zu verehrende Herr Prof. Schlüter mal erklären.

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Was für ein "verdammtes Gelände"? :shock: In Kalkriese geht, wie schon zigmal geschrieben, der Hellweg vor dem Santforde lang. Bessere Marschwege konnte man in Germanien gar nicht finden. Eva Tolksdorf-Lienemann hat in ihrem Bericht "Bodenkundliche Untersuchungen zu Geländestrukturen und Nutzungen der historischen Oberfläche zur Zeit um Christi Geburt" nachgewiesen, daß die Gegend als offene Siedlungslandschaft zu charakterisieren sei. Somit gab es z.B.Hudewälder, die Überraschungsangriffe doch deutlich erschweren, weil das Gestrüpp und die Büsche fehlen, die ansonsten die Sicht in den Wald hinein verhindern.
Joachim Harneker und Günther Moosbauer (2 Wissenschaftler, die Kalkriese als Varusschlacht befürworten) kommen zu der Ansicht, daß der Kampfplatz in Kalkriese geringere Ausmaße hat als ursprünglich angenommen, weil "die dokumentierten Befunde außerhalb des "Oberesch" überwiegend in einem anderen zeitlichen und kulturellen Kontext und damit nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Kampfhandlung" stehen. D.h. eine sich kilometerlang hinziehende Schlacht ist für sie archäologisch nicht beweisbar. :shock:
Wie soll denn da die Varusschlacht stattgefunden haben, wenn die Römer somit sich nicht auf einer hastigen Flucht befunden haben? :wink: Es scheint somit nur zu Kampfhandlungen direkt am Ort gekommen zu sein. Das wiederum spricht eher für Caecina und Pontes Longi als Varus und seine Vernichtungsschlacht.
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Agrippa
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Ebenfalls gegen die heute morgen genannte Version 1, also das letzte Varuslager, spricht die Position unterhalb des Hügels. Wenn Varus auf dem Hellweg war und einen günstigen Platz suchte, dann hätte er auch an anderer Stelle zum Rand des Sumpfes ziehen können. Aber ausgerechnet unterhalb des Hügels? Wollte er den Germanen die Chance geben, beim Sturmangriff auf sein Lager den Schwung bergab auszunutzen? Schwer vorstellbar.

Meiner Meinung nach erbauten die Römer den Wall, weil die Germanen den Hügel bereits besetzt hielten. Die Legionäre, die mit dieser schwierigen Aufgabe betraut waren, mussten durch eine Postenkette geschützt werden. Das spricht eindeutig für Caecina und Pontes Longi.
Cherusker
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Harald hat geschrieben:Als römischer Wall wird mir die Sache immer schleierhafter. Warum soll eine Truppe, die auf der Flucht ist und das verdammte Gelände so schnell wie möglich verlassen will sich mit dem zeit- und kräfteraubenden Bau so eines unnützen Dingens aufhalten?
Das müßte mir der hoch zu verehrende Herr Prof. Schlüter mal erklären.

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Aber hallo, das ist doch einfach. Die Römer haben auf dem Marsch, wenn sie kein festes Lager erreichen konnten, immer ein geschütztes Lager gebaut. Aus ihren jahrhundertlangen Kriegserfahrungen hatten sie schlechte Erfahrungen gemacht, wenn sie das Nachtlager nicht geschützt hatten. I.d.R. wurde in den historischen Beschreibungen die Redewendung idoneo loco (= an einem günstigen Ort) verwendet. Das war aber auch nicht immer gegeben. So führt Schlüter an, daß die Römer auch provisorische Wehranlagen für das Nachtlager errichteten. So führt er den Marserfeldzug von Germanicus im Jahre 14n.Chr. an. Dort befand sich Germanicus mit seinen Legionen auf einem Heerweg und hat dann auf diesem das Nachtlager aufgeschlagen. Dafür ließ er die Vorder- und Rückseite mit Wällen sichern und die Flanken nur mit Verhauen.
Und bei Kalkriese ist halt der Hellweg vor dem Santforde.
Auch Bedrängnis und Kampfhandlungen konnten die Römer nicht davon abhalten, diese Arbeiten zu verrichten. Selbst Caecina hatte vor der Schlacht Pontes Longi einen Wall unter schwierigen Bedingungen errichten lassen und nach der Schlacht wiederum ein notdürftiges Lager mit Wällen, obwohl er den größten Teil des Schanzwerkzeuges im Troß verloren hatte.
Man darf nicht vergessen, daß die römischen Legionen ein Berufsheer waren, indem die Disziplin über alles zählte. Nur so konnten sie ein Weltreich erobern.
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Agrippa
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Hallo Cherusker,
ich schließe mich ebenfalls der Meinung Schlüters dahingehend an, dass der Wall von Römern erbaut wurde.
Nicht teilen kann ich die These, die Legionen des Varus haben das Erdwerk errichtet, eben weil dieses direkt unterhalb des Kalkrieser Berges stattfand. Das wäre eine sehr ungünstige Position für ein Lager. Ich bleibe dabei: Der Wall sollte Angriffe der Germanen vom Berg herab abwehren.

Caecina unterstanden vier Legionen, also über 20 000 Kombattanten, eine enorme Heeresmacht, noch größer als jene des Varus. Für diese Truppen war es möglich, in die (selbst bei ungünstigem Wetter) 100 m breite Engstelle bei Kalkriese hinein zu marschieren.
Das Problem des Caecina war der Tross.
Damit dieser den Weg passieren konnte, mussten die Legionäre einen Wall am Fuße des Kalkrieser Berges errichten, um den Flankenschutz des Trosses gegen die Germanen zu sichern, die den Hügel besetzt hielten.
Das Hauptangriffsziel der Germanen war der römische Tross.
Harald
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Nochmal:Der Kalkrieser Berg liegt nicht am Hellweg. Arminius ist es ja gelungen, Varus vom Hellweg weg in dieses unwegsame Gelände (siehe die römischen Chronisten) zu locken.
Das es auch möglich ist, daß Caecinas Legionäre den Wall gebaut haben, sagte ich schon.
Wenn sie das taten ist das ein wunderschöner Beweis, das dies der Ort der Varusschlacht ist, denn den besuchten sie doch und sie wußten genau wo er ist.
Ich bevorzuge den Bau durch die Germanen, aber bessere Beweise habe ich auch nicht.

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Agrippa
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Harald hat geschrieben:Nochmal:Der Kalkrieser Berg liegt nicht am Hellweg.
Es gibt nicht DEN Hellweg, sondern verschiedene. Wir sprechen hier vom "Hellweg vor dem Santforde", der in Ost-West-Richtung auf der Route der heutigen B 65 verlief. Der "Hellweg vor dem Santforde" war eine wichtige und frequentierte Wegeverbindung im sonst wenig erschlossenen Germanien.
Er führte zwischen Kalkrieser Berg und Sumpf hindurch.
Harald hat geschrieben:Arminius ist es ja gelungen, Varus vom Hellweg weg in dieses unwegsame Gelände (siehe die römischen Chronisten) zu locken.
Irrtum. Varus wollte einen Aufstand weit entfernt wohnender Völker niederschlagen. Dabei geriet er offensichtlich in schwieriges Gelände. Wo genau wissen wir nicht.
Harald hat geschrieben:Das es auch möglich ist, daß Caecinas Legionäre den Wall gebaut haben, sagte ich schon.
Wenn sie das taten ist das ein wunderschöner Beweis, das dies der Ort der Varusschlacht ist, denn den besuchten sie doch und sie wußten genau wo er ist. ]
Das verstehe ich nicht. Caecina hat einen Wall auf dem Varusschlacht erbauen lassen? Das ist mir neu. Caecina ließ Brücken und Wege durch ein tiefes Waldgebiet anlegen, um das Varusschlachtfeld zu erreichen. Wo er das tat, ist leider unbekannt, sonst wüssten wir heute, wo das Varusschlachtfeld ist.
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Agrippa
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Kleine Korrektur. Bei Wikipedia wird der betreffende Weg "Hellweg unter dem Berge" genannt. http://de.wikipedia.org/wiki/Hellweg_unter_dem_Berg
Rechts ist eine Abbildung mit dem Verlauf dieses Weges.

Wenn Varus auf dieser Strecke entlanggezogen wäre, hätte er es recht bequem gehabt.
Die römischen Quellen geben allerdings ein anderes Bild wieder.

Festhalten bleibt, dass Kalkriese an einem Hellweg lag, also keineswegs in der unbekannten Wildnis.
Harald
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Caecina suchte und fand das "Schlachtfeld" der Varusschlacht und ließ die sechs Jahre dort liegenden Knochen der Römer notdürftig verscharren und ein Mausoleum bauen. Gibt es einen Grund warum er zum Schutz der Arbeiten den Wall nicht bauen lassen sollte?
War sowieso alles vergebens.
@Cherusker: Mal eine Frage: Wer hat eigentlich die Varusschlacht verloren. Das scheint noch nicht ganz geklärt zu sein.

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Agrippa
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Harald hat geschrieben:Caecina suchte und fand das "Schlachtfeld" der Varusschlacht und ließ die sechs Jahre dort liegenden Knochen der Römer notdürftig verscharren und ein Mausoleum bauen. Gibt es einen Grund warum er zum Schutz der Arbeiten den Wall nicht bauen lassen sollte?
Alle Achtung! Das ist ein Vorschlag, auf den in über 25 Jahren Kalkriese-Forschung meines Wissens noch niemand gekommen ist.
Leider ist deine These sehr unwahrscheinlich, da erstens dieser Wall, der angeblich zum Schutz der Bestattung gebaut wurde, in keiner römischen Quelle Erwähnung findet und zweitens am Wall offensichtlich heftige Kämpfe stattfanden, so dass er teilweise einstürzte und unter anderem ein Maultier unter sich begrub.
In den Quellen wird die Bestattungszeremonie aber ganz anders beschrieben.

Harald hat geschrieben:Cherusker: Mal eine Frage: Wer hat eigentlich die Varusschlacht verloren. Das scheint noch nicht ganz geklärt zu sein.
Weshalb fragst Du Cherusker, wer die Varusschlacht gewonnen hat? Ebenso könnte man die Frage stellen, wer gestern Abend gewonnen hat. Bayern oder Real?
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