Migration in Ostpreußen 1732

Reformation, Luther, 30jähriger Krieg, Katholische Kirche, Evangelische Kirche, Thomas Münzer

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Barbarossa
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Obwohl Deutschland in heutiger Zeit nicht als klassisches Einwanderungsland angesehen wird, im Gegensatz zu Ländern, wie etwa die USA, Kanada oder Australien, gibt es dennoch auch in Deutschland bestimmte Regionen, die durch eine starke Migration erst zu dem wurden, was sie heute sind. Dazu gehört insbesondere die Mark Brandenburg, die infolge des Dreißigjährigen Krieges stark entvölkert war, so dass die dortigen Kurfürsten eine gezielte Einwanderungspolitik betreiben mussten. Doch schon in damaliger Zeit rief das oft den Unmut der einheimischen Bevölkerung hervor.
Ein relativ unbekanntes Kapitel von Migrationspolitik gab es auch im ostpreußischen Teil von Brandenburg-Preußen. Dort war nicht der Dreißigjährige Krieg, sondern eine große Pestepidemie in den Jahren 1709-1711 dafür verantwortlich, dass ein relativ großer Teil der Bevölkerung dahingerafft wurde. Am schwersten betroffen war der Bezirk Gumbinnen im östlichen Teil Ostpreußens, wo sich 4/5 aller Todesfälle Ostpreußens konzentrierten. Insgesamt starben in diesen Jahren von den insgesamt 600.000 bis 700.000 Bewohnern Ostpreußens 200.000 bis 250.000 an der Pest. 10.834 Bauernhöfe verödeten dadurch.

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9F ... C3%9Fen%29)

Diese Situation erforderte auch in Ostpreußen eine gezielte Einwanderungspolitik. Im Jahre 1732 ergriff König Friedrich Wilhelm I. eine dazu günstige Gelegenheit.
Im Erzbistum Salzburg hatte der seit 1727 regierende Erzbischof Leopold Anton von Firmian damit begonnen, gegen vom katholischen Glauben abgefallene Untertanen vorzugehen. Am 31. Oktober 1731 erging gegen diese Salzburger das Emigrationspatent, mit dem sie aus dem Fürstentum ausgewiesen wurden. Insgesamt betraf dies über 18.000 Menschen (sogenannte "Unangesessene" und "Angesessene" zusammengenommen), die nach ihrer Registrierung in bestimmten Gruppen ausgewiesen wurden.
Dies nutzte der preußische König für seine Migrationspolitik und erklärte am 2. Februar 1732, die evangelischen Salzburger aufnehmen zu wollen, um sie bei Gumbinnen anzusiedeln. Interessant dabei ist, dass diese Züge durch preußisches Personal organisiert abliefen, da die Emigranten bewusst auf verschiedenen Routen durch die Territorien geführt wurden, um nicht immer dieselben Städte mit deren Beherbergung zu belasten. Auch erhielten die sogenannten "Exulanten" auf ihrer Reise ein Verpflegungsgeld.
Den Salzburgern wurde aufgrund ihrer Glaubensstärke auf ihren Zug nach Ostpreußen in protestantischen Gegenden durchaus große Sympathie entgegengebracht - im Gegensatz zu katholischen Gegenden. Auch gab es auf der beschwerlichen Reise zahlreiche Todesopfer zu beklagen. So kamen ab Juni 1732 insgesamt 15.000 Menschen aus dem Salzburger Land in Ostpreußen an. Bis zu ihrer festen Ansiedlung auf freien Hofstellen wurden die Salzburger zunächst als Mieter in Städten oder bei Bauern untergebracht - die Vermieter erhielten zwei Taler pro Familie als Quartiergeld - jedes Familienoberhaupt der Salzburger Migranten erhielt zudem zehn Taler und zwölf Groschen für den Lebensunterhalt. In dieser Zeit bis zu ihrer festen Ansiedlung waren sie damit jedoch auch zur Untätigkeit verdammt, was bei der einheimischen Bevölkerung zu Unmut und Ärger führte. Auf der anderen Seite wurde das für die Salzburger ungewohnte Klima zum Problem - Kranheiten und auch Todesfälle häuften sich, was auch bei den Salzburgern zu Klagen führte. Halt und Orientierung gab ihnen ihr starker Glaube.
Nach ihrer Ansiedlung waren sie drei Jahre von Abgaben befreit - jeder Migrant konnte seine frühere Tätigkeit fortführen. Jährlich angefertigte Berichte über das "Betragen und Gebaren der Salzburger" förderte jedoch Unterschiede bei der Mentalität zutage. So kamen die Einwanderer offenbar mit der preußischen Ordnung, die keinen Widerspruch duldendete, nicht zurecht und lehnten sich anfangs häufig dagegen auf. So ist in einem dieser Berichte davon die Rede, "die meisten seien zum Zorne geneigt, lassen sich aber mit Güte bald wieder besänftigen". Im Laufe der Zeit vermeldeten die Berichte aber auch eine Beruhigung der Situation.
Aufgrund der breiten Verteilung der Salzburger wurde eine Ghettobildung vermieden und bereits die Enkelgeneration der Migranten hatte sich sprachlich der ostpreußischen Bevölkerung angepasst, was dazu führte, dass sie rasch zu einem Gefühl der Landeszugehörigkeit fanden, auch wenn sie ihr Gruppenbewusstsein und das Wissen um ihre Herkunft bewahrten.

Insgesamt ist dies also ein historisches Beispiel für eine gelungene Integration von Migranten.

(Quelle: http://www.tagesspiegel.de/wissen/fluch ... 76292.html)
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Paul
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Ostpreußen hatte relativ viele Einwanderungswellen. Viele Balten wanderten in das gotische Land ein. Wahrscheinlich entstanden überall Mischdialekte. Ob es richtig ist, das Prussenland insgesamt als baltisch zu bezeichnen ist nicht sicher. Der Deutsche Ritterorden eroberte Pruzzen und siedelte deutsche Siedler an, welche langfristig die Pruzzen assimilierten. Germanisch-pruzzische Mischdialekte können die Assimilation beschleunigt haben. Um 1500 gab es schon zu einer Pestepidemie, die zur Ansiedlung polnischer Siedler aus Masownien nach Südostpreußen führte. Wahrscheinlich wanderten außerdem neben Deutschen auch Kaschuben und Littauer ein. Es gab in vielen Teilen Ostpreußens deshalb sehr unterschiedliche Mischdialekte. Das Masurische im Süden ist ein sehr bekannter Mischdialekt. Nach dem 1. Weltkrieg stimmten fast alle Menschen für den Verbleib bei Deutschland.
Nach der sehr weitgehenden Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg wanderten in den Süden Polen und in den Norden Russen, Littauer ...ein.
viele Grüße

Paul

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Barbarossa
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Ja, richtig. Und nun muss man sagen, dass 15.000 Migranten nun auch nicht so wahnsinnig viele sind - angesichts der hohen Zahl der Pesttoten war das wohl eher ein Tropfen auf den heißen Stein.
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Paul
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Die meisten Verluste werden durch den eignen Geburtenüberschuß ausgeglichen. Bei dünner Besiedlung sinkt die Kindersterblichkeit, da die Menschen mehr zu essen haben. Ostpreußen war sehr wasserreich, d.h. es gab viele Sümpfe und Urwälder. Hier konnten Siedler aus Holland und Friesland ihre Erfahrungen in der Trockenlegung von Sümpfen einbringen und die Agrarflächen vergrößern.
Bei den späteren Einwanderungen wurden auch neue Agrarpflanzen z.B. aus Amerika eingeführt. Friedrich der Große propagierte den Anbau der Kartoffel. Er baute das Schulwesen aus und setzte ältere Soldaren als Volksschullehrer ein. Vielleicht beeinflußte das die Mentalität in Preußen, die ja schon durch den Ritterorden geprägt war.
viele Grüße

Paul

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