von Barbarossa » 19.09.2014, 00:03
Lia hat geschrieben:Barbarossa hat geschrieben:Ich habe auch schon bei meiner Musterung zur NVA den Mut aufgebracht und auf die Frage, ob ich ein Problem darin sehen würde, auch an der Grenze eingesetzt zu werden, geantwortet, dass ich nicht auf Menschen schießen würde
Dass "Unzuverlässige" nicht eingesetzt wurden, war mir bekannt. Dass gefragt wurde, ob man an die Grenze wolle, auch. Und wollte man nicht, brach sicherlich kein Lobgesang aus, doch es wurde mehr oder weniger akzeptiert. Oder stand man doch gleich auf einer Liste? Wie aber reagierte man auf Deine wahrlich mutige Äußerung, generell nicht auf Menschen zu schießen? Das geht ja noch einen gewaltigen Schritt über Grenzdienst-Ablehnung hinaus, war ja schon fast Kriegsdienst- Verweigerung.
Wahrlich mutig, Respekt!
...
Ja, wie war das damals: Natürlich pochte mein Herz in dieser Situation wie wild und wollte am liebsten zum Hals heraushüpfen - so kam es mir vor. Dem Herrn in Uniform, der mir gegenüber saß, "entgleisten" erst einmal die Gesichtszüge und sagte dann aber in einem ruhigen Ton:
"Ach wissen sie, das mit dem Schießen, das wird nur im äußersten Notfall gemacht."
Das war der ganze Kommentar dazu und das Gespräch war dann auch gleich beendet. Sicher hatte er auch mitbekommen, wie aufgeregt ich war, aber es gab moralische Grenzen, die ich in dem Staat nie überschreiten wollte - hatte ich mir vorgenommen. Ich wollte immer selbst in den Spiegel schauen können.
Übrigens hatte das keinerlei spürbaren Nachteile. Auch eine vor etwa einem Jahr gestellte Anfrage bei der Stasiunterlagenbhörde ging negativ aus: keine Akte von mir gefunden, was mich dann doch überraschte.
Ach ja, und übrigens kam ich um die Armee tatsächlich ganz und gar herum, denn die "Wende" kam, das Zivildienstgesetz kam in dieser Zeit heraus und ich beantragte Zivildienst.
Stephan hat geschrieben:Re p u b l i k f l u c h t als Straftat - unglaublich zu welchen Konstrukten sich volkseigene Juristen verirren konnten!
Da war man
120 Jahre früher im kaiserlich-monarchistische Deutschland schon weiter. Am 21. Dezember 1848 beschloss das Paulskirchenparlament:
§. 6.
[1] Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt; Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
[2] Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.
vgl.
Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks (27.12.1848), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL:
http://www.documentArchiv.de/nzjh/1848/ ... 8_ges.html, Stand: 18.09.2014.
Die DDR war eben ein totalitärer Staat. Um zu erklären, wie das damals vom Regieme begründet wurde (übrigens auch in der Schule), zitiere dazu mal eine Textstelle aus meinem Buch „1989/1990 Die Friedliche Revolution in der DDR" (S.31):
Die Gründe dafür, dass Ausreisewillige als Staatsfeinde betrachtet und auch so behandelt wurden, sind in Verbindung mit der marxistisch-leninistischen Ideologie zu sehen. Das Grundgerüst dieser Ideologie war der Kollektivismus, in dem jeder Einzelne für die "sozialistische Gesellschaft" seinen Beitrag zu leisten hatte. Wer die "Vorzüge des Sozialismus genoss" (z. B. Kindergarten, Schule, Lehre, kulturelle und soziale Einrichtungen usw.) und diese vom Staat subventionierten Leistungen nutzte, der hatte nach dieser Ideologie auch eine Gegenleistung zu erbringen – die Treue und Verbundenheit zum "sozialistischen Staat". Das bedeutet, der Staat leitete aus diesen "Errungenschaften des Sozialismus", die jeder nutzen konnte, einen quasi-Besitzanspruch am Bürger ab. Damit konnte auch der Bau der "Mauer" und der "Schießbefehl" als "gerechtfertigt" dargestellt werden, weil hier dieselbe Denkweise zugrunde lag. Ausreisewillige oder gar "illegale Flüchtlinge" wurden aus diesem Gund klar als "Verräter" am "sozialistischen Staat" bzw. an der "Sache des Sozialismus" diffamiert.
[quote="Lia"][quote="Barbarossa"]Ich habe auch schon bei meiner Musterung zur NVA den Mut aufgebracht und auf die Frage, ob ich ein Problem darin sehen würde, auch an der Grenze eingesetzt zu werden, geantwortet, dass ich nicht auf Menschen schießen würde[/quote]
Dass "Unzuverlässige" nicht eingesetzt wurden, war mir bekannt. Dass gefragt wurde, ob man an die Grenze wolle, auch. Und wollte man nicht, brach sicherlich kein Lobgesang aus, doch es wurde mehr oder weniger akzeptiert. Oder stand man doch gleich auf einer Liste? Wie aber reagierte man auf Deine wahrlich mutige Äußerung, generell nicht auf Menschen zu schießen? Das geht ja noch einen gewaltigen Schritt über Grenzdienst-Ablehnung hinaus, war ja schon fast Kriegsdienst- Verweigerung.
Wahrlich mutig, Respekt!
...[/quote]
Ja, wie war das damals: Natürlich pochte mein Herz in dieser Situation wie wild und wollte am liebsten zum Hals heraushüpfen - so kam es mir vor. Dem Herrn in Uniform, der mir gegenüber saß, "entgleisten" erst einmal die Gesichtszüge und sagte dann aber in einem ruhigen Ton:
"Ach wissen sie, das mit dem Schießen, das wird nur im äußersten Notfall gemacht."
Das war der ganze Kommentar dazu und das Gespräch war dann auch gleich beendet. Sicher hatte er auch mitbekommen, wie aufgeregt ich war, aber es gab moralische Grenzen, die ich in dem Staat nie überschreiten wollte - hatte ich mir vorgenommen. Ich wollte immer selbst in den Spiegel schauen können.
Übrigens hatte das keinerlei spürbaren Nachteile. Auch eine vor etwa einem Jahr gestellte Anfrage bei der Stasiunterlagenbhörde ging negativ aus: keine Akte von mir gefunden, was mich dann doch überraschte.
Ach ja, und übrigens kam ich um die Armee tatsächlich ganz und gar herum, denn die "Wende" kam, das Zivildienstgesetz kam in dieser Zeit heraus und ich beantragte Zivildienst.
:wink:
[quote="Stephan"][b]Re p u b l i k f l u c h t[/b] als Straftat - unglaublich zu welchen Konstrukten sich volkseigene Juristen verirren konnten!
Da war man [b]120 Jahre früher[/b] im kaiserlich-monarchistische Deutschland schon weiter. Am 21. Dezember 1848 beschloss das Paulskirchenparlament:
[quote]§. 6.
[1] Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt; Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
[2] Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.[/quote]
vgl.
Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks (27.12.1848), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/1848/grundrechte1848_ges.html, Stand: 18.09.2014.[/quote]
Die DDR war eben ein totalitärer Staat. Um zu erklären, wie das damals vom Regieme begründet wurde (übrigens auch in der Schule), zitiere dazu mal eine Textstelle aus meinem Buch „1989/1990 Die Friedliche Revolution in der DDR" (S.31):
[quote]Die Gründe dafür, dass Ausreisewillige als Staatsfeinde betrachtet und auch so behandelt wurden, sind in Verbindung mit der marxistisch-leninistischen Ideologie zu sehen. Das Grundgerüst dieser Ideologie war der Kollektivismus, in dem jeder Einzelne für die "sozialistische Gesellschaft" seinen Beitrag zu leisten hatte. Wer die "Vorzüge des Sozialismus genoss" (z. B. Kindergarten, Schule, Lehre, kulturelle und soziale Einrichtungen usw.) und diese vom Staat subventionierten Leistungen nutzte, der hatte nach dieser Ideologie auch eine Gegenleistung zu erbringen – die Treue und Verbundenheit zum "sozialistischen Staat". Das bedeutet, der Staat leitete aus diesen "Errungenschaften des Sozialismus", die jeder nutzen konnte, einen quasi-Besitzanspruch am Bürger ab. Damit konnte auch der Bau der "Mauer" und der "Schießbefehl" als "gerechtfertigt" dargestellt werden, weil hier dieselbe Denkweise zugrunde lag. Ausreisewillige oder gar "illegale Flüchtlinge" wurden aus diesem Gund klar als "Verräter" am "sozialistischen Staat" bzw. an der "Sache des Sozialismus" diffamiert.[/quote]