Caesar berichtet, dass die Stämme mit einer Volksverfassung im Frieden keine einheitliche oberste Spitze hatten (Caesar, Bell. Gall. VI. 23). Die Führer der Unterverbände des Stammes und sonstige bewährte Adlige bildeten einen Führerrat, der weniger wichtige Angelegenheiten selbstständig erledigte, wichtigere Angelegenheiten aber vor die Volksversammlung zur Entscheidung brachte. In der Volksversammlung hatten die Stimmen der Anführer ein besonderes Gewicht.
Von der erst später bekannten Königsverfassung berichtet Caesar noch nichts. Zur Zeit des Tacitus war die Königsherrschaft im wesentlichen auf die Ostgermanen beschränkt.
Im Kriegsfall musste ein Heerführer bestimmt werden: der Herzog (dux, ahd. herizogo). Die Wahl des Herzogs erfolgte in der Volksversammlung mit einer Schilderhebung des Gewählten (vgl. Tacitus). Das germanische Heerwesen beruhte auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht; die Gliederung wurde ncht durch militärische Gesichtspunkte bestimmt, sondern durch die Verwandtschaft, d.h. es gliederte sich nach Sippen und Familienschaften. Da der germanische Krieger für seinen Unterhalt und seine Ausrüstung selbst zu sorgen hatte, war es nicht besonders schwierig, eine Streitmacht aufzustellen - sofern man sich auf der Volksversammlung nach oftmals langen Debatten überhaupt einigen konnte. Da das germanische Heer unter dem Schutze des Kriegsgottes stand, galt für das Heer wie auch für die Volksversammlung ein sakraler Frieden (Heerfrieden).
Da nur die politisch berechtigten freien Männer das germanische Heer bildeten, blieben die Unfreien im Kriegsfall auf dem Grund und Boden des Herrn zurück. Sie kümmerten sich darum, dass die Äcker bearbeitet und die Ernte eingefahren wurde, dass es also bei Krieg zu keiner Hungersnot oder einer Verwilderung der Anbaugebiete kam.
Der
Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte. Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde. Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus. So entstand automatisch eine führende Schicht, die die Geschicke des Stammes lenkte und bestinnte. Solche Eliten werden als Adel bezeichnet, tragen bei anderen Völkern andere Namen, doch ist der Inhalt des Begriffs identisch.
Die politische Führung eines Stammes hatte der Gentiladel (nobiles, principes, reges, duces, proceres, praepositi) inne, aus dem der Stammesführer als Repräsentant der Gemeinschaft und der Kriegsführer (dux) gewählt wurden. Aus dem Gentiladel kamen sicher auch die Priester (sacerdotes); z.B. war der Sohn des Segestes, Segimund, römischer Priester (Tacitus, Ann. 1, 57). Damit versuchten die Römer, den germanischen Adel über den Kult an sich zu binden. In der Struktur des Gentiladels und seiner Macht bestanden sicher Unterschiede zwischen den Stämmen. Tacitus betont jedoch nachdrücklich, dass die "reges" keine unbegrenzte willkürliche Macht besaßen und dass die "duces" nur duirch ihr Vorbild wirken mussten.
Die adlige Schicht erweiterte in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende ihre Macht zunächst bei kriegerischen Ereignissen. Raub und Tributerhebung führten über eine ungleichmäßige Verteilung zu ihrer Bereicherung. Auf den Bestattungsplätzen im Elbe-Oder-Gebiet sind diese Krieger (Waffen, Tracht) in gesonderter Lage beigesetzt worden.
Die wirtschaftliche Kraft des Gentiladels und ähnlicher Schichten gründete sich u.a. auf Abgaben der eigenen und fremden Stammesbevölkerung (Tribute, Ehrengeschenke), auf Ausbeutung Unfreier in Verbindung mit einer ungleichen Bodenverteilung und auf die mögliche Bindung eines Teils der handwerklichen Produktion an seinen Hof. Dass bedingte, dass diese sich immer mehr von ihrer manuellen Tätigkeit lösen konnten und in Raub, Krieg und Verwaltung ihre Aufgaben sahen (dazu auch Tacitus, Germ. 14-15).
Vermutlich besaß der Stammesadel eigene abgesonderte Höfe, die durch Palisaden und Gräben befestigt sein konnten. Ahnliches lässt sich aus dem Bericht des Tacitus schließen, wonach der Cherusker Segestes eine Zeitlang von den Kriegern des Arminius belagert und erst durch die Römer befreit wurde (Ann. 1, 57). Da er Verwandte und Gefolgsleute aufgenommen hatte, muss sein Gehöft auch entsprechend groß gewesen sein.
Rom sah in dieser Schicht bereits eine herrschend Elite und versuchte, direkt oder indirekt seine eigenen Interessen durchzusetzen und die Stammesführung zu schwächen. Die Verleihung römischer Bürger- und Ritterwürden unterstützte den Prozess der Absonderung des Stammesadels von der Masse der Stammesbevölkerung.
Unter anderem wird auch im Elbe-Oder-Gebiet für den Beginn unserer Zeitrechnung ein Stammesadel nachgewiesen. Erwähnt sind bei den Hermunduren zwischen 21 (Tacitus, Ann. 2, 63) und 49 n. Chr. Vibilius (Hermundurorum rex: Ann. 12, 29) und bei den Semnonen Masyos (rex). Für die Rugier, Goten und Lemovier erwähnt Tacitus sogar einen stärkeren Einfluss des Adels.
Eine solche Stammesaristokratie ist vor allem in den so genannten Fürstengräbern vom Lübsow-Typ zu erkennen. Ihre Grabplätze sind durch eine isolierte Lage von den übrigen Friedhöfen gekennzeichnet. Aufwendige Grabkammern aus Steinen und ein Erdhügel bedeckten den Toten. Auffallend ist die reiche Ausstattung der Gräber mit römioschem Geschirr, Gerät und Edelmetallschgmuck. Verschiedentlich bestatteten die adligen Familien ihre Toten seit Generationen immer an derselben Stelle (z.B. Lubieszewo und Hagenow).
https://de.wikipedia.org/wiki/Prunkgr%C ... %C3%BCbsow
Peter Heather sagt zur sozialen Schichtung der Germanen:
Auch wenn die materiellen Relikte der germanischen Welt aus den letzten vorchristlichen Jahrhunderten keinen Hinweis auf Statusunterschiede geben, heißt das noch lange nicht, dass keine vorhanden waren ...
Fest steht, dass sich die soziale Ungleichheit in der Phase der Kontakte mit dem Römischen Reich dramatisch verschärfte. Archäologisch bestätigen lässt sich der Aufstieg der Militärkönige und ihrer Gefolgschaften durch Bestattungsriten und durch Siedlungsreste ... Opulent ausgestattete Gräber, so genannte Fürstengräber, häufen sich am Ende des 1. Jh. (die so genannte Lübsow-Gruppe) sowie im späten 3. Jh. (Leuna-Haßleben-Gruppe). Da es unwahrscheinlich ist, dass es nur zu dieser Zeit eine soziale Elite gab, wurde die These aufgestellt, die Fürstengräber kennzeichneten Perioden sozialer Spannungen, in denen neue Ansprüche auf einen höheren sozialen Status erhoben wurden ...
Auch die Siedlungsarchäologie bestätigt diesen Wandel. Besonders genau erforscht wurden die Höhensiedlungen der alemannischen Könige und Fürsten. Eine der bekanntesten Höhensiedlungen ist der Runde Berg bei Bad Urach, wo sich Ende des 3. Jh. ein 70 x 50 Meter großes Areal befand, umgeben von einem aus Holz und Erde errichteten Wall. Innerhalb der Umfriedung standen etliche Holzgebäude, darunter wahrscheinlich ein Festsaal zur Bewirtung von Gefolgsleuten und/oder befreundeten Königen. An den Hängen lagen weitere Häuser, u.a. mit Werkstätten für Handwerker und möglicherweise Unterkünften für Bedienstete. Auf dem Runden Berg befanden sich deutlich mehr importierte römische Keramik und andere Objekte, die der Elite vorbehalten waren.
Das alles fügt sich zu einem klaren Bild: Siedlungen und Grabbeigaben belegen eine zunehmende soziale Ungleichheit, und man kann sich leicht vorstellen, dass militärische Macht den Königen und damit auch ihren Gefolgsleuten privilegierten Zugang zu dem neuen Wohlstand ermöglichte.
(Peter Heather, Invasion der Barbaren, 2011 Stuttgart, S. 65 ff.)