Barbarossa hat geschrieben:Vor allem durch Kriegszüge kam es zur Herausbildung von Stammesverbänden. Das ist soweit klar. Ob das mit den Gefolgschaften tatsächlich so war, wie du beschreibst, kann ich nicht beurteilen - dss wäre mir jetzt neu. Ich weiß auch gar nicht, ob das schon so eingehend erforscht ist. Fest steht aber, dass es einen Stammesadel schon zur Zeit des Arminius gab. Warum sich die Stammesfürsten durch eine völlig neue Art von Eilte das Heft aus der Hand hätten nehmen lassen, ist mir auch nicht so ganz klar.
Ob das wirklich so war, kann auch ich nicht beurteilen. Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber selbst ich war damals nicht selbst dabei.
Offenbar lassen sich die geschilderten Entwicklungen am Beispiel des fränkischen Reichs verhältnismäßig gut ablesen, weil hierfür schon eigene Schriftzeugnisse vorliegen. Meine "Weisheiten" habe ich dem folgenden Werk entnommen: "Metamorphosen der Macht", Untertitel: "Die Entstehung von Herrschaft, Klassen und Staat untersucht am Beispiel der germanisch-fränkischen Gesellschaftsgeschichte". Autor: Hans Peter Drexler, erschienen im Tectum Verlag 1995. Es handelt sich um eine Dissertation, die an der Uni Freiburg vorgelegt wurde.
Zu den archäologischen und historischen Bezügen in der Arbeit kann ich nur Laienmeinungen abgeben. Ich kann allerdings sagen, dass all dies aus Sicht der Soziologie (mein Fachgebiet) durchaus plausibel ist.
Und eine These des Werks lautet: Zu Zeiten des Arminius
gab es keinen Stammesadel! Stammesgesellschaften sind "egalitäre" Gesellschaften. Das heißt nicht, dass alle Menschen gleich sind. Sicher gab es Personen, die reicher, angesehener und sogar mächtiger waren als andere Personen. Die Stellung dieser Personen war aber nicht in der Gesellschaftsstruktur begründet. Sie konnten die Position nicht "vererben". Wir reden über eine Gesellschaft, in der jedes Individuum sich sein Recht selbst verschaffen musste - bevorzugt mit Gewalt, denn Gesetze gab es ja nicht.
Welchen Grund sollte ein auf sich selbst (und seine Sippe) angewiesenes Individuum gehabt haben, einem "Adeligen" Gehorsam zu leisten? Was wäre denn die "Gegenleistung" gewesen? Da kommen nur Schutz und Unterstützung in Frage. Dafür hat das geschützte Individuum im Gegenzug die Pflicht, den "Adeligen" bei Bedarf zu unterstützen. Das ist eine Art Vertragsverhältnis (Klientelverhältnis) zwischen den Beteiligten, das nur so lange gilt, wie es den Interessen beider Seiten dient. Was sollte nun aber einen germanischen Kleinbauern, der jederzeit bereit ist sein Recht mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, dazu motivieren, die "Herrschaft" eines Adeligen zu aktzeptieren, der nie was für ihn getan hat?
Hier kommt der grundlegende Unterschied zwischen den Strukturen der Stammesgesellschaft und der Gefolgschaft zum Ausdruck: Die Stammesgesellschaft ist egalitär, die Gefolgschaft ist auf den Gefolgsherrn orientiert und demnach hierarchisch. Der "Adel" hat sich aus den Strukturen der Gefolgschaft entwickelt, nachdem die Stammesgesellschaften zusammengebrochen waren. Also Jahrhunderte nach Arminius.
Das lässt sich übrigens auch an den römischen Quellen ablesen. Tacitus sagt unmissverständlich, dass germanische "Adelige" und "Könige" nicht das Recht hatten, Befehle zu erteilen. Wichtige Entscheidungen wurden in der Volksversammlung getroffen, und da hatte jeder kleine Kleinbauer, der Waffen tragen konnte, das gleiche Stimmrecht wie jeder Mächtige.
Die Vokabel "egalitär" darf man übrigens nicht romantisch verklären. Sie besagt nur, dass alle Menschen die gleichen Rechte hatten. Nämlich gar keine. Das war nicht die reine Demokratie oder gar der Ur-Kommunismus, den manche Leute darin gesehen haben. Es war eine extrem gewalt-geprägte Form des Zusammenlebens. Wie die Leute das damals aus "harmonisch" und "verteidigenswert" empfinden konnten, ist aus heutiger Sicht kaum nachzuvollziehen.