Moin Leute,
offensichtlich besteht hier im Forum ein kleines Defizit in Sachen Kompetenz zu Islam, Naher Osten, etc.?
Nun, erstmal möchte ich betonen, dass der Zentralrat der Muslime einen Coup gelandet hat, indem er sich nach dem "renommierten" Zentralrat der Juden benannte. Damit suggeriert er zweierlei: 1. Das er DER Ansprechpartner der Deutschen wäre. 2. Das er ähnlich wie der jüd. Zentralrat für DIE Muslime spräche, zudem auch noch sehr seriös wäre.
Der ZDM ist nun nicht unseriös, aber er repräsentiert nur einen Bruchteil der deutschen Muslime, zudem auch noch den eher besonders frommen, strengen, ja manchmal gar ultraorthodoxen Teil der Muslime. Einige Organisationen sind, oder waren in diesem Dachverband, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Das nur dazu.
Natürlich sind nun nicht alle Aussagen auf deren Homepage oder die deren Vorsitzenden sagen Mumpitz, aber man sollte obige Fakten im Hintergrund behalten.
Den merke: "DER" Islam ist ebenso vielfältig, wie "DAS" Christentum. Er ist
nicht monolithisch, und erst recht ist es nicht der "wahre" Islam, wie es die Islamisten/Salafisten/Wahhabiten behaupten und viele Massenmedien ihnen auf den Leim gehen. (Abgesehen sind diese Richtungen eher ein Produkt der Moderne, denn "urtümliche" Muslime der Frühzeit)
Kommen wir zur Demokratie.
Es gibt zahlreiche Richtungen des Islam, die haben keinerlei Schwierigkeiten Demokratie und Islam vereinbar zu finden.
Dazu können sie z.B. auf die Frühzeit des Islam zurückblicken, welches in seinem Streben den Tribalismus mit seinen Stammesstrukturen aufzubrechen und eine Gesellschaft zu formen, in der alle gleiche Rechte hätten, gar "protokommunistische" Züge zugesprochen wurden, also in jener Frühzeit wurden z.B. die Kalifen durch Wahl bestimmt. Erst mit der ersten islam. Dynastie der Umayyaden wurde die Thronfolge an die Söhne des Herrschenden eingeführt.
Später gab es immer wieder Herrschaftshäuser, die haben ihrerseits z.B. durch Wahl den Herrscher bestimmt, z.B. die Mamluken aus Ägypten, wobei natürlich nicht demokratisch gewählt wurde, sondern aus der Mitte der oberen Elite heraus jemand gewählt wurde.
In den folgenden Linktipps ist eine Herleitung eines demokratischen Prinzips aus dem Islam heraus näher beschrieben, bzw. beschrieben, dass eine Demokratie keinesfalls im Widerspruch zum Islam stehen muss.
Zitate:
Muqtedar Khan:
"...Einige muslimische Gelehrte und militante Islamisten lehnen die Demokratie mit dem Argument ab, sie widerspreche den Geboten Gottes, respektive der islamischen Scharia. Ebenso wie die westliche Dominanz lehnen sie auch die Demokratie strikt ab und sehen in ihr fälschlicherweise ein spezifisch westliches Produkt.[3] Glücklicherweise sind diese Argumente sowohl in der Theorie als auch in der Praxis auf ganzer Linie widerlegt worden. Die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie wird inzwischen nicht mehr in Frage gestellt.
Muslimische Wissenschaftler haben schlüssig bewiesen, dass der Islam und demokratische Verfahren durchaus nebeneinander bestehen können..."
Oliver Schlumberger:
"...Dem stehen auf islamischer Seite die bereits erwähnten Argumente liberaler Muslime gegenüber, die eine prinzipielle Vereinbarkeit von Islam und Demokratie behaupten. In der
westlichen akademischen Literatur wird - mit ganz wenigen Ausnahmen und mit einigen Variationen in den Details - zumeist davon ausgegangen, dass sich Islam und Demokratie unter bestimmten Umständen nicht gegenseitig ausschließen...."
Natürlich findet man im öffentlichen Diskurs, in den Medien, diese akademische Beurteilung seltener wieder, sondern eher die Plattitüden, dass Islam und Demokratie unvereinbar sind. (Ist ja auch in der Praxis deutlich scheinbar belegt) Das sind aber eher Nachplapperungen von einigen wenigen westlichen akadamischen Stimmen, zahlreicheren islamistischen Stimmen, oder einfach eigene "Analysen" ohne hinreichende Kenntnisse.
Ich hatte schon einmal folgendes Dokument im Geschichtsforum exzerpiert, zusammengefasst und vor allem politische Implikationen ausgesiebt, hier nun der volle Artikel der gut Licht ins Dunkel bringt:
Islam in Deutschland
Ein "Kampf der Kulturen"?
Sind Islam und Demokratie vereinbar?
Das schwierige Verhältnis von Religion und Staat
Von Oliver Schlumberger
http://www.buergerimstaat.de/4_01/islam06.htm
obiger Text bildet also die westliche und islamische Sicht ab.
Kommen wir zu einem Text, wie es beispielhaft ein Muslim und Akademiker sieht:
Demokratie und islamische Staatlichkeit
Muqtedar Khan
http://www1.bpb.de/publikationen/7FDCOI ... hkeit.html
Folgenden Link stellte ich auch schon ins Geschichtsforum rein, der sehr interessant darlegt, dass die Prämisse, die jeder kennt: "Der Islam ist Religion und Staat." vor dem 19. Jahrhundert gar nicht zu belegen ist, und der in der Tat eine Vereinbarkeit von Demokratie und Religion erheblich erschweren würde.
Prof. Dr. Heinz Halm
Islamisches Rechts- und Staatsverständnis.
Islam und Staatsgewalt.
http://www.uni-tuebingen.de/uni/aos/damha1.htm
Also kurz, Islam ist mit Demokratie vereinbar. (Leider nur in wenigen Staaten auch in der Praxis mal mehr mal minder verwirklicht, vor allem nichtarabische Staaten, z.B. Südosteuropas, Südostasiens, Südasien)
Dies ist vielleicht nicht sooo verwunderlich für einige, wenn sie wüssten, dass in der islamischen Geschichte es durchaus Phasen, ja sogar dominante Phasen gab, wo man den Koran nicht wortwörtlich auslegte, sondern den tieferen Sinn, die Bedeutung dahinter erschloss, und sich dabei bewusst war, dass diese Deutung natürlich Menschenwerk war, also immer abhängig von Zeit und Raum wäre, und nicht ewig eine "Wahrheit" darstellte, sondern immer wieder neu ergründet werden müsste. Quasi eine "historisch-kritische"Textanalyse und Hermeneutik, weshalb auch die Frage nach einem Luther eigentlich ein wenig überflüssig ist, da die islamische Geschichte deren mehrere hatte. (Gut, nützt heute den Geknechteten im Sudan auch nix, ... aber prinzipiell meine ich...
) Diese Textanalyse war auch notwendig (selbst für die ganz "wörtwörtliche" Fraktion), so spricht der Koran z.B. nur von Wein, und man fragte sich, was ist dann mit Schnaps? Also fragte man sich, was will Gott denn eigentlich in den "Wein-Versen" ausdrücken, und befand, dass es darum ging, nicht berauschende Alkoholika zu trinken. Schon war man von der "wortwörtlichen" Lesung des Korans hin zur Deutung des Sinns des Korans... etc...pp..
Ciao und LG.