Barbarossa hat geschrieben:Renegat hat geschrieben:In den letzten Beiträgen ging es um ein ganz anderes "früher" als im Eingangsbeitrag. Dort ging es um das 19. Jhdt, das Nationenbildungsjahrhundert. Da ich keinen neuen Thread eröffnen will, schließe ich meine Frage hier an.
Durch die zur Zeit aktuellen Diskussionen zum 1. WK, guckt man auch auf die Zeit davor, bes wenn man sich überlegt, dass die Ereignisse zeitlich so nahe zusammenliegen, dass ein damals lebender Mensch einiges selbst erlebt und mündlich an seine Nachkommen weitergegeben haben muß.
Dabei fällt mir auf, dass sich die Nationenbildung iW durch Abgrenzung von Anderen vollzog. Der Andere war oft der benachbarte Feind. Sogar in F reichte die Revolution offensichtlich nicht aus, um aus Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein Nation zu formen, Napoleon mußte mit diesen Gedanken halb Europa zwangsbeglücken. In D führten erst ein paar Kriege z.B. gegen Dänemark, Preußen gegen Ö + deutschen Bund und gegen F zur Vorherrschaft Preußens.
Vielleicht liegt es auch an dieser mow gewaltsam durchgesetzten Hegemonie Preußens, dass das Nationalgefühl in D so unterschiedlich ausgeprägt ist.
Was meint ihr? Sind rationale, demokratisch entstandene, politische Zusammenschlüsse dauerhafter als solche, die aus gewonnenen Kriegen, also Unterwerfung, entstanden sind?
Ich glaube, jedes staatliche Gebilde benötigt ein landesweit verbindendes Element.
Um das zu erklären, schaue dazu einfach mal in die Geschichte zurück:
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Gar nicht "einfach".
Abgesehen von den Projektionen, die die Moderne der Vergangenheitsbetrachtung auferlegt (wobei "Moderne" relativ ist; du legst en masse davon an den Tag, aber es ist eigentlich 19.Jh.),
ist eine durch Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückliegende Vergangenheit, schon aufgrund der dünnen Quellenlage, grundsätzlich Modellen und Plausibilitätswahrscheinlichkeiten unterworfen.
Zudem ist das Beispiel, das Du bringst, schlecht;
denn
Barbarossa hat geschrieben:
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Ich hab an anderer Stelle bereits das Frankenreich als Beispiel gebracht, das abgesehen von den zahlreichen dynastischen Teilungen ansonsten ein stabiles Reich war - und das trotz der Tatsache, dass der romanische Westeil komplett erobert worden war. Alle Bewohner des Reiches verstanden sich als Franken.
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der letzte Satz in Deinem Post ist nachgewiesenermassen falsch, der Satz davor nur unter Vorbehalt stimmig.
Deine Message aber ist freilich:
Barbarossa hat geschrieben:
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Die unterworfenen germanischen Stämme wurden zum Christentum bekehrt - unter Karl dem Großen sogar vor allem mit dem Schwert. Das bedeutet, der gemeinsame Glaube wurde hier zum verbindenden Element.
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Und diesmal: Ja, kann man wahrscheinlich so sagen, jedenfalls u.a.
Barbarossa hat geschrieben:
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Auch das Römische Reich war ein Sammelsorium verschiedener Völker. Dass dieses Reich relativ stabil war, mag an der raschen Gleichberechtigung aller Reichsteile und der Romanisierung großer Teile der Bevölkerung gelegen haben.
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Gleichberechtigt? Erst Caracalla hat, wenn ich jetzt nicht danebenlange, z.B. die Steuerfreiheit Italiens abgeschafft.
Und "stabil" ist relativ. Langlebig sicherlich, vergleichsweise.
Romanisierung im Osten nur teilweise. Eher weiterhin fortschreitende Gräzisierung, aber mitunter nicht zum Schaden der alten einheimischen (meist semitischen) Sprachen, welche sich teilweise auch lang nach der Zerstörung Karthagos in Nordafrika auf (römischen!) Gegenständen finden, teilweise gar repräsentativer und institutioneller Natur.
Barbarossa hat geschrieben:
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Bei Napoleon I. gab es kein verbindendes Element.
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Doch. Und zwar das Recht. Entlang moderner Prinzipien, so wie wir es noch heute verstehen.
Barbarossa hat geschrieben:
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Sein Versuch, ganz Europa zu unterwerfen, musste irgendwann scheitern, weil seine Herrschaft ausschließlich als Fremdherrschaft empfunden wurde, und das, obwohl sie soziale Erleichterungen für das Volk mit sich brachte.
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Hinderlich für die Durchsetzung obig genannten Rechts waren mit Sicherheit Kriege, Zwangsaushebungen und Wirtschaftskrisen. Ein theoretisch fortschrittliches Rechtssystem nutzt dem Einzelnen null (oder so gut wie), wenn er den Frieden nicht zu sehen bekommt und nix zu beissen hat.
Darüberhinaus hat's regional grosse Unterschiede, auch auf geographisch und politisch relativ eng umrissenen Gebiet. In manchen Kantonen der Schweiz geht Napoleon +- als Verbrecher durch (z.B. in Luzern mit ihrem sterbenden Löwen da für die in den Tuilerien gemeuchelte Schweizergarde und so), in anderen als Volksheld (in meinem hat's sogar 'ne Napoleonische Garde, bis heut). Eben je nach Betrachtungswinkel.
Barbarossa hat geschrieben:
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Das Deutsche Kaiserreich wiederum hatte dieses verbindende Element - den Nationalismus.
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Auch nicht überall in gleichem Masse. Das ehemalige Hannover wurde als unsicherer Kandidat gesehen (daher das Trara um die Prinzenhochzeit dann irgendwann bei Reichsende), das Elsass sowieso, Baden und Bayern eh. Und allesamt verabscheuen sie Preussen bis heute und dieses karnevalistische Tschingderassa und "wir sind die besseren Deutschen".
Barbarossa hat geschrieben:
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Bei der EU vermisse ich jegliches verbindende Element. Das einzige, das Europa heute zusammenhält, ist die Angst vor einem neuen Krieg in Europa.
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Hä? Welcher Krieg denn, bittschön?
Verbindendes Element ist heute gemeinsames Interesse, Standardisierung in Recht, Handel, Wissenschaft und auf so gut wie allen Gebieten. Prosperität und Zukunftsglaube bzw. -hoffnung. Ist vllt wirklich ein bisschen wenig (reicht aber in Staaten wie den USA allemal), zumal in jenen Zeiten, in denen's wirtschaftlich nicht so gut läuft und - wie Brandenburg also "Preussen"
- in zurückgebliebenen Gebieten. Allein: Mit dem Nationalismus von 1820, so wie Du ihn verstehst (und wie er in D niemals zum Tragen kam, was ja das Desaster von 1848 ist), kommt man heut nimmer weit.
LG